8. Mai - begreiung für wen?
Der 8. Mai 1945 war der Tag, an dem die deutsche Wehrmacht die bedingungslose Kapitulation erklärte. Es war der Tag, an dem der Zweite Weltkrieg in Europa endete. Dieser Tag jährt sich nun zum 80sten Mal. Der “Tag der Befreiung”, oder? Für Viele kann das nicht gelten, weder früher noch heute. Zeit für eine dringend notwendige Selbstbetrachtung.
Der damalige Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland (West), Richard von Weizsäcker, bezeichnete in seiner Rede am 8. Mai 1985, diesen Tag im Jahr 1945 als "Tag der Befreiung”. Das impliziert aber, dass die Deutschen
1945 von den Nazis befreit worden wären. Nun waren aber weder Hitler noch die Soldaten von Wehrmacht und SS und viele andere Aliens, die mit dem Raumschiff 1933 auf das arglose deutsche Volk hernieder kamen. Der industrielle Massenmord an Juden, Sozialisten und Kommunisten, Homosexuellen, Sinti und Roma und anderen Personengruppen war auch nicht urplötzlich da. Die Wurzeln des eliminatorischen Antisemitismus reichen mehr als 2.000 Jahre zum religiös begründeten Antijudaismus zurück.
Die potentiellen Opfer der Nazis, die wurden befreit. Die Mehrheit der Deutschen wurde besiegt. Besiegt wurden
die aktiven Täterinnen und Täter, aber auch die, die anderen, die wussten, was geschieht und nichts dagegen taten, die durch ihr Unterlassen der Gewaltherrschaft der Nazis freie Hand gaben.
Besiegt zu sein, machte aber aus den Besiegten nicht über Nacht andere Menschen. Der Antisemitismus lebte weiter. Menschen machten in beiden deutschen Staaten Karriere und drückten ihm ihren Stempel auf, die noch kurze Zeit zuvor den Massenmord billigten oder aktiv beteiligt waren (z.B. Herbert Tröndle, Theodor Maunz, Hans Globke, Reinhard Gehlen).
Haben die Nichtjuden seitdem gelernt? Ja
und nein. Antisemitische Straftaten nehmen jedes Jahr weiterhin zu. Während der Corona-Pandemie stilisierten sich Impfgegnerinnen und -gegner zu den “neuen Juden” und klebten sich gelbe “Ungeimpft”-Sterne an. Von der Rechtsprechung wird dies mittlerweile (zurecht) als strafbare Volksverhetzung angesehen. Bei Gedenkveranstaltungen sagen sich Nichtjuden mantrahaft immer wieder, wie viel sie aufgearbeitet haben und dass es ja wieder Juden in Deutschland gibt.
Angesichts der Lebenswirklichkeit von Jüdinnen und Juden in Deutschland müsste man eher sagen, dass sie in Deutschland sind trotz dieser (an sich
nicht ehrrüchigen) Anstrengungen. Man muss sich vor Augen führen, dass die Lebenswirklichkeit von Juden so aussieht, dass jüdische Einrichtungen unter Polizeischutz stehen (mal mehr mal weniger, wie 2019 in Halle), baulich gesichert wie Bunkeranlagen und teilweise von hohen Mauern abgeschirmt sind. Sich als jüdisch zu erkennen geben ist mitunter eine Gefahr für die eigene körperliche Unversehrtheit. Mitglied eines Sportklubs zu sein, der beispielsweise “Makkabi” im Namen trägt ist ein Garant dafür, zumindest antisemitischen Beleidigungen ausgesetzt zu werden.
Wie ist mit den offensichtlichen
Defiziten umzugehen?
Zunächst werden die meisten Leserinnen und Leser sich eingestehen müssen, dass sie nicht die Betroffenen sind. Wer nicht betroffen ist, muss sich mit dem Thema Antisemitismus beschäftigen. Einen jüdischen Erklärbär braucht es nicht. “Kompliziert” ist nur eine schwache Ausrede. Es geht um das gesellschaftliche Zusammenleben, dafür muss man auch was investieren. Schwierig ist das Thema auch nicht. Ein sehr guter erster Anhaltspunkt ist die Definition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA). Organisationen wie die Amadeo Antonio Stiftung geben leicht
verständliche Übersichtstexte heraus.
Man muss sich als nicht betroffene Person immer wieder neu hinterfragen, die eigenen Stereotype checken und nie vergessen, dass man in einer privilegierten Position ist. Man ist nicht den täglichen antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt und muss nicht einen wesentlichen Teil der eigenen Identität verstecken.
Der 8. Mai ist demnach ein Datum mit unterschiedlicher Bedeutung, ausgehend von der eigenen Position, aus der man ihn betrachtet. Für die meisten gilt, dass an diesem Tag ein menschenverachtenden System sein Ende fand, dessen Gedankengut aber ungebrochen
weiterlebt in immer wieder neuen Formen. Dies zu bekämpfen ist ein ständiger Auftrag.