Biografien & Erinnerungen
Schwester Martina

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"Schwester Martina"
Veröffentlicht am 06. Juni 2008, 6 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Über den Autor:

Es fällt mir nicht leicht, etwas über mich zu schreiben. Also ganz kurz: 52 Jahre alt,glücklich geschieden, Mutter von drei Superkindern, Psychologisch-technische Assistentin - fühle mich viel jünger als ich bin. Noch Fragen, dann fragt ruhig, ich stehe jederzeit Rede und Antwort.
Schwester Martina

Schwester Martina

Schwester Martina ist in Südafrika aufgewachsen. Dort ist es bekanntlich sehr warm. Irgendwann entschloss sie sich, wieder nach Deutschland zurückzukehren. Als gelernte Krankenschwester dürfte es für sie auch nicht schwer sein, Arbeit zu finden. Schwerer war es dagegen schon, einen geeigneten Arbeitsplatz zu finden, denn Schwester Martina wollte auf keinen Fall Eis und Schnee haben.

Ein guter Freund gab ihr den Rat, ihr Glück im hohen Norden der Bundesrepublik zu versuchen. An der Nordseeküste in Schleswig-Holstein, so hätte er gehört, sind kalte Winter nicht so bekannt wie in anderen Teilen des Landes.

Also machte sich Schwester Martina im Sommer auf die Suche nach einem geeigneten Arbeitsplatz im hohen Norden an der Nordseeküste. Schnell wurde sie fündig. In einer Reha-Klinik, die noch relativ neu war, suchten sie Krankenschwestern. Also bewarb sie sich um einen solchen Arbeitsplatz. Sie wurde auch zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Für diese Zeit mietete sie sich ein Zimmer. Als erstes fragte sie die Vermieter: „Wie sind denn hier die Winter?“ „Sehr mild“, war die Antwort: „Schnee kennen wir hier so gut wie gar nicht.“ Schwester Martina war damit zufrieden, packte ihren Koffer aus und machte sich auf den Weg zur Klinik. An der Information wurde sie freundlich in Empfang genommen. Zaghaft fragte sie auch hier nach den Wintern. Es war in diesem Sommer sehr heiß, so dass sich niemand die Kälte des Winters vorstellen konnte. „Winter“, erwiderte die Dame am Empfang: „Sehr angenehm, nicht zu kalt, kaum Schnee.“ Schwester Martina war zufrieden.

Nun wurde sie zum Oberarzt zitiert, der mit ihr das Vorstellungsgespräch führte. Er war offensichtlich von ihr angetan und wollte sie nun gern einstellen, dann kam ihre Frage: „Bevor ich den Vertrag unterschreibe, hätte ich da noch eine Frage: Wie sind denn hier die Winter? Sie wissen, ich bin in Südafrika aufgewachsen und habe panische Angst vor zuviel Schnee.“ „Schnee“, erklärte ihr der Oberarzt: „Schnee, gibt es hier eigentlich nie. Wissen Sie, das liegt am warmen Golfstrom, der an der Küste entlangfließt. Der beeinflusst das Klima hier so, dass die Winter nie richtig kalt und schneereich werden können.“

Schwester Martina war so zufrieden, wie es besser gar nicht sein konnte und unterschrieb den Vertrag. Niemand erzählte ihr, dass nur wenige Jahre zuvor hier eine Schneekatastrophe war, die alles lahm gelegt hatte. Nichts ging mehr. Nicht einmal die Züge konnten fahren. Der Wind hatte Schneewehen bis zu einer Höhe von drei bis vier Metern zusammengeweht. Doch nach all diesen Aussagen fühlte Schwester Martina sich hier richtig gut aufgehoben. Sie holte ihren Sohn, nahm sich in einem Nachbarort eine kleine Wohnung und trat die Stelle als Krankenschwester an.

