Fantasy & Horror
Furchtbares Frühstück

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"Aarons Kaffee ist irgendwie blutig"
Veröffentlicht am 15. August 2018, 40 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Aarons Kaffee ist irgendwie blutig

Furchtbares Frühstück

Aaron Ohrenschütz wurde durch seinen Hund geweckt, der so jaulte, als wenn sein Herrchen ihn mit einem Rohrstock schlug.
"Verdammte Töle", brummte er ins Kissen und befreite seinen Arm aus der Umklammerung seiner Studentin. Nina weigerte sich ihn freizugeben, aber er ließ sich nicht auf dieses Spielchen ein und versetzte ihr einen unsanften Stoß an die Schulter.
Dann rollte er sich aus den verschwitzten Laken und ging ins Bad, um seine Blase zu leeren.
"Machst du Frühstück?", rief Nina ihm aus dem Schlafzimmer hinterher.
Ich mach dir Beine, wenn du nicht gleich

verschwindest, dachte er, sagte aber stattdessen: "Mittag wäre wohl der richtige Ausdruck."
"Bringst du mir Rührei ans Bett?", fragte sie.
"Ich bring dich nach Hause. Zieh dir was über und komm dann runter", antwortete er.
"Nicht ohne Frühstück."
Aaron betätigte die Spülung, hielt seinen Kopf unter den Wasserhahn und kühlte sich sein Gemüt etwas unter dem Eiswasser ab.
Verschwinde aus meinem Haus, dachte er und sagte: "Okay, Rührei. Aber nichts ans Bett, sondern unten in der Küche. Und nach dem Frühstück fahre ich dich

nach Hause."
Nina antwortete nicht. Wahrscheinlich war sie wieder eingeschlafen.
Aaron lief die Treppe hinunter und hörte, wie der Briefschlitz an der Haustür im Wohnzimmer quietschte. Eine Postkarte lag vor der Tür. Aaron ignorierte sie und ging in die Küche.
Die Briefschlitzklappe öffnete sich ein zweites Mal und eine Stimme rief durch die Öffnung hindurch.
"Herr Ohrenschütz? Sind sie das?"
Aaron blieb stehen und überlegte sich, ob er antworten sollte. Er entschloss sich dazu, nichts zu sagen und weiterzugehen.
"Herr Ohrenschütz, ich sehe sie durch den Briefschlitz. Ich bin es nur. Der

Postbote. Ich habe eine Postkarte durch den Briefschlitz geschoben."
Aaron hielt inne und stöhnte.
"Das haben sie klasse gemacht. Weiter so!", antwortete er.
"Herr Ohrenschütz? Wollen sie denn die Karte nicht lesen? Sie ist von ihrer Frau."
Zwei neugierige Augen lugten durch den Briefschlitz und so wie es den Anschein hatte, versuchte der Postbote nun auch seine Nase hindurchzudrücken.
Aaron drehte sich nicht zu ihm um, ging in die Küche und öffnete einen der oberen Schränke, um Eier und Rapsöl aus dem Fach zu nehmen.
"Ich glaube, dass es sie wirklich nichts

angeht, wann ich meine Post lese, bei aller Liebe. Aber ich lese sie nachher."
Er packte den Eierkarton auf den Thresen, platzierte eine Pfanne auf der Herdplatte und befüllte die Kaffeemaschine mit Wasser.
"Es tut mir Leid, dass ich so neugierig bin, Herr Ohrenschütz. Aber ich habe aus Versehen einen Blick auf den Absender geworfen, beim Einwerfen der Karte. Die Karte ist von ihrer Frau. Wollen sie sie wirklich nicht lesen?"
Aaron fuhr sich durchs Haar und startete dann die Kaffeemaschine.
"Danke für ihre Anteilnahme und Diskretion, Herr Postbote. Ich werde mir dir Karte nach dem Essen ansehen. Einen

