Fantasy & Horror
ROSEBLEED 7

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"ROSEBLEED 7"
Veröffentlicht am 13. November 2012, 14 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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ROSEBLEED 7

ROSEBLEED 7

Beschreibung

Manchmal wünsche ich mir, endlich aus dieser Finsternis entkommen zu können. Aber am liebsten ... will ich einfach nur vergessen. Mich. Die Welt um mich herum. Die Vergangenheit. Alles. Aber das sage ich ihr nicht. Das sage ich niemandem. Es ist mein ganz persönlicher Schmerz. Mein ganz persönlicher Fluch.

GESPRÄCH AUF DEM FRIEDHOF

Als ich mich schließlich auf den Heimweg mache, nehme ich wieder die Abkürzung durch den Friedhof. Doch anstatt nach Hause zu gehen, entschließe ich mich aus einem Impuls heraus, ein Weilchen hier zu verbringen.
Ich schlendere ein paar Pfade entlang, bis ich ein leere Sitzbank gefunden habe, an einer ruhigen Stelle, wo nur wenige andere Leute vorbeigehen. Ich lasse meine Tasche fallen, setze mich und lehne mich mit geschlossenen Augen zurück. Ich versuche alles auszublenden und das Chaos in meinem Kopf zu besänftigen.
Aber alles was ich sehe, ist sein Bild.
Kieran.
Er verwirrt mich, lässt mich Dinge fühlen, die ich nicht beschreiben kann, Dinge, die ich noch nie zuvor gefühlt habe. Er nimmt mein ganzes Denken in Beschlag und das macht mich unruhig. Noch nie habe ich dergleichen auf jemanden reagiert, so stark für jemanden empfunden, den ich nicht kenne.
Aber Kieran ... er erscheint mir nicht wie ein Fremder. Ich meine, er IST es, aber ich empfinde ihn nicht als solchen. Es fühlt sich an, als würde ich ihn ein Leben lang kennen. Da sind Verbundenheit und Vertrauen, wo eigentlich nichts sein sollte. Ich bin es nicht gewohnt, so zu fühlen.
Und das macht mir Angst.
Ich spüre, wie sich jemand neben mich setzt, und schlage die Augen auf. Aus den Augenwinkeln sehe ich eine Gestalt in einem dunklen Mantel, in Schal, Handschuhe und Hut völlig vermummt. Ich wage einen kurzen Blick und erkenne, dass es nur ein altes Großmütterchen ist. Beruhigt entspanne ich mich wieder woraufhin ich die Stirn runzele, weil ich nicht verstehe, warum ich plötzlich an Gefahr gedacht habe.
Kieran und seine dämlichen Spukgeschichten.
"Friedlich hier, nicht wahr?" Ich sehe zu der alten Frau hin, nicht sicher, ob sie mit mir geredet hat. Sie ziet tief die Luft ein und atmet geräuschvoll wieder aus, sie wirkt, als würde sie es genießen. Dann sieht sie mich an, sieht mir direkt in die Augen, und ich erstarre.
Ihre Augen. Sie sind blass, farblos. Blind.
Sie scheint mein erschrockenes Gesicht nicht zu bemerken und lächelt. "Das ist ein schöner Ort hier, nicht wahr?"
Ich blinzele, versuche, mich wieder zu fassen. "Äh, ja. Das ist es", sage ich, als ich meine Stimme wiedergefunden habe. Ich höre mich verkrampft an, das ist selbst mir klar. Doch sie lächelt nur weiterhin freundlich und  sieht weg. Sogleich diese unheimlichen Augen nicht mehr auf mich gerichtet sind, sacke ich erleichtert zusammen. Dennoch fühle ich mich immernoch unbehaglich.
Warum nur scheint mir plötzlich alles und jeder auf einmal so seltsam?
Schweigen breitet sich zwischen uns aus und ich denke schon, dass unser Gespräch damit beendet ist. Ich wende mich wieder von ihr ab und starre vor mir in die Luft, ohne wirklich etwas zu sehen. Sekunden verrinnen, Minuten, und die Stille wird immer erdrückender, schnürt mir die Luft ab und ich muss an mich halten, um nicht nervös zu zappeln anzufangen.
"Mir gefällt dieser Ort", höre ich die Frau sagen. Ich sehe sie diesmal nicht an, wage es nicht. Ich habe noch immer dieses Gefühl nicht abschütteln können, das der Anblick ihrer Augen in mir verursachte. Nickend blicke ich weiter gerade aus. Daraufhin fällt mir wieder ein, dass sie es gar nicht sehen kann.
"Möchtest du nicht mit mir reden?"
Diese Frage überrascht mich. Reflexartig drehe ich den Kopf in ihre Richtung, ohne darüber nachzudenken, aber es ist zu spät.
Diese Augen, kann ich nur denken. Sie sind unheimlich. Blind, sie sind blind. Da ist keine Pupille, nur die blasse Farbe der Iris, die fast mit der Netzhaut verschmilzt, fast ganz untergeht. Noch nie habe ich solche Augen gesehen und dieser Anblick ist verstörend.
Insbesondere, dass sie mich, trotz ihrer Blindheit, immer direkt anstarren.
Nein, sie sehen mich nicht an. Sie sehen in mich hinein. Blicken bis in die Tiefe meiner Seele.
Ich schlucke, ein Kloß hat sich in meinem Hals gebildet. 
"Verstehe", murmelt sie, als ich nichts sage. Sie wendet sich abermals von mir ab.
Plötzlich habe ich ein ganz schlechtes Gewissen und ich möchte mich, für meine Unfreundlichkeit entschuldigen. Stattdessen höre ich mich sagen: "Ich bin nur überrascht."
"Wirklich? Warum denn?"
"Äh, also ich ...", stammele ich. "Ich weiß nicht. Normalerweise spricht mich nur selten jemand an und wenn, dann nur aus einem bestimmten Grund. Aber einfach so ein Gespräch mit mir anfangen zu wollen ... das ... will eigentlich niemand."
