Romane & Erzählungen
Der Mann, der nichts tat - Erzählung - 06.: Anna Diavolo - 1. Teil

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"Bücher und Pizza"
Veröffentlicht am 05. Juli 2016, 12 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

Zweifler, Pessimist, Misanthrop ... ... ungefähr so: "Nein, nein, ich habe nicht bewundernswert gesagt, ich sagte, ich bin außergewöhnlich. Das was ich tue, das was dir so viel bedeutet ... du meinst, ich tue es, weil ich ein guter Mensch bin? Ich tue es, weil es zu schmerzhaft wäre, es nicht zu tun. (...) Weißt du, es tut weh (...), alles das! Alles was ich sehe, alles was ich höre, rieche, berühre, die Schlussfolgerungen, die ich ...
Bücher und Pizza

Der Mann, der nichts tat - Erzählung - 06.: Anna Diavolo - 1. Teil

Was bisher geschah: Hans-Joachim Gote ist nach 20 Jahren in seinen Heimatort zurückgekehrt. Dabei hat er eine Kleinigkeit mitgebracht, die so wertvoll scheint, dass sie in einen Safe gehört. In einem Buchladen hat er zwei Bücher bestellt und Anna Bäcker kennengelernt. Einen Tag später wird ein angesehener Bürger im Ort, der Geschäftsmann Jürgen Reeder, tot aufgefunden. "Tuck me in beneath the blue, Beneath the pain, beneath the rain" Nightwish - The poet and the pendulum In der Nacht von Montag auf Dienstag hatte Gote nicht eine Sekunde geschlafen. Er hatte es auch gar nicht versucht. Dabei war es weniger

das, was er gesehen, als vielmehr das, was er gehört hatte, was seine Seele in Aufruhr versetzte. Die Angelegenheit war noch monströser, als er angenommen hatte. Alle Schlechtheiten, die er den Menschen zutraute, schienen sich hier, in seinem Heimatort, zu bündeln. Er war versucht, das Holzkästchen aus dem Safe zu holen und selbst so lange hineinzuschauen, bis er die Wirkung verspürte. Aber er wusste, das würde ihm nichts nutzen und auch nicht funktionieren. Stattdessen lief er die ganze Nacht lang im Haus umher, schüttelte den Kopf, führte Selbstgespräche, schrie auf und drohte mit geballten Fäusten dem Himmel. Als die Sonne aufging, waren deren durch die Fenster einfallenden Strahlen glühende Dolche in seiner verwundeten Seele. Einem einsamen Wolf gleich lief er weiter durch das Haus, seinem viel zu engen Käfig.

Doch auch Seelenqualen erschöpfen sich irgendwann und der Körper fordert sein Recht.

Bei Gote trat dieser Zustand am Dienstag nach dem Mittag ein. In einem letzten klaren Augenblick, warf er den Grill auf der Terrasse an, um das zu tu, was ungeachtet seiner Verfassung getan werden musste. Eine Zeit lang schaute er in das verzehrenden Feuer, überließ jedoch recht bald die Flammen sich selbst. Die Müdigkeit war einfach zu übermächtig. Ins Bett wollte er sich nicht legen, weil er sich schämte, dass er das konnte. Er konnte es noch. Also schnappte er sich eine Decke und legte sich auf das Dreiersofa im Wohnzimmer. Die Terrassentür hatte er geschlossen, damit er den stinkenden Grill nicht riechen musste.

Es dauerte lange, bis Gote die Augen schließen konnte und noch länger, bis er eingeschlafen war. Immer wieder erwachte er, starrte die Decke an und rollte sich dann auf die andere Seite. So verging die Nacht von Dienstag auf Mittwoch.

Am Morgen bemerkte Gote, dass er seit

Montag Abend nichts mehr gegessen hatte. Mit der Decke über den Schultern schleppte er sich in die Küche und öffnete den Kühlschrank, nahm aber nur zwei Bananen gegen den gröbsten Hunger heraus. Dann duschte er fast eine Stunde lang. Die letzten fünfzehn Minuten stand er unter einem eiskalten Wasserstrahl, um einen klaren Kopf zu bekommen. Schließlich fiel ihm Anna ein. Am Montag hatte er die Bücher bestellt und heute war übermorgen. Er konnte zu Brauns Bücher gehen. Während er sich abtrocknete, schallt er sich einen Narren. Anna mochte vierundzwanzig oder fünfundzwanzig Jahre alt sein und er war ein übergewichtiger Achtunddreißigjähriger, ein unterbezahlter Historiker, der nur Dank des Geldes, dass seine Eltern im vermacht hatten, über die Runden kam. Er konnte sich - abgesehen von seinem Seven - noch nicht einmal ein Hobby leisten. Aber womöglich war Anna Bäcker der einzige Mensch in der Stadt der...


Kurz nach ein Uhr stand Gote in dem Buchladen, der um diese Uhrzeit leer war. Wie er vermutet hatte, bestand seine Besitzerin Hedwig Braun auf ihrer Mittagspause. Anna Bäcker war allein. Sie sah ihn sofort, strahlte und kam auf ihn zu.

"Hallo, ich hoffe es geht Ihnen gut?", erkundigte sie sich ehrlich besorgt. Offensichtlich sah man Gote die letzten 40 Stunden an.

