mySTORYs Schreibratgeber
Für Anfänger und Fortgeschrittene

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Lesungen

Endlich Publikum!

Lesungen, das ist sicher nicht nur ein Thema für Anfänger. Man könnte sich fragen, ob es nicht nur ein Thema für solche Autoren ist, die schon eine Weile im Geschäft sind. Aber zum einen ist die Trennung in Anfänger und Fortgeschrittene sowieso immer eine relative, zum anderen gehören für viele Autoren erste Lesungen tatsächlich schon zu den Erfahrungen, die sie sehr früh in ihrer Schreiberkarriere sammeln dürfen. Ich hoffe einfach, dass mein kleiner Lesungsratgeber vielen nützen kann.

1. Wozu überhaupt?

Es gibt Autoren, für die Lesungen zum Schönsten gehören, was ihnen das Autorendasein zu bieten hat, andere sehen sie bestenfalls als notwendiges Übel an oder weigern sich strikt, vor Publikum zu lesen. Gibt es aber abseits solcher individuellen Bewertungen Gründe, die für Lesungen sprechen? Möglicherweise sogar solche, die dagegen sprechen?

Letzteres möchte ich schon ausschließen. Lesungen zu halten kann nicht schaden. Zumal selbst der schlechteste Vorleser – das sei hier schon einmal vorweggenommen – an sich und seinem Vortrag arbeiten kann. Aber nützt es auch irgendetwas, sich vor einen mehr oder weniger kleinen Zuhörerkreis zu setzen, gewichtig an einem bereitgestellten Glas Wasser zu nippen und dazwischen aus einem Buch vorzutragen, das die Anwesenden doch besser selber lesen sollten?

Reden wir nicht lange über solch selbstverständliche Dinge, wie Spaß an der Freude und gute Gefühle bis hin zum Adrenalinkick, den man verspüren kann, sondern kommen gleich zum Kern: Marketing! Denn alle entscheidenden Argumente (bis auf eines), die angeblich für das Abhalten von Lesungen sprechen, haben mehr oder weniger mit Marketing zu tun. Man hört sie immer wieder. Die wichtigsten drei sind die folgenden:

1. neue Leser gewinnen,

2. Bücher verkaufen,

3. Leser binden.

1.1. Bekanntmachung

Der erste der drei Punkte ist sicher vor allem für diejenigen Autoren interessant, die noch ganz frisch auf dem Markt sind. Kann man also mit Lesungen auf sich und seine Werke aufmerksam machen? Die Antwort muss ein klares Ja sein. Man kann. Allerdings in aller Regel nur einen relativ kleinen Kreis, der sich außerdem nur aus der Veranstaltungsregion speist. Kein Grund, das zu verachten, das berühmte Kleinvieh macht schließlich auch Mist.

Dennoch sollte man sich auch nichts vormachen. Derjenige, der hofft, seinem Erfolg mit Lesungen ernsthaft auf die Sprünge zu helfen, wird voraussichtlich herbe enttäuscht werden. Unbekannte Autoren können meist froh sein, wenn sie überhaupt eine Handvoll Zuhörer haben. Sollten sich unter diesen obendrein ein oder zwei finden, die nicht ohnehin schon zum Bekanntenkreis des Autors zählten, ist das schon einen kleinen Jubelruf wert.

Tatsächlich finden sich potenziell neue Leser in der Regel bei den Lesungen der Autoren ein, von denen sie schon einmal gehört haben. Und auch dann bilden sie wahrscheinlich den kleinsten Teil eines mehr oder weniger großen Publikums, das meistenteils die Bücher des Autors bereits kennt. Als Marketinginstrument, um den Leserkreis zu erweitern, sind Lesungen bestenfalls in bescheidenem Maße geeignet.

Ein wenig Besserung in dieser Hinsicht tritt nur ein, wenn der Veranstalter (notfalls der Autor) die Regionalpresse für die Lesung interessieren kann. Im besten Fall gibt es eine Vorankündigung und einen Nachbericht, so das entsprechende Blatt auch einen Journalisten zur Lesung schickt.

1.2. Buchmarkt

Kehren wir zu denjenigen zurück, die sich dennoch bei der Lesung eingefunden haben, obwohl für sie Autor und/oder Werk noch fremd sind. Für sie organisiert der Autor den Büchertisch oder schleppt selbst Exemplare zum Verkaufen mit zur Lesung. Und leider wird er häufig kaum weniger Exemplare wieder mit nach Hause nehmen.

