Kurzgeschichte
Auf den Hund gekommen

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"Du wachst auf und stellst fest: Du bist jetzt ein Hund. Eine Geschichte aus dem Leben eines Hundes"
Veröffentlicht am 12. Mai 2022, 26 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Über den Autor Jurek P Über seine eigene Person macht der Autor wenig Gewese. Hat er den Lesern in seinen beiden Sieben-Windstärken-Geschichtensammlungen eher alltäglich Nichtalltägliches zugemutet und die meisten seiner Erzählungen im Hier und Heute verortet, sind die in diesem Band veröffentlichten Stücke mehr der Phantasie zuzuordnen, und deswegen, so befand er, eine gesonderte Publikation wert. Das abgebildete Autorenfoto der ersten ...
Du wachst auf und stellst fest: Du bist jetzt ein Hund. Eine Geschichte aus dem Leben eines Hundes

Auf den Hund gekommen

Auf den Hund gekommen

Ich liebe es, nach dem Mittagessen mein Schläfchen auf der Couch abzuhalten, am Wochenende schon immer und seit ich im Vorruhestand bin gern täglich. Ich lese ein wenig und lasse meine Gedankenwelt

dann gemütlich ein bisschen abtreiben. Ich schlafe gar nicht lange. Nur bis meine Tina, die im Küchensessel bis dahin ein bisschen überdruselt, wieder in die Gänge kommt und in der Küche umherklappert und uns einen Tee zum Nachmittag kocht. So geht das jeden Tag und das ist auch ganz angenehm. Ich wache also auf, höre die Tassen und den Wasserkocher, öffne die Augen, sehe mein Sofakissen und den Kachelofen in der Ecke und denke, sie wird nun jeden Moment den Kopf durch die Tür stecken und rufen: »Kaffe ist fertig, Alterchen!« Kaffe sagt sie, mit kurzem »e«. Und das, obwohl wir ja seit Jahren Tee trinken. Na schön. Es ist jeden Tag die gleiche,

eingespielte Routine. Ich freue mich also schon mal ein bisschen und ich weiß auch, dass sie gestern meine Lieblingskekse aus der Kaufhalle mitgebracht hat und da höre ich sie auch schon an der Tür und sehe, wie sie mit dem Kopf so um die Ecke guckt und dann ruft sie: »Das darf doch wohl nicht wahr sein! Aber runter vom Sofa! Sofort! Böser Hund!« Ich reiße die Augen auf und denke, ich spinne. Ich sage entgeistert: »Wie bitte?« – und höre aber nur ein hündisches Fiepen. Was ist denn nun los? Also rolle ich mich von der Couch und lande – einigermaßen elegant, glaube ich – auf meinen vier Pfoten. Tina zeigt barsch mit

dem Finger in die Küche und ich lege die Ohren an und trolle mich unter den Tisch. Hier stimmt was nicht mit der Welt. Ganz und gar nicht! Wie es scheint, bin ich nun ein Hund. Und mir scheint auch, dass ich irgendwie immer schon ein Hund gewesen sein muss. Aber das leuchtet mir so gar nicht ein. Bis vor kurzem – bis zum Mittagessen genaugenommen – war ich doch ein Mensch, oder? Mein Name war – äh – wieso Dux? Dux? Nein, ich heiße Bernhard Ansel, ich hieß schon immer Bernhard Ansel, genannt Bernie. Und nicht Dux! Wie komme ich auf Dux? Ich kann nur

den Kopf schütteln und liege lieber erst mal mucksmäuschenstill unter dem Tisch. Die Sache sollte in Ruhe durchdacht werden. »Dux!«, sagt Tina nach einer Weile, und ich stecke den Kopf unterm Tisch vor. Sie hat einen Keks für mich, das weiß ich und lecke mir das Maul, Hundekekse mag ich, super. Ist bestimmt die Belohnung dafür, dass ich hier jetzt brav unterm Tisch liege und nicht im Wohnzimmer auf der Couch, was ich nicht darf, wie ich weiß. Leuchtet mir das ein? Wie denn? Bis heute Mittag war ich doch Bernie. Tinas Mann, seit fast vierzig Jahren schon. Und es gab Bouletten mit Porreegemüse, ich liebe

