Überrascht ließ Ramona die Zeitschrift sinken.
Sie hatte sich eine Auszeit gegönnt, weil sie heute Nachmittag frei hatte. Zudem waren die Kinder mit den Großeltern im Zoo.
Gleich beim Heimkommen hatte sie sich von den hohen Hacken und der beengenden Bürokleidung befreit, war in Joggingklamotten und Puschelsocken geschlüpft. Ein Gläschen Prosecco, ein paar süße Sünden und die neueste Ausgabe einer Hochglanz Klatschzeitschrift, damit wollte sie den Nachmittag genießen.
Und jetzt das!!!
Hier stand, dass das durchschnittliche
deutsche Ehepaar mindestens alle zwei Tage Sex miteinander hatte.
Nun, das traf auf ihre Ehe so gar nicht zu. Die Zeiten, in denen Stefan im Badezimmer über sie hergefallen war, wenn sie aus der Dusche kam, waren definitiv vorbei.
Überhaupt war das bisschen Sex, das sie miteinander hatten seit der Geburt der zwei Kinder einfallslos und ähnelte eher einer gymnastischen Pflichtübung.
Waren sie also ein Problempaar?
Ramona überlegte. Wie oft musste man wohl Liebe machen, um noch der Norm zu entsprechen? Ein - zwei Mal pro Woche?
Von wegen! Laut dieser Statistik alle
zwei Tage!!! Mindestens!!!
Wer waren diese Leute überhaupt, die das von sich behaupteten? Waren die niemals müde oder lustlos? Oder waren ausschließlich kinderlose Paare unter 30 befragt worden?
Eins war klar, Kinder und andauernder Sex - das ging einfach nicht.
Wie sollte man die Leidenschaft aufrechterhalten, wenn man am Abend die Kinder gefüttert, gebadet, ins Bett gebracht hatte.
Nicht wie das im Film vor sich ging, sondern in der Realität.
Dazu gehörte es, die tägliche Mahlzeit zu
kochen. Den Großen zum Essen zu animieren, wenn er gerade jegliches Gemüse verweigerte.
Zwischendurch Geschwisterstreit zu schlichten, Tränen zu trocknen.
Dann die Essensreste des Kleinen vom Boden aufzuputzen. Den Großen anzumotzen, weil er das Dessert mit den Fingern aß und die Reste in die Hosentasche steckte.
Inzwischen grölte der Kleine fröhlich: „Hab’ nen Stinker“, musste also gewickelt werden.
Der Große bestand darauf, sich allein bettfertig zu machen, wobei er mit der elektrischen Zahnbürste wie Papa rasieren spielte. Nachdem sie ihm die
Zahnbürste in den Mund gesteckt und ihn vergeblich zum Pinkeln aufgefordert hatte, brachte sie die Kinder zu Bett. Was bedeutete, dem Großen eine Geschichte vorzulesen, mit dem Kleinen ein Lied zu singen.
Schließlich das Licht zu löschen und die Kinderzimmertür sacht zuzuziehen.
Vor der geschlossenen Tür holte sie tief Luft, denn so einfach war das Zubettgehen der Kinder nicht.
Der Große erklärte lautstark, dass er Pipi müsse. Der Kleine hatte Durst und bemerkte dann, dass sein Kuschelteddy verschwunden war. Beide Kinder bestanden darauf, dass sie die fiesen Monster unter dem Bett verscheuchte.
Aber noch lieber solle das Papa machen. Worauf sie erklärte, dass Papa noch nicht zu Hause, weil schwer beschäftigt war.„Mama, aber du bist nicht beschäftigt“, kam es dann zurück.
„Klar nicht, ich putze gern Gemüse, stecke vollgemachte Windeln in stinkende Tüten, wische euren Dreck auf und räume jetzt gleich die Spülmaschine leer“, hätte sie in solchen Augenblicken gern geantwortet, verkniff sich das aber lieber. Schließlich wollte sie nicht wie eine unbefriedigte Zickenmutter wirken, an die sich ihre Söhne später erinnern genau würden.
Endlich auf dem Sofa zappte sie sich
durchs Fernsehprogramm, blieb meist bei einer geistentleerenden Sendung à la Dschungelcamp hängen. Sie stellte sich nicht vor, wie zerzaust sie aussah, irgendwie war ihr das auch egal und nach heißem Sex stand ihr der Sinn so gar nicht.
Dabei liebte sie ihren Stefan. Mit allen seinen Fehlern, seiner Unordnung, seiner Unfähigkeit, sich Termine zu merken, die die Kinder angingen. Wo er doch alle Spieler der Bundesliga mit Vor- und Zunamen kannte.
Sie überlegte, dass sie vielleicht die Initiative ergreifen sollte. Ihm eine liebevolle und erotische Partnerin sein könnte.
Genau, sie würde es ihm heute Abend besorgen, es mit ihm treiben wie früher und anschließend erschöpft, nackt und ungewaschen in seinen Armen einschlafen. Schließlich waren sie immer noch jung und verrückt, jedenfalls relativ.
Sie griff zum Telefonhörer, wählte die Nummer ihrer besten Freundin.
„Du, ich hab da gerade was gelesen. Sag, wie oft schläfst du mit deinem Mann“, legte sie los, nachdem die Freundin sich gemeldet hatte.
Die räusperte sich umständlich. „Na ja, also, wenn du so fragst. Es ist nicht gerade Fifty Shades of Grey, aber regelmäßig schon. So ein - zwei
Mal.“
„In der Woche?“
„Ach was, im Monat. Du weißt, die Kinder ... und oft fühle ich mich nicht so ... und wie schaut’s bei euch?“
„Das hört sich doch gut an. Bei uns ist das auch so“, kicherte Ramona erleichtert, hörte ihre Freundin lachen.„Ramona, du bist eine alberne Tussie. Übrigens: Ich habe da gerade etwas in der Brigitte gelesen: Wusstest du, dass weibliche Frettchen sterben, wenn sie ein Jahr lang keinen Sex haben?“