DER KANDIDAT
Da kommt er:
Frisch frisiert, gebadet und parfümiert. Die Hände manikürt, Füße in sauberen Socken und glänzenden Schuhen aus echtem Leder.
Korrekter Zweireiher aus einem nicht zu auffälligen Naturgewebe. Höchstwahrscheinlich Baumwolle. Blauton, Stilvolle Krawatte, frisch gebügeltes Hemd. Ein dezenter überaus männlicher Duft umweht seine Tadellose
Gestalt. Sein Gesicht bleibt unverbindlich, das vor gestreckte Kinn signalisiert ernste Entschlossenheit. Seine Augen blicken fest ins Publikum. Sicherlich hat dieses Musterexemplar von Mann noch nie einen Tag Hunger gelitten, Angst gehabt, oder nur den Hauch eines Zweifels verspürt; noch nie gelitten, Liebeskummer verspürt, oder gar geweint.
Er betritt die Bühne. Selbstbewusst, Siegessicher, aber dennoch mit dem richtigen Maß an Bescheidenheit erhebt er seine wohlgestalteten Arme um den vollgefüllten Saal in andächtiges, erwartungsvolles Schweigen zu betten. Nur ein einziges verschämtes Hüsteln
lässt ihn noch zögern.
Dann endlich beginnt er seine Rede.
Natürlich ohne Notizen. Stegreif. Frei nach Schnauze, sozusagen. Das imponiert unterschwellig die Menge. Er lobt ein wenig, und um den geschäftlichen Anstand wahrend, seinen Vorgänger; Er zieht Bilanz, streut ein wenig Angst unters angespannt lauschende Volk. Eloquent, charmant und effizient bringt er seine Person in Stellung, stellt seine Pläne vor und umgarnt die Menge mit tadellosen Visionen seiner Gestaltungskraft. Seine vorzüglichen Hände wedeln die Luft um sein Haupt. Seine Stimme wird noch etwas lauter, fester, drängender...!
Die Zuhörer applaudieren, erheben sich sogar. Stehende Ovationen. Dies ist so ein magischer Moment, den man höchstens einmal im Leben miterleben darf; an den man sich sein ganzes kommendes Leben liebevoll unter Tränen erinnert.
Scheinbar bescheiden und recht huldvoll nimmt er den donnernden Applaus entgegen. Winkt scherzhaft ab. Er sagt artig Danke, verlässt dann mit kräftigen markanten Schritten das Podium.
Dann folgt die obligatorische Runde durch den Saal.
Händeschütteln mit den Honoratioren. Der Bürgermeister ist gekommen, der örtliche Pfarrer, der Vorsitzende der
Sparkasse, der Wehrführer der freiwilligen Feuerwehr. Allesamt wichtige Leute im Ort. Kräftige Hände klopfen Schultern. Dicht an den Ohren wird geflüstert. Der Mann verspricht allen alles. Und haut nebenbei noch einen kräftigen banalen Herrenwitz raus. Übertriebenes Gelächter.
Der Kandidat mimt den treusorgenden Tierfreund, tätschelt kleinen Kindern den Kopf und hat für die Mütter freundliche Komplimente. Sie werden heute Nacht von ihm träumen. Da ist er sich sicher.
Siegessicher verlässt er den Saal um die Prozedur nicht noch zusätzlich zu beeinflussen. Ganz mit sich zufrieden steht er im Schatten einer Buche und
raucht eine Zigarette, lauscht dabei in den stillen Abend.
Drinnen im Saal ist alles nur noch Formsache. Eine überwältigende Menge stimmt für den Kandidaten. Kaum einer dagegen. Es dauert kaum fünf Minuten, dann ist die Sache geritzt. Applaus schallt durch den Raum, schwappt nach draußen an die Ohren des Siegers und entlockt ihm ein gewisses Lächeln. Er schmeißt seine Kippe in den Schatten, dreht sich um, marschiert wieder hinein um seinen sicheren Sieg mit Genugtuung zu genießen.
Tosende Ovationen begrüßen ihn. Er
winkt in die Menge, reckt die Arme in die Höhe. Seine Finger formen locker ein Victory. Er hat es vollbracht.
Nur vereinzelt ist ein wütender und hämischer Pfiff zu vernehmen. Die wenigen Unzufriedenen machen sich Luft. Der Kandidat sieht gnädig über sie hinweg. Er wird es ihnen schon noch zeigen. Denn mit voller Hose ist sehr gut stinken.
Auch ich bin mir sicher. Da sitzt der richtige Mann am richtigen Platz. Erster Vorsitzender des Kleintierzüchter Vereins, Abteilung „Räudige Rammler,“ wird man nicht so ohne weiteres. Da muss man schon mal das große Besteck
auspacken. Und ich bin mir absolut sicher, dass das noch nicht das Ende vom Lied war. - Der Mann wird es noch sehr weit bringen.
Text: harryaltona
Cover: Pixabay