Kurzgeschichte
Keine Tränen mehr - Gedankenflug

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"Keine Tränen mehr - Gedankenflug"
Veröffentlicht am 22. Dezember 2017, 20 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: pixabay - Bearbeitung: Mondstein
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Über den Autor:

Und wieder mal starte ich den Versuch, mich zu beschreiben, darzustellen. Doch geht es mir dabei so, wie sicherlich bei weiterem Nachdenken so manchem Anderen von euch: Eine Persönlichkeit, ein Mensch in all seiner Komplexität, ist niemals in wenigen Zeilen ganz zu umschreiben. Schon viele Stapel von Büchern wurden zum Thema «Was den Menschen ausmacht» verfasst und doch blieb immer ein Zweifel, ob wirklich alles erwähnt, alles erahnt ...
Keine Tränen mehr - Gedankenflug

Keine Tränen mehr - Gedankenflug

Einer dieser Tage

Es wurde ruhiger in dem Verwaltungs- und Schreibbüro am Stadtrand. Feierabend!

Während sie einen „Kollegen“ nach dem anderen verabschiedet, wie üblich mit leichtem Kopfnicken und das leise Getuschel ignorierend, sortiert sie die Papiere auf ihrem Schreibtisch.

Sie presst ihre Lippen ganz fest zusammen, um nicht aufzuschreien. Niemand erwidert ihren Gruß. Alle gehen wortlos an ihr vorbei nach Hause. Schließlich steht sie auf und dreht dem ganzen Geschehen den Rücken zu.


Sie schaut aus ihrem Fenster im 8. Stock des Bürohauses.

Wie friedlich die Stadt von hier oben aussieht - all diese Lichter in den Fenstern.

„Nach Hause“ - das klingt nach Wärme, Geborgenheit und Mitgefühl. Es bedeutet Gemeinsamkeit und Familie. Sie spürt, wie sich ihr Herz schmerzhaft zusammen zieht. Die Uhr an der ansonsten nackten Wand verrät ihr, dass es schon fast 22 Uhr ist. Und so schaltet sie ihren PC aus und nimmt ihren Mantel und ihre Handtasche mit den Schlüsseln, einigen wichtigen Papieren und ein wenig Geld.



Auf dem Weg zum Fahrstuhl kontrolliert sie noch die Geräte in der kleinen Teeküche, die sich auf ihrem Weg befindet. Manchmal nimmt sie noch den kleinen Plastikmüllbeutel mit Kaffeeresten mit - ein guter Pflanzendünger. Aber diesmal ist da kein Müllbeutel und alles steht auf „AUS“.


Sie löscht das Licht und geht den langen Flur entlang. Wie viele sind wohl schon auf diesem grauen schmutzigen Belag gekommen und gegangen? Das fragt sie sich jeden Abend. Erschöpft fährt sie mit dem Fahrstuhl am Ende des Flures hinunter ins Erdgeschoss.


Während dieser sich langsam leise quietschend mit ihr in die Tiefe bewegt, hält sie wie immer die Luft an. Erleichtert verlässt sie den Lift und schließt die Haustür des Bürogebäudes hinter sich. Sie steht in der kühlen Nachtluft und atmet tief und hörbar aus.

Schnellen Schrittes geht sie zu ihrem im Hof abgestellten Wagen, denn der Parkplatz war unbeleuchtet und menschenleer. Als sie im Auto sitzt, fällt alle Anspannung des Tages von ihr ab. In ihrem Kopf dreht sich alles und sie starrt ins Dunkel wie auf einer Suche. Sie spürt ihre Tränen, aber sie hat nicht die Kraft, sie fort zu wischen.

Sollte so ihr Leben aussehen? Würde sie denn niemals so etwas wie Glück empfinden dürfen?

Kommen und gehen


Heute vor drei Jahren hatte sie bei einem ihrer seltenen Restaurantbesuche einen Mann kennen und lieben gelernt. Als sie ihn traf, erschien es ihr wie ein Hoffnungslicht, was für ein schöneres erfüllteres Leben steht. Es war reiner Zufall, dass er in einer dieser Firmen, für die Ihr Büro die Verwaltungsarbeiten übernommen hatte, arbeitete.



