mySTORYs Schreibratgeber
Für Anfänger und Fortgeschrittene

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Spannungsbogen

Spannung gegen Langeweile

Wir alle wollen spannende Geschichten lesen. Und natürlich wollen wir auch spannende Geschichten schreiben. Aber ist das überhaupt möglich? Ist das nicht Geschmackssache? Die einen finden eben andere Dinge interessant als die anderen. Manche mögen Krimis, andere Liebesgeschichten, dieser liest gerne Fantasy, jener verschlingt Biographien.

Richtig, Geschmäcker sind verschieden und dagegen kann der Autor wenig bis gar nichts unternehmen. Doch allein auf den Geschmack können wir uns nicht herausreden. Ob eine Idee, eine Geschichte für den Leser, den sie potenziell interessieren sollte, spannend oder langweilig ist, hängt zuallererst davon ab, wie gut oder schlecht wir sie umsetzen. Spannung ist Handwerk!

Und so beginnen wir dieses Thema ganz mit Billy Wilder, dessen erstes Gebot lautete:


1. Du sollst nicht langweilen!

Im Gegensatz zum Erzeugen von Spannung geht langweilen viel einfacher. Es gibt so viele Möglichkeiten, zu langweilen. Und meistens finden sie ihre Ursache darin, dass wir vergessen, uns auf das Wesentliche unserer Geschichte zu konzentrieren. Wenn wir den zentralen Konflikt aus den Augen verlieren, wenn wir unsere Figuren nicht stetig antreiben, zu handeln, wenn wir der Konfrontation aus dem Weg gehen oder die Harmonie zu sehr lieben, ist Langeweile vorprogrammiert.


1.1. Stillstand ist Langeweile!

Generell ist jedes Verweilen Garant für Langeweile. Wo nichts vorwärts geht, laden wir den Leser ein, sich gähnend zu verabschieden. Dabei geht es nicht um die reine Bewegung, sondern um jede Entwicklung in der Geschichte. Nun werden die meisten sagen, klar, ist doch logisch, kann mir nicht passieren. Aber die Gefahr ist größer, als man denkt. So neigt man leicht dazu, sich zu wiederholen. Und Wiederholung ist Verweilen.

Ein Beispiel: Unser Protagonist hat ein schwerwiegendes Problem zu lösen. Und ein solch schwerwiegendes Problem löst man nicht so einfach. Also wird er mehr als einmal darüber nachdenken, um nach einer Lösung zu suchen. Und sicherlich wird sich dabei mancher Gedanke in seinem Kopf mehr als einmal ansiedeln. Möglicherweise wird der Protagonist sogar stets um ein und denselben Gedanken kreisen.

Alles kein Problem, so ist das nun mal. Nur muss der Leser den Protagonisten bei dieser Karussellfahrt nicht von Anfang bis Ende begleiten. Wenn die Figur drei Stunden nachdenkt, ohne dass sie dabei vorankommt, kann der Erzähler das getrost zusammenfassen: „Drei Stunden brütete er nun über dem Problem, ohne auch nur einen Schritt voranzukommen.“

Für den Leser wird es erst wieder interessant, wenn es etwas Neues gibt. Dann darf der Erzähler wieder ganz bei der Figur sein und jeden ihrer neuen Gedanken mitverfolgen.

Wer sich dieses Prinzip generell einprägt, ist auf dem richtigen Weg. Je mehr wir uns dem Ideal nähern, dass jeder Satz für den Leser eine Neuigkeit enthält, desto schlechter für die Langeweile. Ganz werden wir dieses Ideal nie erreichen, aber wir sollten es anstreben.


1.2. Neuigkeiten mit Gewicht

Doch damit ist es nicht getan. Es kommt auch auf die Qualität der Neuigkeit an. 754 Sätze darüber, wie unser Protagonist von A nach B kommt, können dem Leser ebenso viele Neuigkeiten erzählen, und der schläft frecherweise dennoch schon bei der 239. ein. Das liegt dann daran, dass alle oder wenigstens der größte Teil dieser Neuigkeiten keine Qualität hinsichtlich des Konflikts haben. Sie bringen ihn (und damit die Geschichte) nicht voran.

