Die Baumgeister
Schreibparty 113
Thema: Perfekte Ausrede
Wortvorgaben:
Pferdeschwanz, launisch, Erdanziehungskraft, staunen, Abenteuer, Nacht, Zettelwirtschaft, Publikum.
Die Baumgeister
In einem tiefen, ganz verborgenen Wald, welcher noch kein menschliches Wesen gesehen hatte, schwirrten aus uralten knorrigen Bäumen jede NACHT sanfte Baumgeister durch die Lüfte.
Aus ihren, fast unscheinbaren Gesichtern, flackerten glühwürmchenmäßig winzige, freundliche Augen. Zwischen ihren langen, feinen Armen wirbelten Blätter in Fächerform durch die Luft. Ihre Baumhöhlen bewohnten sie schon seit Jahrhunderten.
Am langsam erwachenden Morgen stellten sich fröhlich gelaunte Besucher ein. Denn ganz in der Baumhöhlennähe plätscherte ein
Bach. Gemeinsam mit den flinken Libellen, die das Wasser liebten, führten windgetragene Baumgeister elfenhaft und stundenlang ihre wirbelnden Tänze auf. Ganz ohne ein störendes PUBLIKUM.
Keine menschliche Seele kannte bisher diesen Ort der friedlichen Einsamkeit,
denn sie waren die Beschützer von unberührter, wildwachsender, gesunder, aber auch wettermäßig oft LAUNISCHER Natur.
Doch eines Tages, vollkommen überraschend, änderte sich die Lebenssituation der sanften, unsichtbaren Baumgeister. Menschliche Stimmen von Weitem durchbrachen plötzlich die heilige Baumkronenluft und ein immer näher heranrückender höllenhafter Lärm teilte
die sonst friedliche Stille. Das Knacken von Baumstämmen und dicken Ästen verriet großes Unheil. Die Erde bebte von den schweren, totbringenden Sägemaschinen.
Die heiligen, uralten Bäume schrien vor Schreck auf. Schlagartig signalisierten sie unterhalb ihrer tiefliegenden Wurzeln mit dem Pilzgeflecht zu allen umliegenden Baumgeschwistern Signale der Warnung. Doch das spürten und hörten die Menschen nicht. Sie fühlten nicht den Schmerz und die Angst der Bäume, obwohl diese genau so wie der Mensch und jede andere Pflanze auch Lebewesen waren.
Menschliche Arme bogen immer näher kommend das dünne Unterholz beiseite. Die
dadurch entstandenen schmalen Trampelpfade schlängelten sich durch fast undurchdringliches, von Spinnenweben benetztes wildes Gestrüpp.
Plötzlich standen die Holzfäller auf eine unerwartete helle Mooslichtung, die von sagenhaft uralten knorrigen Bäumen märchenhaft beschützend umgeben war.
Die runde Lichtung neben dem kleinen Bach wirkte wie eine heilige Stätte.
STAUNEND hielten die Männer eine kurze Zeit inne, schauten sich sprachlos an, denn das hätten sie niemals vermutet.
Eigentlich waren die Holzfäller zum Arbeiten in den Wald gegangen. Doch nun verspürten sie große Lust, hier auf dieser zufällig entdeckten
mystischen Mooslichtung, eine längere Pause einzulegen. Der kräftigste Mann von den Holzfällern trug einen herabhängenden Kinnbart, den er jedoch, aufgrund der Arbeiten, vorschriftsmäßig mit einem kleinen Gummi zusammengebunden hatte. Genauso seine Haare, denn unter seiner Kappe bedeckte ein langer PFERDESCHWANZ den Rücken.
Beseelt lehnten sich nun die Arbeiter, auf einem weichen Moosteppich sitzend, jeweils an einen alten Baum und wurden von einer eigenartigen, positiven Energie beglückt.
So nutzten sie die Zeit, um über ihren Boss herzuziehen. Denn schon seit Jahren versprach er ihnen eine Gehaltserhöhung. Aber immer wieder redete er sich mit
schnellen, unsachlichen Argumenten heraus.
"Und das sollte uns 'kleine Leute' überzeugen?" rief ein Holzfäller verärgert in die Runde. Dieser zog nun aufgeregt seine Zigarettenschachtel hervor. Und der kräftige Kollege, mit den langen Haaren ihm gegenüber sitzend, rief:
"Du willst hier rauchen? Ich dachte, Du wolltest ganz damit aufhören?"
"Naja, das ist hier heute wirklich meine Letzte und ab morgen rühre ich keine Zigarette mehr an, versprochen" kam zögernd die Antwort zurück.
Ein anderer Kumpel von schlanker Figur nutzte die Zeit, sich auf einen dickeren Seitenast mit Klimmzügen zu hangeln. Dabei
kletterte er immer höher. Er liebte solche ABENTEUER aus Leidenschaft, nach dem Motto: "Erst klettern, dann sägen."