Der Lesungsbesucher, der bereitwillig sein Erspartes zur Lesung mitbringt, um den Autor durch fleißiges Bücherkaufen reich zu machen, ist eine hartnäckige Legende. Auch hier sind eher Enttäuschungen zu erwarten. Natürlich bestätigen Ausnahmen die Regel.

Sollten die Bücher im Handel erhältlich sein, kann man wenigstens noch auf eine Nachwirkung der Lesung hoffen.

Bekannte Autoren verkaufen sicherlich deutlich mehr als unbekannte. Andererseits mag der aufstrebende Jungautor sich über einen erstaunlichen Verkaufserfolg von sechs Exemplaren weit mehr freuen, als der Bestsellerautor, dessen neuer Roman am Lesungsabend 76 mal die Kasse klingeln lässt, wenn dieser Posten in der Gesamtsumme seiner Verkäufe kaum ins Gewicht fällt.

1.3. Gebunden

Im Prinzip ist es schon angeklungen: Lesungen ziehen in der Regel eher solche Zuhörer an, die bereits irgendeine Bindung an den Autor haben. Diese aufrechtzuerhalten, zu erneuern und zu stärken, dazu sind Lesungen ein hilfreiches Instrument, das dementsprechend vorrangig denjenigen nutzt, die sich bereits eine treue Leserschaft aufgebaut haben.

Damit sind Lesungen ein wichtiger Teil der Öffentlichkeitsarbeit, nicht absolut unentbehrlich, aber durchaus wirkungsvoll. Viele Leser wissen gern, wer der Autor hinter dem Buch ist, und hoffen, diesem Geheimnis auf einer solchen Veranstaltung einen Schritt näher zu kommen. Autoren dürfen sich über direkte Rückmeldungen von Lesern, aber auch von Buchhändlern oder Bibliotheksangestellten freuen.

1.4. Der andere Grund

Es gibt schließlich einen vierten Grund, der nicht zu denen gehört, die sich irgendwie dem Marketing zuordnen lassen. Möglicherweise ist es der wichtigste Grund, jedenfalls der, der für den Autor am direktesten spürbar wird. Gleichzeitig der, den die meisten, die gerade erst in das Geschäft hineinschnuppern, oft vollkommen außer Acht lassen.

Lesungen bedeuten für den Autor eine Verdienstmöglichkeit! Ja, so ist es! Entgegen der weit verbreiteten Meinung, Autoren müssten froh sein, wenn man ihnen die Möglichkeit gibt, ihr Werk einer (noch so kleinen) Öffentlichkeit präsentieren zu dürfen, ist es eigentlich das Normalste der Welt, dass der Auftretende für seinen Auftritt entlohnt wird.

Mag ihm die Lesung noch so viel Spaß bereiten, sein Selbstbewusstsein aufwerten und möglicherweise sogar einen neuen Fan bescheren, für den Autor ist eine Lesung auch ein Job. Das, was er dort tut, ist Arbeit. Mehr noch, es kostet auch Zeit. Zeit, die ihm für seine eigentliche Arbeit, das Schreiben, fehlt. Weitere Zeit kosten An- und Abreise sowie die Vorbereitung des Vortrags. Eventuell investiert der Autor weitere Zeit in die Organisation der Veranstaltung. Schließlich ist da noch das Werk, aus dem vorgetragen wird und in das ebenfalls bereits viel Arbeit geflossen ist.

Spätestens wenn der Autor von seinem Schreiben leben will, haben Lesungen für manchen einen entscheidenden Anteil daran, dass er sich seinen Lebensunterhalt finanzieren kann. Es gibt aber keinen Grund, warum jemand, der diesen Job nur im Nebenberuf oder gar als Hobby ausübt, nicht dafür bezahlt werden sollte. Was er dem Veranstalter anbietet, ist vollkommen unabhängig davon. Lesung bleibt Lesung.

Natürlich bestimmt letztlich die Nachfrage das Angebot des Autors. Es wird unter Garantie nicht jeder für seine Lesungen das vom VS empfohlene Lesungshonorar von derzeit 300 Euro für eine Lesung mit anschließender Diskussion verlangen können, während manch gefragter Schriftsteller es locker übertrifft. Ohne Frage ist es letztlich jedem selbst überlassen, aber ich empfehle dennoch selbst demjenigen, der freudig seiner allerersten Lesung zustimmen darf, nicht ganz zu vergessen, dass er als der Lesende etwas anbietet, nicht etwas bekommt. Das sollte in irgendeiner Form honoriert, anerkannt werden.

Klar, es gibt Ausnahmen. Der gute Zweck zuallererst. Aber auch Veranstaltungen wie manche Lesebühnen, Poetry Slams oder Conventions, bei denen das Publikum nicht unbedingt des einzelnen Autors wegen kommt, der Autor aber oftmals die Möglichkeit hat, sich aus oben genannten Marketinggründen direkt an sein Zielpublikum zu wenden.

