Ein Albtraum, sie hörte ein Keuchen hinter sich, das bedrohlich näher kam. Sie rannte um ihr Leben, rannte, so schnell sie konnte, aber das Keuchen wurde lauter, kam immer näher. Schon spürte sie den warmen Atem in ihrem Nacken. Sie wagte es nicht, sich umzudrehen, weil sie Angst hatte, dadurch wertvolle Zeit zu verlieren. Würde sie sich umdrehen, wäre dieser unheimliche Unbekannte sicherlich schnell bei ihr. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was dann mit ihr passieren würde. Also rannte sie, rannte um ihr Leben. Ihr Atem brannte in ihrer Kehle. Sie verspürte heftige Seitenstiche und merkte, dass ihre Kraft langsam nachließ. Seit wann wurde sie von diesem Monster verfolgt? Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern. Die Welt um sie herum verschwamm. Sie wusste nicht einmal mehr, wo sie war. Nur die blanke Angst beherrschte sie und trieb sie an, immer schneller zu laufen.
Als sie meinte, eine seichte Berührung an ihrer Schulter zu spüren und versucht war zu schreiben, wachte sie auf.
Kerzengrade und schweißgebadet saß sie in ihrem Bett. Sie atmete schwer. Viel zu lebendig sah sie diesen Traum noch vor sich. Es war ihr, als würde sie immer noch das keuchende Atmen ihres Verfolgers hören. Sie hielt den Atem an und lauschte in die Stille. Tatsächlich, irgendetwas war in diesem Raum, was da nicht hingehörte. Sie vernahm unnatürliche Atemgeräusche, die nicht von ihr kamen. Aber aus welcher Richtung kamen die Geräusche? Sie wusste es nicht. Stockdunkel war es im Raum, man konnte die Hand nicht vor Augen sehen, dafür aber umso besser hören. Und wieder vernahm sie diese keuchenden, hechelnden Atemgeräusche. Was sollte sie nur tun? Sie war ganz allein im Haus und das Telefon war im Wohnzimmer. Daneben lag ihr Handy, an das Ladegerät angeschlossen. Wenn man das mal brauchte, war es entweder leer oder nicht in greifbarer Nähe.
Vielleicht, wenn sie sich ganz still verhielt, wenn sie die Bettdecke weit über ihren Kopf zog, würde er sie nicht finden. Sie musste nur ganz flach atmen, also versuchte sie es. Aber die Angst schnürte ihr förmlich die Kehle zu, je mehr sie versuchte, leise zu atmen. Sie tastete mit der Hand an die Bettkante. Jetzt bloß kein Licht anmachen, dann würde er sich sicher sofort auf sie stürzen.
Sie überlegte, sich langsam aus dem Bett gleiten zu lassen, lautlos auf dem Boden zu landen und dann Zentimeter für Zentimeter unter das Bett zu kriechen. Aber würde sie da vor diesem Monster, das sich nun nicht mehr in ihrem Traum, sondern in ihrem Zimmer befand, sicher sein? Das bezweifelte sie stark. Sie würde sich wehren, nahm sie sich vor. Sie würde sich wehren mit allen ihr zur Verfügung stehenden Kräften. In Notsituationen wachsen Menschen oft über sich hinaus, heißt es, also so leicht würde sie es diesem Kerl nicht machen.
Sie lauschte in die atemlose Stille. Da war es wieder, dieses unnatürliche Atmen, dieses Keuchen, dieses Hecheln. Ach, wenn es doch endlich vorbei wäre. Diese Angst, diese Tatenlosigkeit raubten ihr den letzten Nerv.
Sollte sie um Hilfe schreien? Aber wer würde sie hier hören? Sie war es, die sich für dieses Haus am Waldrand entschieden hatte, weit und breit keine Nachbarn. Sie war es, die es idyllisch fand. Sie war es auch, die zu ihm gesagt hatte: „Fahr du ruhig, das macht mir gar nichts aus. Am Wochenende bist du ja wieder da. Die paar Tage komme ich gut allein zurecht.“ Und nun würde sie ihn vielleicht niemals mehr wieder sehen, wenn dieses Monster sich über sie hermachte.
Ganz ruhig liegen, sagte sie sich, ganz ruhig, vielleicht will er nur ein paar Wertsachen haben. Soll er die doch nehmen, wenn er will, solange er sie in Ruhe lassen würde. Kerzengerade lag sie in ihrem Bett, die Bettdecke bis zur Nasenspitze hochgezogen. Sie atmete so flach, wie es überhaupt ging.
Jetzt hörte sie das Keuchen direkt neben sich. Sie spürte schon den heißen Atem auf ihrer Haut. Ein Atem, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Dann – plötzlich – war er über ihr und leckte ihr mit seiner großen warmen Zunge über das Gesicht. Sie versuchte, den Kopf zur Seite zu drehen, konnte seinen Liebkosungen aber nicht entgehen.
„Lass uns einen kleineren Hund nehmen“, hatte sie gesagt, aber es musste ja ein Neufundländer sein. Ein Riesenkalb, der es nie lernte, dass er im Schlafzimmer nichts zu suchen hatte, der ohne Probleme jede Tür öffnen konnte. Und wieder musste sie das Bett mit ihm teilen. Kurz vor dem Einschlafen spürte sie seinen heißen Atem in ihrem Nacken. Sie hatte resigniert.