Humor & Satire
Sinnfreie Lotte - Ein Tag aus dem Leben einer Dadaistin

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"Sinnfreie Lotte - Ein Tag aus dem Leben einer Dadaistin"
Veröffentlicht am 12. April 2009, 6 Seiten
Kategorie Humor & Satire
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Über den Autor:

Geboren und aufgewachsen in Süddeutschland. Lange in Berlin und Hamburg gelebt, später in der Lüneburger Heide. Neuerdings wieder in Berlin. Autor von bisher drei Romanen, von Erzählungen und von Kurzprosa. Eine Buchveröffentlichung: Alle Männer sind Brüder, Roman (BoD Norderstedt 2007). Weitere Werke als eBooks unter www.bookrix.de/-arno.abendschoen gratis lesen und herunterladen!
Sinnfreie Lotte - Ein Tag aus dem Leben einer Dadaistin

Sinnfreie Lotte - Ein Tag aus dem Leben einer Dadaistin

Beschreibung

Spaß macht nur, worin kein Sinn enthalten

Sinnfreie Lotte



In einem Stück von Botho Strauß bleibt eine Frau – Lotte mit Namen – im Wartezimmer eines Arztes bis zum Ende der Sprechstunde sitzen. Sie wartet nicht auf eine Untersuchung. Als sie nach ihren Wünschen gefragt wird, kommt es heraus: Sie hat keine (zumindest keine jetzt realisierbaren), sie sitzt „nur so“ da. Ihre Anwesenheit dort ist also sinnfrei – das lobe ich mir. Umstellt von Zwängen, dauernd aufgefordert zu sinnvollen Handlungen, wird das Individuum erst autonom durch die Weigerung, vernünftig-zweckmäßig zu agieren.

     Lotte darf dort nicht sitzen bleiben. Was könnte sie stattdessen tun? Phantasieren wir ein wenig.

      Sie könnte zum Beispiel im Telefonbuch irgendeine Seite aufschlagen. Dann tippt sie mit dem Finger auf einen beliebigen Namen und wählt die Nummer. Der Angerufene meldet sich: „Hallo! Gruber …“ – Lotte: „Guten Tag.“ – Gruber: „Was wünschen Sie, womit kann ich dienen?“ – Lotte: „Mit nichts.“ – Gruber: „Ja, weshalb … Sie müssen mir schon sagen … Oder sind Sie jetzt falsch verbunden?“ – Lotte: „Nein, hab nur so angerufen.“ Gruber beendet das Gespräch abrupt. Er braucht Tage, um sich von diesem Erlebnis zu erholen.

     Lotte wird unternehmungslustig. Sie kauft sich in der Stadt in einem Fachgeschäft einen billigen, doch schön glänzenden Koffer und geht mit ihm ins Warenhaus X. Dort fährt sie, den leeren Koffer mit sich führend, vom Erdgeschoss alle Rolltreppen hinauf bis unters Dach. Dann zurück ins Parterre. Und wieder hinauf. Und zurück. Eine Stunde lang. Zwei Stunden. Verkäuferinnen werden aufmerksam. Diskret erscheint der Hausdetektiv, bittet sie in ein Séparée. Er schaut misstrauisch in den Koffer, lässt sich den Kassenbon aus dem Fachgeschäft zeigen. Lotte ist ihm unheimlich. Sie bekommt Hausverbot.

     Unsere Lotte schließt den Koffer in einem Gepäckschließfach ein, um ihn nie wieder abzuholen. Den Schlüssel wirft sie in die Mütze eines Bettlers, der losbellt: „He, was soll’n das?!“

     Dann sitzt Lotte in der Eisenbahn. Es ist ein schwach besetzter Regionalzug, in dem gerade die Fahrkarten kontrolliert werden. Als die Zugbegleiterin (vulgo Schaffnerin) sich ihr nähert, steht Lotte auf und zieht sich langsam von ihr zurück. Dabei wirft sie ängstliche Blicke auf die Bahnangestellte, der das nicht entgeht. Mit der Zeit arbeiten beide sich bis ans Zugende vor. Der Schaffnerin kommt ein bestimmter, nahe liegender Verdacht. Entschlossen stellt sie sich Lotte in den Weg, als diese im WC verschwinden will. Lotte hat natürlich eine Fahrkarte und darf ins WC. Die Zugbegleiterin schüttelt den Kopf, wobei ihr „So `n Theater!“ über die Lippen kommt.

