Biografien & Erinnerungen
Bullenwinkel (3)

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"Bullenwinkel (3)"
Veröffentlicht am 03. Mai 2013, 10 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Über den Autor:

Getauft, Geschieden, Geimpft: 3G also, tretet näher, Herrschaften! Was ich so schreibe, ist natürlich erlebt, erlauscht, erlesen und erlogen; von alberich bis böse oder dunkeltrüb, und mit Vorliebe gereimt. Erfreue mich an Musik verschiedener Richtungen, an Literatur und natürlich an Menschlichem wie Situationskomik und liebevolle Reaktionen abseits des jeweiligen Business'. Solange ich die komische Seite der Dinge erkenne, geht's mir gut -- und ...
Bullenwinkel (3)

Bullenwinkel (3)

Einleitung



Spaziergang im Berliner Kiez damals und jetzt, letzter Teil von 3. Bekanntlich erzählen ja alte Leute gern von früher. Ich übe schon mal.

Teil 3 von 3


„War das nicht ne herrliche Zeit
Jeder war zum Aufruhr bereit
Plötzlich war es allen klar
Wo da was zu rühren war“
Engerling

Schlimm, wie schnell man Straßennamen vergißt. Aber nach und nach kommt alles wieder. Interessant immerhin, daß die Kommunisten Duncker, Weinert und Knaack ihre Straßen behielten. Meine Heimatstadt hatte nach dem Beitritt eiligst z.B. den SPD-Mann Breitscheid, der in Buchenwald umkam, durch

Bismarck ersetzt.
Dieser Eckladen dort war mal ein Ge-heimtipp für alle, die passende Jalousien suchten; betrieben übrigens vom Vater des Theaterregisseurs Frank Castorf. Jene Kneipe war früher ein edler Porzel-lanladen, häufig von alliierten Soldaten besucht, gern auch mal im Kilt. Dazu muß man wissen, daß für DDR-Bürger so ziemlich jede Ware knapp war. Na Oma, wie wars drüben? Ach wie bei uns, für Westgeld gibts alles.
Der damalige Kohleplatz ist nun mit einem Lückenbau zugestellt. Weiß noch jemand, was Briketts sind? Und was für ein Sport es ist, sie in die vierte Etage zu tragen, zur Glut zu bringen, die Asche

und den ganzen Schmutz zu beseitigen? Flugasche dringt in alle Poren. Draußen herrschte im Winter ein charakteristi-scher Hausbrandgeruch, gewürzt durch qualmende Mülltonnen, denn irgendein Hirni schüttete immer irgendwo glühende Asche hinein. Dennoch ist ein warmer Kachelofen von keinem Heizkörper an Gemütlichkeit zu übertreffen. Wie auch ein Rührei auf dem Gasherd viel leckerer gerät als auf einem Elektroherd.
Die Gethsemanekirche, hübsch wie im-mer, war damals berühmt für Friedens-gottesdienste und Symbol für die Prügel-exzesse am 7. und 8.10.89, zu denen sich Vertreter staatlicher Macht berufen fühl-ten. Vorverurteilen vermeintlicher Feinde

ist ein bewährtes Mittel, sich Feinde erst zu machen. Zufällig hatte ich die Ab-schlußfeier einer Tagung geschwänzt und war ein paar Flüge früher heimgekom-men, sonst wäre ich wohl samt Luft-koffer auch mit verladen worden.
 Schallali schallala, dort drüben wohnte ein bekannter Schlager- und Chanson-sänger. Und da vorn wohnte irgendwo Manfred Böhme, der in der Wendezeit als SDP-Gründer Ibrahim bekannt wurde.
Der Bäcker hier hängte schon ein halbes Jahr vor dem Beitritt einen großen Tchi-bo-Glaskasten ans Haus, der prompt nachts sehr oft Ziel von Steinen war, gewiß zur Freude unserer Staatlichen Versicherung. Aber wir wurden ja doch

alle beigetreten, begeistert oder nicht: Der ganze Laden war rundum pleite. The economy, stupid. 17 Millionen gerieten in Migrationshintergrund und lernten, an Anpassung gewöhnt, flink alles, wozu man sonst die ganze Jugend Zeit hat: Überangebot und Preisgestaltung, Steuer-splitting, ungeahntes Obst und Gemüse, Hypotheken, Arbeitsamt, Schul-, Ge-sundheits- und Wahlsystem … und sie mußten nebenbei zerschellte Hoffnungen loslassen und ihr bisheriges Leben über-denken (oder unterließen das halt). Alt-bundesbürger litten derweil unter dem Wegfall der Berlinzulage, den Branden-burger Alleebäumen und dem grünen Ab-biegepfeil. Auch das Rote Rathaus sollte

umbenannt werden, denn „rot“, also wirklich …
Gern geschehen, liebe Weltgeschichte. 
Große Systemwechsel sollte man grund-sätzlich erstmal an weißen Mäusen testen.
Besagter Bäcker führte dann eben auch Pyjamas und Gartenschläuche; ja wenn er meinte.

Kurze Bahnfahrt bringt mich auf all-tägliches Gelände zurück. Der „Täter“ war mal wieder an den alten Ort ge-schlichen.
Die Bäckerei Ecke Schönhauser mit Schweizer Spezialitäten ist natürlich

notiert.
Manche Bildungslückem muß man ein-fach schließen.


