Romane & Erzählungen
Leseprobe/Die Bäume von Eden

0
"Leseprobe/Die Bäume von Eden"
Veröffentlicht am 25. März 2017, 92 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Ich habe schon immer gerne Geschichten erfunden. Noch bevor ich ĂĽberhaupt schreiben konnte. Wann immer die Welt nicht so war, wie ich siie mir vorstellte, habe ich mich in eine Traumwelt geflĂĽchtet, in dem ich BĂĽcher las. BĂĽcher sind, anders als Filme, vorgefertigte Geschichten, in denen immer noich Raum bleibt fĂĽr die eigene Fantasie. Genau das hat mich schon immer an der Literatur fasziniert. Und ich hoffe, dass ich mit meinen Geschichten ...
Leseprobe/Die Bäume von Eden

Leseprobe/Die Bäume von Eden


Leseprobe Die Bäume von Eden Als ich „Die Bäume von Eden“ geschrieben habe, hatte ich noch nicht einmal Internet. Ich wusste damals auch nicht, dass jeder seine Geschichten in diesem Netz veröffentlichen kann. Natürlich dachte ich daran, sie irgendwann zu veröffentlichen, als ich damit fertig war. Immerhin liegt sie jetzt schon mal als e-book vor und ist in allen gängigen stores zu haben. Vielleicht erfüllt sich irgendwann auch

mal mein Traum, meinen ersten Roman als Printbuch in Händen zu halten. Auf die Idee zu „Die Bäume von Eden“ kam ich, weil mich eine Passage in der Bibel schon immer stutzig gemacht hatte. Dass Adam und Eva der Baum der Erkenntnis zum Verhängnis wurde ist ja allgemein bekannt. Doch was hatte es mit diesem mysteriösen zweiten Baum auf sich? Dem Baum des Lebens? Wieso fürchtet sich Gott davor, dass der Mensch die Hand nach dem Baum des Lebens ausstreckt und werden könnte wie er? War das der wahre Grund des Rausschmisses? Hatte er Angst, dass seine eigene Schöpfung ihm über den

Kopf wachsen könnte? Sind wir nicht gerade dabei die Hand nach dem Baum des Lebens aus zu strecken, zu werden wie Gott? Was wird er tun, wenn es tatsächlich so ist? Rund um diese Gedanken entstand mein fiktiver Roman „Die Bäume von Eden“. Hier als Leseprobe die Einleitung und das erste Kapitel. Viel Vergnügen beim Lesen. L.G.Roland.

einleitung

Die Bibel Erstes Buch Moses 2.16 Und Gott der Herr gebot dem Menschen und sprach: Du darfst essen von allen Bäumen im Garten, 17 aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen; denn an dem Tage, an dem du davon essest, musst du des Todes sterben. Erstes Buch Moses 3.22 Und Gott der Herr sprach: Siehe der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, dass er nur

nicht ausstrecke seine Hand und breche auch von dem Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich! Erstes Buch Moses 3.24 Und er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzendem Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens. Die Bäume von Eden

kapitel 1

In monotonem Rhythmus, nahezu einschläfernd, wischte der Scheibenwischer im Takt zur Countrymusik aus dem Autoradio über die Frontscheibe, die immer wieder vom Nieselregen benetzt wurde. Die Landschaft, die an ihnen vorbeihuschte, kleidete sich in einem tristen, unfreundlichen Grau. Die wenigen Gebäude, die sie auf der Fahrt durch den deprimierenden Dauerregen passierten, sahen verfallen oder verlassen aus. Vor 25 Jahren, als sie zum ersten Mal

die Route 66 abgefahren waren, hatte alles irgendwie anders gewirkt. Damals, auf ihrer Hochzeitsreise, waren sie in einem alten klapprigen VW Bus unterwegs gewesen, der oben noch diese Panoramafenster gehabt hatte. Wie es sich für die 60er Jahre gehörte, war er bunt bemalt gewesen, ohne Autoradio. Sandra hatte eine Wandergitarre dabei gehabt und sich in Beatles- und Elvissongs versucht. Jetzt fuhren sie in einem 3er BMW mit Navigationssystem und vollautomatischer Klimaautomatik. Mit einem einzigen Fingertippen auf das Display des Bordcomputers ließ sich das Beschlagen der Frontscheibe

verhindern. Damals hatten sie noch lachend und miteinander albernd die beschlagenen Scheiben mit diesen kleinen, für damalige Verhältnisse neumodischen Fensterschwämmen abgewischt. Die Erinnerung daran ließ Jim lächeln. Er blickte zu seiner Frau, die auf dem Beifahrersitz schlief. Sie war noch genauso hübsch wie vor 25 Jahren. Er konnte seinen Blick kaum von ihr lassen. Im Augenwinkel bemerkte er plötzlich ein grelles Licht, begleitet von einem tiefen, markerschütternden Hupen. Ein riesiger Truck raste auf sie zu. Jim stieg voll in die Eisen. Sein ABS System ließ das Bremspedal wie verrückt pulsieren.

Er riss das Lenkrad nach rechts, so dass der Wagen ĂĽber den Fahrbahnrand in die Botanik schoss. Sofort lenkte er gegen, worauf das Auto mit einem beachtlichen Satz wieder holpernd auf der StraĂźe landete. Da er befĂĽrchtete, auf der anderen StraĂźenseite ab zufliegen, riss er das Lenkrad noch einmal nach rechts, weshalb der Wagen jetzt eine perfekte Pirouette hinlegte. Quietschend und qualmend radierten die Reifen einen schwarzen Halbkreis auf den grauen Asphalt. Endlich stand der Wagen, wenn auch entgegen der Fahrtrichtung, aber er stand. Jim legte seine Stirn auf das Lederlenkrad, das er noch immer mit

beiden Händen fest im Griff hatte. Er atmete tief durch. Seine Frau schlief noch immer. Langsam wendete er den Wagen wieder in die richtige Richtung und fuhr los. Vor 25 Jahren war dies ihre erste gemeinsame große Fahrt gewesen. Und jetzt wäre es fast ihre Letzte geworden. Sein Herz raste immer noch wie wild, und seine Hände schwitzten so sehr, dass er kaum das Lenkrad halten konnte. Er fuhr rechts ran, schaltete den Motor aus und die Warnblinker ein. Sandra wachte nun endlich auf, streckte und räkelte sich. „Sind wir schon da?“, flüsterte sie noch im Halbschlaf. Fast hätte Jim hysterisch

geschrien: „Wo da? Wir haben doch überhaupt kein Ziel!“ Aber da Sandra offensichtlich nichts von dem gefährlichen Zwischenfall mitbekommen hatte, beschloss er ruhig zu bleiben und atmete nur einmal tief durch. „Nein, Schatz. Ich mache nur eine kleine Pause.“ Sie öffnete die Augen und blinzelte in die pechschwarze Dunkelheit, die nur im Takt der Warnblinker erhellt wurde. „Wo sind wir?“, fragte sie noch immer schlaftrunken. „Immer noch auf der Route 66, ganz in der Nähe dieses Motels, in dem wir damals übernachtet haben“, antwortete

er. „Na los, du Spinner, “ Sandra war auf einmal wieder putzmunter. „worauf wartest du noch! Lass uns da übernachten. Vielleicht ist unser altes Appartement noch frei.“ Jim startete den Motor, während er Sandra mit einem Lächeln zuzwinkerte. Im Radio spielten sie noch immer Countrymusik. Jemand, den er nicht kannte, sang „Countryroad“. Ihm fiel auf, dass er zwar einige der Lieder kannte, nicht aber die Bands, Sänger oder Sängerinnen. Wahrscheinlich handelte es sich dabei um einheimische Nachwuchskünstler. Gerade als er losfahren wollte raste von hinten eine

schwere schwarze Limousine mit einem lauten Hupen an ihnen vorbei. Jim erschrak so sehr, dass er den Motor abwürgte. Seit Stunden hatten sie kein Fahrzeug mehr gesehen und jetzt hätte er innerhalb weniger Minuten fast zwei schwere Unfälle gebaut. Das Ding hätte sie gerammt und von der Straße geschleudert, wie ein gelangweiltes Kind eine leere Cola Dose fortkickt. „Mensch, pass doch auf! Der hätte uns beinahe gerammt.“ Jim reagierte leicht gereizt. „Was du nicht sagst.“ Zwei solcher Schübe Adrenalins kurz hintereinander waren dann doch etwas zu viel. Erneut startete er den Motor, der

darauf mit einem unwilligen Stottern reagierte, bis er endlich ansprang. Dieses Mal überzeugte sich Jim mit einem Blick in die Spiegel und über die linke Schulter, dass die Straße frei war ehe er losfuhr. Im Radio sang einer von Lucille, die ihn gerade jetzt verlassen will, wo doch die Kinder krank sind und die Schulden so viel. Auch dieser Interpret war nicht der Originalsänger. Jim kannte sich aus mit Countrymusik. Die Route 66 war wieder einsam und verlassen. Kein Truck, keine schwarzen schweren Limousinen. Keine anderen Fahrzeuge, die ihr friedliches Dahingleiten gestört hätten.