das, und den Thymian für die Bouletten habe ich selbst aus unserem Garten geholt und kleingehackt, das weiß ich doch, daran kann ich mich doch ganz genau erinnern. Und ordentlich abgespült vorher hab ich den Thymian natürlich auch, man kann ja nie wissen, ob da nicht eine Katze oder ein Hund draufgeschifft hat … Aber wir habe keine Katze, nie gehabt! Wir haben auch keinen Hund! Ich bin nämlich extrem allergisch gegen Tierhaare. War ich immer schon, denke ich. Und lecke mir meine pelzige Pfote. Aber es gab doch Bouletten heute Mittag, mit Thymian. Ich rieche es, ich rieche es ganz genau. Und deutlich intensiver noch

als sonst. Das ist doch verrückt. Am Porreegemüse war ein halber Apfel dran, den habe ich selber geschnippelt, das weiß ich. Tina mag das mit dem Apfel am Porree nicht so unbedingt, aber mir schmeckt das so gut, also tut sie mir den Gefallen. Ich liebe Porree, schon seit Jahr und Tag und auf einmal wundere ich mich, dass mich der Porreegeruch in dieser, in unserer Küche erheblich stört – Hunde mögen keine Porree, soweit ich weiß, und auch Zwiebeln nicht und so Zeugs. Aber wir haben ja keinen Hund und ich bin Bernie und ich verstehe die Welt nicht und stehe auf und verlasse meinen angestammten Platz unter dem Küchentisch und schüttele mich. Die

Marke an meinem Halsband klimpert leise. Ich sehe zu Tina hoch und will fragen, was das hier werden soll, ich kann doch nicht einfach ab jetzt ein Hund sein? Aber ich kann mir nur ein leises Blaffen abringen. Tina sieht mich an. Dann stemmt sie sich aus dem Sessel und schlurft zur Küchentür, um mich in den Garten zu lassen. Es regnet nicht mehr, aber das Gras ist noch ganz nass, ich spür’s an den Pfoten. Ich fühle mich wie ein bisschen niedergeschlagen und trotte den Gartenweg lang, hebe mein Bein – und halte inne. Nicht auf den Thymian, denke ich. Lieber noch ein Stück weiter, zur Stockrose, die kann das ab. Weiter hinten

im Garten, beim Apfelbaum, ich rieche es natürlich, hat Krögers Kater wieder hingekackt. Das macht der immer, aber nur, wenn er sicher sein kann, dass ich im Haus bin, dann traut er sich, der Saukater. Mistvieh. Irgendwann kriege ich ihn. Nach einer Weile im Garten wird es mir zu langweilig und ich trabe wieder zur Küchentür und gebe kurz zweimal Laut, dass Tina mich wieder reinlassen kann. Klappt auch. Wir sind ein eingespieltes Team. Sie hat einen Scheuerlappen auf den Boden gelegt, klar, es ist ja nass draußen, sie wird mir die Pfoten abwischen; ich mag das nicht, es kitzelt

so eklig. Aber sie ist die Chefin, also lasse ich alles mit mir machen. Der Nachmittag vergeht, der Abend auch, ich darf im Wohnzimmer liegen, aber nicht auf der Couch, natürlich nicht. Sie sieht eine Tiersendung im Fernsehen, Papageien am Amazonas. Interessiert mich das? Nein. Mein Blick streift die Fotos an der Wand. Unsere Kinder und unsere Enkel und Tina und ich – nein, ich muss ja sagen, Tina und Bernie, Arm in Arm am Strand – ich bin jetzt der Hund. Bin ich der Hund auf dem Foto rechts, dem neuen? Ich weiß nicht, wie ich als Hund aussehe, es gibt keinen Spiegel, der in Hundehöhe angebracht wäre. Besonders groß scheine ich nicht

zu sein.


Die Nacht verbringe ich im Korridor; nachdem ich nochmal im Garten war, versteht sich. Im Flur ist Platz genug für ein Hundebett für mich. Und mein Bett? Ich meine, Bernies Bett? Bleibt leer? Ins Schlafzimmer darf ich ganz und gar nicht, den leisesten Versuch meinerseits dazu hat Tina mit streng erhobener Hand abgewehrt. Haue will ich nicht riskieren. Der Morgen kommt. Ich liege auf dem Hundebett. Ich bin ein Hund. Immer

