Kurzgeschichte
Schuld - Gedanken eines Friedhofbesuchers

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"Schuld - Gedanken eines Friedhofbesuchers"
Veröffentlicht am 06. September 2011, 6 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Ich ...bin Österreicherin ...studiere Archäologie, Germanistik und Geschichte ...vertrage Kritik, solange sie begründet und ehrlich ist ...lese quer durch viele Genres ...glaube anders als Max Frisch und ähnlich wie Bert Brecht dass Literatur sehr wohl (wenn auch nur in geringem Maße) dazu beitragen kann, gesellschaftiche Veränderungen zu erwirken
Schuld - Gedanken eines Friedhofbesuchers

Schuld - Gedanken eines Friedhofbesuchers

Beschreibung

Innerer Monolog

Wie konnte das bloß passieren?

Was habe ich mir nur dabei gedacht?

Es waren doch nur zwei oder drei Bier. Nichts Nennenswertes. Ich trinke doch sonst nicht. Wegen dieser drei Kilometer wäre es doch dumm gewesen, das Auto stehen zu lassen. Wer hätte denn ahnen können, dass …

Verdammt!

Wäre ich doch noch ein, zwei Minuten geblieben. Die Straße wäre leer gewesen, wie immer. Was hatte er bloß um diese Zeit draußen zu suchen? Die Nacht ist doch keine Zeit für Kinder! Und wo waren seine Eltern, als …

Das ist doch alles ungerecht. Wo ist Gott in solchen Momenten? Wieso muss für eine Dummheit, die ich begangen habe, ein unschuldiges Kind sterben?

Was ist das für eine Gerechtigkeit?

Ich sollte jetzt hier liegen. Nicht er.

Wieso sind wir nur so verletzlich? Wieso können wir nicht ewig leben? Das hat doch alles keinen Sinn. Wofür lebt man denn, wenn man diese Welt ohnehin wieder verlassen muss? Wie können wir lieben, wenn wir wissen, dass auch unsere Liebsten uns wieder entrissen werden? Lohnt sich das alles überhaupt?

Ich will nicht sterben. Nie. Ich könnte es nicht.

Wie hat er es bloß geschafft, mit einem Lächeln zu gehen? Ohne Mutter, ohne Vater, ohne Verwandte, Freunde, ohne irgendjemanden, den er kannte. Nur ich war da. Sein Mörder.

Ein reumütiger, innerlich zerrissener Mensch voller Selbstzweifel, aber dennoch ein Mörder.

Und er liegt da und lächelt mich an, als wäre alles halb so schlimm; als würde er nicht literweise Blut verlieren und immer blasser werden.

Ich konnte nichts tun; hatte keine Möglichkeit mehr ihn zu retten. Das haben doch auch die Sanitäter gesagt. Und trotzdem fühle ich mich schuldig.

Wie soll ich bloß damit leben? Kann ich es?

Will ich es überhaupt?

Wieso spielt das Leben mir nur so unglaublich schmerzhafte, schreckliche Streiche?

Erst nimmt es mir meine Eltern, dann die Frau, die ich über alles liebte und unseren gemeinsamen Sohn.

Jetzt bin ich derjenige, der von jenen gehasst wird, die diesen Jungen liebten.

Und ich kann es ihnen nicht einmal verübeln. Ich hasse mich selbst.

Mag sein, dass  es nicht meine Schuld war. Der Junge ist einfach auf die Straße gesprungen, aus heiterem Himmel. Ich hatte gar keine Chance auszuweichen. Und doch war ich es, der ihm das Leben nahm. Dieses junge Leben, das noch nicht einmal richtig erblüht war.

Ich habe jemandem denselben Schmerz zugefügt, der mir einst zugefügt wurde.

Ist das Schicksal?

Will Gott mir auf diese grauenhafte Weise klar machen, dass es immer noch schlimmer geht, egal wie schlecht man sich bereits fühlt? Gibt es Gott überhaupt?

Wie kann er zulassen, dass Kinder sterben? So etwas haben sie doch nicht verdient. So etwas hat niemand verdient.

Aber der Junge hat gelächelt.

Hat er das Paradies gesehen?

Oder hat er einfach nicht verstanden, was mit ihm passiert ist?

Werde ich meinem Tod auch so unbeschwert ins Gesicht lachen können? Könnte ich meinem Mörder vergeben?

Wohl eher nicht.

Aber er hat es getan. Das habe ich doch gespürt. Dieses unerfahrene Geschöpf, das erst seit so wenigen Jahren auf dieser Welt gelebt hat, scheint mehr begriffen zu haben als ich selbst.

