Endlich hatte ich sie!
Die ultimativen Highheels von Jimmy Choo. Lange genug hatte es gedauert, mir das Geld dafür zusammenzusparen. Doch nun war es so weit. Rot und mit einem schwindelerregend hohen Absatz schmückten sie meine Füße. Ich ging wie auf Wolken.
Doch leider sollte dieses Glück nicht lange anhalten. Schon beim ersten Tragen klemmte plötzlich der Absatz des linken Schuhs zwischen zwei Pflastersteinen fest. Verdammt! Wer pflastert den Bürgersteig denn so dämlich! Auf jeden Fall brach der Absatz ab. Als wenn das nicht genug des Elends gewesen wäre, rollte er auf die Straße
und versank mit einem satten ‚plopp‘ im nächstgelegenen Gully.
Da stand ich nun. Erstens total wackelig, zweitens völlig fertig mit den Nerven. Was sollte ich nur machen? In Gedanken ging ich alle Optionen durch. Ich könnte ein paar Tranquilizer nehmen. Die hatte ich immer in der Handtasche. Aber bis die Pillen wirkten, würde ich schon einen Heulkrampf bekommen haben und mich verzweifelt auf dem Bürgersteig herumwälzen. Vielleicht die Telefonseelsorge anrufen? Schließlich hieß es, dass man dort all seinen Kummer loswerden könnte. Ich zückte das Telefon, fing an zu tippen. Doch dann fiel mir ein, dass ich die Nummer
der Telefonseelsorge gar nicht kannte. Verzweifelt starrte ich auf das Display, hatte die rettende Eingebung. Mein Psychiater würde mir bestimmt helfen können. Weil ich seine Telefonnummer auswendig kannte, rief ich ihn stehenden Fußes an und bekam tatsächlich sofort einen Termin. Schließlich hatte ich ein existentielles Problem!
Er erwartete mich bereits in seinem Sprechzimmer.
„Nehmen Sie Platz“, sagte er mit ruhiger Stimme. „Sie sagten, sie hätten ein traumatisches Erlebnis gehabt? Wie fühlen Sie sich jetzt.“
Was für eine Frage! „Wie soll ich mich
fühlen. Leer und hoffnungslos. Dieser Verlust …“
„Ich möchte das Erlebte mit Ihnen aufarbeiten. Können Sie darüber reden?“, fragte er sanft.
Und ob. Wofür bezahlte ich den Mann denn schließlich! „Die Jimmy Choos fehlen mir so sehr, jetzt wo sie zerstört sind. Es ist unbeschreiblich. Auf diesen Teilen kam ich mir vor wie eine ganz andere Person. Einfach göttlich.“
„Das ist interessant. Alles spricht dafür, dass Ihre Eltern Ihnen nicht die Liebe geben konnten, die Sie brauchen. Sie mussten sich vor ihnen immer kleiner machen, als Sie waren“, erklärte er mit blitzenden Augen. „Aber Sie sind im
Laufe der Jahre zu großem Selbstbewusstsein gelangt. Jetzt fühlen Sie sich also wie eine Göttin.“
Na ja, aber ohne die Schuhe? „Sie verstehen das Problem nicht. Sie waren rot. Rot wie die Liebe und so unglaublich sexy.“
„Das nenne ich einen Fortschritt“, strahlte er. „Sie fühlen das göttlich Weibliche in sich. Wie leben Sie das aus?“
Der gute Doktor kam mir heute etwas seltsam vor. „Wie ich das auslebe?“
„Ja, genau. Wie Sie damit umgehen, es ausleben“, fragte er neugierig.
Wenn er es genau wissen wollte … „Also, wenn ich meine roten Dessous
anhabe und rote Highheels, dann macht es meinen Typen ziemlich an. Wäre auch komisch, wenn das nicht so wäre. Dann leben wir es zusammen aus.“
„Oh, Sie handeln also zielorientiert“, jubelte er. "Das ist so gut. Ein gewaltiger Fortschritt.“ Er senkte die Stimme, wurde ernst. „Aber kommen wir zu ihrem existentiellen Problem zurück. Sie vermissen die … ähm … Dings … Was gibt es für Strategien, um damit fertig zu werden?“
Jetzt wurde er endlich konkret. „Ich denke, dass ich nachher meine roten Dessous anziehen werden. Wenn ich mit meinem Typ fertig bin, dann kauft er mir was ich
will.“
Er zog scharf die Luft ein. „Auf keinen Fall. Wir haben doch herausgearbeitet, dass Sie eine selbstbewusste Frau sind. Dass Sie Ihre Weiblichkeit wunderbar reflektieren. Wenn Sie das Begehrte von Ihrem Partner kaufen lassen, dann begeben Sie sich in eine wahnsinnige Abhängigkeit von ihm! Denke Sie an Ihre Eltern. Wollen Sie sich wieder klein und abhängig fühlen?“
Der hatte gut reden. „Was soll ich denn stattdessen machen?“
Er hob den Zeigefinger. „Das kann ich Ihnen sagen. Denken Sie an das göttlich Weibliche. Schreiten Sie in das entsprechende Geschäft und kaufen dort
voller Selbstbewusstsein einen Ersatz. Damit wäre das existentielle Problem überwunden.“ Er schaute auf seine Apple Watch. „Sorry, aber der nächste Termin wartet schon. Wenn Sie also …“
Damit komplimentierte er mich zur Tür.
Was soll ich sagen. Ein paar Tage später bekam ich die gepfefferte Rechnung für diese Notfallsitzung. Die Krankenkasse weigerte sich, die Kosten zu übernehmen. Irgendwie erkannte man dort nicht, dass der Schuhverlust ein existentielles Problem darstellte. Ich beglich die Rechnung und hatte als Folge noch 31,50 Euro auf dem Konto. Also entdeckte ich das göttlich Weibliche
(oder war es das weiblich Göttliche?) in mir, erfand mich neu und ließ mir die neuen Schuhe von meinem Partner kaufen. Das stärkte mein Selbstbewusstsein ungeheuer.
Übrigens: Falls mir wieder mal ein Absatz abbricht und mich in die Krise stürzt, dann rufe ich doch lieber die Telefonseelsorge an. Oder ich nehme ne Valium ….
Cover by Espressolia/pixelio
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