Vielen Dank an dieser Stelle nochmal an Strigoia fürs Korrekturlesen
Schatten senkten sich über die schneebedeckten Felder. Eine einsame, zurückgelassene Fahne wehte im kalten Abendwind.
In ihrem Schatten waren undeutlich die Umrisse der Körper zu erkennen, die vor wenigen Stunden noch mit ihren Schritten den Boden zum Beben gebracht hatten.
Das einzige noch atmende Lebewesen auf dem blutdurchtränkten Schnee, lag unter jener zurückgelassenen Fahne und blutete langsam aus. Eine Klinge hatte ihren Weg durch die Panzerung des nun sterbenden Kriegers gefunden. Er wusste, dass seine Zeit gekommen war. Doch was war vorher gewesen?
Es war nicht der erste Kampf gegen die Fremden, die ihre Heimat schon so lange heimsuchten.
Doch möglicherweise war es ihr Letzter gewesen.
Vor Zehn Jahren war der Krieg nach Raven gekommen.
Den fremden Heeren, die sich selbst nur den Namen Hostis gaben, hatten sie anfangs nichts entgegen zu setzen gehabt. Vor nun fast einem Jahrzehnt waren sie an den Küsten des Landes aufgetaucht. Und ohne Vorwarnung hatte ihr Feldzug begonnen. Was sie eigentlich wollten, blieb schleierhaft. Sie verhandelten nicht, stellten keine Forderungen. Ihr einziges Ziel schien es zu sein, sich des gesamten Landes zu bemächtigen.
Stadt um Stadt, Dorf um Dorf war ihnen zum Opfer gefallen. Selbst der Bund der drei Königreiche des Kontinents, den Ländern von Raven, Egarium und Arbitrium, hatte ihren Vormarsch lediglich kurz bremsen können.
Der Bund. Früher hatten sie sich für unbesiegbar gehalten. Doch seit zehn Jahren war der Thron in Licentia, dem Zentrum des Bundes, leer.
Seit Zehn Jahren bahnten sich die Armeen ihren Weg ungehindert durch alle Provinzen.
Bis sie schließlich seine Heimat erreicht hatten. Jene vereiste Ödnis im äußersten Norden des Landes. Eine Region, die von vielen nur der Skjalfjord genannt wurde. Doch diesmal sollten die Eroberer es nicht so einfach haben.
Die Bewohner der Einöde hatten sich zusammengeschlossen. Ein verirrter Haufen aus Fischern und Jägern, der sich einer ausgebildeten Armee in den Weg stellen wollte.
Er erinnerte sich noch an jenen ersten Tag. Und wie damals alles angefangen hatte.
*****
Schnee! Was hatte er auch anderes erwartet? Soweit er sehen konnte nur eine weiße Ebene, die hier und da von Wäldern aus Tannen oder Fichten unterbrochen wurden. Er durchwanderte die Welt schon seit Jahren. Aber immer wenn er hierherkam, in das, was er einst seine Heimat hatte nennen können, war es das Gleiche. Eine leere Landschaft ohne Abwechslung. Aber vielleicht war das auch besser so.
Er hatte ein Leben des Krieges geführt. Und nun hatte er seinen Frieden darin gefunden, die Welt zu bereisen. Von den Feuerschmieden Egariums , die jetzt wie so vieles in Trümmern lagen, bis zu eben diesem eisigen Teil der Küste Ravens. Er hatte die Invasoren bekämpft, hatte gesehen wie letztlich alles in Flammen aufging, wofür sie kämpften.
Er hatte aufgegeben.
Das konnte er getrost zugeben, war es doch der Grund für seine Wanderungen. Er versuchte sich von allem fern zu halten. Hoffte, sein Leben zu Ende leben zu können, bevor der Krieg ihn erneut einholte.
Doch es sollte nicht so kommen.
Ohne Vorwarnung durchbrach etwas die Stille. Eine Gruppe von bewaffneten Leuten rannte unter den Bäumen in seiner Nähe hervor und an ihm vorbei.
Er zählte Fünf. Zwei rannten, Bögen in der Hand voraus, während die anderen Zwei den Fünften stützen, der offenbar verletzt worden war und eine rote Blutspur im Schnee hinterließ.
Bevor er fragen konnte, was denn los sei, stürmten auch schon zwei Reiter aus dem Wald.
Er erkannte die Kleidung der beiden Berittenen sofort. Grob gewebte Pelzmäntel und darunter für Pfeile nahezu undurchdringliche Kettenhemden. Hostis, er hatte genug von ihnen bekämpft, um sich sicher sein zu können.
