Kurzgeschichte
NACHT BLEIBT NACHT

0
"Kurti ist wieder da, und unterwegs."
Veröffentlicht am 10. März 2023, 18 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Über mich gibt es nichts interessantes. Aber jetzt auch mit schönen bunten Bildern.
Kurti ist wieder da, und unterwegs.

NACHT BLEIBT NACHT

NACHT BLEIBT NACHT

Kurti ist wieder draußen. Steht da in der kalten Luft. Da, an der bekannten Ecke, wo man in die bekannte Straße gucken kann. Auf den ersten Blick ist alles wie gehabt. Neon – Lichter blinken. Rot, grün, gelb. Wieder rot. Auf den zweiten Blick ist vieles neu. Neue Gesichter, neue Figuren im ewigen Spiel um Haben und Nicht haben. Wobei die meisten leer ausgehen. Ein krätziger Typ mit Crack –

Pfeife im zahnlosen Maul und Fäusten in den Taschen hüpft an ihm vorbei. Kurti guckt ihm nicht nach.

Nichts neues.

Kurti setzt die Segel, rauscht nach Backbord. Was neues suchen.

Muss ja was neues geben hier draußen, denkt Kurti, ist verdammt viel Zeit vergangen. Sinn, - und Tatenlose Zeit. Corona – Zeit. Pandemie – Zeit. Mit Lockdown. Praktisch Ausgangssperre. Stubenarrest.

Und Kurti hatte Schiss. Nicht vor dem eigentlichen Virus, sondern eher vor den Maßnahmen die von den Unwissenden getroffen wurden. Absurde Regelungen. Idiotische Verhaltensregeln. Kurti blieb

Daheim. Verschlief die Tage, und verbrachte die Nächte mit Büchern. Was er brauchte ließ er sich liefern, wie früher. Die Nächte wurden laaaaaaang, zogen sich hin. So ganz ohne seine Expeditionen fühlte er sich leer, wie ausgepumpt. Selbst die vielen Bücher konnten kein Ersatz sein. Er lebte praktisch auf Reserve.

Manche Nacht schlich er sich raus. Raus in die Nacht. Nur für einen kurzen Spaziergang um den Block. Es war dunkler als gewohnt. All die Bars, Lounges und Spelunken hatten geschlossen, kein Strip – Club köderte Kunden, keine fette Pommes – Bude verkaufte ne Wurst. Alles dicht.

Geschlossen. Keine Lichter. Die Nacht schwärzer als gewohnt. Und stiller. Die Stille behagte Kurti nicht. Er ist den Trubel gewöhnt. Das Grölen der Besoffenen, das Keifen ihrer Weiber, die Hilfe – Schreie der Überfallenen, und das rasselnde Röcheln der, die es hinter sich hatten.

Jetzt, auf der Straße, ist es fast wie früher. Nur irgendwie anders. Kurti kann es noch nicht denken, es erfassen. Aber es fühlt sich anders an. Die Menschen bewegen sich anders. Die Alten tun so, als müssten sie sich vortasten. Jeden Schritt erzwingen, jeden Schritt erkämpfen. Vorsichtig, immer auf Abstand bedacht. Die jungen

feierwütigen Selbstdarsteller mit ihren irre teuren Smartphones sind jetzt noch ausgelassener, noch aufdringlicher. Ihre Hände sind überall. Scheint so als hätten sie diese ganze körperliche Korrespondenz vermisst.

Kurti mag das nicht. Nicht mal zusehen. Kurti zieht weiter.

Über die große Kreuzung, vorbei an hupenden Autos und ihren grölenden Insassen. Kurti zieht den Kragen hoch. Vorbei an dem fettigen Imbiss, wo man vorne fressen und hinten scheißen kann. Auch diese Bude wird belagert. Junge Verwachsene mit dem ersten Bartflaum geben sich weltmännisch mit ihrem Flaschenbier und der Fluppe in der

blöden Schnauze. Sie versuchen zu singen:

„So ein Tag... so wunderschön wie heute...“

Kurti macht die Fliege.

Zwei Querstraßen weiter hält er erneut inne. Schaut hinter sich. Da sind eine Menge Leerstellen. Dunkle Fenster, verschlossene Türen, Null Licht.