„Damit beenden wir unsere Sendung für junge Talente aus der Region“, säuselte die Stimme einer jungen Frau aus dem Radio. „Hören sie nun einen Beitrag der Church of the Guardian from Eden.“ Jim blickte schmunzelnd zu seiner Frau. „Was diese Sekten sich für Namen einfallen lassen, Wahnsinn. Die Wächter von Eden.“ Er lachte leise vor sich hin und schüttelte dabei den Kopf. Sandra sah ihn kurz an und konzentrierte sich dann wieder auf die Straße. Normalerweise hätte sie jetzt einen Witz gerissen, doch irgendetwas hatte dieser Name an sich, das ihr eine solche Reaktion untersagte. Es

war wie ein Tabu. Fühlte sich genauso falsch an, als ob einer vor einem offenen Grab stünde und einen Witz erzählte über den Verstorbenen, der gerade in seinem Sarg in sein Grab hinab gelassen wurde. Sandra lief ein kalter Schauer über den Rücken. Am Schall der Stimme des Predigers konnte man hören, dass er in einer großen Halle sprach. Außerdem war im Hintergrund Publikum zu hören, das ihm immer wieder in einem zustimmenden Gemurmel Recht gab in seinen Äußerungen. „Die Zeit ist nah, da sich die Prophezeiung erfüllt“, erklärte er seinen Zuhörern im Saal und an den Radios.

„Wenn der Mensch sich gegen Gott wendet, wird der Mensch verderben. Geht nicht mit denen, die sich gegen Gott wenden.“ Im Saal hörte man vereinzelte „Amen“ - Rufe. „Unser Herr ist ein gütiger Gott und ihr werdet es gut haben bei ihm.“ Es folgte eine theatralische Pause. Den letzten Satz sprach er noch ruhig und einfühlsam, so wie man mit einem Kind spricht, wenn man es noch mal im Guten versuchen will. Doch dann erhob sich seine Stimme. Ohne ersichtlichen Grund wurde er plötzlich furchtbar wütend. „Eure Seelen werden für immer im lodernden Feuer der Hölle schmoren,

wenn ihr ihnen vertraut und euch gegen euren Schöpfer wendet! Er hat die Erde geschaffen, auf der ihr wandelt, und er wird sie wieder vernichten, wenn euer Tun ihm missfällt!“ Wieder folgte eine Pause. Man konnte hören, wie einige Menschen aus dem Publikum beteten. Andere, so schien es, weinten. Anscheinend hatte sich der Prediger inzwischen beruhigt, denn er fuhr jetzt mit wesentlich ruhigerer Stimme fort. „Doch fürchtet euch nicht, denn ihr wisst, was zu tun ist. Lobet den Herrn!“ Die ganze Gemeinde stimmte in einen Lobgesang ein, der den gütigen Gott, der sie jederzeit vernichten könnte, wenn ihm gerade danach war, versöhnen sollte.

„Das war der Beitrag der Church of the Guardian from Eden“, säuselte die Stimme der jungen Sprecherin aus dem Radio. „Und nun die 22 Uhr Nachrichten.“ Es folgten Nachrichten aus der Region, aus Amerika und der ganzen Welt. Im Anschluss daran kam noch der Wetterbericht für die nächsten Tage. Dann erklang Unterhaltungsmusik der 60er Jahre. Sandra erblickte als erste das Motel. Es sah noch immer so aus wie vor 25 Jahren. „Da ist es.“ Sie deutete aufgeregt auf das Gebäude, das auf der rechten

Straßenseite aus der Dunkelheit vor ihnen auftauchte. Jim parkte den Wagen vor dem Hauptgebäude des Motels. Es gab noch zwei lang gestreckte Gebäude, in denen die Appartements untergebracht waren. Jedes hatte seinen eigenen Eingang und einen Stellplatz für das Auto direkt davor. Vor einem parkte die schwarze Limousine, die vor Kurzem an ihnen vorbei gerast war. „ Meinst du, die Beiden erinnern sich noch an uns?“, fragte Sandra. Damals kamen sie zufällig in dieses Motel. Es war ebenfalls mitten in der Nacht und sie hundemüde gewesen. Als sie sich damals ins Gästebuch eingetragen hatten, stellten ihre

Gastgeber fest, dass sie die gleichen Vornamen besaßen wie sie. Sie verstanden sich prächtig mit ihnen und es wäre beinahe eine wunderbare Freundschaft entstanden. Man verabschiedete sich mit dem Vorsatz, sich zu schreiben oder zu telefonieren, doch auf die Dauer hielt dieses Versprechen nicht. Jetzt standen sie wieder vor der Rezeption im Hauptgebäude, das zugleich das Wohnhaus der Gastgeber war. Es hatte sich kaum etwas verändert. Da war immer noch diese kleine Messingglocke, die man läuten musste, damit man bedient wurde. Neben dieser Glocke stand ein kleines Schild mit der

Aufschrift: Bitte einmal läuten. Wenn sie zwei- oder dreimal läuten komme ich deswegen nicht zwei- oder dreimal schneller. Jim konnte sich schon damals über diesen Spruch amüsieren. Neu war ein Kreuz mit einer geschnitzten Christusfigur, die auf dem Tresen stand. Es war etwa 30 cm groß. Ganz oben auf dem senkrechten Balken war eine kleine Messingtafel angebracht mit der typischen Inschrift: INRI. Aber das Seltsame war eine zweite Tafel aus Holz am Fußende der Figur. Die Schrift war so klein, dass man sie kaum entziffern konnte. Seht was ihr getan habt dem Sohn

Gottes. Fürchtet euch, denn die Rache ist mein. „Ich wusste gar nicht, dass sie so religiös waren.“ Jim läutete die Glocke. Im Hintergrund hörten sie einen Fernseher. Es dauerte allerdings ein paar Minuten, bis jemand kam. Es war aber keiner ihrer damaligen Gastgeber, sondern ein junger Farbiger. Er trug eine dieser Collegejacken und eine Basecap. Den Schirm der Kappe trug er seitlich. Es war anscheinend bei der Jugend nicht mehr angesagt den Schirm im Nacken zu tragen. Außerdem kaute er unaufhörlich auf einem Kaugummi. Das war eines der wenigen Dinge, die Jim zur Weißglut bringen

konnte. Er bekam schon vom bloßen Zusehen Zahnweh. Das Schlimmste war, wenn jemand auch noch mit offenem Mund kaute, wie dieser junge Mann, der gerade vor ihnen stand. „Was liegt an?“, wollte der wissen. Während Jim noch nach den richtigen Worten suchte, ergriff Sandra die Initiative. „Wo sind denn die Besitzer dieses Motels, Jim und Sandra?“ Der junge Mann guckte sie etwas irritiert an, sein Blick wanderte dabei von Sandra zu Jim und wieder zurück. Dabei kaute er jetzt noch schneller und nervender auf seinem Kaugummi. Plötzlich fiel ihm die