„Lauft!“, rief einer der fünf Flüchtlinge, als auch schon der erste Reiter auf Höhe des Wanderers war und mit einer gebogenen Klinge nach ihm hieb.
Dieser überlegte gar nicht erst lange. Mit einer fließenden Bewegung riss er seine eigene Waffe hoch, ein altes, stellenweise schon schartiges Schwert, das ihm aber bisher immer gute Dienste geleistet hatte. Eine Waffe, die zum Töten gemacht war, nicht um als Schmuck zu dienen.
Der Aufprall, als die Waffe des Reiters gegen den alten Stahl traf, fuhr ihm bis ins Mark und sorgte dafür, dass er zurückwanken musste. Der nächste Schlag des Reiters hätte ihn sicher getötet, wenn nicht genau in diesem Moment ein Pfeil von einem der Flüchtigen das Pferd getroffen hätte.
Das Tier scheute und kam dem zweiten Reiter in die Quere, sodass beide Männer schließlich aus dem Sattel geworfen wurden.
Nun im Nachteil und in Unterzahl warfen die Späher noch einen Blick auf die fünf verängstigten Flüchtlinge und den wandernden Krieger. Dann drehten sie sich um und gaben Fersengeld.
„Danke.“, begann einer der Fünf, vermutlich der Bogenschütze, zu sprechen, „Ich glaube wenn ihr nicht gewesen wärt…“
Der Wanderer unterbrach den Sprecher und drehte sich zu den Fünf um. „Wer seid ihr?“, verlangte er zu wissen. Was immer grade geschehen war, er wollte da nicht mit hineingezogen werden. Er hatte den Kampf gelebt, aber er wollte diesen Pfad nicht erneut gehen. Nicht nach alldem, was geschehen war.
„Ihr wisst es noch nicht?“, der Bogenschütze sah in verwirrt an.
„Was soll ich noch nicht wissen?“ Er hatte Gerüchte gehört, dass sich eine Armee der Fremden auf den Weg nach Raven gemacht hatte, aber den Geschichten nicht geglaubt.
Hier oben gab es schließlich nichts und er hatte eigentlich gehofft seine Ruhe zu haben.
„Wir verteidigen uns gegen die Hosti-Truppen. Wir sind nicht bereit uns…“
Wieder ließ der Wanderer den Mann nicht ausreden. „Das nennt ihr also kämpfen? Ich bin hier aufgewachsen. Die Kämpfer des Skjalfjords werden überall gefürchtet. Aber wenn ihr alles seid was Raven noch aufzubringen hat, dann wünsche ich euch viel Glück.“ Er wendete sich zum Gehen. Er hatte von Anfang an nicht vorgehabt in Schwierigkeiten zu geraten und je länger er sich hier aufhielt, desto wahrscheinlicher wurden diese.
„Unsere Kämpfer sind bereits in den Schlachten des Bundes gefallen.“, rief da der Verwundete der Fünf. „Außer uns gibt es niemanden mehr, der diese Länder verteidigt.“
„Ich verstehe. Also wie gesagt, ich wünsche euch viel Glück. Aber mit meiner Hilfe könnt ihr…“
Diesmal war es der Bogenschütze, der ihn nicht ausreden ließ.
„Habt ihr überhaupt eine Ahnung, was los ist? Der Bund wurde überrannt. Die Königsstadt Licentia steht vor dem Untergang, Egarium ist seit Monaten verloren! Wenn wir sie nicht hier aufhalten, dann niemand.“ Der letzte Satz brachte den Wanderer zum Lachen. War er auch mal so naiv gewesen? Naiv vielleicht. Aber nie so... dumm. Eine fünfköpfige Narrengruppe. Mehr waren sie nicht.
„Was lacht ihr?“
„Glaubt ihr etwa ein Krieg sei etwas, das ihr durch bloße Überzeugung gewinnen könnt?“, der Reisende schüttelte den Kopf. „Lasst mich euch eines sagen. Es gibt in einem Kampf nichts Glorreiches oder Ehrenhaftes. Man findet darin keine Erfüllung. Das Einzige, was ihr am Ende finden werdet, sind Verlust und Schmerz, egal wer siegt. Das ist eine Lektion, die die meisten zu spät lernen. Ihr glaubt kämpfen zu wollen? Aber auch nur, weil ihr es bisher noch nicht tun musstet.“
„Dann helft uns.“, sagte der Verwundete.