Hier herum hat es einige feudale Schenken gegeben; äußerst hippe Bars und Lounges. Minimum an Einrichtung, und Maximum an Preisen.  Treffpunkte aller Fatzkes die sich für elitär und einzigartig hielten. Avatare ihrer hohlen Existenz. Die merkten es nicht mal wenn man sie abzockte, erinnert sich Kurti,

denen konnte man alles vormachen. Schade. Jetzt sind die Schuppen leer. Opfer des Lockdowns, oder Opfer ihrer Eintönigkeit. Man weiß es nicht.

Weiter oben in der Straße schimmert es hell hinter dem Dunkel. Da war früher mal n netter Laden, erinnert er sich, Mommsen ´s Magermilch – Palast. Ja, so haben wir die Kaschemme genannt. Früher. Vor Jahren.

Er geht mal näher ran.

Und tatsächlich. Es is der Magermilch – Palast. In alter Pracht und Glanz. Lichter spenden der Nacht heimelige Wärme, die Music – Box schmettert wie eh und je die alten Nummern der Stones. Kurti zieht die Tür auf. schnuppert, Bierdunst,

Zigarettenqualm, Schweiß und schale Furcht vorm Absturz schlägt ihm in die Nase. Er zwängt sich an die Theke. Mommsen guckt. Erkennt ihn. Schmeißt ihm einen netten Blick an die schlotterige Figur. Wühlt sich dann durch den Kühlschrank. Eisbrand kommt. Gleich darauf Milchkaffee. Kurti wärmt sich die Hände am Becher. Und Mommsen klärt ihn auf: Der und der und die sind hinüber. Weg. Hinweg gerafft vom Virus. Elendig verreckt. Kurti tut es leid. Mehr als leid. Fast geschockt schluckt er den Eisbrand. Vergessen auf die Seele; Vergebung in ´s feige Gemüt.

Kurti entdeckt die alten Genossen. Paco sitzt da, ihm gegenüber der Mustafa.

Kurti geht mal rüber. Schnappt sich Kaffee und Eisbrand. Und geht.

„Moin,“ sagt er.

„Moin,“ sagt Paco.

„Gepriesen sei deine Erscheinung,“ sagt der Mustafa.

Man kennt sich. Man kennt sich fast zu gut. Wenige Worte reichen um die Neuigkeiten zu tauschen.

„Die Drollige ist von uns gegangen,“ sagt Paco.

„Friede sei Ihrer Seele,“ wünscht der Mustafa.

Und Kurti erinnert sich ihrer. Drollig war die Doris, die gute Seele ihrer kleinen Runde. Geredet haben sie, gelacht, gesungen, die ganzen irren

Nächte. Sie fehlt schon jetzt. Die drei Überlebenden gedenken ihrer mit noch mehr Eisbrand, Erinnerungen und einem Lied, dass sie so mochte...

Eine fabelhafte Nacht. Trotz dem dunklen Anlass.

Nach Stunden verzweifelt – fröhlichem Umtrunk setzt sich ungefragt ein Kerl an ihren Tisch. Sie kennen den noch nicht, lassen ihn erst mal reden, und Eisbrand ran schaffen.

Der Typ nennt sich Freddie, ist so um die 50 Jahre alt, schlampig frisiert und nachlässig gekleidet. Eigentlich kein natürlicher Umgang für die drei. Aber es is ne besondere Nacht. Also lässt man ihn reden. Und er redet:

„Hier, hier kann man es noch fühlen... da ist immer noch ne kleine Beule.“ Der Freddie hat sich vor gebeugt um ihnen seinen Schädel zu präsentieren. Sie gucken nur kurz. Fassen ihn nicht an. Der Typ redet weiter:

„War letztes Jahr. Ich war auf ner fidelen Feier von so Handelsvertretern die in Sachen Teppichreinigung unterwegs sind. Haben ordentlich was aufgefahren, die Herren, das kann ich euch sagen! Ich also heftig zu gelangt, vor allem vonne Spirituosen, kann man sich ja denken. Hab dann n kleinen Anfall von Husten und Niesen bekommen. Und die Scheißkerle denken doch glatt ich wär so ne Virusschleuder!