     Lotte verlässt das WC, unnötig zu sagen: unverrichteter Dinge. Die Schaffnerin macht jetzt eine Durchsage an die Reisenden und säuselt gerade ins Mikrophon: „ … nicht Ihr Handgepäck“ – als Lotte schon hinter ihr steht und sie unter dem rechten Arm kitzelt. Ein Aufschrei: „Huch!“ und im ganzen Zug Gelächter. Nun kommt bald die Bundespolizei. Aber sie können Lotte nichts. Es ist kein gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr gewesen.

     Endstation. Lotte verschwindet einfach zwischen den Häusern. Ob sie noch einmal auftaucht? Hat einer sie seitdem gesehen?

 

 

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Hörbuch

Über den Autor

Abendschoen
Geboren und aufgewachsen in Süddeutschland. Lange in Berlin und Hamburg gelebt, später in der Lüneburger Heide. Neuerdings wieder in Berlin. Autor von bisher drei Romanen, von Erzählungen und von Kurzprosa. Eine Buchveröffentlichung: Alle Männer sind Brüder, Roman (BoD Norderstedt 2007). Weitere Werke als eBooks unter www.bookrix.de/-arno.abendschoen gratis lesen und herunterladen!

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Abendschoen Re: Sinnfrei ? -
Zitat: (Original von MarionG am 12.04.2009 - 21:40 Uhr) Lieber Arno,
ich habe Deine Geschichte verschlungen. Sie hätte sogar noch länger sein dürfen (und das von mir, wo ich es hasse, zu lange Texte am Computer zu lesen).
Ich fand das sehr amüsant. Die Sache mit dem Zug könnte mir auch richtig viel Spaß machen, im Wartezimmer rumsitzen weniger.
Ich habe danach die sehr philosophischen Kommentare gelesen. Ich muss sagen, ganz ohne Grund macht man wohl nichts, und wenn man eine Sache nur deshalb macht, um sie ohne Grund zu machen. (wie Gunda schon sagt).
IN jedem Fall eine absolut klasse Geschichte, ebenso klasse erzählt. Das ist mir ein Favorit wert.
Liebe Grüße
Marion
Marion, ich danke dir sehr, und bin in dem entscheidenden Punkt ganz deiner Auffassung. In Gides Roman ist es u.a. der Ekel vor einem Mitreisenden, der den Helden dazu bringt, ihn in den Tod zu stoßen. Vielleicht ist es gut, wenn man sich solche Regungen bewusst macht - damit man sich unbedingt unter Kontrolle behält. - Arno Abendschön -
Vor langer Zeit - Antworten
Abendschoen Re: Re: Re: Hach ... -
Zitat: (Original von Gunda am 12.04.2009 - 21:21 Uhr)
Zitat: (Original von Abendschoen am 12.04.2009 - 21:14 Uhr)
Zitat: (Original von Gunda am 12.04.2009 - 20:51 Uhr) ... ich wusste gar nicht, dass du mein alter ego kennst, Arno.;-)) Sehr fantasievoll, was du Lotte da an Sinnfreiem unternehmen lässt. Würde mich glatt reizen, mal die eine oder andere Situation nachzuspielen. Gerade die Szene mit dem Rückzug auf das Bahnklo trotz vorhandener Fahrkarte würde mir großen Spaß machen... Oder auch, "versehentlich" auf dem Rückweg die Hin-Fahrkarte vorzuzeigen, einfach nur um zu testen, ob/wie der Schaffner reagiert. Aber dann wäre die Tat ja wieder keine Sinn-lose, hmmm ...

Jedenfalls schmunzele ich schon wieder.
Lieben Gruß
Gunda


Danke, Gunda. Mit deinem Bedenken am Schluss berührst du eine hochphilosophische Frage: Kann es den Act gratuit überhaupt geben? Gibt es Mord ohne Motiv? Und wo kein Motiv, da keine niederen Beweggründe, also vielleicht gar kein Mord, sondern was? Bleiben wir lieber beim Motivzwang ... Falls dich das Thema literarisch interessiert und du den sehr amüsanten Roman Gides "Die Verließe des Vatikan" noch nicht kennst, weise ich dich hiermit auf ihn hin. Da wird ein unbekannter Mitreisender scheinbar ohne Motiv aus der Eisenbahn in den Tod gestoßen. (Und das soll lustig sein?!)- Arno Abendschön -


