Kurzgeschichte
Inspektor Gounod ermittelt

Inspektor Gounod ermittelt

Wenn 1 + 1 nicht 2 gibt...

Wer möchte, kann die Gedanken des Inspektors mit der Musik seines Namensvetters untermalen.

Musik:

Charles Gounod

Petite Symphonie
2. Satz, Andante Cantabile

Inspektor Gounod ermittelt

Der Raum war vom Geist gefüllt. Ansonsten war diesem Zimmer nichts Besonderes abzugewinnen. Die Tür stand offen. Langsam tauchte ein kleiner Löffel in eine braune Brühe. Lautlos breiteten sich Wellen aus. Die Tasse war heiss. Ein starrer Blick fixierte die Leere. Nichts passierte.
Es war der Morgen am Tag danach.

Kriminalinspektor Gounod sass in seinem Bürosessel. Diesen Fall hatte er sich selbst zuzuschreiben. Seit gestern war nichts mehr, wie es früher einmal war.

Viele Jahre schon war er in der Ermittlung tätig und hatte die unglaublichsten Fälle gelöst. Er kannte alle Tricks und Machenschaften. Ihm konnte so leicht niemand mehr etwas vormachen.

Seine Gedanken kreisten über dem Schreibtisch. Genauso wie er es immer tat, wenn er mit einem neuen Fall beauftragt wurde. Haarscharfe Analysen waren sein Erfolgskonzept. Dafür war er bekannt.

Für einen Moment schloss er die Augen und führte die Tasse zum Mund.

Kaffeeduft stieg in seine Nase.

Links und rechts neben ihm türmten sich Aktenberge. Heute waren sie für ihn nicht existent. Dieser Fall beschäftigte ihn zu sehr. Unerklärlich, eigentlich unmöglich schien ihm das Ganze – und doch war es geschehen, daran gab es keine Zweifel mehr.

Normalerweise delegierte er routinemässige Abklärungsarbeiten an sein Team. Jetzt gab es sie nicht. Zu komplex waren die Indizien. Allein sein Verstand war gefragt. Doch der schien gerade im Urlaub zu sein.

„Jedes Ereignis hat eine Vorgeschichte,

einen Ursprung. Man muss sich in die Lage der Betroffenen hineindenken“, war seine Devise. „Vorgeschichten haben Auswirkungen, die zumeist Gesetzmässigkeiten folgen. Oft ist es wie in der Mathematik, man braucht nur 1 + 1 zusammenzuzählen und bekommt eine glasklare 2“, hatte er stets gepredigt.

Wo aber lag diesmal der Ursprung? Er konnte ihn nicht aufspüren. Gesetzmässigkeiten waren keine gegeben, das Ganze unerklärlich und unmöglich zu beurteilen – auch die Mathematik versagte. Nur das Resultat lag zweifelsfrei vor seinen Augen.

1 + 1 = 1 In der zweiten 1 dieser Rechnung identifizierte er sich selbst. „Die 1 als Resultat ist das Vollkommenste. Sie ist die einzige Zahl, die nur ein Ganzes in sich birgt“, traf ihn ein Geistesblitz – und als er die Auswirkungen weiterspann, wurde ihm bewusst, dass die Folgen dieser Addition für ihn lebenslänglich sein könnten.

Sein starrer Blick füllte sich mit Leben. Er stand auf, machte die Tür zu und kniff sich selbst in den linken Unterarm. Auf seinem Gesicht machte sich ein Lächeln

breit. „Nein ich träume nicht“, kam es über seine Lippen. Dann griff er zum Telefon und wählte ihre Nummer...

Spannend wie nie zuvor war der Fall – da musste er dranbleiben und die Ermittlungen noch intensivieren.