Antwort ein, so als ob sie ihm ein kleiner Mann im Ohr ein geflüstert hätte. „Ach, die meinen Sie! Die Beiden haben sich nach Kalifornien abgesetzt. Hab den Laden hier vor zwei Jahren übernommen.“ Sandra war etwas enttäuscht. Sie hatte sich wirklich auf ein Wiedersehen mit ihren alten Bekannten gefreut. Jetzt hatte sich auch Jim wieder gefasst. „Wir brauchen ein Zimmer für eine Nacht.“ „ Für mindestens eine Nacht“, ergänzte Sandra. Sie hatte keine Lust, morgen schon wieder auf der Straße zu sein und endlose Meilen abzuspulen. Einmal richtig ausschlafen, dann ein gemütliches

Frühstück und anschließend ein wenig Faulenzen, die Sonne genießen. Das wär’s. Jim lächelte ihr zu. „Mindestens eine Nacht“, wiederholte er leise. „Kein Problem.“ Phil, der neue Besitzer, wandte sich seinem Laptop zu, der auf dem Tresen stand. Jim konnte den Namen auf einem kleinen Schild erkennen, das der Farbige an seiner Jacke trug. „Ihre Namen?“ „Jim und Sandra Brown.“ Phil kicherte leise vor sich hin und sah dann Jim und Sandra an. „Ach, deswegen können Sie sich so gut an die zwei Alten erinnern. Die hatten die gleichen

Vornamen, wissen Sie?“ Sandra räusperte sich. „Ja, das wissen wir“, sagte sie. Phil nahm noch ihre restlichen Personalien auf und überreichte ihnen dann die Schlüssel. Appartement 5. Damals hatten sie die Nummer drei bezogen. Aber das machte nichts. Hauptsache sie hatten erst einmal ein weiches Bett und vor allem eine Dusche. Jim parkte den Wagen vor dem Appartement und lud die Koffer aus. Dabei fiel ihm wieder dieses schwarze Monstrum von Auto auf, das sie beinahe gerammt hatte. Wie ein riesiges schlafendes Raubtier stand es vor

Appartement 3, ihrem damaligen Appartement. Bis auf die Nummernschilder war an dem Ding wirklich alles schwarz. Sogar die Frontscheibe und die Scheinwerfer waren tiefdunkel getönt. Jim konnte sich nicht vorstellen, dass so etwas erlaubt war. Er versuchte einen Blick ins Innere zu erhaschen, aber das war unmöglich. Also trug er ihr Gepäck ins Zimmer. Er erzählte Sandra von dem Wagen vor Appartement 3. „Irgendwie ist mir das Ding unheimlich. Es jagt mir richtig einen Schauer über den Rücken.“ Sandra reagierte etwas gereizt. „Vielleicht einer von der Regierung oder

irgendein Diplomat. Was weiß ich. Lass uns ins Bett gehen, ich bin hundemüde.“ Jim entdeckte die kleine Flasche Wein und die zwei Gläser auf dem Tisch. „Aber ein kleiner Schlaftrunk ist noch drin.“ Phil führte die Tradition des Willkommenstrunks fort. Langsam wurde Jim der Junge sympathisch. „ Du bist echt ein Spinner“, lachte Sandra, während er die Flasche öffnete und den Wein in die Gläser goss. „Auf uns!“, prostete er ihr zu. „Auf uns!“, lächelte sie zurück. In der Nacht wurde Jim von einem Alptraum heimgesucht. Er stand auf

einer Kreuzung. Es gab keine Landschaft. Nur die zwei grauen Straßen, die sich kreuzten und grüner Rasen bis zum Horizont. Der Himmel war Wolken verhangen, ließ aber ein diffuses Licht durch. Plötzlich materialisierte sich diese schwarze Limousine vor ihm wie aus dem Nichts und raste auf ihn zu. „Nach rechts!“, schrie Sandra, obwohl sie nirgends zu sehen war. „Nach rechts, du Idiot, nach rechts!“ Ihre Stimme überschlug sich fast vor Panik. Jim rollte sich nach rechts ab, was sich aber als unnötig erwies, da sich der Wagen kurz vor ihm in Luft auflöste.

Dafür war am Horizont in der Richtung, aus der die Straße kam, ein riesiges leuchtendes Kreuz zu sehen. Jetzt kam das Auto aus der Richtung, aus der er sich gerettet hatte und das Spiel begann von vorne. Wieder schrie seine Frau. „Nach rechts, nach rechts, du Idiot!“ Erneut versuchte sich Jim mit einem Hechtsprung zu retten. Und wieder verschwand der schwarze Wagen genauso abrupt wie er aufgetaucht war. Als er dem Wagen aus allen vier Richtungen ausgewichen war, ragten vier riesige leuchtende Kreuze am Horizont auf. Jedes stand genau dort, wo die jeweilige Straße am Horizont begann.

Der Himmel war jetzt strahlend blau. Trotzdem überstrahlten die Kreuze die Helligkeit des Himmels. „Du bist wirklich ein Spinner, weißt du das?“, lachte seine Frau, die plötzlich hinter ihm stand. Dann erwachte er aus seinem Traum und setzte sich schlagartig auf. Die Leuchtziffern des Radioweckers zeigten 3:30 Uhr. Er war sich nicht sicher, ob er während des Traumes geschrien hatte. Doch Sandra ruhte friedlich lächelnd neben ihm. Auch er legte sich wieder hin und schlief den Rest der Nacht ohne weitere

Träume. Die Sonne lugte am nächsten Morgen durch die halb geschlossenen Gardinen und weckte ihn. Sandra lag noch in tiefem Schlaf. Sie hatten gestern den Frühstück Service gebucht, also musste draußen am Türgriff eine Tasche hängen, mit allem, was man zum Frühstück so braucht. Er schlüpfte leise, um seine Frau nicht zu wecken, in seinen Morgenmantel, und machte sich auf den Weg, um nachzusehen. Behutsam schloss er die Türe auf, während er sich mit einem Blick über die Schulter vergewisserte, dass seine Frau noch immer schlief. Dann ging er nach

draußen. Die Morgenluft war einfach herrlich. Es gab nichts Besseres als die Luft an einem Sommermorgen, nach einer verregneten Nacht, selbst an einem Highway. Es roch nach Blüten und frisch gemähtem Heu. Der Wind war angenehm mild. Er atmete erst einmal tief durch und reckte und streckte sich dabei. Dann stach ihm wieder der schwarze Wagen ins Auge, der immer noch an der gleichen Stelle stand wie gestern. Er betrachtete ihn nochmals ganz genau. Es war tatsächlich alles schwarz an dem Wagen. Durch keines der Fenster konnte man einen Blick in den Innenraum werfen. Noch nicht einmal durch die

Frontscheibe. Als er so dabei war, den Wagen zu mustern, ertönte hinter ihm eine tiefe, jedoch relativ leise Bassstimme. „Gefällt ihnen mein Auto?“ Jim drehte sich erschrocken auf dem Absatz um und blickte in das Gesicht eins vollkommen schwarz gekleideten Mannes. Sein Outfit wurde noch durch einen schwarzen Hut und eine schwarze Sonnenbrille ergänzt. An der Brille war etwas seltsam. Die Gläser sahen gar nicht aus wie Glas, sondern eher wie eine Art Metall. Völlig undurchdringlich. „Ich ... Ja, äh ich, ... nein. Ich meine, er ist sehr interessant“, stotterte Jim. „ Interessant“, wiederholte der

schwarzgekleidete Mann ohne jede Emotion in seinem tiefen, leisen Tonfall. Jim erinnerte die Stimme an den Film „Der Pate“. „Für Menschen, die sich für Dinge interessieren, die sie nichts angehen, können diese Dinge - “ er näherte sein Gesicht dem von Jim und grinste dabei, „zum Verhängnis werden“, schloss er den Satz und ging wieder auf Distanz zu Jim. Hastig entschuldigte sich Jim bei dem Fremden, obwohl er gar nicht wusste wofür. Er wünschte ihm noch einen guten Tag, um dann so schnell wie möglich zurück zu seinem Appartement zu kommen. Fast hätte er dabei den Frühstücksbeutel

vergessen, der am Türgriff hing. Der Fremde sah ihm nach und tippte mit seinem Zeigefinger zum Gruß an seine Hutkrempe. Dann ging er in das Hauptgebäude. Weil Phil nicht da war, läutete er die Messingglocke. „Was´n nun schon wieder ...“ Phil schlurfte müde aus dem hinteren Zimmer heran. Doch als er den schwarzen Mann sah, blieb ihm der Rest des Satzes buchstäblich im Hals stecken. Anscheinend hatte er den Kaugummi, auf dem er gerade noch herum gekaut hatte, beim Anblick des Mannes verschluckt. Phil war plötzlich hellwach und stand vollkommen gerade, wie beim Militär.

„Sie wünschen, Sir?“ „Nun mal nicht so förmlich, Junge“, beruhigte ihn der Mann mit seiner tiefen leisen Stimme. „Noch befinden wir uns nicht im Krieg.“ Er lächelte kaum erkennbar und mehr zu sich selber ergänzte er: „Noch nicht.“ Dann wurde seine Stimme ernster. „Was ich wissen will: wer sind die beiden Vögel in der Nummer 5?“ Phil sah ihn zunächst ratlos an, dann wurde ihm bewusst, über wen der Mann sprach. „Oh, die Beiden. Das sind bloß harmlose Touristen. Holen ihre Hochzeitsreise nach, oder so was“, erklärte er ihm. „Harmlos.“

Der schwarze Mann sah nachdenklich aus dem Fenster. „Es gibt keine harmlosen Menschen.“ Er wandte sich wieder Phil zu. „Nicht, seit er ihnen einen freien Willen gegeben hat.“ Nun näherte er sich Phils Gesicht. „Wenn sie Schwierigkeiten machen, lösch sie aus!“, flüsterte er in sein Ohr. Bevor er wieder auf Distanz ging, tippte er mit seinem Zeigefinger an die Hutkrempe, drehte sich um und verließ den Raum. „Ja, Sir.“ Phil deutete einen militärischen Gruß an. Jim betrat inzwischen wieder das

Appartement. Seine Frau war inzwischen aufgewacht. Gern hätte er sie mit einem fertigen Frühstück geweckt. „Ich hab´ eben den Typen getroffen, dem das schwarze Ding gehört“, überbrachte er ihr die Neuigkeit. „Der Mann ist noch unheimlicher als sein Wagen.“ Sandra war schon wieder leicht genervt. Was interessierte sie dieser blöde Wagen. „Fängst du schon wieder mit der blöden Karre an“, nörgelte sie. Jim ging zum Fenster und schob die Gardine etwas zur Seite. „Sieh dir das an!“ Seine Stimme war plötzlich ganz aufgeregt. „Jetzt stehen schon zwei von

den Dingern da drüben.“ Sandra lachte. „Wahrscheinlich wegen dem Wein gestern.“ Jim sah sie ernst an. „ Nein, komm doch her und überzeuge dich selber.“ Sie seufzte, zuckte mit den Schultern und stellte sich neben Jim ans Fenster. „Das ist ja Wahnsinn. Die sind genau gleich“, bemerkte sie. Jim nickte. „Und sieh dir mal die Nummernschilder an.“ Sandra versuchte etwas zu entdecken, fand aber nichts Außergewöhnliches. „Sie enden beide mit der Nummer 666.“ Sie wusste nicht, worauf Jim hinaus wollte. Er bemerkte ihre Ratlosigkeit. „Na, wir sind auf der Route 66, und da stehen zwei schwarze Wagen, deren

Nummernschilder mit 666 enden.“ Sandra wusste immer noch nicht, was Jim ihr eigentlich sagen wollte. „Meine Oma hat immer erzählt, 666 ist die Zahl des Teufels.“ Nun sah sie ihn mit großen Augen erstaunt an. Dann lachte sie, dass ihr die Tränen in die Augen schossen. „Und du denkst, gegenüber von uns übernachtet der Teufel?“ Sie hielt sich den Bauch, da ihr vor Lachen schon das Zwerchfell schmerzte. Jim war fast etwas beleidigt. „ Es ist mir eben aufgefallen“, verteidigte er sich. „Aber glaube mir, irgendetwas stimmt da nicht.“ Sandra lachte immer noch, während sie

sich die Tränen aus den Augen wischte. „Na los, du Spinner, lass uns frühstücken. Der Teufel will halt auch mal Urlaub machen.“ Jim war wegen der Reaktion seiner Frau noch immer leicht beleidigt. Doch schließlich setzte er sich mit ihr an den Tisch und sie genossen ihr gemeinsames Frühstück Phil war gerade dabei, etwas in seinen Laptop zu tippen, als Jim und Sandra die Rezeption betraten. „Was kann ich für Sie tun?“, fragte er höflich, aber auch etwas nervös, wie Jim bemerkte. „Haben Sie vielleicht Prospekte von Sehenswürdigkeiten oder Ausflugszielen

in der Gegend hier?“, erkundigte sich Sandra. „Sie wollen also länger bleiben?“ Phil wurde zusehends nervöser. „Ist das ein Problem?“, wollte Jim wissen. „Natürlich nicht“, antwortete Phil und suchte hastig ein paar Prospekte zusammen, die er den Beiden mit einem höflichen Lächeln überreichte. Jim bemerkte außerdem, dass Phil keinen Kaugummi kaute und auch nicht mehr der coole Typ von gestern war. Irgendetwas war seit gestern Abend passiert und es hatte mit den beiden schwarzen Autos da draußen zu tun. Da war er sich ganz sicher.

Er wollte jedoch Sandra nichts davon erzählen. Sie würde ihn sowieso wieder auslachen. Somit wünschte Jim seinem Gegenüber noch einen schönen Tag und zwinkerte ihm lächelnd zu. Auch Sandra bedankte sich für die Hilfe und verabschiedete sich. Phil sah Jim indes an, als ob er Hilfe suchte. „Kam er dir nicht ein bisschen nervös vor, heute?“, fragte Jim seine Frau, als sie die Rezeption verlassen hatten. „Wer - Phil?“ Sandra blickte sich zum Hauptgebäude um. „Ein bisschen schon.“ „Aber wer ist schon jeden Tag gut

drauf?“, fügte sie hinzu. „Vielleicht hast du Recht“, pflichtete er ihr bei. „Aber irgendetwas stimmt hier nicht.“ Er konnte das Gefühl nicht beschreiben. Es war, als ob man eine Vorahnung auf etwas Schreckliches besaß und nicht erklären konnte, warum. Weil man selbst nicht wusste, weshalb. Er hatte ein solches Erlebnis schon einmal gehabt. Damals hatten sie Rast auf einem Parkplatz an irgendeiner Landstraße gemacht, als dieses Auto herangefahren war. Es hatte einen ziemlichen Zahn drauf gehabt. Sekunden, bevor es passiert war, hatte er vor seinem inneren Auge gesehen, dass der Wagen gleich am

nächstbesten Baum zerschellen würde. Und es war dann auch tatsächlich so gekommen. Reifen hatten gequietscht. Die Kurve war enger gewesen, als es die Fliehkraft des Autos zuließ und mit einem ohrenbetäubenden Knall hatte sich das Fahrzeug um einen Baum gewickelt. Sandra hatte diese Vorahnung anscheinend nicht gehabt. Sie hatte erst geschrien, als das brutale metallische Geräusch, das ein Auto verursacht, das an einem Baum zerschellt, verstummte, und nur noch das leise Zischen austretenden Kühlwassers und das Herabfallen einiger morscher Äste zu hören gewesen war. Es war ein wirklich furchtbares Erlebnis

gewesen. Doch so ein ähnliches Gefühl wie damals überkam ihn auch jetzt. Er wusste nur nicht, was passieren würde. Aber irgendetwas würde geschehen. Etwas das ihr Leben verändern könnte. Vielleicht irrte er sich ja auch. Er hoffte es. Deshalb nahm er sich vor, Sandra nicht weiter mit seinen Ahnungen zu belasten. Es war ihre Silberhochzeitsreise, verflucht. Und sie hatte sich, weiß Gott, ein paar schöne Tage verdient. „Na, lass mal sehen, was die hier so zu bieten haben“, sagte er in einem fröhlicheren Tonfall, während er ihr

einen der Prospekte weg nahm. Worauf sie die restlichen Prospekte zusammenrollte und sie ihm auf den Kopf schlug. „Au“, lachte er. „Wer zuerst im Zimmer ist, darf bestimmen, wo es hingeht“, schlug er fröhlich vor, während er lossprintete. „He, das ist unfair“, lachte sie und rannte hinterher. „Du weißt schon, dass du ein Spinner bist“, fügte sie, immer noch lachend, hinzu. Als beide in ihrem Appartement verschwanden, stand hinter der Gardine im Zimmer gegenüber der schwarzgekleidete Mann und beobachtete sie.

