Kurzgeschichte
Frosch oder Prinz?

Frosch oder Prinz?

Ich sehe dich an, dein starres Gesicht liegt auf dem weißen
Krankenhauskissen. Deine Brust hebt und senkt sich nicht und auch dein Herz
schlägt nicht. Du bist tot. Schon seit einer Stunde. Die Ärzte werden dich bald
weg schaffen, sie haben gesagt ich solle endlich gehen. Aber ich sitze hier,
weil ich hoffe dein Lachen noch einmal zu hören. Ich hoffe, dass du doch noch
die Augen aufschlägst. Und das, obwohl ich weiß, dass es sinnlos ist. Du bist
tot. Aus und vorbei. Aber ich kann es nicht glauben, ich kann es einfach nicht
begreifen. Ich brauche dich doch. Wie lange waren wir zusammen? Zwei Jahre? Ich
weiß noch wie wir uns kennen gelernt haben, es war in einer kleinen Bar. Du
sahst sehr gut aus und ich habe mich nicht getraut dich anzusprechen. Ich hatte
viele Probleme, aber du hast mich angelächelt und dich zu mir gesetzt. Du hast
mit mir geredet, du hast einfach nur mit mir geredet und trotzdem habe ich mich
danach viel besser gefühlt. Du warst immer für mich da, aber jetzt bist du tot.
Dein Auto wurde von einem Anderen gerammt, du warst ohnmächtig als die
Rettungsleute dich bergen konnten und du hast heftig geblutet. Sie haben bei
uns zu Hause angerufen, ich bin sofort zum Krankenhaus gefahren. Achtundvierzig
Stunden saß ich an deinem Bett, habe mit dir gesprochen und gehofft das du
nicht stirbst. Ich habe deine Hand gehalten, geweint und gebetet. Und trotzdem
bist du gegangen. Du hast mich einfach allein gelassen. Dabei brauche ich dich
doch! Ich kann nicht mehr ohne dich...

Die Leute sagen immer im Tod sieht man friedlich aus, aber
ich finde du siehst nicht friedlich aus. Du bist so bleich, überall hast du
Wunden und Verbände und dein Mund steht noch offen von dem Schlauch der dich
vorher belebt hat. Außerdem krallt sich deine Hand immer noch in meine. Ich
habe sie noch nicht los gelassen. Dein Hemd ist aufgerissen, weil sie versucht
haben dich mit Elektroschocks wieder zu beleben. Vergeblich.

Weißt du noch wie du mich immer aufgemuntert hast, wenn es
mir schlecht ging? Du hast mir ganz tief in die Augen gesehen und mich gefragt:
„Hey, was bist du? Frosch oder Prinz?“ Bei allen Anderen hätte ich Frosch
gesagt, nur du hast mir das Gefühl gegeben ein Prinz zu sein. Aber wer weiß,
vielleicht brauchte der Frosch ja bloß eine schöne Prinzessin an seiner Seite
um zum Prinzen zu werden? Aber jetzt wo du tot bist fühle ich mich wieder wie
ein Frosch. Aber wie ein Laubfrosch, klein und hilflos nicht wie ein
Ochsenfrosch. Ich wünsche mir so sehr, dass du mir jetzt wieder diese Frage
stellen würdest. Ich wünsche mir wieder ein Prinz zu sein, dein Prinz. Aber
deine Augen bleiben geschlossen und dein Gesichtsausdruck starr. Eine Träne
rollt mir über die Wange, ihr folgen noch viele Andere und sie tropfen auf den
Fußboden.

Ich zittere. Langsam senke ich meinen Kopf und starre meine
mit Narben übersäten Arme an. Seit zwei Jahren sind keine Neuen dazu gekommen.
Aber ich weiß, wenn ich jetzt nach Hause komme, werden Neue dazu kommen. Und
ich bin mir nicht sicher, ob ich das überleben werde.

Du hast mich verlassen und mir alles genommen, wofür ich
noch gelebt habe. Nichts ist mir wichtiger als du. Wie sehr wünsche ich mir,
dein Lachen noch einmal zu sehen. Aber alle Hoffnung ist verloren. Du bist tot
und du wirst es immer bleiben. Vielleicht könnte ich mich aufrappeln, mein
Leben weiter leben, aber ich weiß, dass ich dann nur noch ein Schatten bin.
Ohne dich. Du hast mir gezeigt wer ich bin, was ich kann, wozu ich fähig bin.
Du hast mir gezeigt, dass das Leben noch einen Sinn hat, dass es sich immer zu
leben lohnt. Aber jetzt wo du tot bist, hat es da noch einen Sinn? Du hast mich
glücklich gemacht, so glücklich. Und jetzt...?

„Frosch oder Prinz?“, frage ich leise in den stillen, kahlen
Raum hinein und stehe auf. „Frosch“, antworte ich mir selbst bevor ich den Raum
verlasse.