2. Die Organisation

Ich will zugeben, am liebsten habe ich so wenig wie möglich mit der Organisation einer Lesung zu schaffen. Wenn es nach mir geht, will ich anreisen, freundlich vom Veranstalter begrüßt werden, lesen und – gern nach dem Genuss eines reichhaltigen Abendessens – wieder abreisen.

Bequemlichkeit könnte man das nennen, Faulheit, wenn man es spitzer formulieren will. Gut, warum nicht? Das spielt sicher mit rein. Die meisten Menschen haben es in den meisten Angelegenheiten lieber bequem, um zur höflichen Formulierung zurückzukehren. Aber das allein begründet nicht hinreichend, warum es durchaus sein Gutes hat, sich vor allzu viel Organisationsverantwortung zu drücken.

Zunächst einmal geht es wieder um das Eigenverständnis des Autors, das darin zum Tragen kommt. Er ist eben nicht der Veranstalter des Abends, sondern der Showact. Die Organisation liegt in den Händen des Veranstalters. Auch das gehört zur Anerkennung, die der eine durch den anderen erfährt. Auch sollten die Möglichkeiten des Veranstalters, die Lesung zu bewerben, im Allgemeinen besser sein als die des Autors (der ja möglicherweise nicht einmal aus der Region kommt). Nicht zuletzt deshalb, weil der Autor auf diese Weise (vor allem Medienvertretern gegenüber) nicht für sich selbst werben muss.

Natürlich spielt auch der Zeitfaktor wieder eine Rolle. Je mehr der Autor selbst übernehmen muss, desto weniger kann er sich mit seinem eigentlichen Job befassen. Soweit der das Lesen auf eben dieser Lesung betrifft, kann ein freier Kopf mit Sicherheit nicht schaden.

Aber gut, auch hier gilt wieder, dass jeder für sich selbst abwägen muss. Daher will ich in diesem Abschnitt auch einige Tipps zur Organisation und Vorbereitung einer Lesung geben, die außerhalb des Kerngeschäfts des Autors liegen.

2.1. Veranstalter finden

Schon das, was ich bis hierhin geschrieben habe, sollte wenig Zweifel daran lassen, was ich für die beste Möglichkeit halte, an einen Lesungsveranstalter zu kommen: gefunden zu werden. Dann muss man sich nur noch einig werden. Noch besser natürlich, wenn Verlag oder Agentur das dem Autor auch noch abnehmen.

Leider ist das nicht jedem und vor allem nicht von Anfang an vergönnt. Wer die Aufmerksamkeit der Veranstalter erst noch erringen muss, schaut demnach entweder noch eine Weile in die Röhre oder geht Klinken putzen. Die Probleme liegen auf der Hand: Man ist in einer deutlich schlechteren Verhandlungsposition. Wohlgemerkt muss das nicht so sein. Potenzielle Veranstalter sind nicht auch potenziell schlechte Menschen. Der höflich anfragende Autor wird also nicht automatisch wie ein Bittsteller behandelt. Dennoch verbreitet sich leider auch unter Veranstaltern die Meinung, vor allem noch unbekannte Autoren sollten dankbar sein, wenn man ihnen überhaupt die Möglichkeit gibt, auf sich aufmerksam zu machen. Eine Einstellung, an der die Autoren, wie schon aufgezeigt, nicht ganz unschuldig sind.

Da es – das soll hier auch einmal betont werden – nicht ganz unsinnig ist, frühzeitig die Bühnenluft zu schnuppern, um sich mit ihr vertraut zu machen, wird einem in der Regel wenig anderes übrig bleiben, als sich erst einmal selbst nach Lesungsmöglichkeiten umzuschauen. In der regionalen Presse oder über das Internet sollte es nicht allzu schwer sein, herauszufinden, welcher Veranstalter auch Lesungen abhalten. Mit etwas Glück findet man in der näheren Umgebung regelmäßige Lesebühnen, bei denen immer wieder Autoren gesucht werden, die dort auftreten möchten. Andernfalls fragt man bei denen an, die Einzellesungen im Programm haben. Hilfreich kann es sein, sich gleich mit weiteren Autoren zusammenzuschließen, vor allem dann, wenn man gemeinsam in einer Anthologie vertreten ist oder auf andere Art thematisch zusammenpasst.

Gerade in der Gemeinschaft mehrerer Autoren (im Notfall auch allein) bleibt schließlich noch die Möglichkeit, selbst als Veranstalter aufzutreten, sofern man günstig einen Raum auftreiben kann, in dem die Lesung stattfinden soll.