„Und bin ich mal paar Tage weg,
dann ziehts mich doch schnell wieder hin,
nach meinem Prenzlauer Berg, nach 1058 Berlin.“

Helga Zerrenz, sowie eine Berliner Folkgruppe (Name leider vergessen)


© 2013 Brubeckfan

 

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Über den Autor

Brubeckfan
Getauft, Geschieden, Geimpft: 3G also, tretet näher, Herrschaften! Was ich so schreibe, ist natürlich erlebt, erlauscht, erlesen und erlogen; von alberich bis böse oder dunkeltrüb, und mit Vorliebe gereimt. Erfreue mich an Musik verschiedener Richtungen, an Literatur und natürlich an Menschlichem wie Situationskomik und liebevolle Reaktionen abseits des jeweiligen Business'. Solange ich die komische Seite der Dinge erkenne, geht's mir gut -- und das ist allermeistens.

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Gabriele Deinen Bericht habe ich mit großem Interesse "aufgesaugt"
und nun einiges zum Nachdenken......
Leider habe ich von meinem Cousin aus Bernau nie erfahren, wie er die Wende und deren Folgen so emfpunden und verarbeitet hat (er ist überraschend früh verstorben).
Ein bisschen hole ich mit deiner Erzählung nach......
Liebe Grüße
Vor einem Monat - Antworten
Brubeckfan Liebe Gabriele, herzlichen Dank fürs Verwöhnen!
Die Wendezeit war insgesamt eine Zumutung: Viele Jahre unterdrückte Wünsche schienen plötzlich erreichbar, Gorbi und Neuem Forum sei Dank, jeder hatte so eigene Hoffnungen nein feste Gewißheiten, und schließlich lief alles etwas anders. Klatsch! machten die Kolonialherren. Als emotionale Kurve aufgemalt, wäre das eine lange Linie etwas um 0, dann steiler Anstieg, dann gings schnell abwärts ... Und woher sollten wir z.B. wissen, daß Fernsehreklame und Klinkenputzer nicht die reine Wahrheit sagen.
Meine Verwandtchaft reagierte teils mit sofortiger Einladung, teils mit Kontaktabbruch.
Schön finde ich die Vorstellung, es wäre umgekehrt gekommen: Wie hättet Ihr Euch angestellt bei der Suche nach Jeans, Regalbrettern, Musikinstrumenten usf.; wie wären Waldorfabsolventen beim Chef angeeckt ...

Man sieht sich ;-)
Viele Grüße!
Gerd
Vor einem Monat - Antworten
baesta Och, dat haste wieder - vorzüglich jeschrieben, kurz und prägnant. Jefällt mir und erinnert mir ooch an die Kohlen, die ick schleppen musste und an den Jestank der inner kalten Jahrteszeit immer über unnerer Stadt lag. Luft zum Atmen zu dick und zum essen zu dünn.

Beste Grüße
Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Re: Beitreten, ... -
Zitat: (Original von pekaberlin am 09.05.2013 - 16:33 Uhr) Schön, dass du mich an's Briketttragen erinnerst! So bin ich schon gar nicht mehr sauer auf meine Heizkostenabrechnung ...
Liebe Grüße Peter

Tjajaa... Wobei ich keine Ahnung habe, was so ein Zentner Kohle heute kostet, und ob die Briketts vielleicht einzeln in Folie eingeschweißt geliefert werden, darauf Umweltengel, Haltbarkeitsdatum sowie die Internetadresse der Grube.
Vor langer Zeit - Antworten
pekaberlin Beitreten, ... - Arschtritt, wegtreten!
So war's für viele.
Dass ich in fremden Heeren gedient hatte, hat mich kaum verwundert, nur dass dies Angehörige der Wehrmacht und der Waffen-SS nicht taten, schon sehr!
Schön, dass du mich an's Briketttragen erinnerst! So bin ich schon gar nicht mehr sauer auf meine Heizkostenabrechnung ...
Liebe Grüße Peter
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Re: Was soll ich sagen - extraklasse! -
Zitat: (Original von FLEURdelaCOEUR am 08.05.2013 - 21:26 Uhr) Ich werde nie den Blick meines Mannes vergessen, als er in seinen Rentenpapieren las, er habe "in fremden Heeren" gedient ...
Tja, da waren wir über Nacht so was wie Fremde im eigenen Land geworden ...
Da wußtest Du also gar nicht, daß Du da einen Fremdenlegionär (oder Tamilischen Tiger?) Dein eigen nennst. Ja in Sonntagsreden, im Außenhandel usw. berief man sich gern auf Prof. Hallstein. Wenns aber so paßt, waren wir zwei fremde Länder.
Über Nacht Fremde im eigenen Land, aber ja. Selbst manche Nachbarn und Kollegen waren plötzlich verwandelt, hatten eine schräge Sprache usw. Ich hoffe, daß, wenn ich mich von früher aus jetzt sähe, ich mich noch wiedererkennen würde.

Vielen Dank, und lieben Gruß.
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR Was soll ich sagen - extraklasse! - Besonders gefällt mir deine Interpretation des Beitritts "17 Millionen gerieten in Migrationshintergrund..."

Ich werde nie den Blick meines Mannes vergessen, als er in seinen Rentenpapieren las, er habe "in fremden Heeren" gedient ...
Tja, da waren wir über Nacht so was wie Fremde im eigenen Land geworden ...

Aber auch das Berliner "Milljöh" ist hier wieder schön beschrieben. Ich habe auch gegenüber einem Kohlenplatz gewohnt und nannte einen dunkelgrünen Kachelofen mein eigen...

Haste prima geschrieben,

liebe Grüße
fleur
Vor langer Zeit - Antworten
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