Romane & Erzählungen
Die Freundin

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"Die Freundin"
Veröffentlicht am 11. August 2010, 6 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Die Freundin

Die Freundin

Die Freundin

 

„ Es kommen Deutsche, hast Du schon gehört !“ rief die Nachbarin über den Zaun.

Seit ein paar Tagen spricht man darüber und heute steht es auch in der Lokalpresse:

Ein Chor aus Deutschland wird mit litauischen Freunden in der Kirche des kleinen Dorfes am Sonnabend ein Konzert geben.

Dies ist ein besonderer Höhepunkt für die ganze Umgebung, die unter der Landflucht der jungen Menschen leidet.

 

Sie war gerade in ihrem kleinen Garten, als sie von der Nachbarin an das Konzert erinnert wurde. Fast hatte sie es vergessen und war mit ihren 82 Jahren dankbar für diesen Hinweis.

Während sie die prallen Gurken in ihren Korb legte, die dieses Jahr besonders gut gewachsen sind, kamen ihr nun Erinnerungen an eine Zeit, die viele Jahre zurückliegt.

Als Kind hatte sie noch miterlebt, wie Litauer, Deutsche und Polen friedlich in dem fruchtbaren Land zusammenlebten. Man ging gemeinsam zur Schule, spielte und feierte gemeinsam. Mit ihrer Freundin, einem Mädchen aus Tilsit, ist sie oft durch die Wiesen und Felder gezogen, wenn sie sich von der Arbeit auf dem Hof lossagen konnten. Dann lagen sie stundenlang im  Gras und beobachteten die wundersamen Wolken, die der Wind von der Ostsee über den Nemunas trieb. Und es kamen die Bilder wieder, als sie beide mit den Jungen aus dem Nachbardorf tanzten und dabei heimlich zählten, wer ihnen am wenigsten auf den Fuß getreten war.

Doch dann kam der Krieg, der alles veränderte. Die Männer mussten an die Front, Polen waren plötzlich wieder zu Feinden geworden. Als dann die Russen das Land besetzten, versuchten viele Deutsche nach Westen zu fliehen. Doch anders als den Menschen in Ostpreußen, Pommern und Schlesien, blieb den deutschen Litauern kaum Zeit, das Land zu verlassen. Die Litauer selbst hatten die Wahl der Flucht nicht. Viele Männer, die nach dem unsäglichen Krieg im Land waren, wurden verschleppt und kamen nie wieder zurück.

Und dann kam der Tag, an dem sich die beiden Freundinnen das letzte mal sahen. Von den sowjetischen Behörden wurde 1950 in aller Eile ein Transport zusammengestellt. Alle deutschen Frauen, Kinder und alte Menschen wurden nach Ostdeutschland verschickt.

Die alte Frau sieht den Militärlaster im Staub der Straße verschwinden. Ihrer Freundin zu winken, hatte sie nicht gewagt.

 

 

Es war ein schönes Konzert. Den Menschen war die Freude anzusehen. Als wir zum Schluss das litauische Lied „Himnas Meilei“ vortrugen, sangen etliche mit, einige wischten sich die Tränen aus den Augen. Wir gingen zum Bus und wollten gerade einsteige, als uns eine alte Frau in litauisch und russisch ansprach. Wir verstanden nicht viel. Doch als sie aus ihrer Rocktasche einen selbstgeklebten Briefumschlag hervorholte und ihre zitternden Hände zwei kleine Fotos hervorbrachten, wussten wir, dass sie jemanden sucht. Sorgfältig war auf der Rückseite der deutsche Name einer jungen Frau geschrieben. Durch unsere Dolmetscherin erfuhren wir, dass sie ihre Freundin, die ihre Eltern verloren hatte, vor 60 Jahren das letzte mal sah. Mit einem Transport deutscher Aussiedler musste sie die Heimat damals verlassen. Erst jetzt, nachdem Litauen unabhängig geworden ist und Deutsche ihr Dorf besuchen, habe sie den Mut gefunden, nach ihr zu fragen. Dann nimmt sie einen kleinen Zettel, schreibt ihren Namen und Adresse darauf und steckt ihn mit den alten Fotos in den Umschlag, den sie uns gibt. Wir versprechen, ihr zu helfen.

