Kurzgeschichte
Der Besuch

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"Der Besuch"
Veröffentlicht am 06. April 2009, 12 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Ich bin eher introvertiert, liebe die Menschen, die Natur - die Literatur seit ich lesen kann (bin eine echte Leseratte) und schreibe auch selbst sehr gerne.
Der Besuch

Der Besuch

Beschreibung

Habe wieder einmal in den Erinnerungen meiner Kindheit gegraben und möchte euch 60 Jahre zurückführen, in die Jahre nach dem zweiten Weltkrieg ... würde mich freuen, wenn ihr mich auf der Reise in die Vergangenheit begleitet ...

Der Besuch
    

Es wird ein halbes Jahrhundert her sein, oder ein bisschen länger. Kurz nach dem zweiten Weltkrieg. Ich besuchte damals die Hauptschule in Mürzzuschlag. Wir waren sehr arm. Alle anderen auch. Doch die meisten Familien hatten wenigstens ihre Männer, ihre Väter und Söhne wieder. Mein Vater und der von Heinz waren im Krieg zurückgeblieben. Papa war gefallen, Onkel Otto vermisst. So wurstelten sich Mutti und Tante Hertha gemeinsam durch die harten Nachkriegsjahre.

Als meine Tante noch jung gewesen war, hatte sie in London bei einem Ehepaar gearbeitet und sich mit den beiden angefreundet. Nach dem Krieg nahmen sie wieder Kontakt zueinander auf.

Tante Lilly und Onkel Wally haben uns damals sehr geholfen. Auch wenn sie nicht wirklich Tante und Onkel waren, sahen Heinz und ich in ihnen die reichen Verwandten und freuten uns mächtig über die Pakete, die dann und wann von England kamen. Geöffnet wurden sie  immer erst, wenn alle daheim waren. Aufgeregt und neugierig standen wir um den Tisch herum und warteten auf die Schätze, die Mutti oder Tante Hertha aus den Kartons hervorholten. Meistens waren es Lebensmittel und Naschereien für uns Kinder. Doch einmal war sogar ein Kleid für mich dabei, rosarot, mit kleinen, schwarzen Maschen bedruckt. Ich konnte mein Glück kaum fassen, wie eine Prinzessin fühlte ich mich darin. Wenn ich es trug, meinte ich, alle Menschen müssten mich wegen des feinen Kleides bewundern. Ich liebte es sehr und war stolz darauf, so etwas Schönes zu besitzen.

 

            Eines Tages kam ein Brief aus London: Tante Lilly und Onkel Wally kündeten ihren Besuch an.

Gut. Nun lag der Brief auf unserem Küchentisch. Was tun? Großer Familienrat!

Erst einmal mit Frau Pospischil reden, der Frau, bei der wir „auf ´s Büchl“ einkauften. Vielleicht gewährte sie in diesem Ausnahmefall einen Sonderkredit? Wie sonst sollten wir unsere Gäste ordentlich bewirten? Wie sonst unseren Freunden und Gönnern für ihre Hilfe danken?

Dann sprach Leo, unser Großvater, mit der Hausfrau, ob sie uns ihr Geschirr borgt. Frau Tassler besaß nämlich ein komplettes Kaffee- und Speisservice. Die Kaffeetassen und Teller waren braun und dickwandig, wie jene in den Gasthäusern. Unsere Hausfrau war eine gute Seele und lieh uns das Geschirr. Bei Tisch fühlte ich mich nun  wie eine berühmte Filmdiva, weil wir jetzt eine kurze Zeit lang so vornehm und elegant speisten. Vielleicht war das Grund, dass ich später, als ich etwas Geld hatte, meiner Mutter immer wieder Geschirr kaufte. Denn unseres war alt, ausgeschlagen und kein Stück passte zum anderen, von jedem Dorf ein Hund, wie man so schön sagt.

Als nächster Schritt stand Großreinemachen auf dem Programm. Die Wohnung wurde von oben bis unten, bis in den hintersten Winkel geschrubbt und geputzt. Leider musste auch ich ordentlich  anpacken, denn ein 11- bis 12 jähriges Mädchen muss so etwas sowieso lernen. Nur Heinz blieb verschont – er war ja ein Bub.
 