schönen Tag wünsche ich ihnen noch."
Oben im ersten Stock hörte Aaron jetzt die Dusche laufen. Nina war endlich aufgestanden.
"Ich wünsche ihnen auch noch einen schönen Tag. Ich würde ja gerne noch bleiben, aber die Pflicht ruft. Sie kennen das ja, Herr Ohrenschütz. So viel um die Ohren."
Die Briefschlitzklappe fiel wieder quietschend zu und Aaron setzte sich an den Esstisch, um sich die Augen zu reiben. Fahles Sonnenlicht fiel auf den Tisch und die Kaffeemaschine gluckerte wie ein Abflussrohr.
Es klopfte an der Hintertür in der Küche, die in den Garten

führte.
"Herr Ohrenschütz? Sind sie da? Hier ist Frau Beutler. Huhu."
Seine Nachbarin hämmerte noch ein weiteres Mal an der verschlossenen Tür und die Türklinke winkte energisch auf und ab.
Aaron blieb still und tat so, als wäre er nicht zuhause.
"Herr Ohrenschütz, ich weiß, dass sie da sind. Ich höre doch die Kaffeemaschine. Und ihr Wagen steht doch auf der Auffahrt."
Aaron stand auf, goss Öl in die Pfanne und schaltete den Herd auf die höchste Stufe. Stufe 6: Stufe Höllenfeuer.
"Herr Ohrenschütz?" Die Türklinke

bewegte sich wieder mehrere Male. "Ich will sie ja gar nicht belästigen. Aber haben sie zufällig meinen Kater gesehen? Ich glaube er ist in ihrem Haus."
"Nein", antwortete Aaron und goss sich Milch in eine Schüssel für Cornflakes.
"Sind sie sich da sicher? Lassen sie mich kurz rein und ihr Haus durchsuchen. Er ist bestimmt durch ihre Hundeklappe reingekommen, der alte Streuner."
Das Öl brutzelte bereits in der Pfanne und Aaron dachte darüber nach, ob heißes Öl in einer Pfanne ausreichen würde, um damit eine siebenundfünzig-jährige Immobilienmaklerin zu ermorden.
Die Hundeklappe an der Gartentür öffnete sich und Frau Beutlers Kopf

zwängte sich hindurch.
"Da sind sie ja, Herr Ohrenschütz. Gut sehen sie heute aus. Sind sie sich sicher, dass sie meinen Kater nicht gesehen haben? Er legt immer so eine selbstverständliche Neugierde an den Tag. Aber Kastration soll da helfen."
"Frau Beutler!", rief Aaron jetzt zornig und umklammerte den Griff der Pfanne. "Wenn sich ihr Kater wirklich in meinem Haus befindet, kommt er auch von alleine wieder heraus."
Frau Beutler zwängte ihren Kopf umher, um einen besseren Blick durch die Küche werfen zu können.
"Darum geht es mir doch gar nicht, Herr Ohrenschütz. Er hat heute Morgen seinen

Seelachs gar nicht angerührt und ich mache mir Sorgen um seine Verdauungsprobleme."
Dann rief sie lauthals den Namen ihres Katers über den Küchenboden:
"Doktor Flausche, hierher! Komm Herr Doktor Flausche!"
Aaron plagten nun schlimme Kopfschmerzen. Oben wurden die Schiebetüren der Dusche aufgestemmt und das Wasser lief nicht mehr.
"Es tut mir wirklich Leid, Frau Beutler, aber ich bitte sie darum, jetzt aus meiner Tür zu verschwinden. Denken sie an ihren Rücken."
"Ach sie sind ja so aufmerksam", antwortete die Maklerin und dann: "Naja,

vielleicht ist Herr Doktor ja doch nicht in ihrem Haus. Ich will sie dann auch gar nicht weiter stören als notwendig. Wie geht es ihrer Frau, Herr Ohrenschütz? Meine Schwester musste auch einmal durch die Chemotherapie."
Aaron Ohrenschütz packte ein Ei aus dem Eierkarton und hatte schwer damit zu kämpfen, das Ei nicht zum Platzen zu bringen, als seine Faust es umschloss.
"Frau Beutler, ich weiß wirklich nicht, wie es meiner Frau geht. Ich halte sie auf dem Laufenden, sobald es Neuigkeiten gibt."
Die Briefschlitzklappe quietschte wieder im Wohnzimmer und ein Mann brüllte sehr laut hindurch. Wahrscheinlich um

