Biografien & Erinnerungen
NOT IN MY PUB

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"SCHREIBPARTY 102"
Veröffentlicht am 04. Mai 2024, 12 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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SCHREIBPARTY 102

NOT IN MY PUB



Schreibparty 102


Thema: Damals


Vorgabeworte: Herz, Erinnerung, kämpfen, Armaturenbrett, Strand, Urlaub, lachen, Kartoffeln, trampen


Mein Beitrag:


NOT IN MY PUB





Erinnerungen an das Jahr 1975: Der Vietnamkrieg endete mit der Einnahme Saigons. Bill Gates gründete die Firma Microsoft. In China brachen 61 Staudämme und auf Hawaii kämpfte man mit einer 15 Meter hohen Flutwelle. Die Opec erhöhte die Ölpreise um 10 %. Die Kartoffel Adretta wurde in der DDR gezüchtet und machte künftig den Großteil des dortigen Anbaus aus. Charly Chaplin wurde zum Ritter geschlagen. Die Sex Pistols traten zum ersten Mal auf und die Metal Band Iron Maiden wurde gegründet. Der Mann von Welt benutzte Brut After Shave und trank Weinbrand- Cola.


Ich war 20 Jahre alt und stolzer Besitzer eines alten Mercedes 200. Mit diesem Prachtschlitten verbrachte ich meinen ersten richtigen Urlaub mit meiner ersten richtigen Freundin. Sie wäre gern nach Malle geflogen, um sich dort am Strand zu aalen, aber das ließ unsere Finanzlage nicht zu. Deshalb fuhren wir mit dem Auto nach Schottland. Ein paar Mal nächtigten wir bei Verwandten von mir, doch das bedeutete für uns --- getrennt zu schlafen. Wir waren jung und sehr verliebt, deshalb suchten wir uns lieber ein günstiges B & B. Auch den Eintritt ins Edinburgh Castle konnten wir uns nicht leisten, doch das

tat unserer Begeisterung keinen Abbruch. Von Edinburgh ging es weiter in Richtung Inverness. „Schau mal, der Typ trampt, sollen wir ihn mitnehmen?“ Meine Freundin deutete auf einen Mann, der mit einem Kanister bewaffnet am Straßenrand stand und uns verzweifelt zuwinkte. „Du bist ein Herzchen! Ich glaube dem ist das Benzin ausgegangen, antwortete ich lachend und hielt an. „Kein Benzin mehr?“, fragte ich. Er schüttelte den Kanister und antwortete mit ein Schwall unverständlicher Laute, die ich keiner mir bekannten Sprache zuordnen konnte. „Okay, Kumpel, steig ein!“ Während ich

mich bemühte eine Tankstelle zu finden, redete der Mann unentwegt weiter. Plötzlich: abruptes Schweigen, ein gurgelnder Laut vom Rücksitz, eine Vollbremsung meinerseits. 

Ich drehte mich verärgert um. Der Mann saß kerzengerade da und musterte verblüfft das Armaturenbrett. „Du hast das Steuer auf der falschen Seite“, stammelte er in verständlichem Englisch. Nachdem wir erklärt hatten, dass wir aus Deutschland kamen und seinen Dialekt nicht verstanden, gab sich unser Mitfahrer sichtlich Mühe mit seiner Aussprache und siehe da --- es kam eine nette Konversation in Gang. „Sucht ihr eine günstige und gute

Unterkunft? Versucht es im Lion Heart in Carrbridge. Es gehört meinem Cousin. Wenn ihr ihm schöne Grüße von mir ausrichtet, dann macht er euch einen Sonderpreis.“ Das Lion Heart erwies sich als urige Location mit einem freundlichen Wirt, der uns tatsächlich einen Rabatt gewährte. Während sich meine Freundin für das Abendessen zurecht machte, ging ich schon in den Schankraum um mir einen Drink zu genehmigen. Als Mann von Welt trank ich gewöhnlich ein Gemisch aus Weinbrand und Cola --- ihr wisst schon --- Doch hier, im Mutterland des Whiskys, konnte ich dieses Getränk

unmöglich bestellen, so orderte ich einen Whisky Cola. Der Barkeeper musterte mich stumm von oben bis unten. 

„Einen Whisky Cola“, versuchte ich es erneut, wieder traf mich ein unverständlicher Blick. Wie der Blitz erkannte ich: hier sagte man nicht Cola, sondern Coke. Also alles auf Anfang: „Eine Coke mit Whisky, bitte.“ 

Der Barkeeper schien verstanden zu haben, er wies mit dem Daumen hinter sich auf eine Flaschenbatterie. Hier reihten sich unüberschaubar viele Whiskyflaschen aneinander. 

