Journalismus & Glosse
8. Mai - Befreiung für wen?

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"8. Mai - Befreiung für wen?"
Veröffentlicht am 07. Mai 2025, 10 Seiten
Kategorie Journalismus & Glosse
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Über den Autor:

Die Pflicht des Menschen ist seine stetige Vervollkommnung. Ich versuche dies jeden Tag ein klein bisschen, zumindest wenn es durch Bücher geschieht.
8. Mai - Befreiung für wen?

8. Mai - Befreiung für wen?

8. Mai - begreiung für wen?

Der 8. Mai 1945 war der Tag, an dem die deutsche Wehrmacht die bedingungslose Kapitulation erklärte. Es war der Tag, an dem der Zweite Weltkrieg in Europa endete. Dieser Tag jährt sich nun zum 80sten Mal. Der “Tag der Befreiung”, oder? Für Viele kann das nicht gelten, weder früher noch heute. Zeit für eine dringend notwendige Selbstbetrachtung. Der damalige Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland (West), Richard von Weizsäcker, bezeichnete in seiner Rede am 8. Mai 1985, diesen Tag im Jahr 1945 als "Tag der Befreiung”. Das impliziert aber, dass die Deutschen

1945 von den Nazis befreit worden wären. Nun waren aber weder Hitler noch die Soldaten von Wehrmacht und SS und viele andere Aliens, die mit dem Raumschiff 1933 auf das arglose deutsche Volk hernieder kamen. Der industrielle Massenmord an Juden, Sozialisten und Kommunisten, Homosexuellen, Sinti und Roma und anderen Personengruppen war auch nicht urplötzlich da. Die Wurzeln des eliminatorischen Antisemitismus reichen mehr als 2.000 Jahre zum religiös begründeten Antijudaismus zurück. Die potentiellen Opfer der Nazis, die wurden befreit. Die Mehrheit der Deutschen wurde besiegt. Besiegt wurden

die aktiven Täterinnen und Täter, aber auch die, die anderen, die wussten, was geschieht und nichts dagegen taten, die durch ihr Unterlassen der Gewaltherrschaft der Nazis freie Hand gaben. Besiegt zu sein, machte aber aus den Besiegten nicht über Nacht andere Menschen. Der Antisemitismus lebte weiter. Menschen machten in beiden deutschen Staaten Karriere und drückten ihm ihren Stempel auf, die noch kurze Zeit zuvor den Massenmord billigten oder aktiv beteiligt waren (z.B. Herbert Tröndle, Theodor Maunz, Hans Globke, Reinhard Gehlen). Haben die Nichtjuden seitdem gelernt? Ja

und nein. Antisemitische Straftaten nehmen jedes Jahr weiterhin zu. Während der Corona-Pandemie stilisierten sich Impfgegnerinnen und -gegner zu den “neuen Juden” und klebten sich gelbe “Ungeimpft”-Sterne an. Von der Rechtsprechung wird dies mittlerweile (zurecht) als strafbare Volksverhetzung angesehen. Bei Gedenkveranstaltungen sagen sich Nichtjuden mantrahaft immer wieder, wie viel sie aufgearbeitet haben und dass es ja wieder Juden in Deutschland gibt. Angesichts der Lebenswirklichkeit von Jüdinnen und Juden in Deutschland müsste man eher sagen, dass sie in Deutschland sind trotz dieser (an sich

nicht ehrrüchigen) Anstrengungen. Man muss sich vor Augen führen, dass die Lebenswirklichkeit von Juden so aussieht, dass jüdische Einrichtungen unter Polizeischutz stehen (mal mehr mal weniger, wie 2019 in Halle), baulich gesichert wie Bunkeranlagen und teilweise von hohen Mauern abgeschirmt sind. Sich als jüdisch zu erkennen geben ist mitunter eine Gefahr für die eigene körperliche Unversehrtheit. Mitglied eines Sportklubs zu sein, der beispielsweise “Makkabi” im Namen trägt ist ein Garant dafür, zumindest antisemitischen Beleidigungen ausgesetzt zu werden. Wie ist mit den offensichtlichen

Defiziten umzugehen? Zunächst werden die meisten Leserinnen und Leser sich eingestehen müssen, dass sie nicht die Betroffenen sind. Wer nicht betroffen ist, muss sich mit dem Thema Antisemitismus beschäftigen. Einen jüdischen Erklärbär braucht es nicht. “Kompliziert” ist nur eine schwache Ausrede. Es geht um das gesellschaftliche Zusammenleben, dafür muss man auch was investieren. Schwierig ist das Thema auch nicht. Ein sehr guter erster Anhaltspunkt ist die Definition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA). Organisationen wie die Amadeo Antonio Stiftung geben leicht

verständliche Übersichtstexte heraus. Man muss sich als nicht betroffene Person immer wieder neu hinterfragen, die eigenen Stereotype checken und nie vergessen, dass man in einer privilegierten Position ist. Man ist nicht den täglichen antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt und muss nicht einen wesentlichen Teil der eigenen Identität verstecken. Der 8. Mai ist demnach ein Datum mit unterschiedlicher Bedeutung, ausgehend von der eigenen Position, aus der man ihn betrachtet. Für die meisten gilt, dass an diesem Tag ein menschenverachtenden System sein Ende fand, dessen Gedankengut aber ungebrochen

weiterlebt in immer wieder neuen Formen. Dies zu bekämpfen ist ein ständiger Auftrag.

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RogerWright
Die Pflicht des Menschen ist seine stetige Vervollkommnung. Ich versuche dies jeden Tag ein klein bisschen, zumindest wenn es durch Bücher geschieht.

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Gast Hallo Roger,

überraschend und gut, Dich mal wieder zu sehen.

Nein, kompliziert müßte das Verhältnis zu jüdischen Nachbarn wirklich nicht sein, ist es auch in meinem Umfeld nicht. Kompliziert sind deren offene Feinde, extreme Nazis und Islamisten. Kompliziert wird das Verhältnis auch durch kriecherische Deutsche, die jede Kritik am Staat Israel ablehnen und automatisch als "linken Antisemitismus" diffamieren -- mit der "Begründung", die damalige deutsche industrielle Menschenvernichtung verbiete jede Kritik an Israels Expansion und Vertreibung; in der Wolle gefärbte heimliche Nazis? Ich sehe seit Jahrzehnten hilflos auf die Gewaltspirale im Nahen Osten sowie auf den deshalb nötigen massiven Schutz, den Du ansprichst, für jüdische Einrichtungen, Museen und Konzerte.

Eine andere Sache mit der Befreiung: Die Sowjetunion spielt in gängigen Formulierungen keine Rolle und hatte doch die Hauptlast, das Hauptleiden zu tragen: Dauernd höre ich von Befreiung "... durch die Westalliierten" oder "durch die Allierten und die Sowjetunion". Hallo, die Anti-Hitler-Koalition war eine Allianz einschließlich SU, trotz Stalinismus. "Wir ... erinnerten uns daran, daß Rußland zig Millionen Menschen verloren hat und wir ebenso viele." plapperte Trump im Telefonat mit Putin. Laut Wikipedia verlor die Sowjetunion im deutschen Angriffskrieg etwa 27 Millionen Menschen.

Nun ist es hier fast ein eigenes Buch von mir geworden. Es gibt halt viel zum Thema zu sagen -- schlimm natürlich, nach so vielen Jahren noch.

Viele Grüße aus dem Bundesland mit dem Feiertag!
Gerd
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Brubeckfan manchmal vermisse ich hier dringend einen Knopf zum Verlängern der Timeout-Zeit ...
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