Endlich kam der heißersehnte Tag. Um 14 Uhr sollten Tante Lilly und Onkel Wally mit dem Zug aus Wien kommen. Heinz und ich durften Tante Hertha zum Bahnhof begleiten. Erstens fieberten wir schon dem Besuch entgegen und waren riesig aufgeregt. Ich lernte ja schon Englisch – ob ich mich verständigen kann, ob sie mich verstehen werden, wie sie aussehen werden ...?

Zweitens jedoch – und das war fast genau so aufregend – sollten wir mit einem Taxi nach Hause fahren. So hohen Besuch konnte man ja nicht den Berg hinauf gehen lassen. Zu Fuß. Selbst nicht, wenn Tante Hertha und wir Kinder das Gepäck getragen hätten.

Von einer Autofahrt konnten wir damals nur träumen. Das war etwas, das wir nur in Filmen gesehen oder in Büchern gelesen hatten. Und ich weiß nicht, worauf ich mich mehr gefreut hatte, auf den Besuch aus England oder die Fahrt im Taxi. Sich im Fond des Wagens zurücklehnen - wie im Film - mit dem Auto vor dem Haus vorfahren – das war schon etwas, worum uns alle unsere Freunde beneidet hätten!

Allein – der Zug brauste in den Bahnhof, hielt pfauchend und rauchend – damals fuhren die Züge noch mit Dampfloks über den Semmering – aber keine Tante Lilly und kein Onkel Wally stiegen aus. Lange standen wir am Bahnsteig. Bis er ganz leer war. Dann trotteten wir enttäuscht und hängenden Kopfes nach Hause.

Stunden später kam ein Auto in unseren Hof gefahren. Eine alte Frau und ein alter Mann stiegen aus – es war unser Besuch.


In meiner Erinnerung blieben sie zwei oder drei Wochen bei uns und gaben sich sehr herzlich und liebenswürdig. Onkel Wally nützte jede Gelegenheit, Mutti, Tante Hertha, mich oder eine meiner Freundinnen zu küssen. Seine „Busserln“ waren feucht und mir graute vor dieser Abschleckerei. Stolz hingegen war ich, mich mit ihnen unterhalten zu können.

Vor allem aber war diese Zeit wie Urlaub für Heinz und mich. Denn so gute Sachen bekamen wir nie zuvor, und auch nachher nicht mehr zu essen.

Auch unsere Gäste zeigten sich überrascht, wie gut wir lebten, welch schönes Geschirr wir hatten und welche Köstlichkeiten Mutti und Tante Hertha auf den Tisch stellten.

Als sie wieder nach England zurück fuhren, hörten wir, bzw. lasen wir nur noch selten von ihnen. Die Paketsendungen hörten auf und auch die Briefe kamen immer seltener.

An den Schulden bei Frau Pospischil hatten wir lange Zeit zu knabbern ... und ich musste  auch noch lange warten, bis ich endlich einmal im Taxi oder in einem Auto mitfahren durfte.




















































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mukk
Ich bin eher introvertiert, liebe die Menschen, die Natur - die Literatur seit ich lesen kann (bin eine echte Leseratte) und schreibe auch selbst sehr gerne.

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Bibi Sehr schön geschrieben, meine Generation kann sich nicht im Geringsten in diese Zeit versetzen - aber ich liebe es diese Geschichten zu lesen oder zu hören...
Danke das ich an einr davon Teil haben durfte.

Lg und *hexhex* :-)
Vor langer Zeit - Antworten
mukk Re: liebe ingrid.. -
Zitat: (Original von luanna am 06.03.2011 - 11:20 Uhr) deine geschichte hat mich an meine kindheit erinnert.. auch wir bekamen über das dtsch. rote krreuz in´s ferne fremde asien kl. pakete von mamas bruder, der im saarland lebte.. kann mich an eine rote strickweste erinern, die mit blümchen bestickt war.. kann mich auch an 1n azurblaues leichtes sommerkleid mit rüschen erinnern.. es war ein glockenschnitt.. fliessend von den schultern mit zum knie.. ich muss 8-9j alt gewesen sein und meine kl. schwester 5-6j.. sehe meine kl. schwester vor mir mit ihren rehaugen und dem kastanienbraunem haar im neuen kleid rumwilrbeln.. in der verwandschaft nannte man sie stets nur WIND..
*grins