„Meinst du, sie sind gefährlich?“, ertönte eine männliche Stimme hinter ihm. Der schwarze Mann atmete einmal tief ein und aus. „Wir müssen sie im Auge behalten“, antwortete er. Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu. „ Ich glaube er ist ein Seher. Er weiß es vielleicht selbst noch nicht. Aber ja, er kann uns gefährlich werden.“ Langsam drehte er sich zu seinem Gesprächspartner um. „Wir dürfen nichts überstürzen.“ Seine Worte klangen eindringlich. „Sag das auch Phil.“ Dann sah er wieder aus dem Fenster.

„Die Prophezeiung wird sich erfüllen“, flüsterte er. „Bald, sehr bald. Und kein Sterblicher wird daran etwas ändern.“ Er ballte seine Faust, während er die letzten Worte sprach. Jim und Sandra durchforsteten inzwischen die Prospekte, die sie von Phil bekommen haben. „Das ist ja interessant“, sagte Sandra. „ Sieh dir das an. Eine Kirche, ganz aus Glas.“ Sie zeigte Jim den Prospekt. „ Erinnerst du dich an den Radiospot? The Church of the Guardian from Eden? Das sind die.“ Jim machte sich nicht viel aus Religion. Er war protestantisch, weil seine Eltern

und Großeltern es waren. Das letzte Mal war er bei der Hochzeit seiner Tochter vor zwei Jahren in einer Kirche gewesen. Irgendwo musste auch eine Bibel im Haus sein, aber darin gelesen hatte er seit seiner Konfirmation nicht mehr. Und das musste schon gut 30 Jahre her sein. Auch Sandra war kein ausgesprochen gläubiger Mensch, doch Kirchen faszinierten sie. Es war immer wieder interessant, zu welchen bauten Menschen fähig waren, nur aufgrund ihres Glaubens. Und wenn es sich dabei auch noch um ein derartig außergewöhnliches Gebäude handelte, wie diese Glaskirche, musste sie es unbedingt sehen. Jim wusste das. Und er wusste, dass es

keinen Sinn hätte, zu widersprechen. Also machten sie sich auf, um diese Kirche zu besichtigen. Der Weg war ziemlich gut beschrieben, so dass sie in relativ kurzer Zeit dort ankamen. Von weiten sah das Ding jedoch eher aus wie eine Moschee. Das Auffällige und zugleich Dominierende an der Kirche war die Kuppel aus gebogenen Stahlträgern und Glas. Daneben reckte sich ein filigraner Glockenturm in die Höhe, der den Eindruck einer Moschee noch verstärkte. Hinter der Kuppel befand sich ein quaderförmiges Gebäude aus Stein, mit direkter Verbindung zur Kuppel. Wahrscheinlich das Pfarrhaus

oder die Sakristei. Sie parkten ihr Auto auf dem weiträumigen Parkplatz vor der Kirche. „Meinst du, wir sollen da wirklich reingehen?“ Jim war ein wenig mulmig bei dem Gedanken. Da die Kirche aus Glas war, konnte man erkennen, dass da drin gerade ein Gottesdienst stattfand. „Wir sind ganz leise“, flüsterte Sandra, obwohl sie noch gar nicht in der Kirche waren. „ Und sehen nur eine Weile zu.“ Als sie das Gebäude betraten, empfing sie ein Mann, der etwa in Jims Alter war. Er trug einen hellblauen Anzug, dazu ein weißes Hemd und eine hellblaue Krawatte. „Wir wollen uns nur ein bisschen

umsehen, wir sind eigentlich evangelisch“, versuchte sich Jim für ihr Eindringen in eine für sie fremde Gemeinde zu entschuldigen. „Bei uns sind alle Menschen willkommen, die den Weg zu Gott suchen“, erklärte ihnen der Mann lächelnd. „Nehmen sie doch bitte hier Platz.“ Freundlich deutete er auf ein paar freie Plätze in der letzten Reihe. „Der Gottesdienst hat gerade erst begonnen.“ Das hatte Jim gerade noch gefehlt. Ein Gottesdienst in einer fremden Gemeinde. Er besuchte nicht einmal die in seiner eigenen. Doch bevor er dazu kam, zu

überlegen, wie er Sandra dazu bringen konnte mit ihrer Besichtigung bis nach dem Gottesdienst zu warten, saß diese schon auf der Bank und hatte ein dünnes Heftchen in der Hand, in dem die Lieder und Gebete für den heutigen Tag standen. Jim seufzte und setzte sich neben sie. Er sah sich um. Die Menschen beendeten gerade ein Lied, das sie während der Zeit gesungen hatten, als Jim und Sandra die Kirche betraten. Vor ihnen saß eine Frau mit einem großen blauen Hut. Jetzt kam der Priester durch eine Tür, die zu dem Haus hinter der Kirche führte. Er stellte sich vor den Altar,

faltete die Hände und sah sich schweigend seine Gemeinde an. Links und rechts neben dem Altar waren zwei riesige Gemälde. Auf beiden war jeweils ein mächtiger Baum abgebildet. Das rechte Bild kam Jim noch einigermaßen bekannt vor. Adam und Eva, vor dem Baum, mit der Schlange. Eva bot Adam gerade den Apfel an, während sich die Schlange schadenfroh um den Baum wickelte. Aber das Gemälde auf der linken Seite hatte er noch nie zuvor gesehen. Ein noch mächtigerer und stattlicherer Baum als der auf der rechten Seite. Neben dem Baum standen zwei riesige Engel, mit Schwertern bewaffnet. Aus diesen

Schwertern sprühten Funken und loderten Flammen, als ob sie die ganze Erde vernichten wollten. Jim lief ein Schauer über den Rücken. Plötzlich wurde er aus seinen Gedanken gerissen, denn jetzt begann der Pfarrer mit seiner Predigt. Es war ein ziemlich junger Pfarrer, wie Jim fand. „Gemeinde“, begann er und sah sich noch einmal um. „Das Böse ist unter uns.“ Wieder legte er eine Pause ein, um sicher zu gehen, dass ihn auch alle verstanden hatten. „Aber wir kennen die Prophezeiung und vertrauen auf Gott. Wir wissen, dass die, die ohne Glaube ihr erbärmliches Leben fristen, für immer verloren sind.“