Ich kenne den Roman nicht, vielen Dank. (Wolltest du nicht ohnehin mal irgendwann im Rahmen deiner "Schreibart" Bücher vorstellen, so wie du es früher mal mit Filmen getan hast?)
Mir ist in der Tat schon mal ein ähnlicher Gedanke durch den Kopf gegangen. Vor Jahren stand ich mal in der Stadt hinter einer Frau, die sich nach irgendetwas bückte, das heruntergefallen war. Ich überlegte: Was wäre eigentlich, wenn ich sie jetzt plötzlich stoßen und sie auf die Nase fallen würde. Einfach so, ohne dass ich einen Grund dafür habe ... Erklärt man mich dann für verrückt? Und wenn ja, was erfolgt daraus für mich, für diese Frau? Müßig, darüber nachzudenken, aber andererseits auch interessant.
lg
g.
Ja, gutes Beispiel. Meine Meinung: Es gibt auch in solchen Fällen immer ein Motiv in uns oder ein ganzes Bündel. Könnten wir sie uns bewusst machen, würden wir oft erschrecken. -
Ja, Buchhinweise gebe ich immer gern. Das Problem: Die meisten Texte von mir liegen mir nur in Papierform vor. Ich bin jetzt dabei, sie nach und nach, nach Themengruppen zusammengefasst, auf die Festplatte zu bringen. Zzt. sind es Humoresken wie diese Lotte hier. - Arno Abendschön -
Vor langer Zeit - Antworten
MarionG Sinnfrei ? - Lieber Arno,
ich habe Deine Geschichte verschlungen. Sie hätte sogar noch länger sein dürfen (und das von mir, wo ich es hasse, zu lange Texte am Computer zu lesen).
Ich fand das sehr amüsant. Die Sache mit dem Zug könnte mir auch richtig viel Spaß machen, im Wartezimmer rumsitzen weniger.
Ich habe danach die sehr philosophischen Kommentare gelesen. Ich muss sagen, ganz ohne Grund macht man wohl nichts, und wenn man eine Sache nur deshalb macht, um sie ohne Grund zu machen. (wie Gunda schon sagt).
IN jedem Fall eine absolut klasse Geschichte, ebenso klasse erzählt. Das ist mir ein Favorit wert.
Liebe Grüße
Marion
Vor langer Zeit - Antworten
Gunda Re: Re: Hach ... -
Zitat: (Original von Abendschoen am 12.04.2009 - 21:14 Uhr)
Zitat: (Original von Gunda am 12.04.2009 - 20:51 Uhr) ... ich wusste gar nicht, dass du mein alter ego kennst, Arno.;-)) Sehr fantasievoll, was du Lotte da an Sinnfreiem unternehmen lässt. Würde mich glatt reizen, mal die eine oder andere Situation nachzuspielen. Gerade die Szene mit dem Rückzug auf das Bahnklo trotz vorhandener Fahrkarte würde mir großen Spaß machen... Oder auch, "versehentlich" auf dem Rückweg die Hin-Fahrkarte vorzuzeigen, einfach nur um zu testen, ob/wie der Schaffner reagiert. Aber dann wäre die Tat ja wieder keine Sinn-lose, hmmm ...

Jedenfalls schmunzele ich schon wieder.
Lieben Gruß
Gunda


Danke, Gunda. Mit deinem Bedenken am Schluss berührst du eine hochphilosophische Frage: Kann es den Act gratuit überhaupt geben? Gibt es Mord ohne Motiv? Und wo kein Motiv, da keine niederen Beweggründe, also vielleicht gar kein Mord, sondern was? Bleiben wir lieber beim Motivzwang ... Falls dich das Thema literarisch interessiert und du den sehr amüsanten Roman Gides "Die Verließe des Vatikan" noch nicht kennst, weise ich dich hiermit auf ihn hin. Da wird ein unbekannter Mitreisender scheinbar ohne Motiv aus der Eisenbahn in den Tod gestoßen. (Und das soll lustig sein?!)- Arno Abendschön -