Damit sind wir bei der Frage der Gewichtung der Details. Seltsamerweise haben viele Autoren, denen es noch an Erfahrung fehlt – und manche darüber hinaus – den Hang dazu, genau dort ins Detail zu gehen, wo es dem Leser nichts bringt, und immer dann einen äußerst knappen Stil zu pflegen, wenn es eigentlich interessant wird. Immer dann, wenn sich die Figur mitten im Konflikt befindet, jagt der Autor den Leser in wenigen Sätzen hindurch, während jeder Gedanke und jede Handlung genau festgehalten wird, befindet sich die Figur beim Frühstück oder auf dem Weg von einem Handlungsort zum anderen.

Also, lass den Leser miterleben, wenn die Figur etwas tut, denkt oder erfährt, was die Geschichte voranbringt! Alles andere sind Informationen, die sich, falls sie überhaupt von Bedeutung sind, vor allem durch eines auszeichnen sollten: die Knappheit ihrer Vermittlung.

Das gilt schließlich auch für jede Art der Rückblende. Auch Rückblenden bedeuten auf der eigentlichen Handlungsebene ein Verweilen. Der Leser erfährt in dieser Zeit nicht, wie es mit der Figur im Hier und Jetzt der Erzählung weitergeht. Wenn man sie also nicht vermeiden kann, ist auch hier Knappheit angesagt.


1.3. Nur zur Info: sparsam mit den Infos!

Abschließend eine weitere Zusammenfassung: Wirklich interessant sind für den Leser immer nur solche Informationen, die eine Aussage über den Fortgang der Handlung und damit verbunden über die Entwicklung des zentralen Konflikts treffen.

Darüber hinaus haben nur die Informationen eine ernsthafte Berechtigung, die zum Verständnis der Handlung und der Figuren absolut notwendig sind. Schon diese sind falsch gestreut dafür prädestiniert, zu Spannungskillern zu werden.

Umso mehr gilt das für all jene Informationen, die der Autor letztlich nur noch damit begründen kann, dass sie Atmosphäre schaffen oder die Figuren zusätzlich beleuchten. Spätestens, wenn sich gar keine Begründung mehr finden lässt, ist die Information vollkommen fehl am Platz.

Schreibe kein Sachbuch, sondern eine Geschichte! Und achte darauf, auch die notwendigen Informationen nur dort einzuflechten, wo sie sich in die Geschichte einfügen. Alles andere nennt man Infodump.

Wenn der Autor dem Leser etwa eine Hintergrundinformation über eine Figur vermitteln will, sollte er eine Situation herbeiführen, in der diese Information auch für die handelnden Figuren relevant ist. Hat zum Beispiel der sechzehnjährige Tom vor einigen Jahren den Vater verloren, sollte der Erzähler das nicht im Rahmen eine biografischen Abhandlung mitteilen, sondern Tom in einer Szene zeigen, in der ihm selbst der Tod seines Vaters erneut bewusst wird. Vielleicht beobachtet er, wie ein anderer Vater seinen Sohn innig umarmt. Oder jemand, der nicht weiß, dass Toms Vater gestorben ist, fragt nach ihm.


2. Wie entsteht Spannung?

Seltsamerweise setzen viele in Bezug auf Geschichten Spannung mit Action gleich oder glauben zumindest, Spannung sei im Wesentlichen etwas für Krimis und Thriller. Dabei funktioniert keine Geschichte, ohne dass der Leser gespannt ist, wie es weitergeht. Spannung ist in diesem Sinne einfach das Gegenteil von Langeweile.

Für den Leser spielen letztlich zwei Fragen eine Rolle:
1.    Wie geht die Geschichte, in die ich hier hineingeraten bin, aus?
2.    Was geschieht als nächstes?

