Humor & Satire
Lost in China

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"Beitrag zur Schreibparty"
Veröffentlicht am 19. März 2021, 10 Seiten
Kategorie Humor & Satire
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Beitrag zur Schreibparty

Lost in China

Vorgabeworte: Raubvogelnacht Erdbahnkreuzer Zierteichschnecken Wachsmaske Horizontbespanner Wipfelspitzen Zwitschern Picknickpaket Whiskymixer Metzgermesser







Lost in China 

“Ooommm”, er korrigiert seine Haltung, richtet die Stola. Mit der Zeit hat er sich an den Lotussitz gewöhnt, nur heute zwickt es an einer Stelle, die er jetzt nicht kratzen möchte. Der Lama hat für die Zeremonie eine WACHSMASKE aufgesetzt. Er murmelt ein Gebet --- „Heiliger HORIZONTBESPANNER, Vater des Bodhidhrama, beschütze uns.“ Er hört nur mit halbem Ohr hin, schaut über die WIPFELSPITZEN des Songshan, erkennt schemenhaft den Ort Dengfeng. Plötzlich hört er einen Vogel. Sein Zwitschern dringt leise in sein Ohr. Warum das Zwitschern ihn an Pudong

erinnert --- er weiß es selbst nicht. Mit einem Schlag fällt ihm alles wieder ein: Die Tour hatte in Shanghai begonnen. In Erinnerung geblieben waren ihm besonders Yu Yuans Garden mit der Wanhua Kammer und der Huijing Halle. Auch ein Teich, in dem sich tausende von roten ZIERTEICHSCHNECKEN befanden, faszinierte ihn. Ansonsten war er dem Führer, einem kleinen, dicken Chinesen mit Namen Qang Tseng gefolgt, der eine rote Fahne schwenkte. Von Shanghai ging es nach Hangzhou, wo sie an die beeindruckende Mündung des

Qiantang Flusses gekarrt wurden. Weiter nach Nanjing, dann Zhouzhuang, dass Qang Tseng währen der Verteilung der PICKNICKPAKETE als das Venedig des Ostens anpries. Kanäle, gesäumt von unzähligen Ständen, an denen Schweinefüße in allen Variationen verkauft wurden prägen diesen Ort. Bullige Metzger schwangen riesige METZGERMESSER, mit denen sie die Schweinefüße spalteten. Die Luft war getränkt von einem unangenehm süßlichen Aroma --- Er konnte den Geruch nicht mehr aushalten, hatte das Picknickpaket achtlos fallen lassen und war geflüchtet. In einer kleinen Gasse fand er ein

Restaurant ohne Schweinsfuß Gestank. Er bestellte ein Tsing tao, während er das Bier trank, deutete er stumm auf den WHISKYMIXER. „Bàijiu?“, fragte der Wirt. Er nickte, bekam ein Wasserglas voll mit einer klaren Flüssigkeit, die eher aussah wie Vodka, als herrlich bernsteinfarbener Whisky. Er stürzte es in einem Zug hinunter, bestellte noch einmal und noch einmal und noch einmal. Schwankend verließ er das Lokal und hatte bald Qang Tsengs rote Fahne gesichtet. Erleichtert lief er der Fahne hinterher, stieg in den Bus, ließ sich auf seinen Platz plumpsen --- Er wachte auf, sah verwirrt um sich.

Neben ihm saß eine Chinesin mittleren alters. Genau genommen waren alle Leute um ihn herum Chinesen. Auch Qang Tseng sah irgendwie anders aus. Vor ihm stand ein Rucksack - er nahm ihn hoch. Benebelt öffnete er ihn und kramte darin herum. Er fand einen Ausweis. 直辖市地級 - er sah aber nur chinesische Schriftzeichen. Die Chinesin neben ihm beäugte ihn argwöhnisch, deutete mit dem Finger auf den Ausweis und sagte: „Qinin Zhouzhuang!“, ganz langsam und so, als würde sie mit einem Behinderten sprechen. Vorsichtig lächelte er sie an, nickte. Sie erwiderte das Lächeln