Er hieß Alex und war so ganz anders als sie selber, so voller Leben, voller Ziele und Wünsche und voller Mut und Kraft. Bei ihm fand sie Trost und Wärme, wenn sie ihn noch abends spät nach der Arbeit besuchte.

Manchmal blieb sie auch über Nacht. Diese gemeinsamen Nächte waren für sie wie Reisen in unbekannte faszinierende Welten. Sie hatte bisher wenig Erfahrungen dieser Art gemacht, aber das schien Alex nichts auszumachen. Ganz im Gegenteil. Es schien ihm sogar Lust zu bereiten, sie geduldig und behutsam in vieles einzuweihen, sie voller Zärtlichkeit überall zu berühren und sie bis zur Ohnmacht zu erregen.

Schon ein paar Monaten nach ihrem ersten Date suchten sie sich eine gemeinsame Wohnung. Alex schien sich auf ein Leben mit ihr zu freuen und ihr erschien dieser Schritt logisch vernünftig. Sie würden dann noch viel mehr Zeit haben … für sich und ihre Liebe.

Doch schon zwei Tage nach dem Einzug in die neue kleine gemeinsame Wohnung merkte sie, dass er sich veränderte.

Er berührte sie nicht mehr wie früher zärtlich und vermied jeglichen direkten Augenkontakt. Sie sprachen kaum noch miteinander und wenn, dann stritten sie sich über Kleinigkeiten.


Und er sagte, dass er sich nicht jeden Abend ihr „Gejammer“ anhören wolle.

„Jeder hatte seine Arbeit, seine Rolle im Leben, seine Aufgabe zu erfüllen. Man musste sich durchs Leben boxen, so gut es ging. Und dabei sollte man seine Chancen und Möglichkeiten erkennen und nutzen.“ - Genau das war die Meinung von Alex.

Für einen kurzen Moment, wenn sie seinen Reden zuhörte, überlegte sie, ob ihre Sanftheit und Kooperationsbereitschaft vielleicht ihr soviel Fehlschläge und Kummer eingebracht hatten.

„Aber“, dachte sie dann, „genau das macht mein Wesen doch zum Teil aus.

Ich bin eben so!“


Sie entfernten sich immer mehr voneinander. Bald ging er allein aus, nicht nur wenn sie noch nicht zu Hause oder zu müde war. Und selbst, wenn sie anbot ihn zu begleiten, sagte er nur: „Lass mich allein gehen. Da sind nur Kollegen und kluge Leute. Was wir uns da erzählen, das verstehst du sowieso nicht. Und ich kann auch nicht immer auf dich achten, was du tust oder machst.“

Er gab ihr das Gefühl, dumm zu sein und dass er sich schämen müsste, weil er mit ihr zusammen war. Manchmal schlief er auch schon, wenn sie heim kam.

Und wenn er noch wach war, war er noch lange mit etwas beschäftigt und wollte nicht gestört werden. Dann ging sie traurig zu Bett und er wartete, bevor er sich hineinschlich, bis sie weinend eingeschlafen war.


Der Weg nach Hause


Alex und sie lebten nicht miteinander, sondern nur noch nebeneinander her. “Dann lieber allein“, dachte sie oft. Mit diesem Gedanken kommt sie auch heute Nacht an dem Haus an, wo sich im ersten Stockwerk ihre Wohnung befand, die sie schon lange nicht mehr ihr Zuhause nannte.

Nie wusste sie, was sie hier erwartete. Sie parkt ihren Wagen, steigt aus und schließt die Türen möglichst leise.  

Das ganze Haus ist dunkel. Es ist schmerzhaft still. Der Mond, der sich durch die Wolken schiebt, wirft ein unheimliches, fahles Licht auf die Hauswand und den Weg zur Eingangstür. Die Schatten gleichen Monstern, die drohend nach ihr zu greifen scheinen. Sie schaut hinauf zum Küchenfenster, welches hinaus zum Hof zeigt. Auch dort ist kein Licht zu sehen. Sie geht schneller. Mit vor Nervosität zitternden Finger schließt sie die Haustür auf.


Sie zieht ihre Schuhe aus und schleicht durchs Treppenhaus nach oben. Wieder lauscht sie, aber es bleibt still, als sie die Tür öffnet. Leise hinein!