Das bedeutet für den Autor, dass er im Idealfall stets und ständig beide Fragen so offen wie möglich hält, dem Leser also die Antworten auf beide Fragen so lange wie möglich vorenthält, während er gleichzeitig darauf bedacht sein muss, das Interesse des Lesers an ebendiesen Antworten so hoch wie möglich zu halten.

Der Autor ist wie ein reicher Onkel, der seinem Leser in der Adventszeit ein Geschenk nach dem anderen vor die Nase setzt, das dieser genüsslich auspacken darf. Jedes dieser Geschenke steht mit dem einen großen in Verbindung, das am Heiligen Abend als endgültige Auflösung unter dem Weihnachtsbaum wartet.


2.1. Der Konflikt und sein Spannungsbogen

Vielleicht interessierst du dich für Sport. Für Fußball. Oder für Tennis. Oder für die Formel 1. Oder irgendeinen anderen Sport. Wahrscheinlich hast du dann in der jeweiligen Sportart eine Lieblingsmannschaft oder einen Lieblingssportler. Dass du einer Mannschaft oder einem Sportler die Daumen drückst, ist Grundvoraussetzung dafür, dass das jeweilige Sportevent wirklich spannend für dich wird.

Ob es um ein einzelnes Spiel geht, um ein Turnier oder eine ganze Saison, für denjenigen, der mit seinem (oder seinen) Favoriten mitfiebert, der sich wünscht, dass dieser am Ende als Sieger  dasteht oder wenigstens nicht absteigt, der also die Ziele seines Lieblings teilt, entsteht immer ein Spannungsbogen.

Ein Fan von Sebastian Vettel wird ein Grand-Prix-Wochenende voller Spannung erwarten und als überaus aufregend erleben. Möglicherweise fiebert er der Veranstaltung derart entgegen, dass er schon im Vorfeld alle Informationen sammelt, die ihm Aufschluss darüber geben können, wie sein Idol für das Rennen aufgestellt ist. Spätestens das Qualifying wird er gebannt verfolgen. Beim Rennen am Sonntag tritt ihm schließlich vor Anspannung der Schweiß auf die Stirn.

Der Spannungsbogen spannt sich vom Beginn der Veranstaltung (oder sogar schon ein bisschen davor) bis zu dem Punkt, da das Sonntagsrennen beendet ist und der Fan weiß, ob Sebastian als Sieger durchs Ziel gefahren ist oder nicht. Denn der Spannungsbogen zeichnet die Entwicklung eines Konflikts nach. Der Konflikt lautet: Sebastian Vettel will den Grand Prix gewinnen, aber seine Gegner wollen ihn daran hindern, um selber als Sieger hervorzugehen.

Nun hat Sebastian die Formel 1 dieses Jahr ziemlich dominiert. So manches seiner Rennen dürfte selbst seine größten Fans kaum an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gebracht haben, wenn ihr Idol die Trainings beherrschte und  im Rennen von der Poleposition einen Start-Ziel-Sieg hinlegte, der zu keinem Zeitpunkt gefährdet war.

Nun besteht im Motorsport zumindest immer noch das Risiko, dass den Führenden ein technisches Problem stoppt, aber stellen wir uns vor, unsere Lieblingsfußballmannschaft aus der ersten Bundesliga spielt in einem Freundschaftsspiel gegen einen viertklassigen Gegner, dominiert das Spiel, schießt ein Tor nach dem anderen und liegt schon zur Halbzeit mit 5:0 vorn, ohne in der zweiten auch nur ansatzweise nachzulassen.