 Es hat plötzlich stark zu regnen begonnen. Wir steigen in den Bus und fahren in unser Quartier. Eine alte Frau mit durchnässter Sonntagsbluse sucht unter dem Eingang der Kirche Schutz und sieht uns nach bis der Bus am Ende des Dorfes hinter der Biegung verschwindet.  

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adventor89
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adventor89 Re: du hast erinnerungen geweckt.. -
Zitat: (Original von luanna am 21.12.2010 - 23:38 Uhr) bittere erinnerungen..
schmerzhafte erinnerungen..
aber irgendwie auch eine handvoll frieden..

merci

n8ti

nelly




ja Nelly,

eine handvoll Frieden sei der Preis
für Schmerz und Bitternis.

Ich glaub, von Heimat, Krieg und Frieden brauche ich Dir nichts zu sagen.
Danke !!

Michael
Vor langer Zeit - Antworten
luanna bin schon wieder hier.,. - musste eben an das schwere leben meiner eltern denken..
ein hauch heimweh, aber auch trauer werden mich nun bestimmt durch die nacht begleiten..

merci

n8ti

grüsse von der stillen saar

nelly
Vor langer Zeit - Antworten
luanna du hast erinnerungen geweckt.. - bittere erinnerungen..
schmerzhafte erinnerungen..
aber irgendwie auch eine handvoll frieden..

merci

n8ti

nelly

Vor langer Zeit - Antworten
bienesskatepin Eine bewegende Geschichte - so nah und manchmal doch so fern...
Schutz suchen, auch wenn es der Eingang zu einer Kirche ist oder Schutz bei einem lieben MEnschen suchen...
eine Geschichte, die auch in unseren Tagen geschrieben werden könnte...
Und die Fortsetzung... :-)
Guten Abend und NAcht
Beate
Vor langer Zeit - Antworten
adventor89 Re: eine anrührige geschichte -
Zitat: (Original von Himmelskind am 13.08.2010 - 11:53 Uhr) auch ich bin gespannt auf die fortzetzung

lg

birgit



ja, das ist sie wirklich !
Ich dank Dir Birgit und komm gut durchs Wochenende.
herzlich
Michael
Vor langer Zeit - Antworten
adventor89 Re: Eine sehr ... -
Zitat: (Original von Gunda am 12.08.2010 - 10:54 Uhr) ... anrührende Geschichte, Michael, besonders wenn man - wie den Kommentaren zu entnehmen ist - weiß, dass sie authentisch ist. Rein formal hüpfst besonders am Anfang ein bisschen zwischen den Zeilen hin und her, aber der Aufbau der Geschichte, das Bild der alten Frau am Anfang und am Ende und die Rückblende - das ist alles sehr stimmig.

Lieben Gruß
Gunda

PS: Boah ... Missa Criolla. Habe auch schon einmal an einer solchen Aufführung mitwirken dürfen, in einem eigens für diesen einen Zweck (Jubiläumskonzerte eines Sängerbundes) gegründeten Projektchor. Eine tolle Erfahrung.



Danke Gunda, für Deinen Beitrag.
Es ist ja unglaublich, wer hier alles musikalisch ist. Schön, dass Du auch in diesen Rythmus eintauchen konntest.

Viele Grüße und ein schönes Wochenende
Michael
Vor langer Zeit - Antworten
Gunda Eine sehr ... - ... anrührende Geschichte, Michael, besonders wenn man - wie den Kommentaren zu entnehmen ist - weiß, dass sie authentisch ist. Rein formal hüpfst besonders am Anfang ein bisschen zwischen den Zeilen hin und her, aber der Aufbau der Geschichte, das Bild der alten Frau am Anfang und am Ende und die Rückblende - das ist alles sehr stimmig.