1n erinnerungstränenlächeln zu dir auf die reise schicke..

umarmung + MERCI

deine nelly



Danke dir, liebe Nelly, freue mich. dass du dir die Mühe machtest, meine Geschichte zu lesen. Ich tauche immer wieder gerne in die Vergangenheit ein.
Sei ganz, ganz lieb gegrüßt und habe einen schönen Sonntag!
deine Ingrid
Vor langer Zeit - Antworten
luanna liebe ingrid.. - deine geschichte hat mich an meine kindheit erinnert.. auch wir bekamen über das dtsch. rote krreuz in´s ferne fremde asien kl. pakete von mamas bruder, der im saarland lebte.. kann mich an eine rote strickweste erinern, die mit blümchen bestickt war.. kann mich auch an 1n azurblaues leichtes sommerkleid mit rüschen erinnern.. es war ein glockenschnitt.. fliessend von den schultern mit zum knie.. ich muss 8-9j alt gewesen sein und meine kl. schwester 5-6j.. sehe meine kl. schwester vor mir mit ihren rehaugen und dem kastanienbraunem haar im neuen kleid rumwilrbeln.. in der verwandschaft nannte man sie stets nur WIND..
*grins

1n erinnerungstränenlächeln zu dir auf die reise schicke..

umarmung + MERCI

deine nelly

Vor langer Zeit - Antworten
mukk Re: Re: Re: es ist schon seltsam -
Zitat: (Original von NORIS am 05.03.2011 - 23:37 Uhr)
Zitat: (Original von mukk am 05.03.2011 - 22:53 Uhr)
Zitat: (Original von NORIS am 03.03.2011 - 21:35 Uhr) wie menschen sich vom äußeren schein blenden lassen (die gäste), wie aber auch die gastgeber alles tun, um sich vor ihren gästen nicht zu blamieren........und dadurch entsteht dieses falsche bild.......es war wie eine maskerade zum eigenen schaden......das ist das traurige daran

GLG heidemarie


Liebe Heidemarie, ich kenne Geschichten von Tolstoy und anderen, wo Gott bei armen Leuten einkehrt, und die alles geben, damit sich der Gast wohlfühlt und keinen Mangel leidet - ich denke, wahre Gastfreundschaft handelt immer so. Aber Onkel und Tante waren eben nur Menschen, blinde Menschen, wie Wega schreibt...
Ich danke dir ganz herzlich und sei recht, recht lieb gegrüßt!
ingrid


Ich wünsche dir einen schönen sonntag
lg heidemarie


Ich dir auch, liebe Heidemarie! Danke! Sei umärmelt!
Vor langer Zeit - Antworten
NORIS Re: Re: es ist schon seltsam -
Zitat: (Original von mukk am 05.03.2011 - 22:53 Uhr)
Zitat: (Original von NORIS am 03.03.2011 - 21:35 Uhr) wie menschen sich vom äußeren schein blenden lassen (die gäste), wie aber auch die gastgeber alles tun, um sich vor ihren gästen nicht zu blamieren........und dadurch entsteht dieses falsche bild.......es war wie eine maskerade zum eigenen schaden......das ist das traurige daran

GLG heidemarie


Liebe Heidemarie, ich kenne Geschichten von Tolstoy und anderen, wo Gott bei armen Leuten einkehrt, und die alles geben, damit sich der Gast wohlfühlt und keinen Mangel leidet - ich denke, wahre Gastfreundschaft handelt immer so. Aber Onkel und Tante waren eben nur Menschen, blinde Menschen, wie Wega schreibt...
Ich danke dir ganz herzlich und sei recht, recht lieb gegrüßt!
ingrid


Ich wünsche dir einen schönen sonntag
lg heidemarie
Vor langer Zeit - Antworten
mukk Re: Echte Gastfreundschaft -
Zitat: (Original von wega am 03.03.2011 - 02:04 Uhr) spart sich alles vom Munde ab - und der Besuch ist blind....
Liebe Ingrid, du hast es so wunderbar beschrieben, dein Erzählstil ist perfekt. Ich kann alles vor mir sehen, hören, riechen.....