Haben mich Ruck Zuck rausgeschmissen, die Idioten. Und als ich da so zwischen den Ascheimern lieg, kommt da so n Zwerg angeschwebt. Echt jetzt, der is geschwoben, oder wie das heißt. Und der Zwerg glotzt mich an wie n saftigen Braten. Ich krieg so richtig Schiss, nörgel ihn an das er sich verziehen soll. Aber der... der zeigt nur nach oben, so... mit seinen Zwergenfingern. Ich guck also hoch. Und Zack...! Kommt da so n Licht, richtig grell und irgendwie elektrisch, das hat mich glatt weg gesaugt. Nach oben, oder irgendwo sonst hin. Hab da nix mehr gespürt von wegen Richtung. Voll weg getreten!“

Kunstpause.

„Ich werd wieder wach, und spür das da irgendwas nicht ganz in Ordnung is. Der Kopp tut mir weh, und irgendwas über mir is am surren und vibrieren. Dann wird mir kotzübel, im nächsten Moment hab ich Hunger. Komisch, denk ich mir noch. Ich mich also am umgucken. Und da sind noch mehr von diese Zwerge, hampeln in ner Gegend rum und quietschen  so ulkig. Wie so ne ganz andere Sprache. Und dann seh ich mich selber. N Spiegelbild von so ner glatten polierten Platte. Ich sitz da so, ganz normal, und über mir schwebt so Ding das aussieht wie ne stinknormale Flasche, nur das da so Dinger... so Arme rauskommen. Und diese Arme sind in

meinem Kopp drin! So richtig in mein Gehirn drin! Und ich denk: Das kann ja wohl nich angehn! Was soll der Scheiss hier? Will ich fragen. Krieg aber keinen Ton raus. Dann kommt wieder so n Zwerg, stellt sich vor mir auf und wackelt mit seinem Finger. Und wieder... Zack! Ich werd wieder wach. Liege da wieder zwischen den Aschtonnen und der Detz tut mir banig weh. Ich hingetastet, und fühl da diese enorme Beule! Da is mir denn auch der ganze Rest wieder eingefallen, von den komischen Zwergen und dem surrenden Dingens da über meinem Kopp. Scheiße, denk ich, waren das etwa Außerirdische? So richtige Aliens? Und ich denke, Freddie, jetzt

biste aber n bisschen übergeschnappt! Aber was soll das denn sonst gewesen sein, meine Herren? Bitteschön... wenn da jemand ne palauversive, oder wie das heißt, Lösung hat, dann immer her damit!“

Paco guckt nur.

Kurti denkt sich gerade was aus.

Und Mustafa will gerade etwas sagen.

Als Mommsen höchst per und sönlich an ihren Tisch kommt und meint:

„Freddie, du alter Kackspecht! Du sollst mir nich immer meine Gäste belästigen! Auch wenn de letztens vom Bus überfahren wurdest, haste nich das Recht die Leude voll zu sülzen, du Breitbirne! Jetzt sieh zu das de Land gewinnst, oller Märchenonkel!“

Und zu uns gewannt:

„Sorry Jungs, aber der Knallkopp kommt jetzt immer öfters, und ich hab nich das Herz ihn immer wieder weg zu jagen. Is n verdammter Quasselkopp, aber sonst harmlos. Hat er euch all zu sehr genervt?“

„Nö, geht schon,“ sagt der Paco.

„Möge sein Verstand im Jenseits braten,“ rät der Mustafa.

„Schwache Story,“ sagt Kurti, „kein Vergleich mit der Doris!“

Und da stimmen ihm alle zu. Man trinkt noch einen Eisbrand ihr zum Gedenken, dann zerstreuen sich alle wieder, mal hierhin, mal dorthin.




Text: harryaltona (2023)

Cover: Pixabay#


0

Hörbuch

Über den Autor

HarryAltona
Über mich gibt es nichts interessantes. Aber jetzt auch mit schönen bunten Bildern.