noch. Bleibt das jetzt so? Tina schlurft durch die Küche, klappert umher, öffnet dann die Tür und lässt mich auf meinen Platz unter dem Tisch. Kaffeegeruch finde ich widerlich, jetzt, als Hund. Von den aufgebackenen Brötchen könnte ich eins vertragen, aber das scheint hier nicht Usus zu sein. Tina sagt nichts, frühstückt in aller Ruhe, liest in der Zeitung, das Radio dudelt leise. Kein Hinweis darauf, was mit mir, mit Bernhard Ansel, los ist. Der sollte meiner Tina doch in irgendeiner Weise fehlen, möchte ich denken. Nichts davon. Ob es Bernie vielleicht nie gegeben hat und ich war immer schon ein Hund? Ein verdammter räudiger Straßenköter? Und

ich bilde mir in einer Art Hundeschizophrenie ein, einmal ein Mensch gewesen zu sein? Ich habe Hunger und wundere mich nicht. Ich habe vor Jahren mal gelesen, dass Hunde immer Hunger haben, ausnahmslos. Schöner Mist. Tina steht nun auf und stellt alles Frühstücksgeschirr und die Lebensmittel weg – leider – und macht sich nun offenbar für einen Spaziergang zurecht, zieht Schuhe und Mantel an. Ich weiß, es ist eine tägliche Routine, sie geht mit mir durchs Städtchen. Gut so. Ich erhebe mich und lasse mich willig anleinen. Den Weg, den wir nehmen, kenne ich. Auch alles Routine, scheint mir.

Natürlich kenne ich unser Städtchen in- und auswendig, schließlich bin ich hier groß geworden und habe nie woanders gelebt. Von den anderthalb Jahren Armeezeit mal abgesehen, aber das ist ja auch schon vierzig Jahre her. Ich kann mich recht gut an mein Leben als Berhard Ansel erinnern, an ein Leben als Hund dagegen überhaupt nicht. Ich kann in meinem Gedächtnis kramen, wie ich will, da ist nichts. Keine Erinnerungen an meine Welpenzeit oder so. Und doch weiß ich genau den Weg, den ich mit Tina zu gehen habe: Erst über den Markt, dann zur Kirche und dann zum Friedhof … Moment mal, Friedhof? Da bin ich mit ihr als ihr Mann nie hingegangen,

höchstens mal zu Totensonntag, zum Grab ihrer Eltern. Wieso will sie jetzt zum Friedhof – als tagtägliche Routine? Mir schwant Böses. Und ich behalte Recht. Wir stehen ein paar Minuten vor meinem eigenen Grab – Bernhard Ansel, Geburts- und Sterbedatum. Letzteres liegt in der Zukunft. Also in einer Zukunft, an die ich mich als Bernhard … Es ist verwirrend. Meine Erinnerung an meinen – vermutlich letzten – Mittagsschlaf, also gestern, scheint schon länger her zu sein. Und die Bouletten gestern, also die, die ich als Hund gerochen habe, waren offenbar nicht dieselben. Verwirrt winsele ich Tina an. Sie tätschelt mir den

Kopf und murmelt: »Ja, du verstehst das. Obwohl du ihn ja gar nicht gekannt hast.« Pah, wenn die wüsste! Weiß sie aber nicht, wie’s scheint. Und mir fällt keine Möglichkeit ein, ihr meine augenscheinliche Seelenwanderung zu verklickern. Sie seufzt nur noch mal und wir machen uns wieder auf den Rückweg.

Weiter geht’s, die altbekannten Wege lang. Beim Bäcker Schmidt bindet sie

mich draußen fest, wird sich einen Kuchen für den Nachmittagstee kaufen. Ich möchte ihr gern hinterherrufen, dass sie für mich ein Stückchen »Kalten Hund« mitbringen soll, aber ehe ich irgendeinen Laut von mir geben kann, merke ich, wie absurd das klingen würde. Irgendeiner, vielleicht ein Schüler, hat einen Rest vom belegten Brötchen in den Papierkorb geschmissen, das wäre jetzt genau das Richtige für mich. Aber ich komme an den Korb nicht ran, die Leine ist zu kurz. Also packe ich mich unzufrieden hin und grunze nur. Alles Mist. »Frauchen« Tina kommt aus dem Bäckerladen und läuft ihre Freundin Hedwig fast um, die auch gerade

einkaufen will. Sie freuen sich und quatschen eine Weile und ich höre gar nicht hin, weil mich das sowieso nichts angehen würde. Aber dann fällt mir auf, dass ich auch gar nichts verstehen könnte, selbst wenn ich wollte. Die beiden sprechen und ich verstehe kein Wort. Als würden sie sich in einer fremden Sprache unterhalten. Tina kann keine Fremdsprache, und Hedwig erst recht nicht, soweit ich weiß. Das finde ich äußerst seltsam. Aber dann verabschiedet sie sich und bindet mich los und sagt zu mir: »Ist gut, Dux, lass uns nach Hause gehen.« Ich hab’s verstanden. Soll das jetzt heißen, dass ich nur noch

