SCHLAF
So lange ich mich zurück erinnern kann hab ich das schon immer gerne gemocht: Schlafen!
Tief und fest und ausgedehnt!
Schon im Kindergarten war ich stets der Erste der Mittags flach lag, und der Letzte den man nachmittags zum Spielen rausschmiss. Nur widerwillig tobte ich dann mit meinen Altersgenossen herum.
Immer bereit für eine kleine Pause unter einem schattigen Baum, um für ein paar kostbare Minuten die Augen zu schließen.
Nie gab es Probleme mich Abends ins Bett zu schicken, verriet mir meine Muddi bei jeder Gelegenheit. Und immer mit so einem kleinen Anflug von Stolz auf ihre mütterliche Fürsorgepflicht und mütterliche Sorgfalt.
Hätte aber gar nicht Not getan.
Ich wäre auch freiwillig pennen gegangen.
Der Schlaf war mein Freund. Denn er versorgte mich mit himmlischen wundervoll magischen Träumen.
Denn Freunde waren höchst selten in
meinem Leben. Ich war ein kauziger Eigenbrötler, schüchtern, verklemmt und verkorkst. Am wohlsten fühlte ich mich mit mir selbst und in meinen schläfrigen Träumen.
In der Schule wurde es auch nicht besser mit mir. Immer tiefer verkroch ich mich in mein Innerstes und flüchtete immer öfter in tröstliche Tagträume. Auf meinen eher durchschnittlichen Zeugnissen war öfters vermerkt, dass ich nur durch geistige Abwesenheit auffiel.
Was mich nicht sonderlich störte.
In meinen Träumen war ich ja stets ein anderer: Ein vorbildlicher Schüler, umgänglich und allseits beliebt; Ein richtiger Superheld mit Superkräften, der
uneigennützig die Schwachen beschützte und die Welt rettete.
Schöne Träume, die mit ihren wirren Absurditäten meinen grauen Alltag kräftig aufhellten. All die groben Hänseleien, rüden Beleidigungen und feindseligen Attacken verschwanden vollkommen, wenn ich Abends in meinem knarrenden Bett lag.
Die Zeiten wurden härter. Schule gelaufen. Doch es musste weiter gelernt werden. Das bedeutete noch etwas früher aus meinem seligen Schlaf zu steigen. Tage voller Arbeit, lernen und nervigen Kollegen, einem trotteligen Chef und zermürbenden Tätigkeiten warteten.
Mein Schlaf wurde zu einem komatösen
Abtauchen in die rein körperliche Erholung. Traumlos und öde.
Und mit den Jahren wurde es immer schlimmer.
Wehrdienst. Lustig verkleidet als uniformierter Verteidiger unserer Kultur und den fadenscheinigen Werten unserer demokratischen Zivilisation, litt ich an akutem Schlafmangel. Dieses ständige Marschieren, blödsinnige Übungen und das mächtige Gebrüll unserer beknackten Vorgesetzten machten mich nur schrecklich müde.
Schlaf wurde zur Mangelware.
Wenn ich in einer eisig kalten Nacht, einsam und allein in einem kümmerlichen Erdloch hockte, dann überkam mich
regelmäßig eine ungeheure Müdigkeit. Doch pennen durfte man dort nicht. Und wenn man doch so ein wenig schlummerte, dann wurde man fürchterlich angeschnauzt. Man hätte meinen können der Weltfrieden hinge von meiner Wachsamkeit ab.
Nie zuvor hatte ich mich so sehr nach einer Mütze Schlaf gesehnt.
Also nicht sonderlich erwähnenswert, dass ich mich nach meiner Entlassung erst einmal tüchtig ausschlief.
Doch im Schlaf gelingt es nur den wenigsten Menschen Geld zu verdienen. Und Geld brauchte man nun mal, wenn man in dieser Welt halbwegs anständig überleben wollte. Das gefiel mir nicht
sonderlich gut. Denn Arbeitszeit ging von meiner Schlafenszeit ab.
Besonders in den Nachtschichten kroch mir der Ärger über den verpassten Schlummer heftig ins Gemüt. Überall wo ich ackern musste, auf den Werften, Industrieanlagen und Werkhallen, fiel ich hauptsächlich durch meine morgendliche Übellaunigkeit auf. Man sprach mich am Besten gar nicht erst an, denn sonst...
Die Wochenenden verpennte ich gründlich. Meine herrlichen Schlummerorgien wurden nur durch Nahrungsaufnahme, Stuhlgang, Eigenreinigung und die gelegentlichen Besuche diverser Freundinnen gestört.
Und so lange sich diese Besuche in Grenzen hielten, konnte ich damit leben. Allerdings schien sich so manches in unserer Welt zu verändern, wie ich aus mehr oder weniger wichtigen Gesprächen entnehmen konnte. Könige starben, neue wurden geboren. Kriege tobten, Hungersnöte, Umweltkatastrophen. Regierungen wurden gestürzt, und neue installiert. Unermessliche Vermögen wurden angehäuft, und wieder verloren. Das ganze verpennte ich einfach. Es berührte mich kaum. Denn in meinen Träumen blieb alles vollkommen. Da konnte ich sein wer ich sein wollte, konnte tun was immer ich tun wollte.
Wenn ich wollte konnte ich unsichtbar
sein, fliegen, zu den Sternen reisen, in die Vergangenheit oder in die Zukunft blicken. Ich konnte ein unwiderstehlich ausdauernder Liebhaber sein. Meine fantastischen Fantasien kannten keine Grenzen. Sicher, damit ändert man nichts an der Realität; man verändert nichts zum Guten indem man das Schlechte verträumt. Doch ein anderes heilsameres Mittel habe ich bis heute nicht entdeckt. Kein noch so interessantes Buch, oder eine atemberaubend zauberhafte Frau kann mich um den Schlaf bringen. Da müsste man schon mein Bett in Brand setzen.
Also geh ich denn mal... Ihr wisst schon wohin... Mir fallen ja schon die Augen
zu.
Text: 2018 harryaltona
Cover: Pixabay