Leser-Statistik
20

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
Brubeckfan Lieber Harry, so stinknormal am Schreibtisch liest sich Deine Milieustudie fröstelnd bis schmunzelnd. Ich vermute/fürchte, sehr viel hast Du gar nicht erfunden.
Schöne Wendungen: "junge Verwachsene" und "Avatare ihrer hohlen Existenz".
Ja und wer so alles angeblich was sieht oder denkt, ob Zwerge oder Corona-Verschwörer, jedem nach Geschmack etwas Erhebendes.

Gut, Kurtie mal wieder zu begleiten.

Und nun gibts von Dir ja noch paar Neuigkeiten aus meiner Zwangspausenzeit ...

Viele Grüße!
Gerd
Vergangenes Jahr - Antworten
HarryAltona So ist die Welt, so war sie und so wird sie immer ( Bei ewig bin ich mir nicht sooooo sicher.) sein. Und wirklich jeder muss da seinen Senf drauf schmieren. Doch wenn der Senf angeblich nach Honig schmeckt sollte man vorsichtig sein.
Tausend Dank, Gerd.
lg... harryaltona
Vergangenes Jahr - Antworten
baesta Ach Harry, da haste ja wieder bestes social ingeneering betrieben und mir wieder mal ein Schmunzeln ins Gesicht gezaubert.

LG Bärbel
Vergangenes Jahr - Antworten
HarryAltona Dein Schmunzeln wärmt mir mein Herz. Und Kurti vermisst den Frühling.
Tausend Dank, Bärbel!!!
lg... harryaltona
Vergangenes Jahr - Antworten
Bleistift 
"NACHT BLEIBT NACHT..."
Tja, so einiges ist dabei leider auch den Bach hinunter gegangen,
vor allem was die speziellen Etablissements in Kurti's Welt betrifft...
Zum Glück ist wenigstens Mommsen's Magermilch – Palast vor einem unsäglichen Abgang bewahrt worden, allerdings sind nun auch nicht mehr alle Protagonisten an Bord, die dieses illustre Narrenschiff zu Kurti's Freude auf einen Hamburgischen Kurs hielten...
Aber zum Glück gibt es da ja immer noch Kurti, diesen rastlosen, nächtlichen Wanderer zwischen den restverbliebenen Kneipen, die ihn inspirieren und seine opulent ausgeschmückten Geschichten darüber... ...smile*
Merci, mein Lieber für Kurti's Überlebenseindrücke aus den Abenteuervierteln deiner superinteressanten Hansestadt... ...smile*
LG zu Dir an die platte Nordseeküste aus dem politisch changierenden Berlin... ...smile*
Louis :-)
Vergangenes Jahr - Antworten
HarryAltona Moin,
Kurti hat ´s mit Freude vernommen.
Und was die Politik in unserer Hauptstadt betrifft: Wir haben hier Ampelschaltungen an der Bundesstraße, die brauchen länger um die Farben zu wechseln.
Dir weiterhin kreative Lebensgeister.
Tausend Dank, Louis!!!
lg... harryaltona
Vergangenes Jahr - Antworten
Kornblume Mensch Harry, du kannst Leute kennen.
Freddi ,Doris, Pasco,Mustava, Kurti alles Typen für die sich nur wenige interessieren und trotzdem sollte man aufhorchen bei Zwergen und Lichtern von oben. Kenne Jemanden der behauptet Außerirdische hätten ihn entführt und glaub mir, man hat ihn wieder rausgelassen aus der Klapse, weil seilbst die Pfleger sich nicht sicher waren ob da nicht wirklich was dran sein könnte.
Glaubwürdige Grüße an Dich schickt die Kornblume
Vergangenes Jahr - Antworten
HarryAltona - lach - Ja... die augenscheinlich Verrückten. Was wäre das Leben langweilig ohne sie, sofern sie harmlos bleiben.
Tausend Dank, Kornblümchen!!!
lg... harryaltona
Vergangenes Jahr - Antworten
FLEURdelaCOEUR Sehr gern gelesen, diese für mich so fremde Welt, die du so gekonnt beschreibst!
Liebe Grüße
fleur
Vergangenes Jahr - Antworten
HarryAltona Und immer wieder gerne.
Tausend Dank, Fleur!!!
lg... harryaltona
Vergangenes Jahr - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
14
0
Senden

170090
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung