Kurzgeschichte
Endlich - FB 60

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"Endlich - FB 60"
Veröffentlicht am 06. April 2017, 10 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: Pixabay
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Meistens bin ich ruhig. Im wahren Leben habe ich einen Mann, zwei Töchter, eine Hand voll Enkelkinder, zwei Katzen und alle zusammen leben wir im Süden Deutschlands. Wenn ich nicht schreibe, fotografiere ich, denn Fotos sind für mich auch kleine Geschichten - wenn man sie lesen kann. Ansonsten bin ich optimistisch, (fast) immer gut drauf und stehe mit beiden Beinen fest im Leben. Ergänzung: Das wahre Leben gibt es nicht mehr. Ich musste ...
Endlich - FB 60

Endlich - FB 60

Forumbattle 60

Unser Thema lautet: "Schlaflos"


Vorgaben: Schatten streben diffus Socke Kapaun Unterrock Polenta abpumpen unheimlich Fingerspitzen getrübt schwingen

Endlich Endlich wollten, durften, konnten wir mal wieder ein ganz normales Paar sein. Nach genau 212 Tagen im absoluten Babyglück hatten wir festgestellt, dass uns etwas fehlte. Jede Nacht schlaflos mit Babygeschrei - unser erstes Exemplar besaß vom ersten Tag an sehr ausgeprägte Stimmbänder - Milchflecken an den unmöglichsten und möglichsten Stellen, Müdigkeit, die uns an den Rand der Narkolepsie brachte und all die anderen Erscheinungen, die so ein neuer Erdenbürger im Gepäck trug, hatte unser Liebesleben doch etwas getrübt. Es fiel unheimlich schwer, uns an die Entstehungsgeschichte diese unseres

schönen Babys zu erinnern und wir beschlossen, dass es so nicht weitergehen durfte. Schließlich hatten wir mit der Geburt nicht unser Dasein als Liebespaar gegen das von Nur-Eltern getauscht.

Die Ur-Oma wurde bestellt und schwebte seit Stunden wie auf Schwingen mit dem Baby von Zimmer zu Zimmer, sang dabei Kinderlieder, die wohl noch älter waren, als sie und verschwendetet ihre komplette Zuneigung an das winzige Persönchen in ihrem Arm. Irgendwie sah sie aus, wie einem Filmklassiker entsprungen. Ihr Unterrock schaute etwas zu lang unter dem noch längerem Rock hervor, über die Strumpfhosen trug sie dicke Wollsocken, die vorsintflutliche

Brille mit den breiten Rändern rutschte immer etwas auf ihrem Nasenrücken nach unten und nur die nagelneue Strickjacke bewies, dass Oma noch von dieser Welt war. Sie war alt - die Oma - aber wir vertrauten ihr ohne Bedenken. Schon bei ihren anderen sechs Urenkeln hatte sie unter Beweis gestellt, dass ihr schlaflose Nächte nichts ausmachten und alles zur Zufriedenheit der Eltern, vor allem aber zu der der Babys ablief.

Ich hatte die erstbesten Konzertkarten in unserem ehemaligen Lieblingsclub in der Stadt gekauft. Die Band „Kapaun“ kannten wir beide nicht, aber das störte uns wenig, denn dort würden wir uns sowieso nicht lange aufhalten. Wir hatten auch die folgende Nacht

in einem kleinen Hotel ein Zimmer gebucht. Wenn schon, denn schon! So mussten wir in der Dunkelheit nicht mehr fahren und außerdem … Ja, außerdem eben. Zum Frühstück wollten wir zurück sein, denn länger würde der Vorrat an abgepumpter Muttermilch fürs Baby und der, vorgekochter Polenta für Oma nicht ausreichen.

Wir waren herrlich aufgeregt. Schon beim Umziehen wanderten immer wieder die Fingerspitzen meines Lieblings-Mannes über meine Haut und hinterließen eine aufregend kribbelnde Spur. Nur noch wenige Stunden trennten uns von der Zweisamkeit, an die wir uns langsam zu erinnern schienen. Wie magisch voneinander angezogen strebten wir

immer wieder aufeinander zu. Ich nahm meinen Mann endlich wieder als meinen Mann wahr und freute mich über dieses diffuse Gefühl in der Magengegend.Dort waren tatsächlich nach vielen Wochen Schmetterlinge gelandet und ich überlegte, die Eintrittskarten für das Konzert kurzfristig einem Schattendasein in der Papiertonne zu übergeben. Auch meine bessere Hälfte hatte offensichtlich ähnliche Pläne, aber Vorfreude war und blieb die schönste Freude.