Ihre Tasche stellt sie in die Ecke, wo sie immer steht, und hängt den Schlüssel an den Haken neben dem Notizblock in der Küche. Ihre Schuhe und ihren Mantel lässt sie einfach auf den Boden fallen. Sie ist so müde, dass sie kaum noch stehen kann.

Doch bevor sie schlafen geht, möchte sie noch einen Tee trinken. Ostfriesisch und mit viel Honig, so wie sie ihn mag. Sie geht in die Küche und nimmt ihre mit Herzchen und Bärchen bedruckte Tasse aus dem Hängeschrank.

Diese Tasse erinnert sie an ihre Kindheit, an die Zeit, als noch alles so ganz anders war, so voller Träume und Hoffnungen. So geht sie mit ihrer Lieblingstasse und einem Teebeutel in der Hand zum Küchentisch. Nun noch schnell Wasser aufsetzen und sie dreht sich um nach dem Wasserkessel, der auf dem Herd steht. Moment, liegt da nicht etwas auf dem Küchentisch. Ver-zettelt Auf dem Tisch mitten in der Küche lag ein Stück Papier und beim Näherkommen erkennt sie auf ihm hingekritzelte Zeilen. Sie stellt ihre Tasse auf den Tisch.

Sie muss sich setzen, denn ihre Beine wollen sie nicht mehr tragen. Noch bevor sie seine Nachricht gelesen hat, befällt sie ein Gefühl dunkler leerer Einsamkeit. Mit dem Stück Papier in der Hand sackt sie auf den Küchenboden. Dort liest sie zusammengekauert und mit verschwommenem Blick:



„Bitte verzeih mir und versuche mich zu verstehen. Ich kann nicht länger da stehen und zusehen, wie du zugrunde gehst und mich mitreißt. Erst habe ich nächtelang um dich geweint. Doch jetzt habe ich den Mut zu gehen und ich werde nicht zurückkommen!

Eine Frau, die ich bei einer

Firmenfeier näher kennen gelernt habe, hat mir angeboten, in ihrer Villa mit ihr zu wohnen, und ich habe nicht „Nein“ gesagt. Ihr Vater hat selbst eine Firma. Und wenn ich es schlau anstelle, habe ich beruflich und finanziell ausgesorgt und kann mir all meine Wünsche erfüllen. „Liebe“? "Glück" - Das wird überbewertet, nur Erfolg zählt im Leben. Mit dir zusammen komme ich nicht vom Fleck. Und all deine Träume, deine Hoffnungen in uns, in mich, sie hängen mir zum Hals raus. Ich verlasse dich, denn ich kann dich nicht retten.

Uns verbindet nichts. Wir sind zu verschieden. Es war alles ein Irrtum. Such dir einen Anderen. Ich kann und ich will nicht mehr! Ich habe keine Tränen mehr!“


Sie versucht, das alles zu begreifen. Viele leere endlose Stunden denkt sie nach, wie es so weit kommen konnte. Doch dann wird ihr klar: Es hatte nie einen Sinn mit ihnen. Es war alles nur ein Traum gewesen. Sie hatte alles auf eine Karte gesetzt, doch ihr Gegenüber spielte ein ganz anderes Spiel. Es war besser so.

Jeder musste seinen eigenen Weg gehen. Glück bedeutete für sie etwas anderes

als für ihn.

Die Stunden vergehen und noch lange sitzt sie wie betäubt auf dem Küchenboden. Es wird schon draußen hell, als sie sich ins Schlafzimmer schleppt. Sie zieht den Reißverschluss am ihrem Rock auf und lässt diesen einfach auf den Boden gleiten. Noch mit Bluse und Strümpfen bekleidet legt sie sich auf das Bett. Dann fällt sie in einen ohnmachtsähnlichen traumlosen Schlaf - mit dem zerknüllten Papier noch in der geballten Faust.


