Songtexte
Virtual Blues

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"Menschen im Netz"
Veröffentlicht am 05. Juni 2012, 8 Seiten
Kategorie Songtexte
© Umschlag Bildmaterial: thanunkorn / FreeDigitalPhotos.net
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Getauft, Geschieden, Geimpft: 3G also, tretet näher, Herrschaften! Was ich so schreibe, ist natürlich erlebt, erlauscht, erlesen und erlogen; von alberich bis böse oder dunkeltrüb, und mit Vorliebe gereimt. Erfreue mich an Musik verschiedener Richtungen, an Literatur und natürlich an Menschlichem wie Situationskomik und liebevolle Reaktionen abseits des jeweiligen Business'. Solange ich die komische Seite der Dinge erkenne, geht's mir gut -- und ...
Menschen im Netz

Virtual Blues

Einleitung

„... verbringt sie viel Zeit in Chat-räumen... Einmal verliebt sie sich in einen, der sich ‚HaareinseinerNase‘ nennt.“ „Zu Hause im Netz“, Das Magazin, Juni 2012

Das erste, wenn ich früh erwache:
Ich suche im Posteingang dich.
Du bist keine wichtige Sache,
doch ohne dich fröstelt es mich.
Wir kennen uns nun seit zwei Jahren
und haben uns doch nie gesehn.
Ich weiß nicht, wie andre verfahren,
ob sie sich wie wir uns verstehn.
Ich bin ein Bild für dich,
du bist ein Bild für mich,
und nicht viel mehr.

Ich bin mal ganz gern unter Leuten,
ich treffe mich manchmal mit Fraun.
Das hat wirklich nichts zu bedeuten,
du brauchst jetzt nicht böse zu schaun.
Ich weiß, auch du bist nicht nur

Perle,
du bist mir ein offenes Buch.
Doch hasse ich all deine Kerle,
du glaubst nicht, wie ich sie verfluch.
Ich bin ein Bild für dich,
du bist ein Bild für mich,
und doch viel mehr.

Im Chatroom der einsamen Seelen
geht's nicht sehr geheimnisvoll zu.
Ich kenn alle deine Querelen,
wer mir immer zuhört, bist du.
Kann man so ein Bildchen denn lieben?
Ich bin ja wohl noch nicht verrückt.
Doch etwas ist hängengeblieben,
das mich mal erhebt, mal bedrückt.
Ich bin ein Bild für

dich,
du bist ein Bild für mich,

und so viel mehr.

Vielleicht bist du real viel älter,
vielleicht bist du unförmig dick.
Vielleicht kriegst du Riesengehälter,
vielleicht fände ich dich todschick.
Wir könnten uns zufällig sehen,
wie's Leben halt manchmal so spielt.
Erst würde ich gar nicht verstehen,
warum diese Frau nach mir schielt.
Ich würd' dir sagen, dann...
ich würd' gar nichts wagen, Mann,
ich glotzte dich nur an.
Ich hoff', es bleibt, wie's ist,
daß du meine Post manchmal

liest,
mich nicht ganz vergißt.


© 2012 Brubeckfan


Titelbild:
© Image: thanunkorn / FreeDigitalPhotos.net

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Über den Autor

Brubeckfan
Getauft, Geschieden, Geimpft: 3G also, tretet näher, Herrschaften! Was ich so schreibe, ist natürlich erlebt, erlauscht, erlesen und erlogen; von alberich bis böse oder dunkeltrüb, und mit Vorliebe gereimt. Erfreue mich an Musik verschiedener Richtungen, an Literatur und natürlich an Menschlichem wie Situationskomik und liebevolle Reaktionen abseits des jeweiligen Business'. Solange ich die komische Seite der Dinge erkenne, geht's mir gut -- und das ist allermeistens.

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FLEURdelaCOEUR 
Mir kam es wie neu vor. Aber:
"Die virtuelle Anonymität - verleitet zu so manchen Offenbarungen ....
Es entsteht eine merkwürdige Vertrautheit, die dem realen Kennenlernen oft nicht stand hält.
Wirklich guter Text!"
Dazu stehe ich auch heute noch, da ist ein sehr intensives Feeling in deinen Zeilen.
Dir einen sonnigen Wahlsonntag,
nächtliche Grüße
fleur
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Treffendes Zitat; ein Buchstabendialog hat manchmal was von einem Kneipengeschwätz.
Die Wahl ... zum Glück steht der gruslige Donald nicht auf der Liste ...
Vielen Dank, liebe Fleur!
Grüße und Winke,
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
socalledbu 
Brieffreundschaft ist spannender, weil man sich mehr Zeit zum schreiben nimmt, weil wenigstens die Schrift etwas persönliches ist, das nicht lügen kann, weil man Briefe auch mitnimmt irgendwohi, um sie zu lesen.