Optimal, aber leider mit sehr begrenzten Kapazitäten, sind Lesungsagenturen, die den Kontakt zwischen Veranstaltern und Autoren herstellen und sich oft auch um alles Weitere kümmern. Kinder- und Jugendbuchautoren können sich außerdem an Stiftungen und ähnliche Organisationen zur Leseförderung wie die Stiftung Lesen oder den Friedrich-Bödecker-Kreis wenden, um für Schullesungen vermittelt zu werden.

2.2. Der Veranstaltungsort

Es gibt bei der Wahl des Lesungsortes letztlich nicht allzu viel zu beachten. Es eignet sich im Prinzip alles, was neben dem Lesenden auch noch einigen Zuhörern Platz bietet. Natürlich wäre eine entsprechende Akustik von Vorteil, die man ohnehin besser mit einem Mikrofon aufwertet. Wenn es eine Art kleine Bühne gibt, die es auch potenziellen hinteren Reihen ermöglicht, den Vortragenden zu sehen, ist das auch nicht schlecht. Schließlich kann auch Gemütlichkeit oder sonst irgendeine passende Atmosphäre nicht schaden.

Auf die Größe des Raumes kommen wir allerdings noch einmal zurück. Wenn man hier die Wahl hat, sollte man sich eindringlich vor Größenwahn schützen. Ein Saal sieht ziemlich verlassen aus, wenn nur die ersten beiden Stuhlreihen belegt sind. Da ist ein kleinerer Raum, in den möglicherweise noch zusätzliche Sitzmöglichkeiten gequetscht werden müssen, doch deutlich angenehmer.

Neben den klassischen Lesungsorten wie Buchhandlungen, Bibliotheken, Literaturhäusern und Cafés darf es gern auch mal das Besondere sein. Vielleicht dem Lesestoff angepasst ein Historischer Roman in einem Burghof, ein Science Fiction in der Maschinenhalle oder ein Horrorthriller auf dem … na, denkt euch eben was aus.

Schließlich darf natürlich gern ausgestaltet und geschmückt werden. Dem Geschmack sind keine Grenzen gesetzt, sofern das Publikum nicht am Ende enttäuscht ist, dass in den tollen Kulissen „nur“ gelesen wurde.

By the way: Das Getränk auf dem Lesepult/-tisch ist Pflicht, damit der Autor gegen Ende der Lesung noch mehr als ein Krächzen hervorbringen kann. Wasser hat sich bewährt, Kohlensäure kann unangenehme Effekte hervorrufen.

2.3. Presse und Werbung

Ich bin kein Marketingexperte, aber Werbung für eine Lesung (falls der Veranstalter keine macht oder zusätzlich zu dieser) lässt sich mit mehr oder weniger Aufwand und Kosten (und mehr oder weniger erfolgreich) relativ leicht betreiben. Natürlich besonders in Zeiten des Internets. Und wie bei jeder Onlinewerbung sollte man das richtige Maß finden. Wer etwa in sozialen Netzwerken zu aufdringlich auf seine eigene Veranstaltung hinweist, bewirkt schnell das Gegenteil des Bezweckten. Wer sich stattdessen die Mühe macht, gezielt zu adressieren und nicht den kinderlosen 45-Jährigen aus München zu einer Kinderbuchlesung  in Hamburg einzuladen, verhindert, zukünftig mehr und mehr ignoriert zu werden.

Eine Pressemeldung in (kostenlosen) Online-Presseportalen kann sicher auch nicht schaden. Nutzen wird sie meiner Erfahrung nach in den meisten Fällen auch nichts. Hier empfiehlt es sich, auf lokale Druckerzeugnisse und Radio-/Fernsehsender zu setzen. Dabei wird es sehr auf die jeweilige Redaktion, die Zeit (Sommerloch), den Ort (ist da viel los oder eher wenig?) und das Glück ankommen. Dem kann man ein bisschen auf die Sprünge helfen, indem man möglichst alle in Frage kommenden Redaktionen anschreibt und denen möglichst wenig Arbeit macht.

Ich habe für meine ersten Lesungen gute Erfahrungen damit gemacht, mir einen eigenen Presseverteiler anzulegen. Dann schrieb ich Pressemitteilungen, die journalistische Ansprüche hinsichtlich der Druckreife erfüllten. Die entscheidenden Informationen fanden sich am Beginn, sodass sie sich bequem auch in gekürzter Form verwenden ließen. Die Entscheidung des Redakteurs sollte nicht dadurch erschwert werden, dass er die Mitteilung erst großartig redigieren oder aus ihr gar erst einen druckfertigen Artikel anfertigen müsste.