die Distanz zwischen Haustür und Hintertür zu überwinden.
"Er hat eine Postkarte von seiner Frau bekommen, Frau Beutler. Er hat sie aber noch nicht gelesen, glaube ich."
Frau Beutler glotzte verwirrt über die Küchenfließen.
"Nanu? Herr Ohrenschütz, ich wusste ja gar nicht, dass sie Besuch haben."
"Hat er auch nicht", antwortete die Stimme an der Haustür. "Ich bin es nur, der Postbote. Ich stehe an der Haustür, Frau Beutler."
"Ach sie sind es nur. Woher wissen sie denn, dass Herr Ohrenschütz Post von seiner Frau bekommen hat? Haben sie etwa

geschnüffelt?"
"Nein", antwortete der Postbote: "Ich habe nur ausversehen einen flüchtigen Blick auf den Absender der Karte geworfen. Das kann jedem Postboten mal passieren."
Frau Beutler blickte zu Aaron und schüttelte dann verständnisvoll mit dem Kopf.
"Dieser neugierige Kobold", flüsterte sie ihm zu. "Der soll seine Nase gefälligst aus unseren Angelegenheiten raushalten! Das ist doch unerhört."
Aaron schloss die Augen und stützte sich auf dem Thresen ab. Als er die Augen wieder öffnete blendete ihn die Mittagssonne viel zu stark und er sah den

Kaffeesud in die Kanne laufen. Es musste am Licht liegen, aber der Kaffee sah ungesund kupferfarben aus.
"Hat er die Karte denn jetzt endlich gelesen?", fragte der Postbote durchs Wohnzimmer.
"Lassen sie den Mann seine Post lesen, wann er es für richtig hält. Wahrscheinlich hat er Angst vor schlechten Neuigkeiten. Das gibt es doch nicht", antwortete die Nachbarin und dann: "Haben sie zufällig meinen Kater gesehen, Herr Postbote?"
"Was interessiert mich denn ihr Kater, Frau Beutler?", antwortete der Postbote und lachte durch den Briefschlitz. "Ich habe weitaus besseres zu tun, als

während meiner Dienstzeit Ausschau nach ihrem Kater zu halten. Alle Hände voll zu tun heute. Hat er denn nun die Karte gelesen? Vielleicht sind es gute Neuigkeiten."
Aaron hörte die Treppenstufen knarren, knallte sein Ei auf den Thresen und spurtete ins Wohnzimmer. Nina kam gerade herunter.
"Wo wollen sie denn so eilig hin, Herr Ohrenschütz?", rief seine Nachbarin empört und streckte ihren dicken Hals noch etwas weiter durch die schmale Öffnung der Hundeklappe.
"Lassen sie ihn gefälligst! Er will jetzt bestimmt die Karte seiner Frau lesen", rief der

Postbote.
Aaron sprang, drei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf auf Nina zu und schloss sie dann in die Arme.
"Was soll der Radau, Professor? Ist das Frühstück fertig?"
"Nein, noch nicht." Er verschloss ihren Mund mit einem flüchtigen Kuss. Sie erschrak erst, erwiderte dann aber den Kuss und schnappte verspielt nach seinen Lippen, um sie ganz zu verschlingen.
"Komm wieder hoch, Professor. Ich glaube, ich benötige noch ein paar Punkte. Ich mach sie auch mündlich."
"Geh wieder ins Bett!", befahl Aaron und schubste das Mädchen von sich.
"Aua, nicht so grob! Bring mir

