Sonstiges
Das Klettergerüst auf dem Kinderspielplatz

Vom Fliegen & Fallen

Von Dir & Mir

„Vertraust Du mir?“ Es ist nicht das erste Mal, dass ich Dir diese Frage stelle und nicht zum ersten Mal suche ich mit wachen Blick in Deinem Gesicht nach einer Reaktion. Doch es scheint beinahe so, als wäre Deine Miene eingefroren, nichtmals Dein Blinzeln durchbricht das Schweigen, das zwischen uns entstanden ist. Minutenlang gehen wir einfach weiter, jeder von uns in seine Gedanken versunken. Und dann bewegen sich Deine Lippen, beinahe so, als müsstest Du all Deine Kraft dafür aufwenden unsichtbare Nähte zu zerreißen, die sie aufeinander pressen. „Das ist eine seltsame Frage.“ „Dein Ausweichen darauf ist eine seltsame Antwort. Aber sie genügt mir.“ Ein Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen. Du bist seit vielen Jahren der erste Mensch, der mich nicht angelogen hat. „Warum lächelst Du?“ Du scheinst ernsthaft irritiert. „Weil ich glücklich bin.“ „So einfach?“ „So einfach.“ „Kränkt es Dich denn nicht, was ich gesagt habe?“ „War es denn als Kränkung gedacht?“ Ich erwarte keine Antwort auf diese letzte Frage, aber Du schüttelst dennoch den Kopf. Der Wind streicht Dir sacht über das Haar und bringt ein paar Strähnen in Unordnung. Beiläufig versuchst Du sie wieder zu glätten, was ich gleichermaßen fasziniert und amüsiert beobachte. Es wird nur wenige Minuten brauchen, sie wieder ins Chaos zu stürzen, aber gerade würdest Du beinahe alles tun, um nicht mit mir sprechen zu müssen.

Ich respektiere Deinen Abstand, bemühe mich Dir nicht zu nahe zu kommen, hülle mein Lachen in Schweigen. Du brauchst Zeit, das ist mir bewusst. Aber mir rinnt sie durch die Finger, wie Sand. 'Wirst Du morgen noch mit mir reden?' Jedes Mal wenn ich Dich sehe, stelle ich mir diese Frage. Bislang hast Du sie stets mit einem „Ja“ beantwortet, aber was werde ich tun, wenn Du dereinst stumm den Kopf schüttelst?

Vor uns liegt ein Spielplatz und instinktiv gehe ich darauf zu. Nur Minuten später liegen Jacke, Schuhe und Pullover im Sand und ich schaukle – endlich frei von der Maskerade – auf einem der Klettergerüste im Wind vor mich hin. Du folgst mir zwar, behältst aber Deine Schuhe an. Ich kann nicht anders, ob dieser klischeebeladenen Situation perlt mein Lachen mir über die Lippen. „Benimm Dich doch nicht so erwachsen. Zieh die Schuhe aus.“ Zögerlich gibst Du nach, bis Du schließlich doch barfuß und im T-Shirt neben mir auf den Seilen sitzt. 'Der perfekte Ort um Dir zu sagen, was Dich erwartet.' denke ich und versuche zeitgleich zu erraten, was in Deinem Kopf vor sich geht. Und anstatt einfach zu sprechen, beginne ich nun meinerseits wieder zu fragen. „Was willst Du?“ „Gerade? Oder allgemein?“ Die Frage scheint Dich zu irritieren. „Das darfst Du Dir aussuchen.“ Wieder hüllst Du Dich in Dein Schweigen, als könnte es Dich davor bewahren, was ich meinerseits von Dir möchte. 'Dich kennenlernen. Verstehen lernen.' Es scheint mir fast, als wärst Du weit weg, irgendwo tief in Dir, wo Du so lange nicht mehr warst, dass Du den Ort beinahe vergessen hattest.

„Ich würde gerne lieben.“ Mir zerbricht das Herz, es erstaunt mich, dass Du sein Zerspringen nicht hören kannst, hallt es mir doch zerstörerisch zwischen Stirn und Schläfen wider. „Du hast – Noch nie geliebt?“ bemühe ich mich die Fassungslosigkeit aus meiner Stimme heraus zu halten. Du zuckst mit den Schultern. „Vermutlich bin ich da schwierig. Zu viele Menschenfallen durch mein Raster. Zumindest glaube ich das.“ Mit Mühe halte ich die Tränen zurück. In einer perfekten Welt könntest Du mich lieben, aber unsere Welt ist nicht perfekt. Und so bleibe ich das Traumbild und Dir das Gefühl fern, nach dem Du Dich so sehr sehnst. Zu gerne würde ich jetzt der Wind sein, Dir über Haut und Haare streicheln können um Dich zu trösten. Denn meine Hände sind wie scharf gezacktes Glas für Dich, verletzten statt Dich zu heilen. Ich habe es gespürt, als ich kurz zuvor Deine Hand gestreift habe. Vielleicht hast Du es nicht einmal bewusst wahrgenommen, aber Dein Körper ist zusammengezuckt, als hätte ich Dich geschlagen.

