Konzert mit Annett
Unausgesprochen ungewohnt. Wie ein Date – zu einem ersten „Stell-dich-ein“
werde ich gehen, zum Konzert mit Annett L.
Ihre CDs sind Konserven und die geben akkurate Studioqualität wieder, geschönt und bearbeitet.
Youtube.de liefert schon ein wenig mehr Lebendigkeit.
Auf verschiedenen Bühne, in unterschiedlichem Outfit oder auch mit Bigband.
Am besten hat mir AL bisher in „kleiner“ Runde und unplugged gefallen.
Da kommt der Text zum tragen und die Nuancen ihrer variablen Stimme nimmt man besser wahr.
Deshalb wollte ich unbedingt ins „Quasimodo“ nach Berlin.
Ein wenig hab ich recherchiert, hab meine Verwandten und Bekannten befragt und im .net gegoogelt. Ein neuer musikalischer Partner, Danny Dziuk, macht neugierig. Scheinbar ein Barde, der zwischen 70ern und Neuzeit pendelt, in der Konzertlocation schon sein Jubiläum feierte.
Gepolt auf den Wortwitz und die sehr intimen Texte a la Ramond, die sie ungeheuer einfühlsam dargeboten hat scheint es nun schwer, nahtlos anzuknüpfen.
Irgendein Schreiber hat sie auf ihren kreativen Höhepunkt verbannt, dann müsste es demnächst schwer sein den „Punkt“ zu verteidigen.
An anderer Stelle nennt man Annett „Chanteuse“, was gigantisch klingt, aber ihrer „Extra“Klasse auch nicht gerecht wird.
Eine Wissensvermittlerin apostrophiert sie gar als „Flüsterstimme“ – ein Zusatz, der von wenig Musikalität zeugt.
Beim Suchen nach Bildern von AL finde ich nie DAS Gesicht. Immer kommt sie dem Betrachter anders, gewandelt entgegen. Somit gibt es kein „Vorzeigegesicht“ oder „Ich-lach-mal-in-die-Linse“ Stereotyp.
Und das heißt schon viel, in einer Zeit, wo Prominenz schnell verschlissen ist und sie manchen Titel endlos oft „verkörpern“ muss, ohne ihn auszuleiern.
Die Katakomben des „Quasimodo“ waren am Donnerstagabend gut nachverdichtet, als das Konzert begann.
Nach ihren Männern nahm AL schwungvoll ihren Platz ein und riss das Publikum mit, das begierig an ihren Lippen hing.
Ein Lob von Annett auf Berlin, dass dies wenig verdient und eine Verneigung vor all denen, die „In meiner Mitte“ wie eine kleine „Luoisan – Puppenstube“ mitgestaltet hatten.
Nach ihrer letzen CD und dem fast schon verschlissenen „Teilzeithippie“ munkelte man von neuen Tönen und einer „anderen“ Annett. Ulla Meinecke, Annette Humpe, Ulf Krüger und auch bewährte Komponisten/Texter waren angekündigt, die Auskopplung des Songs „Verschwinde“ lies Neues ahnen.
Was kam war ganz anders.
Im plissierten, schulterfreien kleinen Schwarzen mit dekorativem Glitzergürtel bot AL eine Vielzahl von Gesangsfacetten, zeigte anrührende Ausdrucksstärke und bisher nicht gekannte textliche Vielfalt. Da war auch Platz für Rock & Roll, die Bassbeats brachten die Zwergfelle zum schwingen, nur die konzertante, liedhafte Zartheit vergangener Tage habe ich vermisst.
Dazwischen zog Annett ihr Publikum zu sich, mit Songs, wie „Ev“ und „Fettnäpfchenwetthüpfen“. Sie spielte mit den Hörern, wie mit Marionetten – sie folgten ihr aufmerksam, waren hin – und mitgerissen.
Ihrer Band gab sie Raum und Zeit für Soli, der Schlagzeuger zog alle Register seiner „Schießbude“, der neue Keyboarder (Neumann) jagte uns Gänsehaut über den Rücken und beim Glissando ihres Gitarristen träumte sie und schwebte schier zwischen den Tönen.
Auch das „Spiel“, unendlich oft gehört und gespielt, holte AL hervor und im Hier und Jetzt klang es ganz anders – die Lauscher sangen beseelt einfach mit.
Vom Anfang bis zum Schluss fühlte ich ihr Credo, „…In meiner Mitte, bin ich ein Zirkuskind, dem seine Wurzeln abhanden gekommen sind…“, wie ein Bogen, der von ihrer Authentizität getragen wurde.
Nähe in einer Zeit, die keine Zeit hat.
Wärme, die nicht nur durch enges Stehen induziert wurde.
Gefühle, nach denen jeder hoffnungslos sucht und die Annett frei Haus bietet,
mit und ohne spiel’n.
März 2011