wenigstens Kaffee hoch."
"Wer ist denn da noch im Haus?", rief Frau Beutler aus der Küche.
"Ich bin es nur", antwortete der Postbote. "Das habe ich doch bereits gesagt, Frau Beutler. Aber sie sind ja auch nicht mehr die Jüngste."
"Was erlauben sie sich?"
Als Aaron die Treppe wieder hinunterstieg, reichte der Arm des Postboten schon halb durch den Briefschlitz und fingerte durch die Luft, um die Postkarte auf dem Boden zu erreichen.
"Was machen sie da, verdammt nochmal?", fragte Aaron wütend.
"Herr Ohrenschütz, ich glaube, ich

stecke fest. Könnten sie mir kurz zur Hand gehen? Ich muss dringend wieder los und habe schon viel zu viel Zeit hier verplempert."
"Doktor Flausche!", rief Frau Beutler wieder kreischend durch den Hausflur. "Hierher."
"Der Mann heißt Professor Aaron Ohrenschütz, Frau Beutler. Er hat doch keinen Doktortitel!"
"Ich rufe nach meinem Kater, Herr Postbote."
"Oh ..."
Aaron packte unsanft das Handgelenk des Postboten und presste es mit einem Ruck durch den Briefschlitz zurück.
"Aua, ah. Doch nicht so grob. Schon

besser. Danke Herr Ohrenschütz. Haben sie mittlerweile die Karte ihrer Frau gelesen?"
"Nein!", antwortete Aaron "Und wenn sie jetzt nicht gleich verschwinden ... "
"Es geht um ihre Chemotherapie, glaube ich", unterbrach ihn der Postbote. "Aber mehr konnte ich durch den schmalen Briefschlitz beim besten Willen nicht erkennen."
"Steht drin, ob sie schlimme Schmerzen hat?", rief Frau Beutler dem Postboten zu. "Meine Schwester hatte schlimme Schmerzen während ihrer Chemo. Schlimme Krämpfe und ständige Kopfschmerzen. Das widerlichste waren aber ihre Fingernägel, muss ich sagen.

Das mit dem Haarausfall war ja noch erträglich, aber ihr sind alle Fingernägel einzelnd ausgefallen, während der Chemo. Ihre Finger sahen aus wie kleine, weiße Raupen."
"Das klingt ja furchtbar!", antwortete der Postbote.
"Schnauze!", schrie Aaron gegen seine Haustür und dann nocheinmal: "Schauze! Haltet eure verfluchten Fressen. Verpisst euch von meinem Grundstück" in Richtung Gartentür. "Haltet einmal in eurem Leben euer beschissenes Maul!"
Endlich kehrte Stille in seiner Wohnung ein. Weder der Postbote, noch seine Frau Nachbarin gaben mehr ein Wort von sich. Im Wohnzimmer tickte nur noch die

Standuhr.
Aaron kickte die Postkarte unter die Treppe. Sein Ehering schmerzte ihm. Er riss ihn sich vom Finger und lies ihn fallen. So musste sich eine Handgranate fühlen. Seine Hände ballten sich zu Fäusten und fuhren dann tief in seine Taschen. Er ging zurück in die Küche, den Kopf tief hängend.

Frau Beutlers Kopf steckte nicht mehr in der Hundeklappe und er atmete erleichtert durch.


Der Kaffee war durchgelaufen. Aaron nahm sich die Tasse seiner Frau und füllte sie, bis der Kaffee über den Rand

lief.
Er nahm einen großen Schluck und spie ihn dann sofort wieder aus. Die Küchenzeile vor ihm wurde mit roten Sprenkler übersät. Es schmeckte nach Salz und Metall. Der Inhalt der Tasse war blutrot und dickflüssig.
Mit einem angewidertem Blick kippte Aaron den Kaffee aus der Tasse seiner Frau in die Spüle.
Er nahm sich die Cornflakes-Packung vom Thresen und füllte damit seine Lieblingsschüssel. Blonde Haarbüschel rieselten aus der dreieckigen Öffnung. Hier und da fielen auch halbe Fingernägel heraus in die Milch. Er betrachtete seine Cornflakes-Schüssel, in