Meine Familie war nicht so arm, aber auch sehr sparsam. Lebensmittel wurden nie weggeworfen, aus alten Kleidern Neues geschneidert, alte Pullover aufgetrennt und - mit anderer Wolle komplettiert - wieder neu gestrickt usw. Heute haben wir die Überflussgesellschaft, wo alles weggeschmissen wird.... Ist es ein Wunder, dass die Menschen in armen Ländern auf die Barrikaden gehen?

Liebsten Nachtgruß
deine wega


Liebste Wega,
echte Gastfreundschaft spart sich alles vom Munde ab und der Besuch ist blind ... das hast du sooo schön und soooo treffend gesagt - und ich denke, genauso ist es,
Ich danke dir für deinen Kommentar, er hat mir große Freude gemacht -DANKE!
Sei ganz, ganz herzlich gegrüßt!
deine Ingrid
Vor langer Zeit - Antworten
mukk Re: hallo ingrid -
Zitat: (Original von raimund am 02.03.2011 - 23:36 Uhr) ich denke , ich kann dem nachvollziehen , man wollte dem besuch ncht seine armut zeigen , aber manchmal ist es besser , man zeigt wasman hat und nicht was man möchte , aber so war es , man wollte nicht so da stehen .
erinnerungen wo wären wir ohne sie und erzählt man es heute den enkelkinder , sie können es nicht verstehen , dass man eigentlich in armut aber glücklich aufgewachsen ist .

lieben gruß zu dir rainer


Lieber Rainer, ich freue mich sehr, dass du meine Geschichte gelesen hast. Danke dir! DANKE! Weiß ich doch, dass du Geschichten selten liest - oder hast du da deinen Grundsatz geändert?
Äußerer Reichtum? Wichtig ist der innere!
Sei ganz,ganz lieb gegrüßt!
Ingrid
Vor langer Zeit - Antworten
mukk Re: es ist schon seltsam -
Zitat: (Original von NORIS am 03.03.2011 - 21:35 Uhr) wie menschen sich vom äußeren schein blenden lassen (die gäste), wie aber auch die gastgeber alles tun, um sich vor ihren gästen nicht zu blamieren........und dadurch entsteht dieses falsche bild.......es war wie eine maskerade zum eigenen schaden......das ist das traurige daran

GLG heidemarie


Liebe Heidemarie, ich kenne Geschichten von Tolstoy und anderen, wo Gott bei armen Leuten einkehrt, und die alles geben, damit sich der Gast wohlfühlt und keinen Mangel leidet - ich denke, wahre Gastfreundschaft handelt immer so. Aber Onkel und Tante waren eben nur Menschen, blinde Menschen, wie Wega schreibt...
Ich danke dir ganz herzlich und sei recht, recht lieb gegrüßt!
ingrid
Vor langer Zeit - Antworten
mukk Re: Das erinnert mich an meine eigene Kinderzeit. -
Zitat: (Original von baesta am 02.03.2011 - 23:05 Uhr) Wenn der Onkel aus dem Westen kam, wurden Sachen eingekauft, die es sonst nie gab. Meine Cousine stand nur vor dem Spiegel und bewunderte sich. Dazu musste sie sich auch mehrmals am Tag umziehen. Ich schaute etwas neidisch, weil ich so schöne Sachen nie besessen habe. Trotzdem denke ich gern an diese Zeit zurück.
Dein Ende der Geschichte war ja klar, Onkel und Tante dachten: " Die haben ja genug, da brauchen wir nichts mehr hinzuschicken!"

Liebe Grüße
Bärbel


Liebe Bärbel, danke dir herzlich! Ich denke sicher wie du, dass wir trotz der Armut eine wunderbare Kindheit hatten, und eine Zukunft vor uns, die uns nach den Sternen greifen ließ...
Sei ganz herzlich gegrüßt!
ingrid
Vor langer Zeit - Antworten
NORIS es ist schon seltsam - wie menschen sich vom äußeren schein blenden lassen (die gäste), wie aber auch die gastgeber alles tun, um sich vor ihren gästen nicht zu blamieren........und dadurch entsteht dieses falsche bild.......es war wie eine maskerade zum eigenen schaden......das ist das traurige daran

GLG heidemarie
Vor langer Zeit - Antworten
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