"Wieso denn nicht? Du scheinst mir ein freundliches Mädchen zu sein."
Ich sehe sie zweifelnd an, was sie, natürlich, nicht bemerkt. "Ich weiß nicht, ob das wirklich so ist."
Sie prustet, wirft den Kopf in den Nacken und lacht.
"Was ist denn so witzig?", frage ich, ein wenig gereizt und irgendwie beleidigt ob ihrer Reaktion. 
"Du weiß nicht, wie du dich einschätzen sollst", sagt sie, als sie sich wieder beruhigt hat. "Das ist bei den meisten Kindern in deinem Alter so."
"Bei mir ist das anders. Und ich bin kein Kind, ich bin fast achtzehn."
"Sicher bist du ein Kind", sagt sie nun und ihre Stimme ist so sanft, dass ich es ihr nicht übel nehme, dass sie das sagt. Jedenfalls nicht sehr. "Und du brauchst mich nicht wütend anzublitzen, weil ich das gesagt habe."
Ich blinzele überrascht. Woher weiß sie, dass ich sie angesehen habe?
Als hätte sie meine unausgesprochene Frage gehört, antwortet sie, bevor ich etwas sagen kann: "Ich bin vielleicht blind. Aber das bedeutet nicht, dass ich nicht sehen kann."
Hä? "Das verstehe ich nicht."
Wieder lacht sie, der Laut ist warm und wohlklingend. "Ich kann sehen. Nur sehe ich nicht mit den Augen."
"Sondern?", will ich wissen.
Sie wendet sich mir erneut zu und diesmal zucke ich nur ein kleines Bisschen zusammen, als ihr Blick mich trifft. "Augen sind nicht alles. Sie sind nicht allwissend. Wenn du nur mit deinen Augen siehst, mein Kind, dann siehst du in Wirklichkeit gar nichts."
Jetzt bin ich noch verwirrter, als zuvor. "Wie meinen Sie das?"
"Ich spreche von Magie. Die Menschen glauben, sie wüssten bescheid. Dabei wissen sie nicht einmal die Hälfte. Sie glauben, sie SEHEN. Und sie nennen mich blind. Aber ich sehe mit meinem Herzen mehr, als sie alle mit ihren Augen."
"Was hat das eine mit dem anderen zu tun?", frage ich. "Ich verstehe immernoch nicht ganz."
"Es gibt sie. Magie. Sie ist überall. Es bemerkt sie nur niemand. Die Menschen sehen mit offenen Augen und nehmen doch überhaupt nichts war. Sie sehen die Magie nicht, die sie umgibt. Und weil sie etwas nicht sehen, glauben sie nicht daran."
"Das stimmt nicht. Menschen glauben an Gott. Ihn können wir auch nicht sehen, aber trotzdem glauben die meisten an ihn."
"Und du, mein Kind? Glaubst du auch an ihn."
Das ist jetzt kein Thema, über dass ich wirklich gerne spreche. "Ich ... Das ist eine komplizierte Geschichte."  
"Nur, wenn du sie selbst kompliziert machst. Noch eine menschliche Eigenschaft. Sie verkomplizieren jede noch so einfache Tatsache."
"Sie scheinen ja sehr wenig von Menschen zu halten, obwohl Sie selbst einer sind", bemerke ich.
"Das habe ich nicht gesagt. Menschen sind eine interessante Spezies. Nur eben nicht immer die inteligenteste."
Sehr schmeichelhaft ist das ja nicht gerade. Plötzlich fühle ich mich, wie ein Insekt in einem Objektträger, das man unter einem Mikroskop betrachtet. Jetzt weiß ich, wie sich wohl die Tiere im Zoo fühlen müssen und es ist kein angenehmes Empfinden. Aber schlau werde ich aus ihren Worten immer noch nicht. Aber noch ehe ich ihr eine weitere Frage stellen kann, kommt sie mir zuvor. "Sag, Kind", sagt sie sanft, "was machst du hier an diesem Ort? Wenn du weder an Gott glaubst, noch an Magie, was zieht dich hier her?"
"Ich ...", fang ich an und verstumme, da ich nicht weiß, wie ich es erklären soll, meine Gefühle, die mich hier her führen. Diese Sehnsucht, dieser Schmerz. Diese Verlorenheit. Zwischen den Toten fühle ich mich geborgen. Vielleicht wegen meinen Eltern. Möglicherweise, weil ich innerlich ebenso tot bin, wie sie. Eine leere Hülle, deren Geist vor Monaten bereits gestorben ist. 
Aber das kann ich dieser fremden Person nicht sagen. Meine Gefühle gehen niemanden etwas an, schon gar niemanden, den ich nicht kenne.
Seltsam. Erst Kieran. Jetzt diese Frau. In letzter Zeit scheinen mir Fremde näher zu sein, als die Menschen, die immer schon Teil meines Lebens waren.  
"Schon gut", höre ich sie sagen. Mir ist gar nicht bewusst gewesen, dass sie die ganze Zeit auf meine Antwort gewartet hat, während ich geschwiegen habe. "Du brauchst es mir nicht zu sagen. Ich verstehe das schon." Sie lacht. "Immerhin weißt du ja nicht, wer ich bin. Einem Menschen, den du nicht kennst, fällt dir sicher nicht leicht, dich zu öffnen."
Wenn sie wüsste. Mir fällt es sogar noch schwerer, mich denjenigen zu öffnen, die immer an meiner Seite waren, selbst jetzt, wo ich im dunkeln Abgrund stehe und kein Licht ist weit und breit, selbst jetzt stehen sie mir bei. Und doch ... Manchmal wünsche ich mir, endlich aus dieser Finsternis entkommen zu können. Aber am liebsten ... will ich einfach nur vergessen. Mich. Die Welt um mich herum. Die Vergangenheit. Alles.
Aber das sage ich ihr nicht. Das sage ich niemandem. Es ist mein ganz persönlicher Schmerz. Mein ganz persönlicher Fluch.
Nie habe ich irgendwem erzählt, was damals wirklich geschehen ist. Habe niemandem erzählt, was ich weiß.
Was ich gesehen habe.
Denn ich bin dabei gewesen.
Als meine Eltern ermordet wurden, war ich dabei gewesen.