der sich nun ein verklebter Berg aus Hornhautwuchs und Calcium auftürmte.
Aaron nahm seine Lieblingsschüssel, öffnete den Abfalleimer und ließ sie hineinfallen. Die Schüssel brach beim Aufprall.
Seine Augen suchten nach einem leeren Punkt im Raum, den man betrachten konnte, ohne etwas betrachten zu müssen, doch sie eckten an jeder Wandkachel an und fanden Gedanken und Erinnerungen in jedem noch so sinnlosem Kühlschrankmagneten.
Aaron packte ein Ei von der Theke und ließ es am Rand der Pfanne zerschellen. Er legte unnötig viel Kraft in die Bewegung und hielt die Bruchstücke

dann über das heiße Öl. Als er das aufgeregte Quieken hörte, unterdrückte Aaron einen Brechreiz und starrte fassungslos in die Pfanne.

Ein weißes Ding wand sich im siedendem Rapsöl und fiepte laut unter Schmerzensqualen. Es sprang noch einige Male auf und ab in der Pfanne umher, konnte aber seinem Todeskampf im Höllenfett der Aluminiumbeschichtung nicht entkommen und verendete dann qualvoll in der Mitte der schwarzen Pfanne. Dort lag ein gestorbenes Küken in seiner Pfanne. Das Fleisch sah krank aus und brutzelte jetzt und ein totes, leeres Auge blickte hoffnungslos zum Ablüftungsschacht.

Aaron erbrach sich in die Spüle und setzte sich dann auf den Küchenboden, den Kopf zwischen den Knien versunken.

Die Küchentür schwang auf und Nina kam herein. Sie achtete nicht darauf, dass Aaron am Boden war und fragte nur in den Raum: "Hast du mein Top gesehen? Ich finde es nirgendwo." Sie trug eines seiner Flanellhemden. Das Karierte, das er in einer anderen Zeit mal von Isabella zu seinem Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Ninas Kopf wanderte suchend umher und fand Aaron dann am Boden sitzend.

"Mein Gelbes", sagte sie. Aaron machte keine Anstalten den Kopf aus seinen Kniekehlen zu befreien und nuschelte in

seine Jeans: "Ich habe es gewaschen. Gestern. Es hängt im Hauswirtschaftsraum."

"Warum hast du es gewaschen?", fragte Nina.

"Es stank nach mir", antwortete Aaron.

Seine Studentin blies sich eine lose Locke aus dem Gesicht und sagte: "Ouh, nett von dir. Du bist so lieb. Ich muss gleich los. Ich hab keinen Hunger. Fahr mich nur bis zur Bushalte", und verschwand dann wieder hinter der Tür.
"Mach ich", antwortete Aaron und die Tür fiel zu.
Draußen heulte sein Hund. Die Käfigtür des Zwingers schepperte an den Rahmen, wenn er sich an ihr

aufrichtete.
An der Hintertür öffnete sich die kleine Klappe und ein schwarzer Kater lief hindurch.
Aaron Ohrenschütz hob den Kopf, als sich das Tier um seine Beine schmiegte.
"Doktor Flausche", sagte er und streichelte den Kater am Ohr.
"Jemand vermisst dich, Doktor. Du gehst besser Heim. Dahin, wo du hingehörst."
Der Kater schnurrte nur laut und legte sich dann auf Aarons Schoß.
"Oder bleib noch ein wenig bei mir. Ist mir auch recht."
Die Hundeklappe öffnete sich ein zweites Mal und ein langer, schwachvioletter Tentakel mit ploppenden Saugnäpfen an

der Unterseite legte sich auf die Küchenfliesen.
Aaron betrachtete ihn teilnahmslos.
"Doktor Flausche! Komm gefälligst zum Frauchen, Flausche!"
Die Spitze des Tentakels fingerte ziellos von links nach rechts, fand dann den Schwanz des Katers und schlängelte sich fest darum.
"Komm nachhause, Doktor Flausche!" Der Kater fauchte und wurde dann am Schwanz Richtung Tür gezogen. Seine Krallen fuhren in die Bodenfugen, fanden jedoch keinen Halt und schliffen dann erbärmlich über das Keramik.
"Tschüss, Doktor", sagte Aaron und winkte dem Kater zum