Hat mich an eine Bekannte erinnert in Berlin - die hat oft stundenlang sich mit einem Kerl aus London angeschwiegen, angekuckt, angeschrieben, gesehnsüchtelt - und als sie sich dann trafen, konnten sie mit der Realität nicht umgehen.
Alleine vor der Kiste zu sein ist eben doch leichter.
Aber einsam.
Aber so fühlt man sich vielleicht vorher schon, und dann ist so'n chat manchmal ganz gut.
Für Partnerschaftsanbahnung ungeeinet, denke ich.
Da ist das Abklopfen am Tresen dann schon besser.
Das gute am Internet ist vielleicht, dass gerade die körperliche Ebene rausgenommen wird, um mehr zu reden.
Und all diese Bildchen sind ja auch nur schöngefärbt, weil man gelernt hat, dass man nicht beachtet wird, oder dass für den ersten Eindruck oder Impuls ein paar schöne Möpse ja ganz gut sind.
wie auch immer.... fiel mir ein dazu.
aber guter Text
Bu
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Eine Anbahnung per www ... könnte gutgehen, wenn man weiß, daß man live dann erstmal etwas von vorn beginnt. Ich habs nur noch nicht erlebt.
Aber in allem anderen stimme ich Dir sofort zu.

Du hast mich ja heute ziemlich verwöhnt.
Vielen Dank also, und schönen Abend noch.
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
Gast Da brauchen ja chatroomromancen nicht noch einmal beschrieben zu werden. Es trifft genau und gilt auch haargenau geschlechterumgekehrt.
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Danke sehr, Frau/Herr Gast.
Und viele Grüße ins große weite WWW, diese kuriose Spielwiese.
Vor langer Zeit - Antworten
RSchulz Ich habe diesen Text fast mitgesungen so einen Swing hat er. Hinterläßt ein gutes Gefühl bei mir.
R.
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Schön! Na dann bist Du nach Gunda der 2. bekennende Mitsinger. Ich hatte es freilich auch nicht schwer, da wir ja alle hier nicht mit Fado oder Pentatonik aufwuchsen, sondern mit dem Blues und seinen Verwandten.
Gruß und Dank und schönes Wochenende!
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Re: Soo - Eigentlich ist die ganze Internetkorrespondenz ja auch nichts anderes als die gute alte Brieffreundschaft, nicht? Brahms und Wieck, Tschaikowski und von Meck, ... nur fliegen die Tauben heut ungleich schneller, und das flotte Tippen hat Vor- und Nachteile ggü. dem Federkiel.

Ich bin glücklich, hier ein paar tolle Menschen etwas kennen- und verstehen gelernt zu haben, auch über viele Kilometer und Lebensjahre entfernt. Du hast mal gesagt, Du trennst die Welten lieber. Ich tat mich lange schwer damit, daß man wenig oder nichts zu sehen bekommt. Und eigentlich möchte ich immer noch hin und wieder ganz gerne durch das Internetprotokoll und das Display am anderen Ende rutschen. Das ist dann eben auch manchmal traurig.

Also ich bin sehr sehr für Freundschaften, was sonst, auch wenn sie "nur" so abstrakt existieren. So virtuell sind die gar nicht, und ohne das www gäbe es sie ja nicht mal. Schlecht wäre nur, hätte man gar niemand mehr in der Realität.
Soweit, so lang ich.

In diesem Lied wollte ich mal durchspielen, wieviel Gefühl trotz aller technischen Distanz da drinstecken kann; ausgehend von der höchst gefragten klugen Bloggerin (dasnuf.de), die sich online verliebte. "Ich" hat in der Mitte das Zeug zum Stalker, am Ende kommt er wieder auf den Boden. Er ist alleine, Punkt.

Das ist aber ein Text wie jeder andere, wo also jeder Leser sein Eigenes drausmachen kann und soll.
Am meisten hat mich Thomas überrascht, s.u.

So kann man sich schon mal Gedanken machen.
Aber Hauptsache, wir tuns einfach, gelle?

Wenn Du Kopfhörer oder so hast: Der Appendix hier ist nicht direkt traurig.
Also vielleicht noch auf der Liste lassen...

Lieben Gruß, liebe Frau U.
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
Undefiniert Soo - Jetzt habe ich das hier auch endlich mal gelesen :-)
Ich weiß nicht, ob du irgendeine Wertung in dein Gedicht mit eingebracht hast. Ist so eine Internetfreundschaft nun gut oder schlecht? Vielleicht hast du es ohne Wertung geschrieben, denn ich habe zumindest nicht direkt eine gefunden, und vielleicht ist das auch ganz gut so...Es wirkt ein bisschen traurig, aber naja...
Jedenfalls kann ich das Gedicht jetzt endlich aus meine Noch-lesen-Liste entfernen und muss mich nicht mal über vergeudete Zeit beschweren, fands nämlich gut :-)
lg Undefiniert
Vor langer Zeit - Antworten
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