mySTORYs Schreibratgeber
Für Anfänger und Fortgeschrittene

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Erzählkunst

Mal so, mal so erzählen

Autoren haben es nicht leicht. Ob sie etwas Biographisches schreiben oder sich eine Geschichte ausdenken, ob sie eine Lebensgeschichte oder einen Krimi niederschreiben, einen Roman oder eine Kurzgeschichte. Nie können sie einfach so hintereinanderweg erzählen. Denn einerseits ist selbst im dicksten Wälzer der Platz begrenzt, andererseits – und das ist viel wichtiger – ist es auch die Geduld des Lesers.

Zwingende Gründe dafür, gut darüber nachzudenken, welche Ereignisse erzählt werden, welche Aufmerksamkeit man diesen widmet und in welcher Weise man sie erzählt.

1. Auswählen und gewichten

1.1. Aller Anfang ist schwer

Eine erste Auswahl muss der Autor bereits treffen, wenn er sich entscheidet, mit welchem Ereignis er die Geschichte beginnt. Nicht jede Erzählung kann mit der Geburt ihres Protagonisten beginnen, häufig setzt man scheinbar willkürlich irgendwo mitten im Leben der tragenden Figur ein.

Willkürlich ist dabei ein wichtiges Stichwort, denn tatsächlich können unterschiedliche Aspekte den Autor bewegen, gerade diesen oder jenen Anfangspunkt zu wählen. Die Entscheidung liegt also in seiner Hand. Will er aber eine stringente Geschichte erzählen, ist ihm ein deutlicher Rahmen gesetzt: der Hauptkonflikt bzw. die Prämisse!

Wenn die Geschichte von Toms schwieriger Liebesbeziehung zu Lena erzählt werden soll, macht es in den seltensten Fällen Sinn, mit Ereignissen in Toms Leben zu beginnen, die Jahre vor dem ersten Kennenlernen von Tom und Lena liegen.

Der Detektiv, der in ein Duell mit einem besonders gewitzten Killer treten soll, wird nicht im Beisein des Lesers vorher noch drei andere Fälle lösen.

Den Ritter, der ausziehen soll, die Prinzessin vor dem Drachen zu retten, werden wir kaum als Knappen in der Ausbildung erleben.

Wo der Anfangspunkt einer Geschichte gesetzt wird, hängt also vor allem von der Geschichte ab, die der Autor erzählen will. Er wird in der Regel sehr nah an dem Ereignis liegen, das den zentralen Konflikt auslöst.

1.2. Bahnstrecke Prämisse

Zur Prämisse gibt es einen eigenen Artikel, der zeigt, wie er Autor sie wie einen Wegweiser oder ein Rezept verwenden kann, um vom Anfangspunkt seiner Geschichte zu deren Ende zu kommen.

Denn wie schon beim Anfangspunkt der Geschichte, muss der Autor auch die weiteren Handlungspunkte, die erzählt werden sollen, festlegen, wobei er sich wiederum an der Entwicklung des zentralen Konflikts orientiert.

Man kann sich diese Handlungspunkte wie die Stationen an einer Bahnstrecke vorstellen. Weil sich der Leser nicht langweilen soll, setzt der Autor nicht etwa einen Bummelzug ein, der an jedem möglichen Haltepunkt stehenbleibt, sondern einen Schnellzug, der nur an ausgewählten Orten hält.

Wo der Zug haltmacht, hängt von der Wichtigkeit des „Ortes“ für die Entwicklung des Konflikts ab. Entsprechend ist auch die Länge des Aufenthaltes unterschiedlich.

Der Leser will nur dann beim Frühstück des Drachen jagenden Ritters verweilen, wenn dort Entscheidendes passiert, das den Helden auf seiner Jagd voranbringt.

1.3. Erzählen oder spielen?

Wie schon angedeutet geht es nicht nur darum, wo der Zug überhaupt anhält, sondern auch darum, wie lange er jeweils verweilt. Darum also, wie intensiv und ausführlich ein Ereignis im Text behandelt wird.

Sagen wir, unser Heldenritter soll den entscheidenden Hinweis darauf, wo sich die Drachenhöhle befindet, von einer alten Frau bekommen. Dass das im Text auftauchen muss, ist klar, weil sich der Leser sonst fragen würde, wie der Ritter den Weg dorthin findet. Das Gespräch mit der Alten ist also für den Fortgang der Handlung notwendig.

Es bleibt aber die Frage, wie ausführlich dieses Gespräch wiedergegeben werden muss. Denn es würde ja reichen etwa den folgenden Satz zu verwenden:

Ritter Kunibert traf auf dem Weg eine alte Frau, die ihm erklärte, er müsse dem verwunschenen Fluss folgen, um zur Höhle von Smog zu gelangen.

Dem Ereignis wird auf diese Weise wenig Gewicht verliehen. Der Autor möchte sich möglicherweise eher auf die folgenden Ereignisse am verwunschenen Fluss und/oder die tatsächliche Begegnung mit dem Drachen konzentrieren.

Er könnte dem Gespräch mit der Frau aber auch mehr Gewicht verleihen wollen. Vielleicht weil sie eine interessante Figur ist, die später noch eine Rolle spielt und die es hier vorzustellen gilt. Oder weil im Gespräch bereits die bedrohliche Stimmung anklingen soll, die für den Leser die Spannung erhöht. Es kann auch einfach sein, dass die Frau noch mehr Wissen über den Drachen besitzt, das sie im Gespräch vermittelt. Die Gründe können vielfältig sein, warum sich der Autor entscheidet, dem Ereignis mehr Gewicht zu verleihen.

Schon aus der Ferne sah Ritter Kunibert eine Weggabelung und fragte sich, welche Richtung er nun einschlagen sollte. Als er gerade beschlossen hatte, eine Rast einzulegen, um auf eine Eingebung zu hoffen, welcher Weg der richtige sei, entdeckte er zwischen den Büschen eine alte Frau, die ihm bis dahin gar nicht aufgefallen war. Sie hockte neben einem Korb, der schwer mit Feuerholz beladen war, und die Last schien sie zu überfordern.

Als Kunibert von seinem Ross stieg, bot sie ihm einen Handel an. Trüge er ihr den Korb zu ihrem Heim, wolle sie ihm den richtigen Weg zu seinem Ziel verraten. Der Ritter ließ sich auf das Geschäft ein und das war gut so. Denn obgleich die Alte ihm nicht verriet, dass es bis zum späten Abend dauern sollte, bis sie ihr Heim erreichten, hielt sie ihren Teil der Abmachung ein.

So erfuhr Ritter Kunibert, dass keiner der Wege ihn zum Drachen Smog führen würde. Stattdessen riet ihm die Alte, umzukehren und dem kleinen Bach zu folgen, den er drei Tage zuvor überquert hatte. Dieser führe ihn zum verwunschenen Fluss, der wiederum den direkten Weg zur Höhle von Smog darstellte …

Im Gegensatz zum ersten Beispiel wird hier ein und demselben Ereignis im Kontext der Geschichte deutlich mehr Bedeutung zuerkannt. Dennoch handelt es sich in beiden Fällen um narratives Erzählen.

2. Narratives Erzählen

Beim narrativen Erzählen handelt es sich um eine Form des Erzählens, die für sich betrachtet erst einmal nichts damit zu tun hat, ob einem Ereignis Gewicht verliehen wird oder nicht. Wie in den Beispielen oben gesehen, kann man von einem Ereignis ausführlicher oder weniger ausführlich narrativ berichten.

2.1. Berichtendes Erzählen

Das berichtende Erzählen, wie man narratives Erzählen auch nennt, ist demnach einfach ein stilistisches Werkzeug des Autors, das vielfältig eingesetzt werden kann. Es entspricht dem klassischen Erzählvorgang, weshalb es vom lateinischen narrare = erzählen abgeleitet ist.

Wer von zurückliegenden Ereignissen erzählt, gibt diese normalerweise nicht 1:1 wieder, sondern fasst sie zusammen. Dabei lassen sich beliebig große Zeiträume mehr oder weniger gestrafft darstellen.

So können etwa Wegstrecken zusammengefasst werden:

Ritter Kunibert war drei Tage unterwegs, bis er erneut auf den Bach traf, dem er nun folgen sollte.

Ereignisse:

Bevor Ritter Kunibert in der Höhle sein Nachtlager aufschlagen konnte, musste er erst den Vormieter, einen riesigen Braunbären, vertreiben. Anschließend fiel er in einen unruhigen Schlaf.

Gespräche:

Die Alte erklärte Ritter Kunibert den Weg sehr ausführlich, ließ nicht den kleinsten Baum am Wegesrand aus und versäumte es ebenso wenig, jede mögliche Gefahr genussvoll auszuschmücken.

2.2. Brücken schlagen

Gerade diese Möglichkeit, beim Erzählen zusammenzufassen, ist es, die das narrative Erzählen alternativlos macht, will man notwendige, aber nicht übermäßig interessante (spannende) Informationen platzsparend im Text unterbringen.

Selbst der Autor, der seinen Text überwiegend nicht narrativ, sondern szenisch gestalten will, wird kaum ganz ohne narrative Passagen auskommen. Sie dienen etwa dazu, Brücken zwischen den einzelnen Szenen zu schlagen.

Wenn Ritter Kunibert von Drache und Prinzessin erfahren und beschlossen hat, den einen zu besiegen, um die andere zu befreien, wird er kaum vom Frühstückstisch aufstehen und mit dem nächsten Schritt in der Drachenhöhle stehen.

Für den Weg dorthin und manches kleinere, aber notwendige Ereignis bietet sich dann die narrative Erzählweise an, falls sie nicht ohnehin den Ton des Romans bestimmt.

3. Szenisches Erzählen

Wer szenisch erzählen will, wählt damit zunächst auch einfach ein stilistisches Mittel, das mit der Gewichtung nach Bedeutsamkeit für den Text nicht unmittelbar verbunden ist.

3.1. Die Liebe zum Detail

Da sich szenisches Erzählen aber gerade dadurch auszeichnet, dass es ein Ereignis weitestgehend 1:1 abbildet, das also gar nicht oder kaum gerafft und zusammengefasst wird, fehlt jeder szenischen Darstellung weitestgehend die Möglichkeit, ein Ereignis als weniger bedeutend darzustellen als ein anderes.

Anders ausgedrückt, die szenische Darstellung bringt immer ein Höchstmaß an Ausführlichkeit und Detailliertheit mit sich, das sich nur wirklich abschwächen lässt, indem man nicht mehr szenisch, sondern narrativ erzählt.

3.2. Mittendrin statt nur dabei

Wie der Begriff schon sagt, orientiert sich szenisches Erzählen an dramatischen Szenen, wie wir sie von Theater und Film kennen. Szenisches Erzählen vermittelt daher den Eindruck für den Leser, als sei er direkt bei den Ereignissen dabei, könne den Helden der Geschichte quasi über die Schulter schauen.

Dementsprechend ist auch der wörtlich wiedergegebene Dialog untrennbar mit szenischem Erzählen verbunden. Das Gleiche gilt für erlebte Rede.

Der direkte Vergleich zum zweiten Beispiel aus 1.3. sollte die Unterschiede deutlich machen:

1. narrativ:

Schon aus der Ferne sah Ritter Kunibert eine Weggabelung und fragte sich, welche Richtung er nun einschlagen sollte. Als er gerade beschlossen hatte, eine Rast einzulegen, um auf eine Eingebung zu hoffen, welcher Weg der richtige sei, entdeckte er zwischen den Büschen eine alte Frau, die ihm bis dahin gar nicht aufgefallen war. Sie hockte neben einem Korb, der schwer mit Feuerholz beladen war, und die Last schien sie zu überfordern.

Als Kunibert von seinem Ross stieg, bot sie ihm einen Handel an. Trüge er ihr den Korb zu ihrem Heim, wolle sie ihm den richtigen Weg zu seinem Ziel verraten. Der Ritter ließ sich auf das Geschäft ein und das war gut so. Denn obgleich die Alte ihm nicht verriet, dass es bis zum späten Abend dauern sollte, bis sie ihr Heim erreichten, hielt sie ihren Teil der Abmachung ein.

So erfuhr Ritter Kunibert, dass keiner der Wege ihn zum Drachen Smog führen würde. Stattdessen riet ihm die Alte, umzukehren und dem kleinen Bach zu folgen, den er drei Tage zuvor überquert hatte. Dieser führe ihn zum verwunschenen Fluss, der wiederum den direkten Weg zur Höhle von Smog darstellte …

2. szenisch:

Schon aus der Ferne sah Ritter Kunibert eine Weggabelung. Welche Richtung sollte er nun einschlagen? Er beschloss, eine Rast einzulegen. Vielleicht würde eine Eingebung ihm zeigen, welcher Weg der richtige war.

Plötzlich entdeckte er zwischen den Büschen eine alte Frau, die ihm bis dahin gar nicht aufgefallen war. Sie hockte neben einem Korb, der schwer mit Feuerholz beladen war. Die Frau atmete schwer und schaute ihm mit müden Augen entgegen.

Kunibert stieg von seinem Ross. „Ich wünsche Euch einen schönen Tag, gute Frau.“

„Wie soll das ein schöner Tag werden?“, erwiderte sie. „Der Korb ist schwer, das Heim nicht um die Ecke. Einen Gaul wie den Euren könnte ich gebrauchen.“

Ritter Kunibert ärgerte es, dass die Alte sein edles Tier einen Gaul schimpfte, doch gebot ihm die Ritterlichkeit, darüber zu schweigen. „Ich wollte Euch gern behilflich sein, doch drängt mich eine weit größere Aufgabe“, antwortete er daher.