Der Vierte im Bunde zog einen weißen Block hervor und begann mit dem Stift den ihm gegenüberstehenden Baumriesen künstlerisch auf Papier zu verewigen. In den Baumkronen zwitscherten einige Vögel und flatterten umher. Doch das störte den Zeichner nicht. Seine Konzentration lag auf die möglichst genaue Wiedergabe der rindenhaften Furchen, Risse und tiefen Einkerbungen . Denn diese erzählten ihre Lebensgeschichte in ganz eigener Sprache.
Eine himmlische Stille prägte die entspannte Situation. Nur das kurze Zischgeräusch beim
Anzünden eines Streichholzes zur Zigarette war zu vernehmen. Doch das war nicht alles, denn plötzlich knackte es über dem Raucher beängstigend nah, so dass er sich rasch nach vorne beugte, um hinaufzuschauen aus welcher Richtung der Ast wohl herunterfallen könnte. Doch da war es schon zu spät.
Ein mittelstarker, vertrockneter Ast fiel kräftig auf seine Schulter und rutschte dann langsam zu Boden. Vor Schreck ließ er die Zigarettenschachtel fallen, die nun, mit der Rückseite nach oben, vor ihm lag. Dort stand: "Rauchen ist tödlich!"
Die Baumgeister hatten ganze Arbeit geleistet.
Und tatsächlich drückte er nun schnell seine Zigarette aus, während ein anderer Holzfäller
genüsslich aus seiner Brotbüchse ein herzhaftes, sättigendes Frühstück entnahm, denn der Hunger war groß. Gleichzeitig bot er seinem Kumpel die Brotbüchse an.
Und der Holzfällerzeichner begann auf einem neuen weißen Blatt Baumlinien darzustellen. Es reichte ein Blatt für diese starken Bäume nicht aus. Und so riss er, für jeden einzelnen Baum, ein erneutes Blatt vom Block ab und legte es in seine Umhängetasche.
Da plötzlich vibrierte sein Smartphone in der Tasche. Schnell wühlte er sich durch die Zeichenblätter, um es herauszuholen.
Dabei fielen einige Zeichnungen zu Boden und wirbelten leicht davon.
"Was machst Du denn für eine ZETTELWIRTSCHAFT? rief ihm sein
Gegenüber zu. Doch das störte ihn nicht, denn der Anrufer beendete diese Ruhepause.
Es war der Boss. Sie sollten sich sofort bei ihm melden. Dieser klang sehr ungehalten, weil er durch einen heimlichen Sender in einer Überwachungsdrohne, ohne dass es jemand bemerkte, seine Holzfäller auf diese Art überwachen ließ. So konnte er jederzeit feststellen, ob im Wald gearbeitet wurde und wie lange die Arbeiter pausierten.
Als die Holzfäller völlig unverhofft auf dieses magische Waldstück stießen, bemerkten sie allerdings nicht, dass über ihnen in der Luft, ganz geräuschlos, eine Drohnenüberwachung stattfand. Minuten später trat allerdings an ihr ein kleiner Defekt auf. Und so schaffte es die ERDANZIEHUNGSKRAFT das moderne
Fluggerät schneller auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, als es gewünscht war. Als die Holzfäller ihrem Chef gegenüberstanden, stauchte er sie, aufgrund der langen Waldpause, zusammen. Nun erfuhren sie von der heimlichen Überwachung.
"Boss", so begann der kräftige, bärtige Holzfäller ihn anzusprechen. "Wir dürfen dort an der einen, besonderen Stelle, nicht die uralten Bäume absägen, denn das wäre eine große Sünde. Sie sollten sich mit uns gemeinsam unbedingt dieses Waldstück einmal anschauen. Aufgrund der Seltenheit, müsste es unter Naturschutz gestellt werden, weil es diese schönen Baumgeisterbäume nirgendwo noch geben könnte. Wir bitten Sie
Boss, noch keine Entscheidung zu treffen, bevor sie dieses unglaubliche magische Waldstück sich angeschaut haben, denn der Frieden zwischen Mensch und Wald wäre dann endgültig gebrochen."
Mit einem kurzen Blick zu seinen Waldarbeitern, winkte er lässig ab und meinte:
"Papperlapapp", was soll der Unsinn.
Wenn Bäume stehenbleiben, bringt es dem Unternehmen kein Geld!"
"Aber Boss, bekommen wir dann endlich unsere versprochene Gehaltserhöhung?"
Seine Antwort:
"Na, mal sehen, ich gebe Euch morgen Bescheid, kommt gegen 15 Uhr zu mir."
Seine Ausrede bemerkten sie nicht, denn
am darauffolgenden Tag warteten die Holzarbeiter auf ihren Boss, ganz pünktlich um 15 Uhr.
Sie warteten und warteten, bis die Sekretärin ihnen mitteilte, dass der Boss schon vor Stunden in Urlaub gefahren sei.
E N D E