zögernd. Sie nahm ihn mit zu sich nach Hause und am Abend nahm sie ihn mit sich ins Bett --- Am nächsten Tag führte sie ihn zu einem Imbiss, wo er angewiesen wurde die schmutzigen Teller zu spülen. Er nannte sie Pudong, was ihr Name sein musste, denn sie sprach das Wort oft aus. Manchmal fragte er sich, was aus Pudongs Mann geworden war. War der in seinen Bus eingestiegen und lebte jetzt als Ewald Heidebur in Wadersloh? Nach einigen Wochen nahm ihn Pudong bei der Hand, führte ihn zum Bahnhof.

Dort bestieg sie mit ihm den Zug nach Dengfeng. Von dort aus fuhren sie bis zu den Hängen des Songshan, wo sich ein kleines Kloster befand. Sie führte ihn hinein und redete auf den kahlrasierten Mönch ein. Dann gab sie ihm einen Kuss, winkte und verschwand durch das große Eingangstor --- „Sie sagen, du unnützer wàiguó rén. Nicht gut für Bett, nicht gut Teller waschen“, erklärte der Mönch in rudimentärem englisch. „Du bleiben, beten ---“ „Heiliger ERDBAHNKREUZER, kreuze unsere Weltenbahn, verschone uns vor der unendlichen RAUBVOGELNACHT“,

skandiert der Lama. Wieder zurück im Jetzt schüttelt er den Kopf, bemerkt, dass das Zwicken aufgehört hat, verneigt sich tief und schließt die Augen. Hier wird er bleiben. Das Leben ist ein ruhiger Fluss geworden. Er ist glücklich. --- jedenfalls meistens --- © Dilettant

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derdilettant

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FLEURdelaCOEUR 
Einfach großartig, Alan, habe mich wunderbar amüsiert,
alle Daumen hoch!!!

GlG fleur
Vor langer Zeit - Antworten
derdilettant Danke dir, Sabine.
Dein Lob freut mich sehr.
LG
Alan
Vor langer Zeit - Antworten
Friedemann 
Hallo Alan,
auch mir gefällt Deine interessante und von Dir als China-Kenner auch vertrauenswürdige Reportage aus dem chinesischen Alltag. Falls mich die nun geweckte Neugier nach China locken sollte, habe ich mir das Wörtchen „Qinin Zhouzhuang!“ für den Fall notiert, dass ich nachts ein Bett mit Wärmeflasche benötigen werde.

Liebe Grüße und Dankeschön fürs Lesevergnügen,
Friedemann
Vor langer Zeit - Antworten
derdilettant Hallo Friedemann,
du müßtest nur bis nach Heidelberg reisen, um Qinin Zhouzhuang zu kontaktieren. Vielleicht leiht er dir seine Wärmflasche aus --- Aber ob du bei ihm ein warmes Bett vorfindest --- keine Ahnung.
;o)))
Danke dir und
LG
Alan
Vor langer Zeit - Antworten
matzetino Eine herrliche Geschichte. Perfekt dazu der Ton.
Hat Spaß gemacht zu Lesen und gleichzeitig zu Lauschen.

Liebe Grüße
Mari
Vor langer Zeit - Antworten
derdilettant Das freut mich, Mari.
Danke dir
mit
lieben Grüßen
Alan
Vor langer Zeit - Antworten
Darkjuls Mich zwickt es auch an so mancher Stelle, wenn ich Deine Story lese und höre. Eine klasse Darbietung in Text und Ton. Wünsche Dir viel Erfolg beim Wettbewerb. Lieben Gruß Marina
Vor langer Zeit - Antworten
derdilettant Danke dir, Marina.
Schöne Grüße
Alan
Vor langer Zeit - Antworten
derdilettant Lieben Dank und Grüße in Deinen Abend
Alan
Vor langer Zeit - Antworten
schnief Ein tolle Geschichte die mir gut gefiel und dein Hörbuch toll!
Liebe Grüße
Manuela
Vor langer Zeit - Antworten
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