"Nun, Kindchen, ich sollte jetzt besser los", sagt die alte Frau und macht Anstalten, sich von der Bank zu erheben. Ich will ihr schon helfen, doch da steht sie auch schon aus eigener Kraft aufrecht. Sie wendet mir erneut ihren blinden Blick zu und durchbohrt mich mit diesen leeren Augen. "Du solltest jetzt auch nach Hause gehen. Deine Tante wartet sicher schon auf dich. Und keine Sorge. Wir werden uns wiedersehen."
Damit lässt sie mich allein zurück und schlendert langsam den Pfad entlang. Ich sehe ihr nach, bis sie außerhalb meiner Sichtweite ist, lauter Fragen wirbeln in meinem Kopf.
Doch erst, als sie längst schon weg ist, wird mir bewusst, was sie gesagt hat.
Und dass ich nie meine Familie erwähnt habe, während unseres Gesprächs.
Weder meine Eltern.
Noch meine Tante.

                       
      

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KathySherryl

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KathySherryl Re: -
Zitat: (Original von BloodAngel am 16.11.2012 - 18:08 Uhr) Eine allwissende alte Dame :) Am anfang dachte ich Kieran sitzt neben ihr :)
MAch auf jedenfall weiter so

Lg BloodAngel


^^ Kieran ist nicht der Einzige, der Geheimnisse hat ;) Ein Tipp: die alte Dame haben wir nicht zum letzten Mal gesehen und sie spielt auch keine unwichtige Rolle :)
Hab grad ne kleine Blockade, aber sobald mein Tief vorbei ist, geht's weiter^^

lg
KT
Vor langer Zeit - Antworten
BloodAngel Eine allwissende alte Dame :) Am anfang dachte ich Kieran sitzt neben ihr :)
MAch auf jedenfall weiter so

Lg BloodAngel
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KathySherryl Re: -
Zitat: (Original von EagleWriter am 13.11.2012 - 17:12 Uhr) Wie immer : bitte schnell weiterschreiben^^


lg
E:W


Danke. Werde mich beeilen ;)

lg
KT
Vor langer Zeit - Antworten
EagleWriter Wie immer : bitte schnell weiterschreiben^^


lg
E:W
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