Sicher, man kann zunächst in der Redaktion anrufen und fragen, ob Interesse besteht. Man kann umfangreiche Informationen zusammenstellen in der Hoffnung, sie inspirieren den Redakteur, daraus einen Artikel zu basteln. Auch damit kann man Glück haben. Wenn aber in der Lokalredaktion ein Text landet, den man praktisch so kopieren und verwenden kann, stehen die Chancen bedeutend besser.

Schließlich bleibt noch die Möglichkeit, Flyer oder Plakate überall dorthin zu tragen, wo man sie auslegen/anbringen darf oder sich dazu die Erlaubnis einholen kann. Ich muss nicht betonen, dass die Wirkung solcher Aktionen mit dem professionellen Erscheinungsbild der Werbematerialien steigt. Wer sie nicht vom Verlag bekommt, kann sie (hoffentlich günstig) anfertigen lassen oder selbst zum Grafikprogramm greifen, wobei eine realistische Einschätzung der eigenen Fähigkeiten Voraussetzung sein sollte.

Nicht zu vergessen: Ein bisschen unaufdringliche Mundpropaganda kann auch nicht schaden.

2.4. Lesung oder Event?

Die Zeiten, in denen man sich unter einer Lesung nichts anderes als den Autor an einem Tisch hinter seinem Wasserglas sitzend vorstellen konnte, sind lange vorbei. Was eben diese Variante nicht ausschließt. Bei Poetry Slams bekommt die Lesung, ein Begriff, der in diesem Zusammenhang gar nicht mehr zu passen scheint, Eventcharakter. Hier wird der Vortrag inklusive möglicher Begleiterscheinungen mindestens ebenso wichtig wie der Text selbst.

Doch auch abseits der Slams versuchen Autoren immer häufiger, ihrem Publikum über das Gelesene hinaus einen Mehrwert zu bieten. Dias, Trailer, Musik, untermalend oder auflockernd, live oder aus der Konserve, Geräuscheffekte, szenisches Lesen, Spielszenen, … Vieles ist erprobt, noch mehr vorstellbar. Übertreiben sollte man nicht. Im Mittelpunkt steht der Text. Und je besser der ist, desto besser lässt sich auf das Drumherum verzichten.

2.5. Die Kostümierung

Wenn eine Autorin, die aus ihrem Fantasyroman vorträgt, in Gewandung auf der Bühne erscheint, kann das ein schöner Effekt sein, der dem Publikum hilft, sich in die richtige Stimmung zu versetzen (vor allem dann, wenn auch die Räumlichkeiten und deren Ausgestaltung dazu passen). Das der eine oder andere das albern findet, wird sich kaum verhindern lassen.

Ansonsten bleibt es ganz dem Autor überlassen, ob er sich für eine Lesung gern besonders schick macht oder lediglich prüft, ob seine Alltagsklamotten nicht mit übergroßen Flecken oder Löchern glänzen. Gleiches gilt für die Autorin.

2.6. Zum Kernthema

Spätestens, wenn die bisherigen Fragen alle mal geklärt sind, sollte der Autor auch mal ein bisschen Vorbereitungszeit auf seinen Vortrag verwenden.

Zunächst gilt es, die richtigen Textstellen auszuwählen. Dazu werde ich später noch einige Überlegungen anstellen. Allerdings muss hier auch die zur Verfügung stehende Lesezeit bedacht werden. Klar, dass man das testen muss. Hinsetzen, laut lesen und dabei die Zeit stoppen.

Eine Lesung ist kein 100-Meter-Lauf. Wem es gelingt, die Zeit gerade so einzuhalten, wenn er sich beim Lesen beeilt, hat deutlich zu viel Text. Man liest in der Regel ohnehin automatisch zu schnell, sodass das Publikum Mühe hat, dem Text zu folgen und die dargebotenen Informationen aufzunehmen. Trainieren muss man das langsame Lesen. Dabei täuscht der eigene Eindruck. Besser also, deutlich kürzere Textstellen auswählen. Die muss man dann noch einmal reduzieren, weil man vergessen hat, dass man sich ja nicht hinsetzt, zu lesen beginnt, das Buch zuklappt und nach Hause fährt, sondern zwischendrin auch mal etwas erzählt.

Ist man durch mehrfaches Testen zur Überzeugung gelangt, dass es zeitlich passt, steht Üben auf dem Programm. Niemand verlangt von einem Autor, er müsse der beste Leser der Welt werden. Ein Schriftsteller ist vor allem Schreiber, nicht Vorleser. Aber es sollte schon im eigenen Interesse liegen, seine Sache so gut, wie es einem eben möglich ist, zu machen.

