Beschreibung
Dieses Thema verfolgt mich schon seit Jahren. Jetzt bringe ich es endlich zu Papier, aber in Etappen
Matt schien die Sonne durch die hohen Fenster in den Gerichtssaal. Hannelore saß zusammengesunken auf der Anklagebank. Ihr dunkles Haar umrahmte ihr rundes Gesicht und ließ es dadurch noch runder erscheinen. Sie hatte keine Ahnung, wie sie hierher gekommen war. Was war passiert? Sie konnte sich nicht so recht daran erinnern. Das passierte ihr immer wieder in ihrem Leben, dass sie sich an Dinge nicht so gut erinnern konnte. Nun saß sie hier und die Anklage lautete: Körperverletzung mit Todesfolge. Sie sollte ihr eigenes Kind umgebracht haben. Das konnte doch nie und nimmer sein. Sie blinzelte in die Sonnenstrahlen und versuchte sich zu erinnern.
In ihren Gedanken wanderte sie weit zurück bis in ihre Kindheit. Schon damals konnte sie sich viele Dinge nicht so gut merken. In der Schule hatte sie immer Schwierigkeiten, deshalb ging sie auch nicht gerne hin. „Hannelore, wo sind deine Hausaufgaben?“ fragte die Lehrerin. Hannelore hatte die Hände im Schoß gefaltet und flüsterte: „Weiß nicht.“ „Aber du weißt doch, was du aufhattest?“ bohrte die Lehrerin weiter nach. „Weiß nicht.“ Antwortete Hannelore leise. Sie wusste es wirklich nicht. Das war immer so. „Hannelore“, fragte ihre Mutter: „Wo hast du deine Schultasche hingetan?“ „Weiß nicht“, musste sie dann sagen, denn sie wusste es wirklich nicht. Ständig schimpfte irgendjemand mir ihr. Nie konnte sie es jemandem Recht machen und immer wieder vergaß sie Dinge, die andere sich gut merken konnten. Nicht einmal richtig lesen konnte sie, weil sie sich den Sinn der Buchstaben und Wörter nicht merken konnte. Bat sie jemand darum, etwas vorzulesen, flüsterte sie nur: „Kann nicht, weiß nicht.“ „Du machst mich noch wahnsinnig.“ Wie oft hatte ihre Mutter das zu ihr gesagt? Sie konnte das schon gar nicht mehr zählen. Schließlich musste sie eine andere Schule besuchen als all die anderen Kinder aus dem Dorf. „Das wird dir gut tun“, meinten die Erwachsenen. Aber es tat ihr überhaupt nicht gut. Die anderen Kinder lästerten. „Hannelore geht zur Hilfsschule.“ Riefen sie, wenn sie sie sahen. Richtige Freunde hatte sie auch nie. Die anderen Kinder verabredeten sich während der Schulzeit, da war Hannelore aber nicht da, weil sie doch eine andere Schule besuchte. Aber auch an dieser Schule waren alle anderen besser als sie. Dabei gab sie sich soviel Mühe. Sie versuchte, sich die Hausaufgaben aufzuschreiben, weil sie nichts vergessen wollte. Wenn sie dann aber Zuhause war, konnte sie entweder den Zettel, auf den sie das geschrieben hatte, nicht finden oder sie konnte ihre eigene Schrift nicht lesen. „Was hast du auf?“ fragte ihre Mutter. „Weiß nicht“, sagte Hannelore. „Weiß nicht, weiß nicht, kannst du nicht mal irgendetwas anderes sagen? Es ist wirklich ein Kreuz mit dir.“ Einmal sagte ihr Vater und das tat ganz besonders weh: „Ich glaube, es wäre besser gewesen, wenn du nie geboren wärst.“ Aber manchmal dachte sie das auch. Alle hatten immer nur Ärger mit ihr. Außerdem war sie ein richtiger Tollpatsch. Wenn sie versuchte, den Tisch zu decken, um ihrer Mutter zu helfen, fiel ihr unter Garantie ein Teller aus der Hand. Wenn sie, als sie älter wurde, versuchte zu kochen, um ihren Eltern eine Freude zu machen, stand plötzlich die ganze Küche voller Rauch. Hannelore war zu nichts nutze. Sie liebte es aber, im Gras zu liegen und in die Wolken zu sehen. Sie liebte es sowieso zu träumen. In ihren Träumen war sie eine wunderschöne Prinzessin, bei der es niemanden störte, dass sie so dumm war, weil sie reich war. Sie hatte hier das Sagen und alle verbeugten sich vor ihr, weil sie ihre Untertanen waren. Niemand wagte es zu sagen: „Mein Gott, ist die dumm“, obwohl alle es wussten. Aber wenn man Geld und Macht hat, dann machte das gar nichts.
So vergingen die Jahre. Als Hannelore 15 Jahre alt war, traf die Peter. Sie verliebte sich in ihn und er verliebte sich in sie. Er sagte, er wäre Arzt und würde bald eine eigene Praxis aufmachen. Dann würde er Hannelore heiraten und sie würden glücklich werden. Oh, Peter war so klug. Er konnte sogar lesen ohne zu stocken. Hannelore bewunderte ihn. Er war 18 Jahre alt und erzählte ihr ständig, wie er später den Leuten Medikamente verschreiben würde, wie sie, wenn sie krank wären, zu ihm kommen würden und er ihnen helfen würde. „Hannelore, du willst mich doch heiraten, oder?“ fragte er. „Weiß nicht“, sagte Hannelore. Was sollte sie sonst auch sagen. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, verheiratet zu sein. „Wenn du mich heiraten willst, “ meinte Peter, „dann dürfen wir auch jetzt schon miteinander schmusen, das willst du doch auch, oder?“ Ja, das wollte Hannelore auch. Endlich hatte sie jemanden gefunden, für den sie etwas tun konnte. Sie wollte Peter auf keinen Fall verlieren. Und gegen ein bisschen Schmusen würde ja keiner etwas haben. Ihre Mutter hatte Hannelore zwar erzählt, dass da etwas wäre, was sie auf keinen Fall tun dürfe, weil das Folgen haben konnte, aber Hannelore hatte vergessen, was es war. Also schmuste sie mit Peter und das war schön. Sie fühlte sich bei Peter als würde sie immer auf einer Wiese liegen, in die Wolken starren und träumen, so schön war das. Sie wünschte, nie mehr aus diesem Traum aufzuwachen.
Fortsetzung folgt.