Journalismus & Glosse
Kleinigkeiten aus der Großstadt - Nummer 7

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"Wahre Begebenheiten"
Veröffentlicht am 26. September 2020, 12 Seiten
Kategorie Journalismus & Glosse
© Umschlag Bildmaterial: lynx, "Subway", piqs.de
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Getauft, Geschieden, Geimpft: 3G also, tretet näher, Herrschaften! Was ich so schreibe, ist natürlich erlebt, erlauscht, erlesen und erlogen; von alberich bis böse oder dunkeltrüb, und mit Vorliebe gereimt. Erfreue mich an Musik verschiedener Richtungen, an Literatur und natürlich an Menschlichem wie Situationskomik und liebevolle Reaktionen abseits des jeweiligen Business'. Solange ich die komische Seite der Dinge erkenne, geht's mir gut -- und ...
Wahre Begebenheiten

Kleinigkeiten aus der Großstadt - Nummer 7

Nachlese: Sommersonntag

In der Köpenicker Altstadt biegt man um die Ecke und befindet sich plötzlich auf einer Flußpromenade an der Rückseite der kleinen Lokale. Deren Terrassen sind gut besucht, daneben liegen Leute im Gras. Jedermann sonnt sich heute so gern. Getränke und Speisen im Café heißen Wonneproppen, Seitensprung oder Teufelsbraten. Sitzende, Liegende und Flaneure blicken über das glitzernde Wasser auf die vorbeigleitenden Jollen, Dampfer und Lastkähne. Ein Achter wird von einem monotonen Trommler syn-chronisiert – Galeerensträflinge des

Sports. Die Mietshäuser am Ufer gegenüber stehen nur wenige Schritte vom Wasser entfernt; für derlei Panorama fliegt mancher sonst nach Venedig. Alles wird umrahmt vom satten Grün, das jedem bißchen Regen der letzten Sommer-wochen dankbar ist. Die zarte Japanerin neben mir macht sich traditionsgemäß mit einem Fächer Luft, dessen lila Muster auch noch exakt zu ihrer Bluse und ihren Fußnägeln paßt. Vor dem Köpenicker Rathaus lauscht eine Gruppe einem kostümierten

„Hauptmann“. Irgendwann gibt es hier auch wieder Konzerte im Keller oder im Hof. Doch, ja, es gibt ein Leben vor dem Tode, und es ist ganz einfach.




Das Messer

Als wir Kinder waren, brachte unser Vater ein imposantes breites Brotmesser an. Sorgsam schärfte er es in gewissen Abständen. Fünfzig Jahre später ging es ans Auf-lösen der elterlichen Wohnung. Da fand sich neben anderen längst vergessenen Erinnerungsstücken dieses Messer, nun als dünnes Riesenstilett. Fünfzig Jahre beharrlich schneiden und schleifen, wer weiß schon, ob das be-wundert oder belächelt werden will. Wegwerfen war jedenfalls nicht das Ding

der Leute, die im Krieg aufgewachsen waren.

Ärger

Vieles ärgert uns täglich zu Recht: Ungerechtigkeiten der Welt. Sprech-blasen voll heißer Luft. Steuerver-schwendung. Städteplanung. Vergäng-lichkeit und Vergeblichkeit des Lebens. Hirnlose Namensvergabe, Fahrplan-gestaltung und Programm-Menüs. Zu schweigen von der verpatzten großen Liebe, die zur Strafe in irgendeiner Ge-dächtniswindung immer schöner werdend residiert, solange da Gedächtnis ist. Dann aber reißt der Schnürsenkel aus-gerechnet beim überstürzten Aufbruch, die Jalousie fliegt einem um die Ohren,

oder man zaubert aus dem Puddingpulver eine Knödelsuppe. Und, Verlust des Tages, die knackigen Kirschpralinen vom Vorjahr sind nun trockene graue Ruinen. Das erdet.



© 2020 Brubeckfan

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Über den Autor

Brubeckfan
Getauft, Geschieden, Geimpft: 3G also, tretet näher, Herrschaften! Was ich so schreibe, ist natürlich erlebt, erlauscht, erlesen und erlogen; von alberich bis böse oder dunkeltrüb, und mit Vorliebe gereimt. Erfreue mich an Musik verschiedener Richtungen, an Literatur und natürlich an Menschlichem wie Situationskomik und liebevolle Reaktionen abseits des jeweiligen Business'. Solange ich die komische Seite der Dinge erkenne, geht's mir gut -- und das ist allermeistens.