Abschied.
Weitere zappelnde Tentakel wanden sich um die Vorderläufe des Tieres und Frau Beutlers Liebling verschwand hinter der schwenkenden Hundeklappe.
"Herr Ohrenschütz? Sind sie das? Haben sie sich wieder beruhigt?", fragte seine Nachbarin. "Ich hatte schon kurz geglaubt, sie hätten die Fassung verloren."
Aaron antwortete mit ausdruckloser Miene: "Ja, ich bin es. Nein, ich habe nur meinen Frieden verloren. Und meine Würde."
"Haben sie denn schon Neuigkeiten von ihrer Frau?"
"Die finde ich bestimmt in der Karte

meiner Frau, Frau Beutler. Ich denke, ich lese sie jetzt besser."
"Tun sie das nur. Ich werde meinem Doktor jetzt seinen Seelachs geben. Tut mir Leid, wenn ich nicht weiter mit ihnen plaudern kann, Herr Ohrenschütz."
"Schon gut", antwortete Aaron und stand auf. Er ging ins Wohnzimmer und sah, dass ein faltiger Elefantenrüssel sich durch den Briefschlitz an der Haustür gezwängt hatte. Er sog wild Luft ein und patschte über den Dielenboden.
"Herr Ohrenschütz, sind sie das?", fragte der Postbote leicht nasal hinter der Tür.
"Ja", antwortete Aaron.
"Haben sie zufällig schon die Postkate ihrer Frau gelesen? Ich dachte, ich hätte

sie hier irgendwo hingelegt." Der Rüssel schnüffelte Staubflusen ein und stieß sie dann unbefriedigt wieder aus.
"Nein, habe ich nicht. Die Karte liegt unter der Treppe. Ich habe sie dort hingetreten", antwortete Aaron.
"Oh, so ein Jammer. Könnten sie mir vielleicht noch ein letztes Mal behilflich sein? Ich stecke irgendwie schon wieder fest und müsste doch eigentlich schon dringend wieder weiter."
Aaron machte sich daran, den grauen Rüssel an den Hautfalten zu packen und durch den Briefschlitz in die Freiheit zu drücken.
Mit fest zugedrückter Nase fragte der Postbote: "Wer ist denn eigentlich diese

junge Dame, die ebend halbnackt in den Hauswirtschaftsraum ging, Herr Ohrenschütz?"
Aaron presste sein gesamtes Körpergewicht gegen den Rüssel.
"Das ist eine meiner Studentinnen", sagte Aaron und zwang den lederartigen Wulst erfolgeich durch die schmale Öffnung. "Drittes Semester."
Der Postbote lachte laut. "Heißer Feger! Wo dieses Becken hinstößt, wächst kein Gras mehr. Wenn sie verstehen?"
"Ich möchte jetzt die Postkarte meiner Frau lesen und wünsche ihnen noch einen schönen Tag", antwortete Aaron und fügte dann noch hinzu: "Wenn sie

verstehen?"
"Jaja. Die Pflicht ruft!", rief der Postbote und Stiefelabsätze traten über Herr Ohrenschützes Auffahrt und entfernten sich allmählich.

Aaron Ohrenschütz kroch unter die Treppe im Wohnzimmer. Er senkte den Kopf und beugte das Kreuz, um an die Postkarte mit den Neuigkeiten seiner Frau zu gelangen.
Die Vorderseite der Karte zeigte ein kitschiges Bild von einem Teddybären, der sich sichtlich überfordert ein Pflaster über eine offene Naht im Stoff streichte, aus der Wattebäuschchen herauskamen. Aaron setzte sich aufs Sofa und las die Worte ohne jeglichen Gesichtsausdruck.