Von der Musik bekamen wir nicht viel mit. Zu sehr genossen wir unsere Nähe, hatten es nicht verlernt, Augen und Hände sprechen zu lassen. Unsere selbstauferlegte Konzert-Pflicht beendeten wir spontan nach einer

Stunde. Ein verstehender Blick hatte genügt, ein Kuss, ein Nicken und „Kapaun“ musste ohne uns weiter spielen. Ab diesem Moment hielt uns nichts mehr auf, wir wussten beide zu genau, was das Einzige war, das wir unbedingt wollten. Mein Schmetterlingslandeplatz war zum Hubschrauberflughafen geworden, die Augen die mich anschauten erzählten Bände, Worte waren nicht notwendig. Da war es wieder das Gefühl, das fast vergessenen Gefühl. Wie sehr hatten wir doch diese Sehnsucht vermisst. Die zärtlichsten Lippen küssten meine und vergessen war die Welt um uns herum. Den Sommerregen spürten wir nicht, dass der Weg zum Hotel weit war, bemerkten wir auch nicht,

aber die leise gesprochenen drei Worte hörte ich ganz genau. „Ich liebe dich“, flüsterte die Liebe meines Lebens unheimlich sanft in mein Ohr.


Ob die folgende Nacht schlaflos verlief und neun Monate später das nächste Babyglück in unser Leben purzelte, oder ob wir die Nacht nutzen, um endlich einmal wieder richtig durch-und auszuschlafen, wird für immer ein Geheimnis bleiben … © Memory (April 2017)

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Hörbuch

Über den Autor

Memory
Meistens bin ich ruhig.
Im wahren Leben habe ich einen Mann, zwei Töchter, eine Hand voll Enkelkinder, zwei Katzen und alle zusammen leben wir im Süden Deutschlands.
Wenn ich nicht schreibe, fotografiere ich, denn Fotos sind für mich auch kleine Geschichten - wenn man sie lesen kann.
Ansonsten bin ich optimistisch, (fast) immer gut drauf und stehe mit beiden Beinen fest im Leben.
Ergänzung:
Das wahre Leben gibt es nicht mehr. Ich musste meinen Mann, meine große Liebe, ziehen lassen. Seit dem steht die Welt still.

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Enya2853 Liebe Sabine,
was für eine entzückende Geschichte, die du so locker hier präsentiert hast. Ganz prima hast du das "Leiden" junger Paare, die gerade Eltern geworden sind, beschrieben. Soooo gut, wenn es Omas und Uromas gibt. So konnten die beiden Liebenden auch in deiner Geschichte aufatmen, sich ganz neu erfinden und genießen.
Über den Bandnamen "Kapaun" habe ich laut gelacht. Du hast übrigens die geforderten Wörter hervorragend eingeflochten.
Deine Story war jetzt ein schöner Einstieg in den Sonntagmorgen.

Liebe Grüße und einen schönen Tag.
Enya
Vor langer Zeit - Antworten
Memory 
Wieder eine meiner Kurzgeschichten, die ich nicht mehr auf dem Schirm hatte :))
Danke dir, liebe Enya, fürs Finden und den tollen Kommi.
Jeder, der Kinder hat, kennt die Zeit zu gut. Wie wichtig ist es, sich als Paar nicht zu vergessen.
Ja, und den Kapaun ... Wie hätte ich denn in DIESER Geschichte einen kastrierter Hahn untergebracht? *lach*
Ich wünsche dir noch einen schönen sonnigen Restsonntag und schicke dir liebe Grüße
Sabine
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Liebe Sabine, jetzt erst habe ich Deine Liebesgeschichte entdeckt und finde sie wieder ganz toll. Mehr muss man dazu nicht sagen, den die anderen Kommentatoren haben ja schon alles gesagt. Das gibt bestimmt wieder einen Platz auf dem Treppchen. Ich bin leider noch nicht allzulange hier am PC wegen meiner Augen-OP.

Liebe Grüße
Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
Memory 
Liebe Bärbel,
das Gute hier ist ja, dass die Bücher in der Regel nicht verschwinden :))
Vielen Dank, für deine schönen Kommentar und auch für die Geschenke.
Die Würfel sind schon gefallen, aber wer mich ein bisschen kennt, weiß, dass ich immer nur für die Freude am Schreiben schreibe (und um meine Gefühle los zu werden).

Ich wünsche dir weiterhin gute Besserung und grüße dich ganz lieb
Sabine
Vor langer Zeit - Antworten
MarieLue So sind sie, die kleinen Geister! Die Auszeit der Eltern ließ mich schmunzeln.
Eine wirklich schöne Geschichte!
Herzliche Grüße
Susanne
Vor langer Zeit - Antworten
Memory 
Das freut mich sehr.
Danke dir, liebe Susanne.
Auch dir herzliche Grüße
Sabine
Vor langer Zeit - Antworten
mohan1948 Eine tolle Liebesgeschichte - wunderbar erzählt mit den Vorgabeworten! Hat mir sehr gut gefallen
liebe Grüße
Hannelore
Vor langer Zeit - Antworten
Memory 
Danke, liebe Hannelore, für deinen Kommi und die Mitbringsel. Habe mich sehr gefreut.
Liebe Grüße
Sabine
Vor langer Zeit - Antworten
Tintenklecks eine zauberhafte Liebesgeschichte, die erzählt, wie junge Eltern sich manchmal fühlen.
Die Band "Kapaun" fand ich witzig
LG und Glückwunsch vom Klecks
Vor langer Zeit - Antworten
Memory 
Dankeschön, lieber Klecks.
Ich freue mich sehr über dein schönes Feedback.
Liebe Grüße
Sabine
Vor langer Zeit - Antworten
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