Sein Ton wurde jetzt lauter und schärfer. „Ich bitte euch, nein, ich flehe euch an: Weist die von euch, die ohne Gott sind.“ Bei diesen Worten ging er ein paar Schritte auf seine Gemeinde zu. Inzwischen stand vor dem Altar ein kleiner Chor junger Menschen, die seine Rede mit Gospelsongs unterstrich. Während sie sangen, redete sich der Pfarrer richtiggehend in Rage. Man konnte es schon nicht mehr reden nennen. Er schrie oder brüllte, wie Jim jetzt auffiel in Latein. Wie ein Wahnsinniger gestikulierte er dabei mit den Armen. Jim fühlte sich immer

unbehaglicher dabei. Außerdem meinte er zu spüren, dass der Boden im Takt de Gebrülls zitterte. Wie bei einem sehr lauten Rockkonzert direkt vor den Lautsprecherboxen. Immer wieder schrie der Pfarrer während seiner tobsüchtigen lateinischen Predigt ein Wort, das Jim kannte. Obwohl er sich nicht sicher war, ob dieses Wort lateinisch war. Immer wenn es der Pfarrer in die Menge warf, als wäre es eine Handgranate, zitterte der Boden noch stärker. Die Stahlträger ächzten und die Scheiben der Kuppel vibrierten. „Armageddon.“ Diesmal fielen bereits einig Glassplitter auf den Chor, der aber unbeeindruckt

fröhlich weiter sang. Jim wurde immer nervöser. Die Frau mit dem blauen Hut vor ihm drehte sich um und sah ihm ernst ins Gesicht. Sie bekreuzigte sich und wollte sich gerade wieder ihrem Gebet widmen. „Armageddon!“, schrie der Pfarrer. Volltreffer, dachte Jim noch, als er den mit einem lauten Knall herunter rasenden Träger sah, der die Blauhütige vor ihm erschlug. Der Chor tanzte und sang in einem Regen aus Glassplittern. Immer stärker bebte das ganze Gebäude. Und als die Kirche drohte sich endgültig in ihre Bestandteile aufzulösen oder im Erdboden zu versinken, blieb Jim nichts anderes übrig, als sich panikartig die

Seele aus dem Leib zu schreien. Dann war alles still. Die Kirche stand noch, ohne die geringste Beschädigung aufzuweisen. Keine Glassplitter. Keine herabgefallenen Stahlträger. Sandra sah ihn vorwurfsvoll an. Der Pfarrer blickte irritiert in seine Richtung. Die Frau mit dem blauen Hut vor ihm drehte sich um, sah ihm ernst ins Gesicht und bekreuzigte sich. Jim blickte schlagartig instinktiv nach oben. Doch kein Träger machte auch nur die geringsten Anstalten sich zu bewegen. Langsam senkte er seinen Kopf und lächelte die Frau an. Sie widmete sich wieder ihrem Gebet. Sandra zischte ihn an. „Was ist denn nur los mit dir?“

Jim wischte sich den Schweiß von der Stirn. So einen intensiven Tagtraum hatte er noch nie. „Es ist ... Ich weiß auch nicht. Lass uns bitte gehen.“ Sie standen auf und gingen zum Ausgang. Der Mann im blauen Anzug sah ihnen mitleidig nach. „Was war denn nur los?“, fragte Sandra noch einmal, als sie auf dem Parkplatz waren. Sie wirkte erschrocken und verunsichert. „Ich hatte eine Art Traum. Wie diese Visionen, die ich habe, bevor etwas geschieht. Du weißt schon. Wie damals bei dem Unfall.“ Sandra konnte sich daran erinnern. Er

hatte ihr damals erzählt, dass er das Auto aus der Kurve fliegen sah, bevor es passierte. „Aber diesmal ist es anders“, fuhr er fort. „Es war so irreal, dass es gar nicht geschehen kann.“ Sandra sah ihn fragend an. „Ich erlebte im Traum, wie die Kirche einstürzte. Und der Pfarrer hat sie mit seiner Stimme zum Einsturz gebracht.“ Dann erzählte er ihr von seinem Traum, letzte Nacht. Von dem schwarzen Wagen, der drin vor kam und von den riesigen, leuchtenden Kreuzen. Sandra versuchte ihn zu beruhigen. „Alpträume hat jeder Mal. Sie kommen und gehen auch wieder. Niemand weiß

warum. Du hattest in letzter Zeit viel Stress. Vielleicht deswegen.“ Jim schüttelte den Kopf. „Nein. Ich weiß, was Alpträume sind. Letzte Nacht, das war einer, ja. Aber das eben in der Kirche - das war eine Vision, die dann doch nicht real wurde.“ Er schaute ihr ernst in die Augen. „ Und weißt du, was mir am meisten Angst macht?“ Seine Frau schüttelte den Kopf, bevor er fortfuhr. „Dass diese Vision Wirklichkeit werden könnte.“ Er sah ihr immer noch tief in die Augen. „Oder noch etwas viel Schlimmeres.“ Sandra seufzte. „Lass uns erst einmal zurückfahren“, schlug sie vor. „Wir

werden uns mal so richtig entspannen und nur relaxen. Und wir tun den Rest des Tages nichts, als unser Leben genießen.“ Er musste lächeln. Was würde nur aus ihm werden, wenn er sie nicht hätte. „Einverstanden“, stimmte er ihr zu. „ Du hast eben immer die besten Ideen.“ In dem Moment, als sie in ihr Auto einsteigen wollten, brauste der schwarze Wagen an ihnen vorbei. Mit quietschenden Reifen hielt er direkt vor dem Eingang der Kirche. Der schwarze Mann sprang aus dem Wagen und eilte mit großen Schritten in das Gebäude. Sandra sah ihren Mann besorgt an. Aber er ließ sich nicht anmerken, dass ihm

beim Anblick dieses Mannes ein Gefühl der Angst überkam. Er wollte Sandra nicht noch mehr beunruhigen. Doch von diesem Mann, dieser Kirche oder von beiden, ging definitiv eine Gefahr aus. Er wusste nur nicht, ob für ihn, für sie beide oder sogar für die ganze Welt. Er zwinkerte seiner Frau lächelnd zu, während er ihr die Tür aufhielt. Sie war erleichtert, dass er nicht wieder mit irgendwelchen Wahnvorstellungen anfing. Als sie im Auto saß, ging er um den Wagen herum und setzte sich hinter das Steuer. Er startete den Motor und blickte in den Rückspiegel. Alles, was er sah war, dass der schwarze Wagen noch immer vor dem Eingang der Kirche

stand. Sonst schien sich da hinten nichts zu rühren. Er lächelte noch einmal seine Frau an und fuhr dann los. Die Rückfahrt verbrachten sie ohne sich viel zu unterhalten. Schließlich kamen sie wieder an ihrer Unterkunft an. Jim bemerkte, dass beide schwarze Wagen nicht vor ihren Appartements parkten. Einer stand vor der Kirche, doch wo war der andere? Er wollte Sandra nicht mit seinen Gedanken beunruhigen. Sie bemerkte jedoch auch so, dass ihn irgendetwas bedrückte. Vielleicht machte er sich wirklich zu viele Gedanken. Sandra hatte Recht. Es hatte wirklich

viel Stress gehabt in letzter Zeit. Und irgendwie musste das Unterbewusstsein das ja verarbeiten. Außerdem hatte er immer schon viel Fantasie. Er holte eine Flasche Wein aus der Minibar und öffnete sie. Sandra kam bereits mit zwei Gläsern aus der Küche und stellte sie auf den Tisch. Als er eingeschenkt hatte, prosteten sie sich zu und genossen den Rest des Tages, ohne einen weiteren Gedanken an schwarze Männer oder Autos zu verschwenden. Jetzt gab es nur noch sie Beide und die Flasche Wein, die es zu leeren galt. Das erste Mal, seit sie dem schwarzen Wagen begegnet waren, fühlte sich Jim so richtig wohl. Aber es sollte nicht von

langer Dauer sein. Bereits in derselben Nacht hatte Jim wieder einen Albtraum. Diesmal stand er allein auf dem Parkplatz vor der Kirche. Der Platz war mindestens viermal so groß wie in Wirklichkeit. Der schwarze Wagen stand vor der Kirche, genau an der derselben Stelle, als sie weggefahren waren. Der schwarze Mann und der Mann mit dem hellblauen Anzug kamen aus dem Gotteshaus und unterhielten sich aufgeregt. Vielleicht stritten sie sogar. Jim konnte nicht hören, was sie sagten, er stand zu weit entfernt. Allerdings konnte er beobachten, wie die Männer

wild gestikulierend in das Auto stiegen und mit quietschenden Reifen davon brausten. Aus dem Inneren der Glaskuppel der Kirche drang diffuses Licht. Außerdem erkannte er schemenhafte Gestalten. Nun begann das zunächst weiße Licht seine Farbe zu wechseln, in alle Farben des Regenbogens. Im Hintergrund war eine nahezu überirdische Musik zu hören. Jim hatte den Eindruck, als ob diese Musik nicht aus dem Gebäude drang, sondern von der Kirche direkt erzeugt wurde. Schließlich begann sich die Kuppel langsam um die eigene vertikale Achse zu drehen und hob geräuschlos vom Boden ab. Jim schaute fasziniert diesem

grandiosen Schauspiel zu. Immer höher stieg die Kuppel in den sternenklaren Himmel. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er noch nie zuvor so viele Sterne auf einmal gesehen hatte. Ein dichtes leuchtendes Band, das sich quer über den ganzen Himmel zog. Die Milchstraße. Er konnte sogar einzelne Galaxien erkennen, wie man sie sonst nur mit wirklich guten Teleskopen sieht, mit ihren typischen Spiralarmen. Und dazwischen Millionen von Sternen. Jim hatte noch nie etwas Herrlicheres gesehen als dieses in allen Regenbogenfarben leuchtende Objekt vor diesem grandiosen Sternenhimmel.