Tina verstehe, und auch nur, wenn sie mich direkt anspricht? Vor unserer Haustür wird Tina von der Nachbarin, der Krögern, angesprochen. Wieder verstehe ich kein Wort von dem. Auch nicht davon, was Tina ihr antwortet. Das ärgert mich jetzt, ich zottele ungeduldig an der Leine. Tina macht mich los, sie sagt: »Hau schon mal ab, in den Garten.« Die Pforte macht sie auf und … … ich sehe den Kater der Krögers auf der anderen Straßenseite! Das Mistviech! Mit einem Satz hetze ich über die Straße, auf den Kater zu, den krieg ich jetzt, kein Baum, kein Zaun, wo er sich in Sicherheit bringen

könnte. Nur ein Lastauto. Möbel-Rickerts Lieferwagen. Den hatte ich nicht bemerkt. Zu spät.

Der Aufprall trifft mich wie ein Blitz, ich fliege durch die Luft und sehe nichts als feuerrote Sterne. Schmecke Blut. Meins. Dann, auf einmal, sehe ich langsam wieder klarer, betrachte die Szenerie aus

ungefähr zehn Metern Höhe. Die Krögern und meine Tina, beide sichtlich erschrocken, die Hände vorm Gesicht. Den Möbelfahrer, der aus dem Wagen gesprungen ist und sich über den Hund beugt, aber nur den Kopf schüttelt. Nichts mehr zu machen, der Hund ist tot. Ich sehe den Hund, mich. Von oben. Ein struppiger Mischlingsköter, grau gesprenkelt, blutig, mit verdrehtem Hals. Schade drum eigentlich. Als ich nun bemerke, dass ich irgendwie an Höhe zu verlieren drohe, breite ich schnell meine Schwingen aus und flattere auf den nächstgelegenen Baum in Krögers Garten. Die Nachbarin und Tina sehen zu mir und ich höre die Krögern

sagen: »Eine Krähe. Eine Unglücksbotin. Das nun auch noch. Tut mir ja so leid, Tina.«



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Über den Autor

JurekP
Über den Autor Jurek P

Über seine eigene Person macht der Autor wenig Gewese. Hat er den Lesern in seinen beiden Sieben-Windstärken-Geschichtensammlungen eher alltäglich Nichtalltägliches zugemutet und die meisten seiner Erzählungen im Hier und Heute verortet, sind die in diesem Band veröffentlichten Stücke mehr der Phantasie zuzuordnen, und deswegen, so befand er, eine gesonderte Publikation wert.
Das abgebildete Autorenfoto der ersten Bücher stimmte wenig mit der Wirklichkeit überein (es besteht die Annahme, es handelt sich um einem Ausschnitt eines Gemäldes des Herrn Ilja Repin), hier stellt er sich in Anlehnung an die im Buch verwendeten Illustrationen als simple Holzfigur dar. Die Ähnlichkeit allerdings, das muss jeder Vertraute des Autors zugeben, stimmt ziemlich mit der Wirklichkeit überein.
Nach Abschluss der Arbeiten an diesem Band, so verrät Jurek P, ist wieder ein Kurzgeschichtenband für die Windstärken-Reihe geplant. Mit wieviel Wind die Leser dabei zu rechnen haben, kann noch nicht gemessen werden. Auch ist der Autor seit Jahr und Tag mit diversen Romanideen geschlagen.
Die machen freilich viel Arbeit und davor scheut sich der Autor mitunter. Nee, nicht mitunter. Eigentlich immer. Ist ja auch nicht mehr der Jüngste, sagt er selber.

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Brubeckfan Tja Herr Kafka, wer werden wir sein, wer waren wir früher?
Ich habs mit Vergnügen gelesen, wie eigentlich alles von Dir.
Viele Grüße,
Gerd
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