Nachdem er die Stoppuhr zur Seite legen konnte, sind es vor allem drei Hilfsmittel, die dem Autor die eigenen Lesefortschritte vor Augen und Ohren führen können: ein Spiegel, ein Gerät zum Aufzeichnen (sollte das eine Kamera sein, erübrigt sich der Spiegel) und kritisches Testpublikum.

Vor allem die folgenden Fragen sollte man sich stellen:

  1. Lese ich langsam genug?
  2. Artikuliere ich deutlich genug?
  3. Lese ich laut genug?
  4. Setze ich Betonungen und lese überhaupt abwechslungsreich (etwa verschiedene Stimmen im Dialog)?

Wer sich wirklich überprüft, wird schnell feststellen, dass er beim Vortrag gegenüber seinem eigenen Empfinden deutlich übertreiben muss, um jede dieser Fragen positiv beantworten zu können. Wer sich dem Gefühl nähert, er könne zwischen den einzelnen Sätzen eine Tasse Kaffee trinken, dürfte in etwa das richtige Lesetempo gefunden haben, wer glaubt, selbst ein Kleinkind würde sich über das affektierte Gehabe lustig machen, spricht wahrscheinlich gerade deutlich und betont genug.

Nicht nur der, der sich nicht sicher ist, ob das Publikum bis zum Ende der Lesung durchhält, sollte hin und wieder mal nach ihm sehen. Und zwar wirklich zum Publikum, nicht irgendwo an die Decke, was einen seltsamen Eindruck hinterlässt. Man kann sich etwa eine bestimmte Person aussuchen, zu der man schaut. So wird man nicht versehentlich durch ein in irgendeiner Art besonders herausragendes Exemplar Mensch vom eigenen Vortrag abgelenkt und durcheinander gebracht. Will man nicht beim Lesen den Eindruck erwecken, man habe sich gerade frisch verliebt, kann man sich noch ein oder zwei weitere Personen als Blickfang wählen.

Wie auch immer, auch das Hochschauen sollte man üben. Hierzu dienen der Spiegel oder die Linse der Kamera. Liest man den vorzutragenden Text oft genug, lernt man ihn gut kennen, beherrscht ihn möglicherweise fast auswendig und ist dementsprechend freier beim Vortrag. Um in der Zeile nicht zu verrutschen, hilft der Finger. Zusätzlich kann man im Text Markierungen setzen. So erinnert man sich obendrein ans Aufschauen und vergisst es nicht in der Aufregung. Weitere Markierungen für Pausen und Betonungen dürfen sich gern dazugesellen.

Wer auf diese Weise nicht sein Buch verunstalten will (immerhin sollte man ohnehin ein bestimmtes als wiederkehrendes Leseexemplar bestimmen), kann den Text ebenso gut ausdrucken. Wer diesen dann noch zusammenheftet, vermeidet Zettelchaos. Viele Autoren bevorzugen den Ausdruck außerdem, weil sie so eine lesefreundlichere Schriftgröße einstellen können.

Oft ist es auch empfehlenswert, ein bisschen am Text zu schleifen. Denn Hören ist nicht gleich Lesen. Ebenso wenig sind stilles Lesen und Vorlesen ein und dasselbe. So kann man etwa in Dialogen manches „sagte er/sie/es“ und ähnliche Inquitformeln streichen, weil man ohnehin mit verstellter Stimme liest. Es kann allerdings durchaus vorkommen, dass ein Lesender, dem die stimmliche Variation weniger liegt, hier und da ein Inquit hinzufügen sollte, damit das Publikum den Sprecherwechsel nachvollziehen kann. Auch Formulierungen, die den Vorleser oder den Zuhörer zum Stolpern bringen könnten, glättet man besser.

Wer diese grundlegenden Dinge trainiert und sich entsprechende Hilfen vorbereitet, wird seinen Vortrag bereits deutlich verbessern. Obendrein ist gründliche Vorbereitung in der Regel das beste Hilfsmittel gegen das unvermeidliche Lampenfieber. Wer seinen Vortrag darüber hinaus perfektionieren will, findet entsprechende Kurse unter anderem im Internet, bei Volkshochschulen und Literaturhäusern. Entweder speziell zu Lesungen oder allgemeineres Sprechtraining.