Dann kam der Winter. Schon Ende Oktober gab es den ersten Bodenfrost. Bäume und Sträucher waren mit Raureif bedeckt, sehr schön anzusehen aber für Schwester Martina sehr unangenehm und erschreckend. Schon wenige Wochen fiel der erste Schnee in dichten Flocken. Die Marsch bildete eine einzige glatte schneeweiße Fläche. In ihrer Not wandte sich Schwester Martina an den Oberarzt, der sie im Sommer eingestellt hatte: „Was ist mit dem Golfstrom?“ fragte sie. „Golfstrom, welcher Golfstrom“, erwiderte er: „Solche Winter sind wir hier gewohnt.“

Es fiel Schwester Martina nicht leicht, sich an die nordischen Winter zu gewöhnen, aber sie wusste sich zu helfen. Ende Oktober, wenn der erste Bodenfrost drohte, stattete sie ihr Auto mit Winterreifen aus. Fortan fuhr sie nur noch Schritttempo oder ein klein wenig schneller, aber auf keinen Fall zu schnell.

Ende Oktober führte sie ihr Weg dann auch zu einem Billigdiscounter, wo sie sich mit Lebensmitteln für das nächste halbe Jahr eindeckte, die auf alle Fälle für sie und ihren Sohn reichen würden. Emsig fuhr sie dafür hin und her, bis ihre Vorratskammer fast aus allen Nähten platzte, aber nur so fühlte sie sich wohl. Auch ihr Auto wurde ausgestattet. In den Kofferraum legte sie einen Spaten, Schneeketten, Sand, Salz und natürlich Wolldecken – man weiß ja nie. Sämtliche Mittel, die man benötigte, um Scheiben und Türschlösser zu enteisen und damit die Scheibenwaschanlage funktionieren besorgte sie selbstverständlich auch.

Wenn ich Schwester Martina in dieser Jahreszeit begegnete, fiel mir ihr sehr angespannter Gesichtsausdruck auf. Ein Blick genügte und sie sagte: „Frost.“

Im Frühjahr dann aber, wenn die Temperaturen wieder stiegen, entspannte sich ihr Gesichtsausdruck zunehmend. All der Winterstress fiel zusehends von ihr ab. Sie lächelte wieder mehr, wirkte zufriedener und gelöster. Der Sommer gefiel ihr hier offenbar ausgesprochen gut. Dennoch war es immer besser, niemals das Wort Golfstrom zu erwähnen, dann reagierte sie leicht genervt.

 

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Hörbuch

Über den Autor

Chrissy55
Es fällt mir nicht leicht, etwas über mich zu schreiben. Also ganz kurz: 52 Jahre alt,glücklich geschieden, Mutter von drei Superkindern, Psychologisch-technische Assistentin - fühle mich viel jünger als ich bin. Noch Fragen, dann fragt ruhig, ich stehe jederzeit Rede und Antwort.

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Coeur lustig - habe diese Geschichte gerne gelesen und ein schmunzeln nicht unterdrückt...
LG, Erna
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Chrissy55 Re: Oh je... -
Zitat: (Original von evchen am 06.06.2008 - 21:57 Uhr) ...die ärmste kann einem ja richtig leid tun.
Und dennoch musste ich die Geschichte mit einem schmnzeln lesen wohne selbst auch in Schleswig-Holstein vielleicht deshalb. :-)
Deine Geschichte hat mir gut gefallen. vlg
evi

Danke für deinen Kommentar. Ich habe ehrlich gesagt nicht so recht verstanden, weshalb sie geglaubt hat, dass wir hier in Schleswig-Holstein, speziell an der Nordsee keinen Schnee kennen. Vielleicht hat es daran gelegen, dass ihr das mehrere Leute erzählten. Finde ich übrigens gut, dass es hier auch noch andere Norddeutsche gibt.
LG Chrissy
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Chrissy55 Re: Schwester Martina -
Zitat: (Original von Rehmann am 07.06.2008 - 12:41 Uhr) Hab diese Zeilen gerne gelesen !!!
LG
H. Rehmann

Danke, das freut mich, ist übrigens ein Tatsachenbericht.LG Chrissy
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Rehmann Schwester Martina - Hab diese Zeilen gerne gelesen !!!
LG
H. Rehmann
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evchen Oh je... - ...die ärmste kann einem ja richtig leid tun.
Und dennoch musste ich die Geschichte mit einem schmnzeln lesen wohne selbst auch in Schleswig-Holstein vielleicht deshalb. :-)
Deine Geschichte hat mir gut gefallen. vlg evi
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