Kurzgeschichte
Erwin, das Frühlingskind

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"Schreibparty 101"
Veröffentlicht am 01. April 2024, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Ich bin: durchgeknallt, neugierig, verrückt, wissbegierig, büchersüchtig, eigen, Musik Junkie, extravagant, dickköpfig, zu laut - also ganz normal ...
Schreibparty 101

Erwin, das Frühlingskind

Astgabel,ängstlich, schneiden, Tapetenkleister, Storch, Reise, Regen, nachdenken, wuchern


Erwin, das Frühlingskind Frühlingserwachen: Osterglocken, Hyazinthen, Krokusse verbreiten lockende Düfte, Bienen umschwirren sie summend. Laue Lüfte, zartes Grün erfreuen die Wintermüden. Anreisende Störche, brütende Vögel, Wildschweine in der Brunftzeit. 

All überall erwacht die Natur. Und Erwin, er kommt gerade auf die

Welt. Kaum hat er sich hinausgewurstelt, da fällt sein Blick auf eine weiß gekleidete Silhouette, die ein Ding in der Hand hält, dass gebogen ist wie eine verkümmerte Astgabel. Das sieht gefährlich aus. Er zuckt ängstlich zusammen. Will das weiße Alien ihn etwa damit schneiden? Oder pieken? Nein, der Folterknecht legt den komischen Gegenstand weg und fängt an das Zeug, welches an Erwin pappt, und die Konsistenz von Tapetenkleister hat, abzuwischen. Dann wird er einer dämlich grinsenden Person auf den Bauch gelegt.  „Was hatn der Storsch da gebracht“, säuselt sie. „Du hast die Reise raus aus

mir überstandn, mei kleener Scheißer.“ Was ist hier los? Storch? Reise? Scheißer? Diese Person wuchert in der Tat mit Worten. Erwin holt tief Luft und schreit ihr ins Gesicht. Das hat sie jetzt davon. „Oi wie fein, du hast eene kräftische Lunge“, jetzt grinst die Person noch breiter. „Nu gudd, dei Schädel ist bissel krumm, aber das liegt an der Geburtszang, mit der se dich geholt habn. Das wird schon.“ Also ist das Folterinstrument von vorhin eine Geburtszange. „Was zu viel ist“, denkt Erwin. Er schließt ermattet die Augen und schläft ein. Die nächste Zeit verbringt er in einem

verzweifelten Dämmerzustand. Ach, wäre er doch im warmen, weichen Mutterleib geblieben. Dort war niemand, der so niveaulos über ihn gackerte und sich als Mutti bezeichnete. Aber es kommt noch schlimmer. Im Heim der Familie angekommen wird er vom Familienoberhaupt, dem Großvater, begutachtet. „Der ist selbst fürn Untermaier schäbbisch!“ Opa hält nie mit seiner Ansicht hinterm Berg. „Früher wars all besser, auch die Kinder“, merkt er an und schlurft davon. „Bas uff, dass dee Bier leer is“, ruft er über die Schulter. „Aber Opi, hast‘d den Regen nich bemerkt?“, meldet sich Pitter, der älteste

Enkelsohn, zu Wort. Opa dreht sich um. „Lass mich mal nachdenken. Stimmt, regnet. Und? Biste aus Zucker?“ Mutter klatscht in die Hände. „Keen Widerspruch. Elsbeth, Pitter, ab zur Bude. Nehmt den Schäbbischen mit. Unnern Kinderwagen passt ne ganze Kiste Bier. De Pulle mitn Doppelkorn könnt ihr neben den Kurzen leschen, der säuft Gott sein Dank noch nich.“ Sie drückt den beiden Kindern einen Schein in die Hand. „Meenste wir können den Scheißer ins Gestrübb kippn? Dann sind ma den los“, Elsbeth schaut ihren Bruder fragend an. „Ne, komm ma, gibt Ärscher und ohne

Kindrwogn müssen mir das Bier schläppn.“ Auch Pitter geht der Familienzuwachs auf die Nerven, aber er denkt praktisch. „Also ich hätt lieber een Hund gehabt“, Elsbeth zieht entschlossen die Nase hoch. „Vielleicht kann ich den next emol gegen een Hund eintauschen.“ Am Kiosk angekommen erwerben die Kinder problemlos eine Kiste Bier, die sie unter dem Kinderwagen verstauen. Die Flasche Doppelkorn schieben sie unter Erwins Kissen. Der hat entschlossen die Augen zugekniffen und zusätzlich die Fäuste auf die Augen gelegt. Elsbeth drückt die Fäuste weg und schaut ihn prüfend an.