„Ihr glaubt wirklich eine Chance zu haben, oder?“
„Müssen wir es nicht wenigstens versuchen?“
Das hatte er auch einmal gedacht. Es versuchen zu müssen. Den Kampf zu leben. Ein Fehler! Aber wenn er jetzt einfach ging, wären diese Fünf vermutlich noch vor dem nächsten Vollmond tot.
*****
Er hustete etwas Blut in den Schnee. Sein Leben schwand jetzt immer schneller dahin.
Ja, versuchen hatten sie es wollen, diese Kinder. Und was sie gebraucht hatten, war ein Lehrer... Er hätte es sein lassen sollen, hätte weitergehen sollen. Aber irgendetwas hatte ihn an jenem Tag davon abgehalten.
*****
Wie sich herausstellte, gab es doch noch mehr Narren als die Fünf. Seine neue Begleitung war ursprünglich Teil eines zehnköpfigen Spähtrupps gewesen, der sich einer Streitmacht der Fremden nähern und Informationen hatte sammeln sollen. Bevor sie selbst entdeckt worden waren.
Den Wanderer wunderte das nicht. Die Fünf machten einen Lärm, der in der leeren Einöde hier oben noch meilenweit zu hören sein musste.
In der Nähe lag ein kleineres Dorf, dessen einzige Existenzberechtigung wohl mit dem Holz des naheliegenden Waldes und einer kleinen Sägemühle zusammenfiel. Und momentan diente es etwa hundert Aufständischen aus der Region als Unterschlupf.
Ein Haufen abgerissener Gestalten, von denen die meisten wohl nur hier waren, weil sie keine andere Perspektive mehr sahen. Er entdeckte nur in wenigen Gesichtern so etwas wie Zuversicht. Oder auch nur den Mut zu dieser.
Sie hatten also die oberste Kriegsregel schon gelernt. Den Hass auf sich selbst. Das Bedauern, das jedem Kampf folgen musste. Krieg war nichts Schönes und er hatte sich geschworen, sich nie wieder in so etwas hineinziehen zu lassen. Doch nun stand er wieder hier. In einem Heerlager. Denn das war es wohl, so wenig eindrucksvoll es auch sein mochte.
„Wofür kämpft ihr?“, wollte er von einem Mann wissen, der gegen eine marode, unter der darauf liegenden Schneelast ächzende, Hüttenwand lehnte.
„Für…“, Er stockte, „Na ja wir müssen uns doch verteidigen, oder?“
Der Wanderer schüttelte den Kopf.
„Ich frage nicht, warum ihr kämpfen wollt, sondern wofür.“
„Macht das einen Unterschied?“
„Natürlich macht das einen Unterschied. Einen Grund findet man immer. Aber ein Ziel, ein wahrhaftiges Ziel, das ist es, was letztlich entscheidend ist.“
Damals hatten sie seine Worte nicht verstanden. Aber seine Anweisungen hatten sie befolgen wollen.
Er war bei weitem kein Feldherr, aber im Vergleich zum taktischen Verständnis dieser Bauern, war er es gleichzeitig eben doch.
Viele der Männer hatten noch nie zuvor ein Schwert oder eine andere Waffe in der Hand gehalten. Die Einzigen, die zumindest eine Waffe beherrschten, waren die Jäger, die ihren Lebensunterhalt damit verdienten.
Allerdings nützte das ihnen gegen die schwer gepanzerten Hostis nichts.
Er hatte Wochen gebraucht um die Wiederstandsgruppe allein so weit zu bringen, dass sie einen Kampf überleben würden.
Und dann war geschehen, was er für Unmöglich gehalten hatte. Sie hatten Siege davongetragen. Zuerst nur kleine. Hier einen Spähtrupp überfallen, dort einen Angriff abgewehrt.
Doch das hatte den Anstoß gegeben.
Die noch Unentschlossenen stießen zu ihnen. Aus allen Teilen des Landes kamen neue Freiwillige und zusammen mit ihnen neuer Kampfeswille.
Bald konnten sie sich an größere Aktionen wagen. Gezielte Angriffe auf Nachzügler der Hosti-Armee welche das Land durchstreifte.
Und dann war es Zeit gewesen. Zeit für eine direkte Konfrontation. Innerhalb eines halben Jahres hatte sich das Blatt gewendet. Aus dem Haufen verstreuter Narren war eine tatsächliche Streitmacht geworden und ein Gegner, den man fürchten musste.
Diese Leute hatten den Großteil ihres Lebens unter der Herrschaft irgendeines Königs zugebracht. Doch nun waren alle ehemaligen Herrscher tot oder so gut wie entmachtet, durch die ständigen Angriffe der Hostis. Nun war es ihnen überlassen ihr Schicksal zu bestimmen.
