Kurzgeschichte
Die Frau mit dem weißen Haar

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"Für Mom"
Veröffentlicht am 11. Juni 2017, 4 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: Memory
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Über den Autor:

Meistens bin ich ruhig. Im wahren Leben habe ich einen Mann, zwei Töchter, eine Hand voll Enkelkinder, zwei Katzen und alle zusammen leben wir im Süden Deutschlands. Wenn ich nicht schreibe, fotografiere ich, denn Fotos sind für mich auch kleine Geschichten - wenn man sie lesen kann. Ansonsten bin ich optimistisch, (fast) immer gut drauf und stehe mit beiden Beinen fest im Leben. Ergänzung: Das wahre Leben gibt es nicht mehr. Ich musste ...
Für Mom

Die Frau mit dem weißen Haar

Die Frau mit dem weißen Haar Sie sagt zu mir, mein Mann sei tot. Wer war dieser Mann, mein Mann? Ich stehe an einem Grab und schaue auf schöne Blumen. Suchend erwarte ich meine Mutti, aber sie sagt, auch sie sei gestorben. Schon vor sehr sehr langer Zeit. Wer ist dieses ICH, mit dem sie redet? Auch ich rede. Spreche alles aus, was mir durch den Kopf geht. Meinem Kopf. Sie lächelt und meint,

ich habe einen guten Tag.

Ist mein Tag gut? Was ist überhaupt gut? Kann ein Tag gut sein, wenn mich so viele Fragen quälen, deren Antworten ich nicht verstehe? Plötzlich dieses Zimmer. Mein Zuhause nennt sie es. Das Zimmer, in dem mir alles fremd ist. Aber ich kenne die Wolldecke, die von unserem Garten. Von unserem? Sie zeigt mir einen großen Spiegel und ich sehe eine unbekannte Frau, die den Kopf schüttelt. Auch ich schüttele den Kopf, suche das Kind und finde es nicht.

Meine Haare sind wunderschön rot, die im Spiegel sind weiß. Wieder lächelt sie mich an. Sie, die mich Mama nennt. Plötzlich ist es still und ich werde in den Arm genommen. Das ist so viel besser, als all die Worte, deren Sinn ich nicht verstehe. Ich möchte, dass es für immer anhält. Als sie geht, bleibe ich zurück. Fremd in diesem Zimmer, fremd in mir. © Memory (Juni 2017)

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Hörbuch

Über den Autor

Memory
Meistens bin ich ruhig.
Im wahren Leben habe ich einen Mann, zwei Töchter, eine Hand voll Enkelkinder, zwei Katzen und alle zusammen leben wir im Süden Deutschlands.
Wenn ich nicht schreibe, fotografiere ich, denn Fotos sind für mich auch kleine Geschichten - wenn man sie lesen kann.
Ansonsten bin ich optimistisch, (fast) immer gut drauf und stehe mit beiden Beinen fest im Leben.
Ergänzung:
Das wahre Leben gibt es nicht mehr. Ich musste meinen Mann, meine große Liebe, ziehen lassen. Seit dem steht die Welt still.

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sugarlady Liebe Sabine, dein Buch, berührt mich noch inmer. Wer weißes Haar besitzt, hat eine lange Lebensgeschichte hinter sich. Auch Trauer. Ein Buch, dass zu Herzen geht.
Leider kein Geschenkpaket dabei, weil schon vergeben.
Lieben Gruß und noch friedliche Restweihnachten an dich
Andrea
Vor langer Zeit - Antworten
Memory 
Danke dir, liebe Andrea. Ich freue mich, dass du noch einmal hier warst.
Gerade zu Weihnachten fehlen mir meine Eltern besonders.
Lieben Gruß und guten Rutsch
Sabine
Vor langer Zeit - Antworten
Enya2853 Liebe Sabine
Das sind sehr berührende Worte, so tief, so voller Schmerz, aber auch Liebe. Es ist, als seist du hineingeschlüpft in ein Ich, das noch fühlt, die Worte aber nicht mehr findet.
Hast deine Stimme gegeben, stellvertretend für so viele, die sich verlieren, aber doch so viel an Zuneigung brauchen und genau das auch wahrnehmen. Dessen bin ich sicher. Danke dafür.

Liebe Grüße
Enya
Vor langer Zeit - Antworten
Memory 
Dankeschön, liebe Enya ♥
Ganz liebe Weihnachtsgrüße
Sabine
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Liebe Sabine,
ein ehrlicher und beeindruckender kleiner Text. Dazu sagt die Sommerwiese, es gibt noch immer schönes.
Viele Grüße!
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
Memory 
Zum Glück gibt es immer wieder die Sommerwiese und die Sonnenstrahlen, die auch noch das müde Gehirn erreichen können.
Danke, lieber Gerd, für dein Hiersein und die Taler.
Lieben Gruß
Sabine
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Ein berührender Text, der sowohl Trauer als auch Hilflosigkeit ausdrückt ... und Liebe. Mit herzwarmen Worten beschreibst Du diese Gefühle, liebe Sabine.
Nach dem Besuch eines uns nahestehenden Menschen, der an Demenz erkrankt ist, bleibt nur Ratlosigkeit und die Hoffnung, dass in der verhüllten Welt des/r Kranken ab und zu ein Lichtstrahl dringt.
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
Memory 
Lichtstrahlen dringen durch, das spüre ich auch bei den alten Menschen, mit denen ich arbeite. Kinder, Tiere und Musik bewirken immer Wunder.
Traurig finde ich, dass sie sich so vollständig selbst verlieren.
Danke dir, liebe Kara, für dein Hineinfühlen und auch für den Favo.
Lieben Gruß
Sabine
Vor langer Zeit - Antworten
sugarlady Tiefgreifende Worte und die Trauer kann man spüren.
L.G. Andrea
Vor langer Zeit - Antworten
Memory 
Danke dir, liebe Andrea. Ich freue mich über deinen Besuch und die Geschenke.
Lieben Gruß
Sabine
Vor langer Zeit - Antworten
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