Und plötzlich donnerte eine gewaltige Stimme aus dem All. „Bewache den Weg!“ Wie auf Kommando zuckten grelle Blitze aus der Kuppel über ihm auf die Erde. Jim wurde zurückgeschleudert, als ob ihn jemand mit einem Seil nach hinten ziehen würde. Plötzlich stand alles in Flammen und die Sterne stürzten zur Erde. Wie Granaten schlugen sie ein und rissen gewaltige Krater. Um ihn herum war das blanke Chaos. Die Welt, die er kannte, verschwand im Nichts. Schweißgebadet fuhr er aus seinem Traum auf. Der Radiowecker zeigte ihm

3:30 Uhr. Er drehte sich um. Seine Frau schlief tief und fest. Es dauerte eine Weile, bis auch er wieder einschlafen konnte, aufgewühlt wie er war. Diesmal träumte er nicht. Als er am nächsten Morgen den Frühstücksbeutel holte, standen beide schwarze Wagen wieder vor ihren Appartements. Von den Männern war allerdings nichts zu sehen. Beim Frühstück bemerkte Sandra die Nervosität ihres Mannes, der immer wieder beunruhigt aus dem Fenster schaute. „Vielleicht sollten wir doch weiter fahren“, schlug sie vor und biss von ihrem Brötchen ab.

„Wahrscheinlich hast du recht“, stimmte er zu. „Sicher habe ich recht.“ Sie trank einen Schluck Kaffee und fügte hinzu: „ Es gibt noch eine Menge schöner Fleckchen, die auf unserer Route liegen.“ Er lächelte. „Ich freue mich schon auf die ganzen Orte, die wir vor 25 Jahren zuletzt gesehen haben. Mann, was waren wir damals noch jung.“ Sie sah ihn ernst an. „ Heißt das, dass ich jetzt alt bin?“, fragte sie in einem übertrieben strengen Ton. „ Natürlich nicht“, entgegnete er sanft und legte seine Hand auf ihre. „Mit dir könnte ich 120 werden und ich würde

dich immer noch lieben“, fügte er lächelnd hinzu. Sandra lachte. „ Meinst du, dass ich dann noch so einen alten Knacker will?“ Jetzt mussten beide lachen. Sie schaffte es eben immer wieder, ihn auf andere Gedanken zu bringen. Was täte er bloß ohne sie? „Ich geh gleich ´rüber zu Phil und sag ihm, er soll die Rechnung fertig machen“, beschloss er. Nach dem Frühstück ging Jim zur Rezeption, während Sandra sich ans Packen ihrer Sachen machte und alles im Kofferraum verstaute. Jim läutete die Messinglocke und wartete bis Phil kam.

„Ist alles in Ordnung?“, erkundigte sich dieser. Anscheinend hatte er sich das Kaugummi kauen endgültig abgewöhnt. „Würden sie uns bitte die Rechnung fertig machen? Wir wollen noch heute abreisen“, antwortete Jim. Phil stand mit offenem Mund da, wie vom Blitz getroffen. Er war sichtlich bemüht, die richtigen Worte zu finden. „Sie wollen ... Ich meine ... wieso jetzt schon?“ Da betrat der schwarz gekleidete Mann die Rezeption. Phil sah von Jim zu dem Mann und wieder zurück. Er begann zu schwitzen und brachte fast gar kein Wort mehr

heraus. „Bedienen sie ruhig zuerst den Herrn. Reisende soll man nicht aufhalten“, sagte der Schwarze in seiner unverwechselbaren tiefen und doch sanft anmutenden Stimme. „ Natürlich, die Rechnung.“ Phil hatte sich inzwischen wieder gefangen. „Ich hoffe, Ihr Aufenthalt bei uns war zufriedenstellend“, fügte er höflich hinzu. „Es war alles bestens. Danke“, antwortete Jim. Es entging ihm nicht, dass ihn der Schwarze dabei von der Seite ansah und erstaunt eine Augenbraue hob. Phil tippte inzwischen etwas in seinen

Computer. „ Es dauert eine Weile“, erklärte er, während er sich den Schweiß von der Stirn wischte. „Das macht nichts“, beruhigte ihn Jim. „Wir holen die Rechnung dann gegen Mittag ab. Meine Frau möchte sich schließlich auch noch von ihnen verabschieden.“ Er wünschte Phil noch einen schönen Tag und kehrte dann zurück in das Appartement. Der schwarze Mann tippte mit seinem Zeigefinger an seine Hutkrempe und sah ihm beim Verlassen des Gebäudes nach. Den Vormittag verbrachten Jim und Sandra damit, ein wenig in der Gegend

herum zu fahren und schließlich in einem gemütlichen kleinen Restaurant zu Mittag zu essen, ehe sie zurück zu ihrem Motel fuhren. Sie hatten die ganzen Vorkommnisse schon fast verdrängt, als Jim im Rückspiegel einen blauen Van heranrasen sah, welcher sie mit einem riskanten Überholmanöver hinter sich ließ. Dem Van folgte eines dieser schwarzen Autos. Jim und Sandra mussten hilflos mit ansehen, wie sich einer der Männer aus dem Beifahrerfenster lehnte und eine Salve aus einem Maschinengewehr auf den Van abschoss. Dieser fing Feuer und schlingerte noch eine Weile die Straße entlang. Dann

verwandelt er sich mit einem lauten, ohrenbetäubenden Knall in einen riesigen Feuerball und flog von der Straße. Jim hielt sofort an und sprang aus dem Wagen, doch hier konnte niemand mehr helfen. Der Van brannte lichterloh. Sogar einige Büsche und das Gras im Umkreis von etwa 10 Metern standen in Flammen. Die Hitze, die von den mehrere Meter hohen Flammen ausging, war unerträglich. Jim hatte an der letzten Kreuzung eine Notrufsäule gesehen. Jetzt gab es nur noch eines, was er tun konnte. Er stieg ins Auto und fuhr zurück. Wenige Zeit später waren auch schon Feuerwehr und Polizei vor Ort. Jim

erzählte den Polizisten, was er beobachtet hatte. Auch von dem schwarzen Wagen, dessen Fahrer im gleichen Motel wie sie übernachtete. Der Beamte beschloss, sofort zu dem Motel zu fahren. Jim und Sandra folgten dem Polizeiauto. Doch als sie dort ankamen, war von den schwarzen Wagen nichts mehr zu sehen. Die Polizisten gingen gleich ins Hauptgebäude, um Phil zu befragen. Der reagierte sichtlich nervös auf die Fragen der Beamten. Sie hätten sich nur mit Mr. Smith und Mr. Miller eingetragen. Sie seien schon gestern abgereist. Wo sie herkamen oder hin wollten, hätten sie nicht gesagt.