Auf einer Bank weiter hinten am Wasser glimmt eine Zigarettenspitze. Mein Weckruf in die Realität.

Mit wenigen Schritten habe ich wieder Sand unter den Füßen. Dieses Mal folgst Du meinem Weg. Vermutlich tust Du das bloß deshalb, weil unser beider Schuhe und Jacken dort im Sand liegen, aber auf meiner verzweifelten Suche nach einem Gefühl dafür das Richtige zu tun, brennt mein Kopf diesen Moment als ein Zeichen in meine Gedanken.

Wir schlendern durch die beinahe menschenleere Stadt auf Schleichwegen durch eine Gesellschaft, von der wir gerade kein Teil sein wollen.Und dann doch mitten durch die Menschen, um uns herum waberndes blaues Licht, kalt und nicht übermäßig schmeichelnd. „Du weißt, ich kann Dich bis ganz nach oben tragen.“ werfe ich in den Wind und bin mir unsicher, ob ich tatsächlich möchte, dass Du mich verstehst. „Aber vielleicht.“ ich überlege, wie ich es ausdrücken soll. „Vielleicht werde ich Dich nicht fangen können.“ Meine Stimme ist nun zu einem Flüstern verkommen, doch Dein Blick verrät mir, dass Du jedes meiner Worte hören kannst. 'Bitte, unterbricht mich doch.' Aber das tust Du nicht und Dein Schweigen zwingt mich zum Sprechen. „Selbst wenn ich Dich fangen würde – Du würdest nicht weich fallen. Ich würde Dich verletzen.“ Mein Herz blutet meine Gedanken in Worte. „Vermutlich nehme ich Dich mit bis ganz nach oben. Und dann wirst Du allein sein wollen. Und das wäre in Ordnung für mich.“ Ich frage mich, ob ich mir selbst glauben kann. Doch schließlich wird mir klar, dass es die Wahrheit ist. Wenn Du tatsächlich dereinst gehen solltest, werde ich mich an Dein Lachen erinnern. Du hast so befreit gewirkt, wenn dieses Lachen aufgeblitzt ist. 'Hör auf so zu denken als wäre all das hier Vergangenheit.' ermahne ich mich selbst. 'Er steht neben dir. Überlass es ihm, seinen Weg zu gehen.' Und dann höre ich Deine Stimme. Vollkommen ruhig, bar jeder Emotion blickst Du mir tief in die Augen und stellst mir eine Frage, auf die ich keine Antwort kenne. „Wenn nicht Du mich fängst, wer dann?“

Die Angst ist wieder da. Wenn ich Dich nicht fangen kann und Du stürzt, wie sollte ich mit diesem Gedanken weitermachen? Aber wenn ich Dich halte und Dir dabei Schmerzen zufüge – Wie Dir je wieder in die Augen sehen? Das Begreifen darüber wie wenig ich von Dir weiß, macht mich schwindelig. Mir wird klar, dass ich an diesem Punkt die Erwachsene werden sollte. Genug der kindischen Träumereien auf Spielplätzen, hin zu der emotionalen Realität, die Gefahr läuft, mich zu überfordern. 'Wenn ich jetzt gehe, kannst Du wieder normal leben.' Doch Dein Blick hält mich fest. 'Könnte ich das?' Die Frage liegt unausgesprochen in der Nachtluft. 'Du musst ihm sagen welchen Preis er zahlen muss. Das bist Du ihm schuldig.' hämmert es wütend in meinem Kopf. 'Noch nicht.' halte ich dagegen. 'Es ist zu früh. Er hat noch eine Wahl.' Und so erzähle ich Dir nicht länger vom Fliegen, sondern vom Fallen. Ich male Dir die Bilder des Abgrundes, in dem ich mich vor vielen Jahren fand. Beschreibe Dir so detailliert wie möglich meine zerschmetterten Gliedmaßen, die tränenblinden Augen, die Dunkelheit und die Einsamkeit. Aber Du erschrickst nicht. Du gehst nicht. In Deinen Augen lese ich eine seltsame Sicherheit. „Du hast gesagt, wenn ich es will, wirst Du mich fangen.“ „Das werde ich.“ Du nickst bloß, als wäre nichts weiter notwendig.

„Du musst nachdenken. Und ich ins Bett.“ Plötzlich sind meine Glieder schwer wie Blei, meine Füße schmerzen, der Wind brennt in meinen Augen. Du nimmst mich zum Abschied in den Arm, ich unterdrücke das Zittern. Die letzten Schritte bis zu meiner Haustüre gehe ich allein. „Danke.“ rufst Du mir nach. Ich drehe mich zu Dir um. „Wofür?“ „Für Dein Angebot.“ Ob bewusst oder nicht, Deine Hand hebt sich zum Gruß zu Deinem Herzen. „Nicht dafür.“ entgegne ich. „Nimm es an und finde heraus, ob Du mir dann noch immer danken möchtest.“ Die Türe fällt hinter mir ins Schloss.

'Wirst Du morgen noch mit mir sprechen?'