Ich kenne den Roman nicht, vielen Dank. (Wolltest du nicht ohnehin mal irgendwann im Rahmen deiner "Schreibart" Bücher vorstellen, so wie du es früher mal mit Filmen getan hast?)
Mir ist in der Tat schon mal ein ähnlicher Gedanke durch den Kopf gegangen. Vor Jahren stand ich mal in der Stadt hinter einer Frau, die sich nach irgendetwas bückte, das heruntergefallen war. Ich überlegte: Was wäre eigentlich, wenn ich sie jetzt plötzlich stoßen und sie auf die Nase fallen würde. Einfach so, ohne dass ich einen Grund dafür habe ... Erklärt man mich dann für verrückt? Und wenn ja, was erfolgt daraus für mich, für diese Frau? Müßig, darüber nachzudenken, aber andererseits auch interessant.
lg
g.
Vor langer Zeit - Antworten
Abendschoen Re: Sinnfreie Lotte, -
Zitat: (Original von mukk am 12.04.2009 - 20:53 Uhr) das tut gut, einmal alle Regeln zu mißachten und erwas Verrücktes tun - solange es so harmlos ist!
köstliche Geschichte!
Liebe Grüße
Mukk
Dank dir, Mukk, für die freundliche Aufnahme. Ja, wenn es immer so harmlos bliebe ... Intelligente Menschen phantasieren so etwas, um nichts unheilvoll Sinnwidriges zu tun. - Arno Abendschön -
Vor langer Zeit - Antworten
Abendschoen Re: Hach ... -
Zitat: (Original von Gunda am 12.04.2009 - 20:51 Uhr) ... ich wusste gar nicht, dass du mein alter ego kennst, Arno.;-)) Sehr fantasievoll, was du Lotte da an Sinnfreiem unternehmen lässt. Würde mich glatt reizen, mal die eine oder andere Situation nachzuspielen. Gerade die Szene mit dem Rückzug auf das Bahnklo trotz vorhandener Fahrkarte würde mir großen Spaß machen... Oder auch, "versehentlich" auf dem Rückweg die Hin-Fahrkarte vorzuzeigen, einfach nur um zu testen, ob/wie der Schaffner reagiert. Aber dann wäre die Tat ja wieder keine Sinn-lose, hmmm ...

Jedenfalls schmunzele ich schon wieder.
Lieben Gruß
Gunda

Danke, Gunda. Mit deinem Bedenken am Schluss berührst du eine hochphilosophische Frage: Kann es den Act gratuit überhaupt geben? Gibt es Mord ohne Motiv? Und wo kein Motiv, da keine niederen Beweggründe, also vielleicht gar kein Mord, sondern was? Bleiben wir lieber beim Motivzwang ... Falls dich das Thema literarisch interessiert und du den sehr amüsanten Roman Gides "Die Verließe des Vatikan" noch nicht kennst, weise ich dich hiermit auf ihn hin. Da wird ein unbekannter Mitreisender scheinbar ohne Motiv aus der Eisenbahn in den Tod gestoßen. (Und das soll lustig sein?!)- Arno Abendschön -
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mukk Sinnfreie Lotte, - das tut gut, einmal alle Regeln zu mißachten und erwas Verrücktes tun - solange es so harmlos ist!
köstliche Geschichte!
Liebe Grüße
Mukk
Vor langer Zeit - Antworten
Gunda Hach ... - ... ich wusste gar nicht, dass du mein alter ego kennst, Arno.;-)) Sehr fantasievoll, was du Lotte da an Sinnfreiem unternehmen lässt. Würde mich glatt reizen, mal die eine oder andere Situation nachzuspielen. Gerade die Szene mit dem Rückzug auf das Bahnklo trotz vorhandener Fahrkarte würde mir großen Spaß machen... Oder auch, "versehentlich" auf dem Rückweg die Hin-Fahrkarte vorzuzeigen, einfach nur um zu testen, ob/wie der Schaffner reagiert. Aber dann wäre die Tat ja wieder keine Sinn-lose, hmmm ...

Jedenfalls schmunzele ich schon wieder.
Lieben Gruß
Gunda

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Abendschoen Re: Lieber Arno, was du hier fantasievoll und humorvoll mit Bezug auf das sinnfreie Handeln -
Zitat: (Original von Phantasus am 12.04.2009 - 20:35 Uhr) durchgespielt hast, kam mir manchmal mit Bezug auf Verbote in den Sinn. Wir sind von ihnen so umstellt, dass selbst besonnene Menschen ausflippen könnten.
Liebe Grüße, auch an die sinnfreie Lotte
Ekki
Danke, Ekkehart. Lotte und ich, wir lassen uns nie etwas zuschulden kommen. Alle Verbote werden von uns strikt beachtet. Zum Ausgleich gönnen wir uns ab und zu etwas schräge Phantasie. - Arno Abendschön -
Vor langer Zeit - Antworten
Phantasus Lieber Arno, was du hier fantasievoll und humorvoll mit Bezug auf das sinnfreie Handeln - durchgespielt hast, kam mir manchmal mit Bezug auf Verbote in den Sinn. Wir sind von ihnen so umstellt, dass selbst besonnene Menschen ausflippen könnten.
Liebe Grüße, auch an die sinnfreie Lotte
Ekki
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