Einem Autor, der den Spannungsbogen seiner Geschichte in dieser Weise aufbaut, kann man getrost attestieren, dass er alles falsch gemacht hat. Denn ein Spannungsbogen, der beim Leser wirklich Spannung erzeugen soll, setzt den Protagonisten in einen ernsthaften Konflikt mit einem Gegner, der dem Protagonisten mindestens ebenbürtig ist. Im Verlauf des Spannungsbogens darf es durchaus Hoffnung geben, auch kann der Protagonist gern einmal die Nase vorn haben, ja, Höhen sind durchaus erwünscht, aber es muss eben auch die Tiefen geben. Sie sind es, die dem Leser stets die Möglichkeit des Scheiterns vergegenwärtigen und ihm damit die Schweißperlen auf die Stirn treiben.

Ein guter Spannungsbogen beschreibt die Entwicklung eines Konflikts zwischen Höhen und Tiefen, Erfolgen und Misserfolgen, Hoffnung und Krise, Glücksmomenten und Katastrophen. Je mehr der Protagonist in diesem Konflikt geschont wird, desto unspannender wird die Geschichte. Ein guter und konsequenter Spannungsbogen wird dagegen allein schon dafür sorgen, dass beim Leser keine Langeweile aufkommt.


2.2. Das Rätsel

Ohne Spannungsbogen geht es nicht! Das wäre, als würden wir auf der Rennbahn den Zielstrich oder auf dem Fußballplatz die Tore entfernen. Er sorgt für die Frage, wer am Ende das Rennen oder das Match gewinnt und – wenn es ein guter Spannungsbogen ist – dafür, dass diese Frage so lange wie möglich offen bleibt. Selbst dann, wenn der Leser davon ausgehen kann, dass der Protagonist am Ende den Sieg davontragen wird, gestaltet ein guter Spannungsbogen den Weg dorthin so spannend wie möglich.

Und dabei kann er Hilfe gebrauchen. Hilfe, die in der sportlichen Auseinandersetzung in der Regel keine Rolle spielt. Dort geht es nur ums Gewinnen oder Verlieren, in der Geschichte gibt es weitere Möglichkeiten, den Leser bei der Stange zu halten. Allen voran das Rätsel bzw. die offene Frage.

Als eine Meisterin der offenen Fragen würde ich etwa die Wiener Autorin Ursula Poznanski nennen. Praktisch jede Rezension zu ihrem Erfolg „Erebos“ betont, welchen Sog das Buch auf den Leser ausübt. Neben dem Spannungsbogen ist der Jugendthriller vor allem deshalb so fesselnd, weil es ständig offene Fragen gibt, auf deren Beantwortung der Leser brennt. Schon auf den ersten Seiten will er unbedingt wissen, warum sich der Freund des Protagonisten so merkwürdig verhält. Doch weil es auch der Protagonist nicht weiß, aus dessen Perspektive der Roman geschrieben ist, l&¨sst die Aufklärung auf sich warten.

Wer also die Spannung in seiner Geschichte auf die Spitze treiben will, wird dafür sorgen, dass dem Leser zu jeder Zeit gewisse Informationen vorenthalten werden. Und dass der Leser weiß, dass sie ihm vorenthalten werden. Und schließlich, dass er begierig ist, diese Informationen zu bekommen.


2.3. Die Bedrohung

Auch die Bedrohung erzeugt Spannung, nicht weniger, gelegentlich sogar mehr als das Rätsel. Nur passt Bedrohung nicht unbedingt zu jeder Geschichte. Wohl aber zu den allermeisten. Wo das so ist, sollte der Autor sie auch nutzen, ohne seine Figur(en) zu schonen.

Ein ganzes Genre setzt auf die Bedrohung: der Thriller. In ihm ist die Bedrohung per Definition wesentliches Element. Bedroht werden der Protagonist, seine Familie, andere ihm nahestehende Personen, ihm nahestehende Tiere, eine Gemeinschaft, ein Land, ein Kontinent und/oder gleich die ganze Welt. Und die Bedrohung ist für den/die Betreffenden existentiell. Meist steht gar ihr Leben auf dem Spiel. Unnötig zu betonen, dass der Leser besonders mitfiebert, wenn er sich (auch) Sorgen um das Leben des Protagonisten machen muss.