3. Spannend gestalten

Meine Freundin, selbst Autorin und Lesungsexpertin, stellte einmal die entscheidende Frage: Warum fällt es vielen Autoren, die doch den dramaturgischen Aufbau ihrer Geschichten beherrschen, so schwer, auch ihrer Lesungen unter dem Aspekt einer spannenden Dramaturgie zu gestalten? Es gibt keinen Grund, Lesungspublikum mehr zu langweilen als die Leser, an die sich das Gelesene wendet. Und doch beginnen Lesungen immer wieder mit umständlichen Beschreibungen und Erklärungen, in denen es darum geht, wie der Autor heißt und was er so macht, wie der Protagonist heißt und was er so macht, wie sämtliche anderen Figuren heißen und was sie so machen, welche Hintergründe sonst noch hinter der Geschichte zu finden sind, dass man sich überhaupt freut, ausgerechnet hier zu lesen und so weiter und so fort.

Es gibt ihn nicht, den einen Leitfaden für eine gute Lesung. Lesungen können so verschieden sein wie die Geschichten, aus denen gelesen wird. Daher will ich hier einfach einige Anregungen geben. Dort, wo sie sich widersprechen, sind sie alternativ gemeint. Und immer ist die Gestaltung einer Lesung auch und vor allem von der Geschichte abhängig, aus der man liest. Entscheidend ist es, die Leser zu fesseln und neugierig auf das Buch zu machen.

3.1. Allgemeines

  • Eines voraus: Du lernst am besten für deine eigenen Lesungen, wenn du dir die anderer Autoren anschaust! Was machen sie gut, was könntest du besser machen?
  • Versuche nicht, alle Aspekte deiner Geschichte darzustellen bzw. dem Publikum einen Überblick über die Geschichte zu geben,
  • folge stattdessen einer einzelnen Figur, einem Handlungsstrang oder einem Aspekt deiner Geschichte, indem du entsprechende Textstellen wählst,
  • im Idealfall sorgt deine Lesungsdramaturgie für einen eigenen Spannungsbogen (Konflikt!!!) mit offenem Ende/Cliffhanger (Extratipp: Orientiere dich am Exposé oder schreib ein neues, um dir die Essenz deiner Geschichte noch einmal vor Augen zu führen),
  • sei ein Erzähler, erzähle eine Geschichte! Das muss nicht die Geschichte sein, aus der du vorträgst (die soll ja später gekauft und selbst gelesen werden), sondern eine Geschichte, die auf diese neugierig macht, gern auch eine, die auf dich als Autor neugierig macht,
  • vergiss nicht, das Lesungspublikum ist auch neugierig auf den Autor, du sollst nicht deine Biografie vorstellen, dich aber in die Geschichte, die deine Lesung erzählt, einbinden,
  • je weniger du erklären, je weniger trockene Informationen du zur Verfügung stellen musst, desto besser,
  • sorge für Abwechslung, einerseits durch die gewählten Textstellen, vor allem aber durch ein ausgewogenes Verhältnis zwischen gelesenem Text und freiem Erzählen (etwa in Form von zum Verständnis notwendigen (!!!) Informationen oder (besser!!!) Anekdoten),
  • wähle entweder eine oder wenige längere Textstellen (man kann auch die mal für eine Anekdote unterbrechen) oder mehrere kürzere,
  • Humor im und neben dem Text sorgt nicht nur für Auflockerung, sondern auch dafür, dass der Lesende direkteren Kontakt zum Publikum bekommt, weil die Rückmeldung (im besten Fall erwünschtes Gelächter) spürbarer werden, Voraussetzung ist natürlich, dass man mit dem Humor auf derselben Welle schwimmt wie das Publikum (Humor ist bekanntlich eine ziemlich heikle Sache), außerdem passt Humor natürlich nicht immer zum vorgetragenen Text,
  • man kann das Publikum auch schon während der Lesung einbinden, etwa indem man Fragen stellt. Übertreiben sollte man es allerdings nicht.

3.2. Der Einstieg

  • Auch wenn Lesungsbesucher geduldiger scheinen als Leser, der erste Eindruck zählt! Je interessanter/packender/überraschender/lustiger der Beginn, desto besser für die gesamte Lesung,
  • Einleitung, Autoren- und Buchvorstellung sind nicht deine Sache, sondern die des Veranstalters, notfalls bitte einen Bekannten, sie zu übernehmen, oder halte sie sehr kurz (am Ende ist ja Zeit für Fragen),
  • deine ersten Worte schlucke gleich wieder hinunter, beginne stattdessen sofort mit dem Lesen deiner ersten Textstelle (klar, du hast eine gewählt, mit der du das Publikum gleich am Haken (Hook) hast), das Publikum kannst du auch nach dem ersten gelesenen Textausschnitt begrüßen,
  • der Hook muss nicht dem gelesenen Text entstammen, alternativ kannst du mit einem erzählten Hook beginnen, etwa einer passenden (lustigen!!!) Anekdote oder einer/m spannenden Frage/Rätsel, auf deren/dessen Auflösung das Publikum warten muss (Spannungsbogen).

