Licht
Zwei Ideen / Ein Buch
Ein Gemeinschaftswerk
von Apollinaris (Simon Käßheimer)
und Gabriele Busch
Nach dem ausgiebigen Kaffee-Toast-Frühstück und dem zufriedenstellenden Telefonat mit Markus wollte Lisa einen abkühlenden Schluck vom „Apollinaris“ Sprudelwasser trinken, als sie an der grünlichen Glasflasche ein Post-it fand, auf dem stand:
"AUF DER SUCHE nach Erleuchtung – fand sie eine Lichtung mit Laterne"
Verwundert schaute Lisa sich in der Küche um; „Dass gibt es doch gar nicht, wo kommt denn der Zettel jetzt her?!“
Obwohl sie hundertprozentig sicher war, dass sich in der letzten Zeit niemand anderes in ihrer Wohnung aufgehalten hatte, durchsuchte sie ihre gesamte
Wohnung nach irgendwelchen weiteren Anzeichen von fremden Einflüssen.
Da war nichts weiter; lediglich dieser Post-it an der Wasserflasche.
Ärgerlich nahm sie die volle Flasche, schraubte den Verschluss ab und trank direkt aus der Flasche.
„Hab` ich doch gleich gewusst; einmal mit dem falschen Fuß aufgestanden und ich kann den Tag vergessen! Wusste ich doch! Und überhaupt, was ist das für ein dummer Spruch; die Erleuchtung an einer Laterne auf einer Lichtung! Von wegen! So ein Quatsch! Da lese ich doch lieber in meinem Meditationsbuch weiter.
Der Ott (*) ist doch Fachmann für den Weg zum Selbst – das nennt man doch
dann Erleuchtung!“
Nach der halben Flasche Sprudelwasser war Lisa sich sicher, dass es eh viel besser sei, heute keinen Fuß vor die Tür zu setzen, sicher ist sicher! Stattdessen könnte sie es auf dem Sofa schön gemütlich haben und sich der Erleuchtung entgegen lesen! Nämlich anhand eines fachlich fundierten, studienbasierten Meditationslehrganges. Schließlich hatte sie ja nun einen ganzen Tag Zeit.
Auf dem Sofa zwischen den kuscheligen Kissen hatte Lisa es sich nach einer Weile bequem gemacht, räkelte sich entspannt zurecht und las beim Lesezeichen weiter;
„Das Ausmaß Ihrer persönlichen Freiheit und Selbstbestimmung hängt davon ab, wie bewusst Sie sind. Ein Großteil unseres alltäglichen Verhaltens erfolgt nahezu automatisch und damit weitgehend unbewusst.“ (*)
„Okay,“ denkt Lisa ihren Teil, „dass mag ja auf manche Leute zutreffen, doch mich betrifft es gar nicht! Ich reflektiere mein Verhalten andauernd.“
Unzufrieden blätterte sie in dem Buch hin und her; es musste doch irgendwo was Spannendes geben, dass ihr nun tatsächlich wie ein Lichtblick erschien!
Beim Studieren der Inhaltsübersicht fand sie ein Kapitel zu praktischen Meditationsübungen. Nun könnte es
spannend und aktiv werden. Sie brühte sich zuvor einen Entspannungstee auf, kramte aus dem Küchenschrank ihre Lieblingscookies heraus, legte eine CD mit Instrumentalmusik in den alten Player und machte es sich dann wieder im Wohnzimmer kuschelig.
„Atmung und Körperhaltung“ hieß die Überschrift und im Verlauf des Kapitels beschrieb der Autor kleinschrittig, wie man sich anhand von Pendelbewegungen der Gesäßhälften und des Oberkörpers in die richtige Position für eine erfolgreiche Meditation positioniert. Lisa folgte seinen Anweisungen. Nach drei weiteren Seiten war sie beim Thema Atmung angekommen und musste nun
aufhören zu lesen, um wie empfohlen, den „Fluss der Atmung im Körper“ zu beobachten: ihr Atemstrom wanderte von der Luftröhre an den Stimmbändern vorbei, durch die Bronchien und hielt das Zwerchfell in Bewegung. Danach wanderte der Atemfluss in den Bauchraum. Weiter ging er nicht mehr. Lisa war zwischen warmen Kissen mit Honigtee und Cookies im Bauch eingeschlafen und ihre Aufmerksamkeit war weder beim Atemfluss, noch bei der Musik oder im Bewusstsein.
Als Lisa am späten Nachmittag wach wurde, schreckte sie erschrocken hoch. Sie befand sich mit Klamotten auf dem
Sofa; dass war aber untypisch für sie. Außerdem kam es ihr so vor, als wäre sie schon wieder einem schlechten Abenteuer entkommen. Um sie herum sah alles so unordentlich aus und draußen schien das Tageslicht bereits nachzulassen. Herrgott noch mal, wie spät war es denn eigentlich?
In der Küche angekommen, machte sie schon mal ihre Kaffeemaschine an und staunte, dass die Wanduhr bereits 16 Uhr anzeigte. Wie konnte das sein?
Augenblicklich spürte sie wieder Frust aufkommen, erinnerte sich an den schrägen morgen und ihre berechtigte Ausrede. Also besser gleich im Bad den Spiegel meiden! Oder besser noch,
erstmal einen Kaffee trinken. Sie stellte die Tasse in die Maschine, drückte auf „mit Milch und Zucker“, wartete, und wartete vergebens auf das Brumm- Zischgeräusch des Kücheninventars. Nichts passierte!
