Kurzgeschichte
Familienfeier - Auftakt - Randbeitrag FB 61

Familienfeier - auftakt

Stau am Freitagnachmittag auf der Avus, wie so oft. “Was wird das jetzt? Wir müssen noch vor 17 Uhr im Hotel sein, dann schließt die Rezeption“, seufzte Susanne qualvoll. “Herrje, dann wird sich doch noch was anderes finden, oder wir schlafen bei Lilly auf der Couch!“, entgegnete Jonny gelassen. „Ändern können wir es eh nicht! Oder soll ich hier etwa unerlaubt auf die Standspur gehen?“ Und schon nahm er die nächste Ausfahrt und schlängelte sich mühsam durch die die Stadt, Richtung Berlin-Mitte. Zeit gespart hatten sie vermutlich nicht, doch

Susanne versuchte, sich zu entspannen. “Du kannst ja gerne bei Lilly schlafen, sie ist immerhin deine Ex. Aber ich schlafe dort definitiv nicht! Finde es schon unseriös und abartig, dass ich überhaupt mit dir dorthin fahre.“

“Aber Sunny, es ist doch nur wegen Laras Einschulung. Sie möchte eben die family komplett um sich haben! Hatten wir da nicht gemeinsam zugestimmt?“ Sie erreichten ihr Hotel gerade noch rechtzeitig, erhielten die Chipkarte für ihr Zimmer und einen Stadtplan. Hatten noch etwas Zeit, sich frisch zu machen, in einem Badezimmer mit altmodischer Deckentäfelung aus den frühen achtziger

Jahren. Der Toilettenpapierhalter hatte auch schon etliche Jahre auf dem Buckel, sah ziemlich verkeimt aus … Aber das ältliche Garni-Hotel lag sehr günstig, um die Ecke herum wohnte Lilly mit Alex, ihrem neuen Mann, und Lara, Jonnys Tochter … Als sie bei Lilly und Alex eintrafen, war da schon volles Haus, Lilly hatte mehrere Geschwister. Auch ihre Eltern waren schon da, aber Alex hatte niemanden und hielt sich sehr zurück. Die Party war im Gange, Lara war glücklich, ihren Paps bei sich zu haben und strahlte auch Susanne an. Lillys Mutter reichte immer wieder selbst gemachte Häppchen und gefüllte Blätterteigtaschen herum. Der Vater – ein Gesicht, zerfurcht wie

eine Vulkanlandschaft - saß still in der Ecke und fummelte unentwegt an seinem Handy. Er hatte sich verschiedene Sternbilder auf seine Unterarme tätowieren lassen. Bald verabschiedete er sich, um schlafen zu gehen. Auch Lara musste ins Bett, am nächsten Morgen war ja die Einschulungsfeier im ‚Generalspalast’, wo alle Eltern und sonstige Angehörige mit dabei sein konnten. Jonny und Susanne gingen auch bald darauf in ihr Hotel und nahmen im Bett noch einen Schluck aus der Minibar, bevor sie den Fernseher abstellten… Am nächsten Morgen staunten die beiden nicht schlecht, als sie in einer Ecke des Frühstücksraums Lillys Vater mit einer

wesentlich jüngeren, ihnen unbekannten Schönheit in sehr verfänglicher Pose sitzen sahen, sozusagen, fast in flagranti … Schnell versteckten sie sich hinter der Berliner Zeitung, um nicht erkannt zu werden. “Wusstest du, dass er hier im Hotel übernachtet, wo doch seine Frau bei Lilly schläft?“, fragte Jonny stirnrunzelnd. “Sie sagte mir, dass er sehr schnarcht und sie ihn zum Schlafen nicht mehr im Bett haben will“, entgegnete Susanne mit mokantem Lächeln. „Selber Schuld! Aber die beiden sind so ungleich, den macht auch der Morgentau nicht mehr frisch!“ © fleur 2017