3.3. Das Ende

  • Das Ende der Lesung ist hoffentlich nicht das Ende der vorgetragenen Geschichte, da soll schon noch was zum Selberlesen übrig bleiben,
  • wie schon gesagt, dein Spannungsbogen hat ein offenes Ende, idealerweise endet er mit einem Cliffhanger,
  • auch wenn nichts Spezielles mit dem Veranstalter abgesprochen ist, sorge dafür, dass am Ende genug Zeit für Fragen und Diskussion bleibt, allermindestens 15 Minuten, besser eine halbe Stunde,
  • sollten am Ende keine Fragen kommen, ist das nur selten ein Zeichen dafür, dass das Publikum lieber noch eine Geschichte hören will, hole also eine Zugabe wirklich nur hervor, wenn du dir des Interesses ganz sicher bist, nachfragen könnte peinlich werden.

3.4. Kurzprosa und Lyrik

  • Eine komplette Kurzgeschichte zu lesen bzw. mit der letzten Textstelle das Ende zu verraten, ist in der Regel nur dann sinnvoll, wenn die Geschichte unveröffentlicht ist oder man damit auf eine Sammlung/Anthologie neugierig machen kann,
  • meist gilt aber oben Geschriebenes,
  • liest man (Auszüge aus) mehrere(n) Kurzgeschichten, lässt sich damit ebenfalls ein Spannungsbogen zaubern,
  • mit Lyrik hat man es da meist etwas schwerer, allerdings sind Leute, die bewusst zu einer Lyriklesung gehen, oft auch textfokussierter,
  • logischerweise liest man Gedichte vollständig.

3.5. Lesungen mehrerer Autoren

  • lesen mehrere Autoren, hat der einzelne natürlich weniger Möglichkeiten, seinen Part als cleveren Spannungsbogen aufzubauen, die sollte er aber nutzen,
  • leider fühlt sich ein Gros der Autoren bei solchen Gelegenheiten genötigt, die begrenzte eigene Lesezeit mit so viel gelesenem Text wie möglich auszufüllen, davon sollte man sich besser verabschieden,
  • sollte die Möglichkeit bestehen, sich unter den lesenden Autoren langfristig abzustimmen, lässt sich vielleicht ein übergreifender Spannungsbogen gestalten.

3.6. Poetry Slams

  • Wer an einem Slam teilnehmen will, sollte unbedingt vorher mal einen als Zuschauer besuchen!
  • Ein Poetry Slam ist nicht nur eine ganz besondere Form der Lesung, Slam Poetry ist auch ein besonderes Textgenre,
  • Slam-Texte sind möglichst speziell für Slams geschrieben, vergiss Romanauszüge, übliche Kurzgeschichten und konventionelle Lyrik,
  • Slam-Texte sind für diesen einen Moment auf der Bühne geschrieben,
  • Slam-Texte sind fürs Ohr, nicht fürs Auge geschrieben,
  • Slam-Texte sind für die Pointe geschrieben,
  • Slam-Texte sind für den Wettbewerb geschrieben,
  • die Pointiertheit der Texte zielt in aller Regel auf Lacher ab, Texte, die nicht vor allem witzig sein wollen (gern auf intelligente Weise), sind auf Slams falsch platziert (ganz, ganz wenige Ausnahmen bestätigen die Regel),
  • ein entsprechend pointierter Vortrag ist Pflicht, eine echte Show die Kür,
  • rechne mit einem großen Publikum, Slams sind meist gut besucht, entsprechend geht es im Zuschauerraum meist (wesentlich) lauter zu als bei gewöhnlichen Lesungen, merke: Stimme ölen!
  • Ein Poetry Slam ist ein Wettbewerb mit Publikumsjury, der Siegertext beeindruckt am nachhaltigsten, schreibe also Texte, die das Publikum begeistern, mit dem Ziel den Slam zu gewinnen, das Motto „dabei sein ist alles“ zählt erst, wenn du am Ende ohne Pokal dastehst.

Abschließend möchte ich noch auf den ganz frisch erschienenen Blogartikel des Kollegen Michael Schreckenberg hinweisen, der nicht nur ein wenig von der Criminale berichtet, sondern vor allem wertvolle Lesungstipps enthält: http://schreckenbergschreibt.com/2012/04/30/schreckenbergschreibt-wie-eine-lesung-sein-sollte-criminale-2012/.

Veröffentlicht am 02.05.2012
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