Dann wollten die Polizisten noch einen Blick in das Appartement der Männer werfen, doch dort war alles schon wieder für die nächsten Gäste vorbereitet. Die Beamten mussten sich vorerst damit zufrieden geben und fuhren zurück zur Wache. Jim, der die Aussagen von Phil mit angehört hatte, sah ihn fassungslos an. „Was erzählen Sie denn da, Mann! Der Typ war doch heute Morgen noch hier.“ Phil war völlig mit den Nerven am Ende und den Tränen nahe. Dann fing er sich wieder einigermaßen. „Ihr seid in großer Gefahr.“ Er atmete tief durch. „In sehr großer.“

Jim und Sandra wussten nicht, was sie darauf sagen sollten. War Phil jetzt völlig übergeschnappt? Doch bevor sie irgendetwas erwidern konnten, ergriff Phil wieder das Wort. „Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll, aber egal. Es ist sowieso schwer zu verstehen.“ Sie sahen ihn noch immer sprachlos an. „Kennt ihr euch etwas in der Bibel aus?“ Jim blickte ihn irritiert an. „Was hat das denn damit...“ Weiter kam er nicht, weil Phil ihn unterbrach. „Das erste Buch Moses. Die Schöpfungsgeschichte.“ Jim und Sandra wechselten einen

verdutzten Blick. „Also, es geht darum, dass es im Garten Eden einen verbotenen Baum gab. Den Baum der Erkenntnis.“ Er machte eine kurze Pause. „Doch es gab noch einen zweiten Baum, der zwar nicht ausdrücklich verboten war, aber für Gott wesentlich wichtiger als der Baum der Erkenntnis.“ Wieder legte er eine kurze Pause ein, um zu sehen, ob die beiden wussten, worauf er hinaus wollte. Sie wussten es natürlich nicht. „Dieser zweite Baum ist der Baum des Lebens und der eigentliche Grund der Vertreibung aus dem Paradies.“ Sandra hatte sich als erste gefangen und

wollte protestieren. „Aber jeder weiß doch, dass Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben wurden, weil sie Gott nicht gehorchten.“ Phil schüttelte den Kopf. „ Das stimmt nur zum Teil. Gott fürchtete, dass sie vom Baum des Lebens essen und damit genauso mächtig oder sogar noch mächtiger werden wie er. Deshalb vertrieb er sie aus dem Garten und lässt den Baum bis zum heutigen Tag bewachen.“ Jim atmete einmal tief durch. „Du meinst, das Paradies gibt es immer noch und wir kommen nicht hin, weil es bewacht wird?“ Fast hätte Jim laut losgelacht, wenn die

Situation nicht so ernst gewesen wäre. Phil lächelte nicht, zeigte sich noch immer angespannt. „Ganz so simpel ist es natürlich nicht. Ihr dürft euch den Garten Eden nicht als umzäuntes Gelände vorstellen, vor dem ein paar scharfe Wachhunde patrouillieren. Aber im Prinzip stimmt es.“ Jetzt durchfuhr Sandra ein Geistesblitz. „Diese Kirche. Die Wächter von Eden. Haben die mit dieser Sache etwas zu tun?“ Phil nickte. „ Man kann sagen, wir sind die älteste Religion der Welt. Denn es gibt sie seit Anbeginn der Menschheit.“ Jim pfiff erstaunt durch die Zähne.

„Also ich hab schon viel von Sekten gehört. Aber so von sich überzeugt zu sein, das ist schon ein starkes Ding.“ Phil sah ihn ernst an. Jim versuchte sich zu verteidigen. „Ich meine, es ist schwer vorstellbar, dass die ersten menschlichen Wesen eine Religion hatten.“ Phil stimmte ihm zu. „ Das liegt daran, dass es vor der Zeit der ersten Menschen, wie ihr sie kennt schon einmal eine menschliche Zivilisation gab. Aber das zu erklären würde jetzt zu weit führen.“ Er bemerkte, dass Jim und Sandra noch immer skeptisch waren. „Ihr müsst mir glauben“, beschwor er sie. „Ihr müsst mir vertrauen, uns vertrauen. Wir brauchen euch und ihr braucht uns.

So will es die Prophezeiung.“ Jim konnte noch immer nicht so richtig glauben, was Phil ihnen alles erzählt hatte, doch er spürte, dass sie Schutz brauchten. Schutz vor dem Mann in Schwarz, der sie kaltblütig abknallen würde, wenn er sie erwischt. So wie andere eine lästige Fliege erschlagen. „Also gut, was sollen wir tun?“, fragte er. Phil zwinkerte ihnen lächelnd zu. „Kommt erst einmal mit mir.“

0

Hörbuch

Über den Autor

rolandreaders

Ich habe schon immer gerne Geschichten erfunden. Noch bevor ich ĂĽberhaupt schreiben konnte. Wann immer die Welt nicht so war, wie ich siie mir vorstellte, habe ich mich in eine Traumwelt geflĂĽchtet, in dem ich BĂĽcher las.
BĂĽcher sind, anders als Filme, vorgefertigte Geschichten, in denen immer noich Raum bleibt fĂĽr die eigene Fantasie. Genau das hat mich schon immer an der Literatur fasziniert. Und ich hoffe, dass ich mit meinen Geschichten die Leser und Leserinnen auch ein bisschen aus ihrem Alltag holen und sie auf ein gemeinsam erlebtes Abenteuer entfĂĽhren kann.
Denn der Leser, oder die Leserin sind auch immer ein Teil der Geschichte, die sie gerade lesen. Wenn auch nur als Beobachter.

Leser-Statistik
19

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
RachelWonder Super spannend und unheimlich! Gut geschrieben!
Vor langer Zeit - Antworten
rolandreaders Hallo RachelWonder.
Danke fürs Lesen, den Kommentar, den Favo und die Coins.
Das Buch habe ich übrigens geschrieben, noch bevor ich Internet hatte.
L.G.Roland.
Vor langer Zeit - Antworten
sugarlady Ein gelungenes Buch.
Es gefällt mir sehr gut.
Schöne Grüße
Andrea.
Vor langer Zeit - Antworten
rolandreaders Hallo Andrea.
Danke fürs lesen, den Kommentar und die Coins.
Freut mich, dass dir die Leseprobe gefällt.
L.G.Roland.
Vor langer Zeit - Antworten
Pfauenfeder Es ist äußerst selten, dass ich so viele Seiten hier in myStories zu lesen wünsche. Vielleicht war es die Thematik, die mich interessiert. Und ja, es ist eine sehr spannungsgeladene Geschichte von Dir - ein Kapitel ist nicht genug!
Ich hoffe (und glaube), die weiteren sind genau so fesselnd.
Toll geschrieben!

Meine These zum Sündenfall ist die, dass Adam und Eva die nötige Reife fehlte, um "in Augenhöhe" mit der Frucht des Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse zu stehen. Im Paradies lernten sie die Welt erkennen. Um den Vater darin wieder zu finden, fehlten ihnen jedoch auch Erfahrungen mit Seinem Wesen, Seinem Herzblut, das Er in die Schöpfung gesteckt hatte. Ohne diese Erkenntnis, wurden Gut und Böse lediglich vermischt, so dass bis heute einjeder zwischen Beiden schwankt, und sich letztendlich immer wieder aufraffen muss, um da eine Grenze, eine Kluft, erkennen zu können.
Eine Frucht, vom Baum des Lebens, hätte dem kein Ende bereitet, sondern das Paradies zur Hölle gemacht.
Es gibt es also, das Paradies - den Frieden in und mit Gott. Und Jesus, das Herz Gottes, bezeugt es immer und immer wieder.
Harm-los.

Mit lieben Grüßen in einen sonnigen Sonntag hinein!
Vor langer Zeit - Antworten
rolandreaders Hallo Pfauenfeder.
Danke fürs Lesen, den ausführlichen Kommentar, den Favo und die Coins.
Ja, es geht so spannend weiter bis zum vielleicht etwas überraschenden Schluss.
Mehr verrate ich aber nicht.
Zu deiner These: Eine interessante Sichtweise. Aber ich denke auch, dass das Gute genau wie das Böse zum Wesen des Menschen gehört und die Grenzen manchmal schwer zu erkennen sind.
L.G.Roland.
Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
6
0
Senden

151554
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung