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Geschmackssache

Heilbare Krankheit: Adjektivitis

Adjektive sind schädlich für den Text! Das hat sicher fast jeder Schreiber schon einmal irgendwo gehört. Aber ist das wirklich so? Oder verbreitet sich da seit Jahren ein Blödsinn, der seinerseits virusartig von einem Autor auf den nächsten übergreift? Schließlich sind Adjektive ein Teil der Sprache, der doch seine Berechtigung haben muss. Sie drücken Eigenschaften aus. Sie geben Menschen ihr Äußeres ebenso wie ihren Charakter, sie machen Landschaften farbig, verleihen den Objekten eine Form. Sie geben Auskunft über das Wie. Wird ein Text ohne Adjektive nicht farblos? Schauen wir uns diese verschmähten Wörter also genauer an!

1. Adjektiv – was war das noch?

Ich denke, die meisten wissen zumindest noch so ungefähr, was ein Adjektiv ist. Man nennt es auch Eigenschafts- oder Beiwort. Beides beschreibt recht gut, was ein Adjektiv ausmacht: Es steht bei etwas anderem und nennt eine Eigenschaft dieses anderen. Es charakterisiert es. Beispiele für Adjektive sind schön, schnell, stark, rot und geschickt. Im Satz: Er ist ein starker Kämpfer, charakterisiert das stark den Kämpfer.

Man erkennt ein Adjektiv also daran, dass es etwas anderes charakterisiert. Das kann ein Lebewesen sein oder ein Ding:

Sie ist eine schöne Frau.

Das ist aber ein putziger Hund.

Mir liegen große Steine im Weg.

Selbst abstrakte Begriffe können von einem Adjektiv näher bestimmt werden:

Nein, "nett" ist das falsche Wort.

In all diesen Fällen begleitet das Adjektiv ein Substantiv. Adjektive können aber auch andere Adjektive charakterisieren:

Das ist eine unheimlich spannende Geschichte. (Im Gegensatz zu: Das ist eine unheimliche, spannende Geschichte. Hier bestimmen beide Adjektive das Substantiv näher.)

Ebenso kann das Adjektiv Begleiter eines Adverbs sein:

Die Geschichte liest sich unheimlich spannend.

In allen bisherigen Beispielen wird das Adjektiv attributiv verwendet, das heißt, es tritt als unmittelbare Beifügung des Wortes auf, das näher bestimmt wird.

Das Adjektiv muss mit einem Substantiv aber nicht so unmittelbar verbunden sein, es kann auch mithilfe der Verben sein, werden, bleiben mit dem Substantiv verbunden sein:

Die Frau ist schön.

Der Text wird gut.

Die Geschichte bleibt spannend.

Wichtig: Weiterhin wird das Substantiv (Frau, Text, Geschichte) durch das Adjektiv charakterisiert. Wir sprechen jetzt nicht mehr von attributiver, sondern von prädikativer Verwendung des Adjektivs.

Jetzt müssen wir beim nächsten Beispiel genau auf den Unterschied achten:

Die Frau schreibt schön.

Nicht die Frau ist schön (zumindest sagt dieser Satz nichts darüber aus), sie schreibt schön. Das, was sie tut, ist also schön. Das Adjektiv bezieht sich auf das Verb schreiben. In diesem Fall sprechen wir von adverbialer Verwendung des Adjektivs.

Das Adjektiv begegnet uns also in vielen Verbindungen. Macht es das nicht noch idiotischer, sie in all diesen Verwendungsweisen vermeiden zu wollen? Warum überhaupt?

2. Farben für die Vorstellung des Lesers

Stellen wir uns vor, wir kommen nach Hause und unser Partner fragt uns, wie unser Tag war. "Schön." Viel haben wir damit nicht verraten, was der Partner sicher auch gleich bemängeln wird. "Kannst du vielleicht etwas konkreter werden?"

Warum? Der Tag war schön. Das Adjektiv beschreibt den Tag. Es charakterisiert ihn, bestimmt ihn näher. Aber es bleibt unkonkret. Um zu erklären, was den Tag zu einem schönen gemacht hat, reicht das Adjektiv nicht aus.

Das Gleiche gilt auch für das folgende Beispiel:

Elisabeth ist eine schöne Frau.

Auch hier charakterisiert das Adjektiv die Frau zwar als schön, doch um ein genaues Bild im Kopf des Lesers zu erzeugen, reicht das nicht aus.

Vielleicht hilft es, einfach weitere Adjektive hinzuzufügen, um ein genaueres Bild zu erzeugen.

Elisabeth ist eine schöne, hübsche, große, schlanke, attraktive und blonde Frau.

Das macht es nicht besser. Hübsch und attraktiv sind nicht konkreter als schön. Groß, schlank und blond sind zwar konkreter, sagen aber nicht unbedingt etwas darüber aus, ob Elisabeth durch diese Eigenschaften als Schönheit gilt.

Adjektive charakterisieren zwar, aber sie bleiben dabei allgemein. Schließlich sind die Adjektive nicht erst erfunden worden, um Elisabeth zu beschreiben. Für diese individuelle Aufgabe sind sie ungeeignet, können nur an der Oberfläche kratzen. In literarischen Texten wollen wir dem Leser aber nicht einfach eine schöne Frau vorstellen, sondern in seiner Vorstellung ein individuelles Bild erzeugen.

Es gibt Adjektive, die diesen Versuch bereits unternehmen. Das betrifft vor allem Farbadjektive: strohblond, himmelblau, feuerrot, kastanienbraun.

Diese Adjektive erhalten eine Konkretisierung mittels eines Vergleichs: blond wie Stroh, blau wie der Himmel, rot wie Feuer, braun wie eine Kastanie.

Das Interessante ist, dass das konkretisierte Grundwort (blond, blau, rot, braun) jeweils gar nicht mehr notwendig ist. Der Vergleich allein ist konkret genug:

Elisabeths Haare erinnerten an das Stroh auf den Feldern .

Niemand würde jetzt an braune oder schwarze Haare denken. Allerdings wird beim Leser auch nicht unbedingt das gewünschte Bild erzeugt, schließlich entsprechen strohige Haare nicht gerade dem Schönheitsideal. Versuchen wir es also anders:

Elisabeths Haare umflossen ihr Gesicht wie ein Schleier aus Gold, schaute ich ihr in die Augen, sah ich einen Himmel, den keine Wolke trübte.

Diese Beispiele mögen etwas übertrieben sein, sie sollen aber auch nur der Veranschaulichung dienen. Sie vermitteln jedenfalls eine deutlich eindrücklichere Vorstellung von Elisabeth als die Adjektive blond und blau. Nicht nur, weil sie konkreter sind. Im Fall der Haarfarbe gäbe es ja sogar ein entsprechendes Farbadjektiv:

Elisabeth hatte goldenes Haar.

Es gibt also Adjektive, die ähnlich konkret sind. Dennoch erzeugen sie selten ein so starkes Bild im Kopf des Lesers, wie das etwa der Vergleich im vorherigen Beispiel tut. Das liegt vor allem an zwei Dingen. Zum einen sind die Adjektive gewissermaßen abgeschliffen. Ihre Bedeutung wird uns beim Lesen (oder Hören) nicht mehr so eindringlich bewusst. Das Adjektiv golden ruft nicht mehr ohne Weiteres die Assoziation Gold (im Sinne des Edelmetalls) hervor.

Zum anderen sind sie in ihrer Charakterisierung meist eher eindimensional, was letztlich mit der Abschleifung ihrer Bedeutung zusammenhängt. Während  Gold etwa weitere Assoziationen wie edel, teuer, begehrenswert hervorruft, denken wir bei dem Adjektiv nur an die Farbe.

Der Vergleich aus dem Beispiel kombiniert das Gold außerdem mit fließen und Schleier, was für weitere Assoziationen sorgt.

Um beim Leser eine eindrückliche Vorstellung im Sinne starker Bilder hervorzurufen, sind Adjektive in der Regel ungeeignet.

3. Freiheit für die Vorstellung des Lesers

Wir treffen uns bei dem schönen Haus.
Wir treffen uns bei dem großen Haus.
Wir treffen uns bei dem blauen Haus.

Stellen wir uns vor, Andi will sich mit Peter treffen, der sich aber in der Straße, in der sich die beiden treffen wollen, nicht auskennt. Wenn in der Straße alle Häuser bis auf das benannte weiß sind, wird Peter keine Probleme haben, das blaue zu finden. Auch wenn alle anderen Häuser klein sind, sollte er das große finden. Möglicherweise läuft er aber auch wie ein Blöder durch die Straße und sucht nach einem Hochhaus, während Andi einfach an das größte Haus in der Gegend gedacht hatte, das aber immer noch weit kleiner als ein Hochhaus ist.

Richtig schwierig wird es, wenn Peter nach dem schönen Haus Ausschau halten soll. Denn woher soll er wissen, was Andi schön findet? Geschmäcker sind bekanntlich verschieden.

Dass Adjektive Eigenschaften benennen, wissen wir schon. Während einige ganz objektive Eigenschaften bezeichnen, drücken andere aber Eigenschaften aus, die einer rein subjektiven Wertung entspringen. Wir nennen diese Adjektive wertende Adjektive. Beispiele sind schön, hässlich, hübsch, attraktiv, böse, nett, klug, dumm und viele mehr.

Solche Adjektive fällen ein Urteil. Dieses Urteil schreiben sie dem Leser vor, der damit keine Möglichkeit mehr hat, sich selbst eines zu bilden (es sei denn, er setzt sich über das Vorurteil hinweg). Für den Leser ist es aber das größere Leseerlebnis, wenn er mitdenken und sich die Freiheit erlauben darf, Figuren und Geschehnisse selbst zu bewerten.

Bevor Peter in den Supermarkt ging, klingelte er wie üblich bei Frau Pflieger und fragte, ob er ihr etwas mitbringen solle.

Die meisten, die diesen Satz lesen, werden letztlich zu folgendem Ergebnis kommen:

Peter war ein netter Mann.

Aber das wurde dem Leser nicht vorgekaut. Er erlebt die Figur bei einer Handlung und bildet sich anhand dieser selbst ein Urteil. Durch das Erleben wird dieses Urteil ein viel festeres sein. Und es ist sein eigenes.

Wie wir gesehen haben, beruhen auch Adjektive wie groß, schnell, alt, kurz, hoch usw. zumindest zum Teil auf subjektivem Empfinden.  Für einen Mann von 1,64 Metern Körpergröße ist ein 1,80-Mann groß, obwohl der in einer Basketballmannschaft vermutlich den Spitznamen "Kleiner" tragen würde.

Man kann es also auch, wenn es um solche Eigenschaften geht, dem Leser überlassen, sich selbst ein Bild zu machen:

Ich staunte nicht schlecht. Ich fuhr einen ausgewachsenen Mittelklassewagen. Dennoch schien Peter keine bequeme Haltung einnehmen zu können. Er schob den Beifahrersitz so weit nach hinten, wie es möglich war, rutschte noch eine Weile auf der Sitzfläche vor und zurück und verharrte schließlich mit angezogenen Beinen. Bei jeder Bodenwelle stieß er sich den Kopf.

Andi war der Einzige, der bei dem niedrigen Eingang nicht den Kopf einziehen musste, doch als er als Letzter in das Rohr kriechen wollte, blieb er stecken.

4. Adjektive verbannen?

Nein, es geht nicht darum, Adjektive zu verbannen. Sie gehören zu den Mitteln der Sprache, die wir als Autoren in aller Vielfalt nutzen wollen und sollen. Aber sie sind eben nur ein Mittel und nicht immer das beste.

Autoren sollten immer bemüht sein, den bestmöglichen Ausdruck, die bestmögliche Formulierung zu finden. Wo das auf ein Adjektiv zutrifft, wäre es dumm, dieses aus Prinzip zu umgehen. Ohnehin ist die bestmögliche Lösung nicht selten ein Kompromiss. So könnte in einer spannenden, kurzatmigen Szene oder bei der schnellen Beschreibung einer Randfigur das Adjektiv die effizienteste Lösung sein.

Adjektive sind also nicht verboten. Verbote sind im Schreibhandwerk überhaupt bestenfalls skeptisch zu betrachten. Der Autor muss sich nur bewusst machen, dass die Verwendung eines Adjektivs häufig eine Bequemlichkeit darstellt. Eine Bequemlichkeit, die man gern im Schreibfluss des Rohmanuskripts nutzen kann. Für die Überarbeitung greift man sich dann aus der Hausapotheke die Mittelchen, die gegen Adjektivitis und andere Textkrankheiten helfen können.

Veröffentlicht am 24.08.2011
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Kommentare
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Gast Ein Adjektiv kann kein Adjektiv beschreiben. Das ist die Aufgabe des Adverbs. In beiden Sätzen ist "unheimlich" das Adverb. In der deutschen Sprache ist kein Unterschied in der Bildung zu sehen. "Unheimlich" kann man durch "sehr" ersetzen, welches ganz eindeutig ein Adverb ist.
Vor langer Zeit - Antworten
Gast e
Vergangenes Jahr - Antworten
PhilippB Nun, die Abgrenzung zwischen der Wortart Adjektiv und der Wortart Adverb ist tatsächlich nicht immer leicht und es gibt auch in der Sprachwissenschaft unterschiedliche Ansichten dazu. Recht große Einigkeit herrscht aber doch darüber, dass ein Adjektiv (beispielsweise "unheimlich") nicht die Wortart wechselt, nur weil es auch adverbiell verwendet werden kann. Denn wie auch andere Wortarten kann eben auch das Adjektiv unterschiedliche Funktionen im Satz übernehmen. Adverbien und Adjektive sind demnach zwei unterschiedliche Wortarten, die aber zum Teil gleiche Funktionen im Satz übernehmen können, unter anderem die eines Adverbials.

Viele Grüße
Vor langer Zeit - Antworten
PhilippEspel Sehr hilfreicher Artikel!
Eine Freundin war dabei, den bisher geschriebenen Teil meines Buches anzulesen für Kritik. Sie hatte diesen Punkt auch angesprochen und wusste nicht wirklich, wie ich das umsetzen soll.

Jetzt bin ich schon einen Schritt weiter :)
Vor langer Zeit - Antworten
Gast Vielen Dank für diesen Artikel. Ich lese gerade für einen Freund eine Geschichte als Erstkorrektur und wusste nicht so genau, wie ich das, was ich zu bemängeln habe, ausdrücken soll - das hier trifft es genau.

Beste Grüße
Meike aus der bunten Welt
Vor langer Zeit - Antworten
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