Im Thriller ist die Bedrohung zentrales Element, sie ist also Teil des zentralen Konflikts und damit des gesamten Spannungsbogens. Das kann aber durchaus auch für andere Geschichten gelten. Denken wir nur an Hänsel und Gretel. Lösen sie ihren Konflikt nicht, ist mindestens Hänsel des Todes. Bedrohlich kann es aber natürlich auch dann werden, wenn das nicht in direktem Zusammenhang mit dem zentralen Konflikt steht. Wenn es in der Geschichte der Protagonistin eigentlich darum geht, ob sie den feschen Försterbuben für sich erobern kann oder nicht, darf sie deshalb dennoch gern einmal beim Bergwandern stolpern, um anschließend in Lebensgefahr von der Klippe zu hängen und erst im letzten oder allerletzten Moment von eben diesem Förster gerettet zu werden.


3. Spannungspusher

Neben dem bisher behandelten grundlegenden Handwerkszeug zur Spannungserzeugung, gibt es noch einige handwerkliche Kniffe, mit denen man die Spannung weiter anheizen kann. Maßvolle Verwendung ist allerdings angebracht, denn bei zu häufigem Gebrauch schleifen sie sich ab und verlieren schließlich ihre Wirkung. Ohnehin sind solche „Zaubertricks“ nicht jedes Lesers Geschmack.


3.1. Der Cliffhanger

Am Ende des Abschnitts 2.3. haben wir die Protagonistin von der Klippe hängen lassen. Wenn wir sie nun da hängen ließen und uns erst einmal anderem zuwendeten, hätten wir einen Cliffhanger im wahrsten Sinne des Wortes. Denn natürlich ist genau diese in Filmen häufig bemühte Situation der Namensgeber für diesen Spannungserzeuger: Held oder Heldin hängt an einer Klippe über einem todbringenden Abgrund und es scheint, als müsse er/sie gleich abstürzen. Doch bevor der Zuschauer erfährt, ob es doch noch irgendwie gut ausgeht, wechselt der Handlungsort.

Letztlich ist ein Cliffhanger nichts anderes als ein nicht zu Ende erzählter Spannungsbogen innerhalb einer Szene. Auf dem Höhepunkt des Szenenkonflikts, kurz vor seiner Auflösung, wird abgeblendet, das Szenenende auf einen späteren Erzählzeitpunkt verschoben. Der Held ist von Orks umzingelt oder der Mörder hält ihm ein Messer an die Kehle. Oder er hat der Angebeteten gerade den vom Leser lang erwarteten Heiratsantrag gemacht und wartet auf die Antwort.

Der Cliffhanger bewirkt auf diese Weise offene Fragen, die die Neugier des Lesers hoch halten. So kann etwa dem Drang des Lesers entgegengewirkt werden, das Buch am Ende eines Kapitels beiseite zu legen. Endet das Kapitel mit einem Cliffhanger, wird der Leser das Bedürfnis verspüren, weiterzulesen.

Wirklich sinnvoll (und weniger aufdringlich) wird der Cliffhanger allerdings erst, wenn er die Spannung zwischen verschiedenen Handlungssträngen aufrechterhält, wenn also ein Strang mit einem Cliffhanger beendet wird, indem ein zweiter Strang den Spannungsbogen des ersten unterbricht. Der Held hat das Messer an der Kehle, der Erzähler aber wechselt zur Freundin des Helden, die vom Komplizen des Mörders als Geisel festgehalten wird und gerade die Chance sieht, sich zu befreien. Doch ihr Fluchtversuch droht zu scheitern, als sie beim Hinausschleichen versehentlich einen Stuhl umwirft, was den Komplizen aufweckt. Nun aber wechselt der Erzähler wieder zum Protagonisten, der ja noch den Mörder und sein Messer wieder loswerden muss.

