Träume entstehen spontan
Peters Vater war Kürschnermeister mit einer privaten Kürschnerei in E.
In den frühen Siebzigern fuhren wir zwei mit dem „Wartburg“ nach E.
Peter musste stets die Scheiben offen haben, um den Kontakt zur Außenwelt nicht zu verlieren.
In E. angekommen, schleppte er mich durch die Werkstatträume.
Neben den verwaisten Arbeitstischen standen große Jutesäcke mit Fellresten unterschiedlicher Größe. Ich nahm ein paar Stücken heraus und betrachtete sie auf der Hand.
„Was wäre, wenn wir eine Jacke aus Resten nähen?“ fragte ich P. und der fand die Idee schick.
Ohne Ahnung, ohne Schnitt und mit null Handwerksbildung machten wir uns ans Werk.
Erste Hürde waren die Kürschnernähmaschinen, die im Gegensatz zu „normalen“ Maschinen vertikal nähten. Wahllos fügten wir Fellstück an Fellstück. Peters Vater kam vorbei, schaute sich den Anfang an und raufte sich die Haare. Wider jede Regel, ohne solide Kenntnisse hatten wir einen Teppich von Farben und Strukturen geschaffen und so ging das überhaupt nicht, meinte der Meister.
Doch, es ging!
Auf großen Tafeln spannten wir unsere Fellbahnen, rieben die Nähte mit einer milchigen Emulsion ein und falzten die Nahtübergänge.
Dann musste das Ganze trocknen. In den nächsten Tagen fuhr ich entgegen meinen Geflogenheiten nach Hause und motivierte meine Mutter, mir einen Jackenschnitt zu fertigen.
Noch heute finde ich, dass es an ein Wunder grenzt, dass aus dem Schnittbogen und den Fellfleckenstücken einen fertige Jacke wurde.
Sie war die absolute Schau am Studienort! Keiner hatte so ein Teil.
Oben rechts schaute ein schwarzer Büschel, links am Arm war ein Stück hellbraunes Lamm, am Rücken konnte man ne Art Kurzhaarfell identifizieren und eigentlich fand man kein Ende.
Die Jacke war wie eine Landkarte und bald nannte man mich „Felljäckchen“.
Eine Vision war in Erfüllung gegangen – unwahrscheinlich schön.
Anfangs trug ich das Teil mit einem Gürtel, später nähte Tante E. noch Futter und Reißverschluss ein. Als Krönung kam noch unter dem Aufhänger das Firmenlogo der Kürschnerei H. hinein.
Wenn auch mein körperlicher Zuwachs mich heute am Tragen hindert, so hat sie mich durch die Zeit begleitet und ist der Beweis, dass Ideen Wirklichkeit werden können, wenn man sich nur traut.
2011-12-22 jfw