Und es sollte sich bald entscheiden. Entweder würden sie in ihrem nächsten Kampf siegen oder wieder zu Grunde gehen. Und ob sich dann noch einmal jemand den Eroberern in den Weg stellen würde, das war fraglich.
*****
Einen Moment dachte er, sie würden zurückweichen.
Die Zahlen waren auf beiden Seiten ausgeglichen, aber was hieß das schon, wenn man sah wie sich vor einem eine schier unendlich scheinende, bewaffnete Menschenmenge aufbaute? Selbst der Wanderer bekam dabei Angst.
Aber niemand ergriff die Flucht. Wäre das geschehen, hätte das vermutlich fatale Auswirkungen gehabt. „Und ? Was meint ihr, habt ihr ein Ziel gefunden?“, fragte er den Mann, der neben ihm stand. Es war derselbe, den er Monate zuvor an der Hütte angesprochen hatte.
„Ich glaube schon. Etwas wofür es sich zu kämpfen lohnt.“
„Dann sehen wir, ob es die folgende Schlacht übersteht.“
Der Kampf dauerte Stunden. Pfeile verdunkelten den Himmel. Es hieß alles oder nichts.
Das Klirren von Stahl war in der eisigen Luft meilenweit zu hören.
Und erneut stand er doch dort, wo er hingehörte und nicht sein wollte. Auf dem Schlachtfeld.
Er gab hier und da Befehle wenn es sein musste. Doch meist war es unnötig. Jede Kampfstrategie, jeder Plan wurde in dem Moment zunichte in dem die Schlacht begann. Sobald die ersten Klingen aufeinander trafen, gab es nur noch eines. Überleben, und nicht selbst Teil des roten Stroms werden, der den Schnee verfärbte.
Er hatte das Töten gelernt, damals als sein Name noch eine Rolle gespielt hatte. Nichts davon spielte mehr eine Rolle, allein das stählerne Klirren der Waffen und das seltsam traurige Gefühl, wenn wieder ein Gegner in den Schnee sank. Das war es worauf es nun ankam.
Ein Verlorenes Gefühl.
Die feindlichen Linien gaben nach, die Ersten traten die Flucht an.
Vielleicht war es an der Zeit?
Eine Klinge fand ihren Weg durch seine Panzerung, durchbohrte die linke Seite des Brustpanzers.
Das Letzte, was sein Bezwinger sah, als der alte Krieger langsam in den Schnee sank, war ein Lächeln.
Und nun lag er hier auf dem, jeglichen Lebens beraubten, Schlachtfeld. Offenbar hatte man ihn liegenlassen. Entweder um den Flüchtigen nachzusetzen oder aber weil er einfach vergessen worden war. Er war nicht mehr wichtig. Ein Mann des Krieges der ausgedient hatte.
Aber genau davor fürchtete er sich, vor dem Vergessen. Aber endlich würde er Frieden finden. So oder so. Seine Wanderung war zu Ende, oder begann sie grade erst?
Kurz bevor sich seine Augen zum letzten Mal schlossen, trat doch noch jemand Neues auf das Feld und kniete sich neben ihn.
„Ihr werdet nicht vergessen werden. Wir alle werden nicht vergessen werden. Das ist mein Ziel. Und es hat die Schlacht überstanden.“
Ja… sein Bewusstsein schwand endgültig und Dunkelheit umfing ihn. Das hier war nur eine Schlacht gewesen aber… es war ein Anfang. Da war wieder so etwas wie Hoffnung. Ein Funke Licht am Horizont. Und er hatte ihn entzündet.
EagleWriter Re: - Zitat: (Original von KathySherryl am 03.11.2012 - 13:11 Uhr) Richtig, richtig gut geschrieben! Den Tiefgang des Textes hast richtig gut rübergabracht. 5*^^ vielen dank lg E:W |
KathySherryl Richtig, richtig gut geschrieben! Den Tiefgang des Textes hast richtig gut rübergabracht. 5*^^ |
EagleWriter Re: - Zitat: (Original von Moonoo am 02.11.2012 - 20:07 Uhr) Sehr intensive Szenen. Liebe Grüße Danke sehr lg E:W |
EagleWriter Re: - Zitat: (Original von Strigoia am 02.11.2012 - 08:17 Uhr) Hab ich gerne gemacht :D Leider hat es nicht geklappt, trotzdem habe ich jetzt vermutlich eine der fehlerfreisten Geschichten hier ^^ |