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Enya2853 Lieber Gerd,
sie gefallen mir gut, deine Kleinigkeiten aus der Großstadt.
Sommersonntag - Momentaufnahmen, fein beobachtet, die in der Erinnerung vielleicht zu einem fast endlosen Augenblick werden können.

Die Geschichte mit dem Messer weckt Bilder bei mir. Mein Großvater hantierte mit einem solchen und mochte es nicht, wenn Oma es in die Hand nahm. Es landete bei meiner Mutter, wurde aber kaum benutzt und lag in der Schublade eines alten Küchentisches - wie vieles, das man nicht wegwerfen wollte.

Und Ärger?
Ach, wer will, kann sich ständig ärgern.
Es gibt Menschen, die ihn suchen.
Es lohnt meist nicht. Die Dinge, über die wir uns ärgern, scheren sich einen Dreck darum. Sie sind und geschehen.

Hat Freude gemacht, deine Kleinigkeiten zu lesen.
Liebe Grüße
Enya
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Schön, ich freue mich, das zu lesen, liebe Enya. Und herzlichen Dank für alle Geschenke.
Viele Grüße!
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
AngiePfeiffer Hi Gerd.
Schöne Kleinigkeiten hast Du uns geschenkt.
Na ja - und irgendwie hab' ich einen Permantentkoffer in Berlin.
Weil - habe vor Urzeiten dort gewohnt. War ne tolle, wilde Zeit an die ich gern zurückdenke.
Auch die Sache mit dem Messer - bei mir wars der Küchentisch im Gelsenkirchener Barock ....
Siehst du - so liest jeder die Geschichten auf seine Weise.
Grüße
Angie
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Von dem "Barock" habe ich schon gehört...
Ja, und unsere Erben bekommen mal so Uraltsachen wie Berge von Papierbüchern, und was macht man mit den vielen großen schwarzen Scheiben mit Loch. Das Buch von myStorys werden sie aufheben.
Herzlichen Dank!
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
Gast 
"Kleinigkeiten aus der Großstadt - Nummer 7..."
Ha, das ist wieder eine der tollen Geschichten, die ich gerne bei Dir lese.
Von mir dafür ein ♥, auch wenn es leider nur virtuell ist, da ich immer noch
im Pausenmodus dahinvegetiere... :-/
Die Köpenicker Altstadt kenn' ich sehr gut, weil ich da für den Hauptmann
intensiv recherchiert habe und mir manchmal auch das sommerliche Drachenbootrennen auf der Spree anschauen durfte... ...smile*
LG
Louis :-)

Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Köpenick muß man als Berliner kennen; den Breitscheidplatz nicht unbedingt.
Auch wenn Du von meiner Antwort nun nichts erfahren wirst, sage ich Dir vielen Dank, und Winkewinke.
Alles Gute,
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
Miranda Lieber Gerd,
die Sache mit dem Satz " Bloß nicht wegwerfen" kenne ich ebenfalls.
Ich erlebe es ja immer, wenn mein Mann im Keller rumkramt und diese Kellergeschichte war keineswegs erfunden! Aber zu deinen Kleinigkeiten: Interessant geschrieben, kleine Perlen im Alltag, damit meine ich besonders die Japanerin. Schön wenn man für das alles noch einen Blick hat.
Viele Grüße
Sigrid
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Das ist schön, liebe Sigrid, herzlichen Dank!
Die zart herbe Note dabei ist, daß ich die Ruhe zum Betrachten erst habe, seit mein Plappermäulchen woanders wohnt. Womit wir wieder bei Deinem Kellerbuch wären.
Viele Grüße,
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR Habe deine Miniaturen sehr gern gelesen.
Das mit dem Brotmesser kenne ich sehr gut aus der eigenen Familie ...
Herbstlichen Sonntagsgruß
fleur
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Um es anders zu machen, was habe ich schon entsorgt oder verschenkt. Und bin immer noch reichlich mit allem Kram ausgestattet. Na ja, bißchen Mühe sollen die Erben ja dermaleinst auch haben.
Viele Grüße zurück,
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
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