„Ich nehme Johnnie Walker.“ Das war die einzige Sorte die ich anhand der Flasche

erkennen konnte. Der Barkeeper angelte sich achselzuckend die ziemlich verstaubte Flasche und maß einen mindestens doppelten Whisky ab. Anschließend füllte er ein Glas mit Cola und stellte beides vor mir auf dem Tresen ab. Zweifelnd musterte ich meine Drinks. Der Depp hatte mich immer noch nicht verstanden! Also trank ich etwas ab, um den Whisky in das halb leere Cola Glas zu füllen. Der Keeper hatte bewegungslos und mit verschränkten Armen am Tresen gelehnt, schien sich irgendwo im Nirvana zu befinden, doch jetzt kam Bewegung in den Menschen. Er stürzte auf mich zu, riss mir beide Gläser aus der Hand,

sodass sich der Inhalt über den ganzen Tresen verteilte, und brüllte: „Not in my pub!“ Während ich ihn verblüfft anstarrte erklärte er mir folgendes: „Junger Mann, du kannst trinken was du willst, sogar Johnnie Walker und von mir aus auch Coke. Doch du wirst in diesem Pub nichts in den Whisky schütten.“ Er griff hinter sich, nahm eine Flasche aus dem Regal und schüttete mir fast liebevoll einen neuen Drink ein. „Das ist ein 12 Jahre alter Bladnoch, ein Single Malt“, erklärte er. „Dieses Göttergetränk nimmst du pur. Es sollte Raumtemperatur haben und nicht durch Eis oder Wasser gepanscht sein, alles andere ist Majestätsbeleidigung.“ Ich probierte

zögernd. My goodness - vollmundig, weich, würzig. Ich nickte anerkennend, was mir ein kräftiges Schulterklopfen des Barkeepers einbrachte.


Beim anschließenden Essen mit meiner Freundin grinste mich mein neuer Freund immer wieder an. „Was hat er bloß, steht der auf dich?“, fragte sie schließlich konsterniert. „Ach was, wir haben bloß festgestellt, dass wir die gleichen Trinkgewohnheiten haben!“




Ich habe Schottland noch viele Male besucht, doch dieser Urlaub wird immer etwas ganz Besonderes für mich sein. Ach ja - ich habe meinen Whisky nie wieder mit einer anderen Flüssigkeit vermischt.


Die rechte Flasche auf dem Cover ist übrigens ein Johnny Walker von 1954. Die Flasche war ursprünglich für die Truppen Ihrer Majestät, Königin Elisabeth, gedacht …

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derdilettant

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Memory 
Wieder was gelernt :)
Klasse Geschichte und ganz sicher eine tolle Erinnerung.
Lieben Gruß
Sabine
Vergangene Woche - Antworten
derdilettant Danke, Sabine,
es war eine Erfahrung!
LG
Alan
Vergangene Woche - Antworten
Brubeckfan Oh, das schottische Reinheitsgebot von 1137 ...
Schöne Erinnerung.
Meine Favoriten stammen aus Irland, sehr weich und doch kräftig. Dagegen die US-Sachen -- ach die Amis können eben nur Computer und Musik, manchmal Film.
NDP und viele Grüße,
Gerd
(Na Dann Prost, kürzelten wir damals)
Vergangene Woche - Antworten
derdilettant Hallo Gerd.
Du hast es erkannt. Das Reinheitsgebot ---
Irischer Whisky ist oft ein wenig torfig, das ist nicht so meins. Ist aber reine Geschmacksache.
Danke und Cheers
Alan
Vergangene Woche - Antworten
Enya2853 Herrlich, lieber Alan, eine toll geschriebene, mit Humor gewürzte Erinnerung an einen denkwürdigen Urlaub.
Der Barkeeper war klasse, er rückt zurecht, ohne dir böse zu sein.
So ein echter schottischer Single Malt ist wirklich nicht zu verachten.

Lieben Gruß
Enya
Vergangene Woche - Antworten
derdilettant Hallo Enya, danke dir.
Diese Geschichte hat tatsächlich einen Wahrheitsgehalt.
Oh, auch du weißt einen guten Whisky zu schätzen. Das freut mich. ;o)
LG
Alan
Vergangene Woche - Antworten
Enya2853 Lach, ja, so ein- bis zweimal im Jahr genehmige ich mir einen. Und dann den wirklich guten.
LG
Enya
Vergangene Woche - Antworten
derdilettant Hallo Enya.
Ich habe im Moment einen Blanton's, Single Barrel, einen Bourbon aus Kentucky. Ist die Empfehlung eines amerikanischen Kollegen. Hätte nicht gedacht, dass er so mundet ...
Du bist herzlich eingeladen. ;o)))
LG
Alan
Vergangene Woche - Antworten
Enya2853 Das klingt verführerisch. Habe auch meinen Jahreswhisky noch nicht getrunken. Single Barrel - klasse. Ich beame mich mal rüber. ;o)
LG
Enya
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sugarlady Gute Geschichte und heiter rüber gebracht. Auch den Whisky würde ich nicht verachten.
L.G. Andrea
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