"Lieber Aron.
(Das "Lieber Aron" war mit einem roten Filzstift durchgestrichen. "Lieber A-a-aron" folgte darauf in viel zu großen Druckbuchstaben. Dann "Lieber A-a-a-aron")
Ich bin mir mittlerweile nicht mehr mal sicher, wie viele A-s du eigentlich im Namen hast, so lange habe ich dich schon nicht mehr gesehen. Ich vermisse dich.
Ich nehme meine Tabletten wieder. Ich verstecke sie nicht mehr im Nachtschrank. Versprochen. Ich weiß, dass es dir weh getan hat, als du die Schublade geöffnet hattest. Aber ich

möchte mich nicht dafür entschuldigen. Sie schmecken scheußlich, musst du wissen. So scheußlich, wie deine Kohlrouladen. Haha.
Aarons Blickfeld verschwamm, als seine Augen sich mit Tränen füllten, aber er las weiter und wischte sich immer wieder seinen feuchten Ärmel über das Gesicht.
Wie geht es dir? Kommst du mich bald besuchen? Dein letzter Besuch ist jetzt vier Monate her. Ich habe in der Zeit viel nachdenken können.
Mein Zimmernachbar hat einen Hirntumor und vergisst ständig alles aufs Neue. Unsere Gespräche wiederholen sich. Oft. Meistens macht es mir aber nichts. Es hat etwas Beruhigendes an

sich, zu wissen, was einen erwartet.
Trotzdem würde ich gerne deine Stimme wieder hören, anstatt seiner.
Ich weiß, dass dir mein Aufenthalt hier mehr Schmerzen bereitet, als es gut für dich wäre. Deshalb habe ich mich nicht beklagen wollen. Aber bitte besuch mich doch mal wiederr. Ich weiß sonst nicht ... Ich habe komische Gerüchte von meinen Eltern über dich gehört. Böse Gerüchte. Ich habe meine Mutter zum ersten Mal in meinem Leben beleidigt. Bekannte von Ihr tratschen gerne. Ich glaube aber nichts davon. Dennoch möchte ich mit dir persönlich darüber reden. Und wenn du nicht darüber reden willst, dann komm doch einfach vorbei und wir reden

über Jogginghosen und Pusteblumen. Ich liebe dich A-a-a-a-aron. Lass mich nicht hängen. Ich wollte, ich könnte dein dämliches Gesicht noch einmal sehen. Das ist alles was ich brauche, um noch wenigstens einmal lachen zu können. Haha.
Bitte komm. Deine Isabella."

Aaron Ohrenschütz legte die Postkarte auf den Stubentisch. Nina kam aus dem Hauswirtschaftsraum. Er sah, wie sie sich sein Flanellhemd auszog und ein gelbes Top über nackte Brüste streifte. Dann richtete sie ihren Pferdeschwanz und fragte: "Können wir endlich? Mona wollte heute abend mit mir ins K2 und

sie hat so einen Typen kennengelernt, der uns was besorgen will."
Aaron beachtete sie nicht. Er sah sich wieder den Teddybären auf der Postkarte an, die vor ihm lag. Der kitschige Teddybär mit weichen Wattebauschwunden. Seine Augen brannten salzig.
"Steig in den Wagen", antwortete er. "Ich komme gleich nach."
Sie ging zur Haustür und fragte ihn, ob sie sich Geld von ihm leihen konnte, dass sie ihm auf jeden Fall zurückzahlen würde. Sie betonte das Wort zurückzahlen, wie ein vierjähriges Mädchen, dass das Wort Gänseblümchen

aussprach.
"Steig in den Wagen", wiederholte er nur und sie ging.
"Steig einfach in den Wagen."

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Über den Autor

bastian

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Brubeckfan Also Fantasie und Humor hast Du reichlich...
Es liest sich auch sehr flüssig. Ein paar Schreibfehler solltet Du noch entfernen; z.B. "ebend", das geht gar nicht. Und es heißt doch "er strich", oder?
Na mach mal weiter so.
Viele Grüße!
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
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