„Ach weeßt du“, stellt sie fest. „So schäbsch bist du gar nicht. Du siehst eenfach aus wie de Oba, da kannst de och nischt für!“ Es ist Frühling geworden: Primeln, Rankunkel, Tulpen blühen, Hummeln brummeln, schwellende Knospen platzen auf, zurückkehrende Rauchschwalben bauen Nester, Kröten wandern auf geschützten Wegen. Erwin weiß: Er wird dieser Familie niemals entkommen …

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Tetris
Ich bin: durchgeknallt, neugierig, verrückt, wissbegierig, büchersüchtig, eigen, Musik Junkie, extravagant, dickköpfig, zu laut - also ganz normal ...

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FranckSezelli Hallo Tetris,
diese Geschichte gefällt mis sehr gut. Die Erlebnisse des frisch "geschlüpften" Erwin mit seine Familie ... Prima erzählt, dazu noch in einem Dialekt. Daumen hoch!
LG Franck
Vergangene Woche - Antworten
Tetris Danke, Franck, das freut mich.
Gruß
Tetris
Vergangene Woche - Antworten
derdilettant Woh, das ist was los!
Deine Geschichte gefällt mir extrem gut!
LG
Alan
Vor einem Monat - Antworten
Tetris Jau, geht rund.
Danke, Alan,
Gruß
Tetris
Vor einem Monat - Antworten
schnief Eine coole Story, die mir gut gefiel!
LG Manuela
Vor einem Monat - Antworten
Tetris Danke schön, das freut mich.
Gruß
Tetris
Vor einem Monat - Antworten
Kornblume Eine Geschichte die sicher keine ist, sondern selbst erlebt oder in der Nachbarschaft beobachtet.Da ich in Sachsen Anhalt wohne, erkenne ich den säggschen Dialekt durchaus.Erwins Familie könnte aber überall wohnen, doch im Fernsehen hätte man sie auch im Freistaat Sachsen angesiedelt.
Die Vorgabeworte hast Du gut eingearbeitet. Ich drücke Dir die Daumen. Freue mich, dass die Schreibparty weitergeht und Du Dich als neues
my storys Mitglied beteiligst.(Mußt den Text nur noch, wenn Du denkst er ist perfekt und fehlerfrei) verlinken.
Kornblumenblaue Grüße und ein Lächeln an Dich.
Vor einem Monat - Antworten
Tetris Hallo, du mit dem Lächeln, das ich natürlich gern erwidere.
Oh Gott, nein, die Geschichte hat sich (hoffentlich) nur in meinem Hirn abgespielt. Anders wär schlecht ;o)
Also verlinken. Schön, dass mir mal jemand sagt, wie das funktioniert. Danke dafür! Aber sonst gibt es keine Vorgaben, oder?
Grüße
Tetris
Vor einem Monat - Antworten
Brubeckfan Süß! Oder nein, eigentlich auch harte Realität.
Und aus welcher Ecke stammt nur der Dialekt?
Viel Erfolg, viele Grüße,
Gerd
Vor einem Monat - Antworten
Tetris Danke fürs Lesen und die Erfolgswünsche.
Grüße
Tetris
Der Dialekt: Hatte einen Übersetzer für Deutsch-Sächsisch. Scheint aber eher zwischen "geht gar nicht" und "keine Ahnung" zu schwanken. Werde sicher bald aus den Freistaat abgeschoben ...
Vor einem Monat - Antworten
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