Wie schon gesagt, ein Cliffhanger, richtig eingesetzt, kann sehr wirkungsvoll sein. Je regelmäßiger man sie einsetzt, desto mehr verpufft jedoch ihre Wirkung, verkehrt sich möglicherweise sogar ins Gegenteil.


3.2. Das Leserwissen

Das Vorenthalten von Information kann also Spannung beim Leser erzeugen. Es funktioniert allerdings auch andersherum. Denken wir nur an Horrorfilme, die häufig damit spielen, dass der Zuschauer mehr weiß als die Figur. Steigt die etwa in einen dunklen Keller hinab und der Zuschauer weiß (oft reicht auch eine Ahnung), dass sich dort unten eine Gefahr (vielleicht ein Serienkiller oder ein Untier) befindet, ist Spannung vorprogrammiert.

Das Wissen, das der Leser der Figur voraushat, funktioniert immer dann als Spannungspusher, wenn der Leser dadurch erahnen kann, dass die Figur durch ihre Ahnungslosigkeit in eine Katastrophe hineinstolpern könnte.

Dem Autor stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, seinem Leser Wissen zu vermitteln, dass die Figur noch nicht hat. Vom Grundprinzip aber muss eine der beiden folgenden Voraussetzungen gegeben sein:
1.    ein allwissender Erzähler: Er kann dem Leser erzählen, wie die Kommissarin sich dem Verbrecher offen entgegenstellt, weil sie darauf vertraut, dass ihr Kollege ihn von hinten überwältigt, und dem Leser gleichzeitig verraten, dass eben dieser Kollege in Wirklichkeit bereits vom Komplizen des Verbrechers überrumpelt wurde,
2.    eine weitere Erzählperspektive: Es gibt zuerst eine Szene, in der die Kommissarin mit ihrem Kollegen den Plan bespricht, anschließend liest der Leser, wie sich der Kollege  von hinten an den Verbrecher anschleicht, dabei aber überrumpelt wird, dann erst wird wieder aus Sicht der Kommissarin erzählt, die sich auf ihren Kollegen vertrauend an den Plan hält.

Der geschickte Autor kann beim Leser auf diese Weise verschiedenste Momente erzeugen, in denen dieser der Figur ständig zurufen möchte, in welch fatale Situation sie sich gleich begibt. Dabei muss es nicht immer um Leben und Tod gehen. Der Leser, der weiß, dass die Mutter von Klaus gerade telefonisch erfahren hat, dass ihr Sohn die letzte Nacht nicht bei seinem besten Freund Günther verbracht hat, wird fast verrückt werden, wenn er Klaus in der folgenden Szene nicht warnen kann, wenn Klaus seiner Mutter die schönsten Märchen auftischt.


3.3. Die Vorausschau

Im Prinzip ist die Vorausschau nur eine Form, dem Leser Wissen zu vermitteln, das die Figur zu diesem Zeitpunkt noch nicht hat. Die Information etwa, dass im Keller ein Untier auf die Figur wartet, ist eine Vorausschau, sei sie nun durch eine zweite Erzählperspektive vermittelt oder durch einen allwissenden Erzähler.

Dass ich sie hier dennoch gesondert behandle, hat zwei Gründe:
1.    Vor allem der allwissende Erzähler kann eine Vorausschau leisten, die nur andeutet: „Hätte Tom gewusst, was ihn dort im Keller erwartete, er wäre niemals die Treppen hinuntergestiegen.“
2.    Mit der Vorausschau kann man die Neugier des Lesers auch für deutlich größere Zusammenhänge und Zeiträume anfachen: „Hätte Tom gewusst, was ihn auf dieser Reise erwartete, er wäre zu Hause geblieben.“

Auch hier sei noch einmal darauf hingewiesen: Weniger ist mehr! Diese Art von Spannungserzeugung, kann vom Leser schnell als aufgesetzt und künstlich empfunden werden, sodass sie ihm eher auf die Nerven geht, als dass sie seine Neugier entfacht.¨

Veröffentlicht am 10.01.2012
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