Auch das noch! War die Hightech Maschine nun kaputt? Dass war jetzt das Letzte, was sie gebrauchen konnte! So ein scheiß Tag aber auch! Nichts funktionierte heute!
Der Ärger und Kaffeedurst jedoch trieben Lisa an, eine Lösung zu finden und somit suchte sie ihre Küchenschränke ab; irgendwo musste doch noch dieser alte Plastikfilter sein, dann würde sie sich ihren Kaffee eben selbst aufbrühen!
Beim zweiten Suchlauf durch die Küchenschränke fand sie ihn auch samt dem Filterpapier. Glück gehabt. Etwas umständlich, aber doch mit Erfolg brühte sich Lisa also zum ersten Mal seit Jahren den Kaffee schlicht und einfach mit Filter und Pulver auf. Dank des guten Maschinenpulvers war ihre Tasse Kaffee nun stark und gelungen. Und er tat seine Wirkung!
Endlich hatte Lisa wieder das Gefühl, bei sich selbst zu sein. Fühlte sich pudelwohl und spürte Tatendrang in sich. Was wollte sie also nun mit der verbleibenden Zeit des freien Tages anfangen? Sie überlegte nicht lange,
hatte Lust auf einen Spaziergang und zog sich zügig Jacke und Schuhe an, bevor sie es sich noch mal anders überlegen könnte. Und zack war sie draußen vor der Tür an der frischen klaren Luft. Die tat richtig gut nach so einem chaotischen Tag!
Ohne groß zu zögern lief sie die Straße in Richtung des nahegelegenen Waldes. Während des strammen Schritttempos wurde Lisa bewusst, dass sie schon sehr lange nicht mehr zum Wald spazieren war; in den letzten Monaten war sie entweder zu erschöpft von der Arbeit gewesen oder hatte ihre Freizeit bis zur letzten Minute verplant.
Es kam ihr ein bisschen befremdlich vor,
sich ohne Zeitdruck und ohne Auto fortzubewegen. Vielleicht um dieses befremdliche Gefühl wett zu machen, oder weil es langsam dunkler wurde, lief sie zügigen Schrittes weiter.
Am Ende der Straße fiel ihr auf, dass diese gar nicht beleuchtet wurde, und als sie kurz vor der nächsten Laterne stand, fragte sie sich (oder die Laterne), warum diese gar nicht leuchte?
„Hm“, dachte Lisa, „ob die Stadt nun auch schon auf diese Weise Energie und Geld sparen wollte?“ Doch die Laterne antwortete ihr; „Zeitweise darf ich umweltfreundlich unleuchtend hier stehen wenn Vollmond ist.“ Lisa stutzte; hatte sie da etwa die Laterne sprechen
hören?
Erschrocken lief sie schnell weiter, den Gedanken über diesen verrückten Tag abschüttelnd. Sie hatte nicht vor, diesem miesen launischen Tag auch noch die Krone aufzusetzen!
Am Waldrand angekommen war es in der Tat schon recht dunkel, doch Lisa wollte sich jetzt von nichts und niemanden abhalten lassen, ihrem Vorsatz, im Wald spazieren zu gehen, nachzukommen. Also lief sie entschlossen und mutig den ausgetretenen Waldweg hinein und orientierte sich an den Bäumen. Nach einer Weile hatten sich ihre Augen an das schwache milchige Licht, welches durch
die Baumkronen und zwischen den einzelnen Bäumen hindurch fiel, gewöhnt. Allmählich fühlte sich Lisa in Anbetracht der zunehmenden Orientierungssicherheit leichter und spürte gute Laune aufkommen. Nach einer Weile begann sie sogar zu summen und ließ freudig ihre Augen über den erdigen Waldboden wandern.
Auf diese Weise erreichte Lisa die Lichtung unerwartet schnell und leichten Fußes. Sie staunte darüber, wie hell es an diesem lichten Gras bewachsenen Fleckchen Erde mitten im Wald war und blickte zum Himmel auf; der volle runde Mond leuchtete direkt über die
angrenzenden hohen Bäume hinweg.
Ihre Augen wanderten über den Platz und betrachteten neugierig die verschiedenen Bäume und Büsche, welche diese Lichtung begrenzten. Dabei fiel ihr eine Lücke auf, zu der sie langsam und bedächtig hinging. Hier entdeckte sie einen interessanten bemoosten Baumstumpf, der ihr wie ein geeigneter Sitzplatz erschien. Ganz vorsichtig hockte sie sich nieder und hielt sich beim hinsetzen mit den Händen fest, um nicht unerwartet abzurutschen. Dann saß sie. Atmete tief durch und entspannte sich beim Anblick ihres erreichten Zieles. Lisa atmete tief ein und aus. Zunächst unbewusst beobachtete sie den
Atemfluss, wie er durch die Luftröhre, an den Stimmbändern vorbei, durch die Bronchien bis zum Zwerchfell wanderte. Dann stieß sie die Luft wieder aus. Herrlich. Sie fühlte sich glücklich und zufrieden. Die frische Luft, der Sitzplatz am Waldrand mit Blick auf die Lichtung und zur Beleuchtung das schimmernde Mondlicht. Einfach schön!
Manchmal ist weniger,
einfach,
mehr!
Zeichnungen:
Copyright Simon Käßheimer
"Dankeschön!"
Geschichte und Coverfoto:
Gabriele Busch
(*) Quellenangabe:
Buch von Ulrich Ott
„Meditation für Skeptiker – Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst“
Knaur Verlag