Lieben Gruß
Gunda

PS: Boah ... Missa Criolla. Habe auch schon einmal an einer solchen Aufführung mitwirken dürfen, in einem eigens für diesen einen Zweck (Jubiläumskonzerte eines Sängerbundes) gegründeten Projektchor. Eine tolle Erfahrung.
Vor langer Zeit - Antworten
adventor89 Re: versprichst du mir -
Zitat: (Original von seelchen am 11.08.2010 - 22:22 Uhr) dass wir das dann auch lesen dürfen? Ich meine, das was jetzt geschehen wird? Ohhh, ich möchte das schon gern wissen - ich wünsche mir ein Happy End. Wie kann sich der Leser nun ein solches wünschen? Ganz einfach. Der Autor hat den Leser mitgenommen auf eine wundervolle Reise - eine Reise voller Wunder.

Schön!

lg seelchen



Liebes Seelchen, ich danke Dir für Deinen lieben Kommentar. Ich war am überlegen, ob ich die Geschichte weiterdenke und schreibe. Ich stelle mir die Gedanken der Frau vor, die seit dem in ihr arbeiten. was ist mit der Hoffnung ... wird sie zur Enttäuschung werden ? Wird sie jetzt vergebens warten ... werden die Spuren der Freundin Frieden bringen ... oder gibt es sogar ein tränenreiches Happy End ... Und auch ich hoffe es sehr.

Doch all die Fragen und Gedanken darüber, sammeln sich für mich in dem letzten Bild der wartenden Frau im Regen. Jedes Wort wäre zu viel ...

... Ich halt Dich auf dem Laufenden (der Kontakt zum Suchdienst des Roten Kreuzes ist bereits hergestellt).

Danke noch mal !
Michael
Vor langer Zeit - Antworten
adventor89 Re: lieber adventor -
Zitat: (Original von Magdalena am 12.08.2010 - 07:49 Uhr) welch eine bewegende Begegnung und welch große Verantwortung ist euch übertragen worden. Sucht ihr jetzt?Ich wünsche mir so sehr, dass sie sich noch finden können.
Musik kann so viele Emotionen und Sehnsüchte wieder wach werden lassen und ist grenzüberschreitend verbindend. Nach einem Konzert in München, wo wir die Misa Criolla gesungen hatte stand ein alter Mann laut Bravo rufen und begeisternd klatschte, der dann auf uns zu kam und uns erzählte, er wäre Argentinier und ein Freund von Ramirez dem Komponisten in seiner Studentenzeit war.Alles bekam plötzlich eine intensivere Bedeutung als er uns viele Geschichten von ihrer Freundschaft erzählte. Wir bekamen ein Bild von seiner Person geschenkt und die Musik wurde für uns noch lebendiger. Er hat nach dem Konzert den Kontakt zu ihm wieder gesucht und auch gefunden. Er hat ihm von unserem Chor der seine Musik so gut interpretiert erzählt und seine Begeisterung muss so groß gewesen sein, dass wir dadurch zu einem argentinischen Chorleiter bekamen. Wir sind nun eingeladen nach Argentinien zu fahren um an America Cantat teilzunehmen. Leider mussten wir es absagen, denn wir sind ein Laienchor und es ist nicht möglich 60 Personen unter einem Hut zu bekommen um so eine lange Reise zu machen.Doch all diese Reaktionen hat bei uns eine sehr große Freude ausgelöst.
Ich danke dir für deine schöne Geschichte, die meine Erinnerungen an diese Begegnung hat wieder so lebendig werden lassen. LG Magdalena



Ich danke dir Magdalena, für Deinen begeisternden Kommentar, über den ich mich sehr freue. Die Misa criolla und andere lateinamerikanische Stücke durfte ich auch schon einige Male mit der Münchner Gruppe "Canto Indio" unter Leitung von Raul Alvarello singen, die Du dann vielleicht auch kennst.
Du siehst: Musik verbindet im Herzen ... das ist wahr !!! ...
herzlich
Michael
Vor langer Zeit - Antworten
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