„Ihr werdet ihn nicht finden!“, entgegnete die Alte.

„Wen?“, fragte Kunibert verwirrt.

„Smog, den Schrecklichen, den zu besiegen Ihr aufgebrochen seid.“

„Woher wisst Ihr davon?“

„Ich weiß vieles, so auch, welcher Weg euch zu dem Drachen führt.“

Das Beispiel zeigt schön, dass eine szenische Darstellung weit mehr Platz beansprucht als eine narrative.

Wenn Ritter Kunibert dann endlich auf den Handel eingegangen ist, bliebe zu überlegen, ob auch der lange Weg zum Heim der Alten szenisch erzählt werden sollte. Eine narrative Zusammenfassung wäre dann unter Umständen die bessere Wahl. Möglich auch, eine oder mehrere kleinere Szenen zu wählen, die dem Leser spannende Einblicke liefern, wie sich dieser Weg hinzieht und wie sich derweil die Beziehung zwischen dem Ritter und der Alten entwickelt.

Weniger offensichtlich ist, dass auch diese Szene narrative Elemente enthält. So ist der Einleitungssatz „Schon aus der Ferne sah Ritter Kunibert eine Weggabelung“ narrativ.

Das bringt uns zu der Frage, wie man narrative und szenische Elemente im Text mischen bzw. miteinander verbinden kann.

4. Übergänge schaffen

In der modernen Unterhaltungsliteratur wird in der Regel überwiegend szenisch erzählt. Zum einen sicherlich eine Anpassung an die Bedürfnisse der Leser, weil es eine Annäherung an filmische Stilmittel bedeutet. Zum anderen nachvollziehbar, weil es den Leser viel unmittelbarer am Geschehen teilhaben lässt.

4.1. Notwendige Narration

Wie schon gesagt, tauchen meist auch innerhalb einer Szene narrative Elemente auf. Sie fallen dem Leser (und oft auch dem Autor) kaum auf.

So wird sich niemand aus einer Szene herausgerissen fühlen, wenn er den Satz liest: Für eine Weile herrschte betretenes Schweigen. Weil der Satz zusammenfasst und nicht jedes Detail einfängt, das in der Zeit des Schweigens vor sich geht, ist er narrativ.

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Satz: Tina ging in die Küche. Falls Tina nicht schon steht, wird sie dazu aufstehen müssen, das Zimmer verlassen, den Flur durchqueren, um endlich in der Küche anzukommen.

Auch wenn Ritter Kunibert im obigen Beispiel vom Pferd steigt, spart sich der Autor all die Bewegungsabläufe ein, die dazu nötig sind, und – das will ich hier betonen – die der Zuschauer in einer Filmszene durchaus zu sehen bekäme.

Das ist nicht etwa der Faulheit des Autors zu verdanken, sondern der Rücksicht auf den Leser. Wenn es nicht mit einer gewollten Funktion zusammenhängt, spart der Autor all die Details aus, die ohnehin im Kopf des Lesers entstehen bzw. dort schon vorhanden sind. Der weiß nämlich, wie man von einem Pferd steigt oder sich die Zigarette anzündet. Allein deshalb würde ihn eine zusätzliche Beschreibung solcher Abläufe langweilen, wenn nicht gar nerven. Obendrein würde er sich fragen, welche Bedeutung jedes einzelne Detail nun für die Geschichte hat.

Solche narrativen Elemente sind also nicht nur kein Problem, sondern sogar unbedingt notwendig.

4.2. Szenen einleiten

Problematischer wird es, wenn rein narrativen Passagen eine szenische folgen soll. Nicht selten lese ich dann etwas in der Art:

Tagelang ritt Ritter Kunibert gen Osten. Auf seinem Weg durchquerte er viele Dörfer, in denen die Menschen über seine edle Kleidung und sein tapferes Streitross staunten.

„Es heißt Adeline“, erklärte er.

Der Autor trennt in so einem Fall nicht zwischen Zusammenfassung und Szene. Folgt man dem Text, gibt es gar keinen Anlass für den Ritter, den Namen seines Pferdes zu nennen. Schlimmer noch: Es fehlt jedes Gegenüber, dem er das mitteilen könnte. Und der Leser muss sich fragen, ob Kunibert diesen völlig zusammenhanglosen Satz einfach pro forma in jedem Dorf zum Besten gibt.