Sie hat keine Tränen mehr, um um ihn zu weinen.


www.miamondstein.de

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Hörbuch

Über den Autor

Mia_Mondstein
Und wieder mal starte ich den Versuch, mich zu beschreiben, darzustellen.
Doch geht es mir dabei so, wie sicherlich bei weiterem Nachdenken so manchem Anderen von euch:

Eine Persönlichkeit, ein Mensch in all seiner Komplexität, ist niemals in wenigen Zeilen ganz zu umschreiben. Schon viele Stapel von Büchern wurden zum Thema «Was den Menschen ausmacht» verfasst und doch blieb immer ein Zweifel, ob wirklich alles erwähnt, alles erahnt wurde.
So kann ich nur Folgendes zitieren:
< Die meisten Menschen werden als Original geboren, verlieren sich im Laufe ihres Lebens und sterben als Kopie. >
Das ist auf keinen Fall mein Plan. Ich möchte einmal gehen in der Gewissheit, Spuren hinterlassen, Momenten etwas Besonderes gegeben und nicht umsonst gekämpft und geliebt zu haben.
Ich möchte etwas weitergeben von meinem Selbst, meinem Ich, meinen Ideen und Träumen - sei es nun in Form des Geschriebenen, des auf Bildern eingefangenen Moments oder des zum Anderen laut oder leise von meiner Stimme getragenen Wortes.
Denn die Gedanken, die Fantasien in meinem Kopf sprengen oft jeden Rahmen und noch lebt ein Stückchen meines Kindseins in mir - und all das soll und darf nicht länger im Verborgenen liegen.

So will ich versuchen, es auszudrücken, zu erzählen von jenen Emotionen, den Episoden eines Lebens, das an einem Oktobermorgen begann und bis heute wie die Fahrt über das Meer verlief. Mal in ruhigem Wasser. Mal durch wilden Sturm. Noch immer gibt es Abenteuer zu bestehen, Welten zu sehen, Unbekannten die Hand zu reichen.
Noch gibt es Lieder zu singen und den Mut, die Sterne erreichen zu wollen.

Ich will versuchen, sie widerzuspiegeln, all die Träume, Wünsche und Illusionen, manchmal realisiert, oft vom Nichts verschlungen. Diese Lichtblicke, welche man erfährt und die jeder kennt und sucht, und die Schatten, welche des Nachts aus den Ecken kommen.

Ich will versuchen, es in Sätze zu fassen, um dich, den Leser dieser von mir hinterlassenen Zeilen, an die Hand zu nehmen, dich durch das Labyrinth meiner Seele zu führen. Ich möchte es dir möglich machen, wenn du mir folgst, die Welt für ein paar Augenblicke mit meinen Augen zu sehen.
Ob es dann verwundert, erstaunt oder zum Nachdenken anregt, liegt nicht in meiner Macht.

Ich bin Ich.
Herbstkind - Tochter - Mutter - Schwester - Freundin - Kummertante - Poetin - < Katze Mia > oder
< Verrücktes Huhn > - Original und Selbstdarstellerin vor der Linse und am Auslöser - Radio-Macherin und -Moderatorin - das Alles und noch mehr.

Denn jeder von uns ist eine kleine Welt für sich - wenn nicht gar ein Universum!

Mein Erstlingswerk < Gedankenpüree > wurde 2017 veröffentlicht, mein zweiter Lyrikband folgte 2018. Meine Werke fanden in verschiedenen Anthologien einen Platz und auch im Sammelband deutschsprachiger Gedichte findet man mich.
Hören kann man mich einmal im Monat im Bürgerfunk Münster in der Sendung "TeeTöne" und in meiner eigenen Lyriksendung, welche unregelmässig im Radio über den Äther geht.

Weiteres unter: < www.miamondstein.de > oder < www.miamondstein.eu > (Überblick)

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Chaos_Valentin Hey :)
mir gefällt deine story wirklich sehr und auch das cover. Hast du das selbst gemacht?
Chaos
Vor langer Zeit - Antworten
Mia_Mondstein Danke für dein positives Echo... Jooo...Cover ist von mir erdacht (aber ist ja nur ein Auge...kein Meisterwerk ;-) )
Vor langer Zeit - Antworten
Memory 
Sehr gut geschrieben, das Lesen deiner Kurzgeschichte macht wirklich Freude.
Der Inhalt ist nicht allzu überraschend. Eine Geschichte vom Auseinanderleben oder Niezueinanderfinden, wie sie wohl leider sehr oft passiert.
Lieben Gruß
Sabine
Vor langer Zeit - Antworten
Mia_Mondstein Leider zu wahr
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