Der Tod ist unumgänglich. Eines jeden Zeit wird kommen.

Er musste gehen, auch wenn es viel zu früh zu sein schien.

Nun muss auch ich gehen.

© Fianna 2011

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Fianna
Ich
...bin Österreicherin
...studiere Archäologie, Germanistik und Geschichte
...vertrage Kritik, solange sie begründet und ehrlich ist
...lese quer durch viele Genres
...glaube anders als Max Frisch und ähnlich wie Bert Brecht dass Literatur sehr wohl (wenn auch nur in geringem Maße) dazu beitragen kann, gesellschaftiche Veränderungen zu erwirken


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Fianna Re: -
Zitat: (Original von RogerWright am 06.09.2012 - 17:11 Uhr)
Du wirfst viele grundlegende Fragen des Lebens auf, viele Fragen, die sich alle Menschen fragen, ob sie nun gläubig sind oder nicht.
das Ende lässt natürlich auch viel Platz für Spekulationen. Begeht der Protagonist Selbstmord, weil er die Schuld nicht mehr aushält, weil er sich nicht mehr mit dieser Welt verbunden fühlt?
Ein großartiger Text, der nachdenklich stimmt.
Es müssen janicht erst solche Dimnge passieren, das man sich über solche Fragen einmal klar werden will, aber meist denken wir doch darüber gar nicht nach, solange uns nichts direkt selbst betrifft.
Da ist man sprachlos im Angesicht solcher Puristik, Einfachheit und doch solcher Größe eines Textes.


Einer der Gründe, weshalb ich gerne Innere Monologe schreibe, ist der, dass es dabei viel einfacher fällt, solcherlei Gedanken zu Papier zu bringen, weil die Geschichte und das ganze drumherum dabei gar nicht so wichtig sind.
Freut mich aber trotzdem, wenn auch das drumherum (wie der offene Schluss) überzeugt.

Dankesehr für's Lesen und Kommentieren!

Liebe Grüße
Fianna
Vor langer Zeit - Antworten
RogerWright 
Du wirfst viele grundlegende Fragen des Lebens auf, viele Fragen, die sich alle Menschen fragen, ob sie nun gläubig sind oder nicht.
das Ende lässt natürlich auch viel Platz für Spekulationen. Begeht der Protagonist Selbstmord, weil er die Schuld nicht mehr aushält, weil er sich nicht mehr mit dieser Welt verbunden fühlt?
Ein großartiger Text, der nachdenklich stimmt.
Es müssen janicht erst solche Dimnge passieren, das man sich über solche Fragen einmal klar werden will, aber meist denken wir doch darüber gar nicht nach, solange uns nichts direkt selbst betrifft.
Da ist man sprachlos im Angesicht solcher Puristik, Einfachheit und doch solcher Größe eines Textes.
Vor langer Zeit - Antworten
MysticRose Herrje, ist das wieder spannend und genial gewesen. Ich husch gleich mal weiter zum nächsten Text von dir :-)
Vor langer Zeit - Antworten
Strigoia WOW!!!

Beeindruckend... Traurig... Genial!

Lg
Strigoia
Vor langer Zeit - Antworten
EagleWriter Immer wieder schön zu lesen.

lg
E:W
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Großartig geschrieben - Dein innerer Monolog.

LG Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
EagleWriter Eines jeden Zeit wird kommen... - Ein wirklich großartiger Monolog über das Thema Schuld und Schudlzuweisung sich selbst gegenüber.
Ein Freudn hat mir mal gesagt: ,,Die Schwerste Vergebung ist die Vergebung sich selbst gegenüber."
Wieder ein Großartiger TExt von dir.
MFG
E:W
Vor langer Zeit - Antworten
Gast ... - Ohne den Alkohol wäre die Schuldzuweisung sich selbst gegenüber wahrscheinlich nicht so groß. Manchmal sind es halt einfach dumme Zufälle die einen Menschen ungewollt in den Tod reisen. Die einzige Frage die sich stellt ist doch jene: Wie gehe ich damit um? Kein Gedanke ist zuviel gedacht, kein Gefühl zu viel gefühlt. Und dennoch will der Mensch versuchen sein Innerstes zu kontrollieren, was einfach nicht auf Dauer funktioniert. Das Schlimmste ist in solchen Situationen überhaupt keine Gefühle, Gedanken an sich ran zu lassen. Habe immerhin auch schon einen Rentner angefahren...
Vor langer Zeit - Antworten
Montag Gut - beschriebene Gedankenwelt eines Betroffenen.
Gruß Montag
Vor langer Zeit - Antworten
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