Offenbar ist es dem Autor wichtig, dass der Leser den Namen des Pferdes erfährt. Und er möchte ihn nicht einfach nennen, sondern diesem Umstand eine Szene widmen. Unterstellen wir mal, das sei in dem Beispiel tatsächlich angebracht.

Eine solche Szene braucht aber zumindest im Kopf des Autors einen konkreten Handlungsort, der sich möglichst auch im Text wiederfinden sollte, und handelnde Figuren. Und sie muss zumindest wage zeitlich gekennzeichnet sein. Also muss auf diese Faktoren hingeleitet werden, wenn man von einer narrativen Passage in eine szenische überleiten will:

Tagelang ritt Ritter Kunibert gen Osten. Auf seinem Weg durchquerte er viele Dörfer, in denen die Menschen über seine edle Kleidung und sein tapferes Streitross staunten. Meist getrauten sich die Leute nicht, ihn anzusprechen.

Doch in einem Dorf, in dem er nach einem langen Tagesritt übernachten wollte, näherte sich ihm ein Junge von vielleicht sieben Jahren. Bewundernd betrachtete er des Ritters Pferd und fragte schließlich: „Ist das Euer Ross?“

Kunibert nickte und antwortete: „Es heißt Adeline.“

Nach der narrativen Beschreibung der Reise des Ritters wird im zweiten Absatz ein zeitlicher Ausschnitt konkretisiert. Die Erzählung fokussiert auf einen bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort. Es geht nicht mehr um eine verallgemeinernde Betrachtung der Begegnungen des Ritter mit anderen Menschen, sondern um die konkrete Begegnung mit einem Jungen.

Damit wird eine Szene eröffnet, die sich anschließend vor dem Auge des Lesers entfalten kann.

4.3. Szene an Szene

Es ist durchaus möglich, eine Geschichte weitgehend oder ausschließlich in einzelnen Szenen zu erzählen, narrative Überleitungen also auszusparen. Das erfordert allerdings eine Menge Geschick, vor allem weil so manche wichtige Information unauffällig nachgereicht und in eine Szene eingeflochten werden muss, womit die Gefahr besteht, die Szene mit solchen Informationen zu überfrachten.

Die Geschichte wird in so einem Fall in zeitlichen Sprüngen erzählt, der Leser sozusagen von einer Station der Konfliktentwicklung zur nächsten geführt. Besonders hier ist es wichtig, die Szenen für den Leser formal (Absätze mit Leerzeilen), aber auch inhaltlich voneinander abzutrennen, damit dieser Zeit- und Ortswechsel sofort nachvollziehen kann.

Die Geschichte von Ritter Kunibert könnte etwa in folgenden Szenen erzählt werden:

1. Ritter Kunibert beim Frühstück auf seiner Burg. Ein Bote bringt ihm die Nachricht, dass die Tochter des Königs von einem Drachen entführt wurde und ihr Vater die Ritter des Landes um Hilfe bittet. Ritter Kunibert verliebt sich in das Bild des Mädchens, das der Bote bei sich trägt, und beschließt, sofort aufzubrechen.

2. Ritter Kunibert an der Weggabelung. Er trifft die alte Frau, die ihm anbietet, ihm den Weg zu verraten, falls er ihr den Korb nach Hause trägt. Im Gespräch äußert der Ritter, der verzweifelt ist, dass er bereits seit Wochen auf vergeblicher Suche ist. Er geht auf den Handel ein.

3. Ritter Kunibert am Haus der Alten. Die Frau hält ihr Versprechen und erklärt ihm den Weg zur Höhle von Smog. Dabei offenbart sie ihm, dass der verwunschene Fluss, dem er folgen soll, eine harte Prüfung darstellen wird. Keiner habe zuvor die zahlreichen Gefahren gemeistert und die Höhle des Drachen lebend erreicht.

4. – 8. Ritter Kunibert am verwunschenen Fluss. Er muss die zahlreichen Gefahren überwinden. In jeder Szene eine. Mit all seinem Mut, seinem Geschick und seiner Kampfkraft besteht er eine nach der anderen.

9. Ritter Kunibert bei der Höhle von Smog. Der Höhepunkt! In einem Kampf, der alle vorherigen noch übertrifft, besiegt der Ritter schließlich den Drachen. Am Ende der Szene steht er der Prinzessin gegenüber, die natürlich noch weit schöner ist als auf dem Bild.

10. Ritter Kunibert auf dem Schloss des Königs. Die Hochzeit! Happy End.

Veröffentlicht am 27.01.2011
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