"Hallo, Frau A Punkt Bäcker", erwiderte er. "Ja, alles in Ordnung. Habe ein wenig unruhig geschlafen."

"Ist vielleicht ein wenig zu einsam da oben, allein in dem Haus am Waldrand."

"Bitte?" Anna lachte. "Sie sind wirklich nicht von hier. Bei uns sprechen sich solche Dinge schnell herum."

Eigentlich hätte Gote das beunruhigen sollen,

doch weil Anna es sagte, machte es ihm nichts aus. "Ja, das kommt davon, wenn man zu lange in der Stadt wohnt."

"Ihre Bücher sind da."

"Sehr schön." Gemeinsam gingen sie zur Theke. Gote schnappte in Annas Windschatten einen Hauch ihres Parfüms auf.

"August 1914" von Barbara Tuchmann war ein Klassiker. Natürlich hatte er den schon oft gelesen und mit ihm gearbeitet, doch als er sich zum ersten Mal auf den Weg zu Brauns Bücher gemacht hatte, war ihm aufgefallen, dass er es gar nicht besaß. Das zweite Buch - "Der deutsche Rückzug aus Frankreich 1944" von Joachim Ludewig - war mehr ein Versuch gewesen. Kein Buchhändler hatte es ihm bisher besorgen können. Anna Bäcker hatte es geschafft. Sie war gut. Es war ein gebrauchtes Exemplar, aber in einem guten Zustand und Gote war froh, es überhaupt zu haben.

Zufrieden bezahlte er beide Bücher. Dann blickten sie sich verlegen an. Annas Blick war alle andere als unfreundlich, also gab er sich einen Ruck.

"Haben Sie heute Abend schon etwas vor?"

"Schön das Du fragst."


Als Gote den Buchladen verließ, war er, nun, glücklich war das falsche Wort, aber er spürte eine ihm fast unbekannt gewordenen Ruhe. In Händen hielt er eines seiner Lieblingsbücher und eines, dass er lange gesucht hatte und für den Abend hatte er eine Verabredung mit einer klugen - sie hatten sich noch lange unterhalten - und wunderschönen jungen Frau. Vielleicht trieb sein Heimatort nur einen böses sarkastisches Spielchen mit ihm, doch im Augenblick war ihm das gleich. Dass alles war mehr als nur ein Teil...

"Hören Sie mal, junger Mann."

Meckernde Stimme, hoher Tonfall. Leni

Silberstein wäre ohne Probleme als fiesester Wecker der Welt durchgegangen.

"Ja?"

Gote drehte sich um und sah ihr mit geneigtem Kopf in das alte, selbstgefällige Gesicht. Natürlich erkannte sie ihn nicht. In Leni Silbersteins Kopf war nur Platz für Leni Silberstein.

"Ich habe gesehen, wie Sie sich mit der da" - sie zeigte mit ausgestrecktem Arm durch das Schaufenster von Brauns Bücher auf Anna - "unterhalten haben. Sie sind ja nicht von hier und eben weil Sie ein Zugereister sind, nehme Sie den Rat einer Menschenkennerin an: Lassen Sie sich nicht mit ihr ein. Sie ist ein Flittchen!"

Gote schaute erstaunt. "Tatsächlich? So wie Sie früher?"

Ohne sich weiter um sie zu kümmern, ließ er die heftig nach Luft schnappende Leni Silberstein auf dem Bürgerstein zurück. Zwei Bücher, eine Verabredung, eine Beleidigung.

Seine Ruhe nahm zu.


Sie trafen sich am Abend auf dem Dorfplatz. Gote kam eine Viertelstunde zu früh. Anna war pünktlich. Sie trug eine schwarze Hose, eine kurze blaue Jeansjacke und ein pinkes Shirt. Ihr Make up war dezent. Auf dem Weg zu der Pizzeria hakte sie sich bei ihm unter. Ob das ihm galt, oder sie nur jemanden gesehen hatte, den sie ärgern wollte, vermochte Gote nicht zu sagen. Der Betreiber der Pizzeria, ein Libanese, der lediglich gesprochen Deutsch sprach - "Er tut nur so", versicherte ihm Anna, "weil die Leute hier das erwarten" -, gab ihnen einen ruhigen Platz in einer Ecke des Lokals, wo sie nicht von allen gesehen werden konnten. Zur Begrüßung bekamen sie einen Ouzo. Anna bestellte sich eine Pizza Diavolo und Gote eine mit Champignons. Außerdem teilten sie sich einen großen Salat. Er hatte sich etwas ganz anders vorgenommen, doch Gote benahm sich

wie ein Mann und redete vor, während und nach dem Essen nur über sich. Das er dabei bestimmte Dinge ausließ, war für ihn schon zur Gewohnheit geworden. Doch Anna schien das nichts auszumachen. Sie genoss ihre Pizza, hörte aufmerksam zu und lachte. Und es gab viel Lächerliches in Gotes Leben.

Die Pizzeria schloss um 10 Uhr und kurz davor waren die beide die letzten Gäste. Sie bekamen einen Abschiedscidre, Gote bezahlte und dann gingen sie. Anna wollte nach Hause gebracht werden. Das bekümmerte Gote, doch so ginge sie direkt zu seinem Seven. Zu seiner Überraschung kicherte Anna vergnügt, als sie auf dem ledernen Beifahrersitz Platz nahm. Seine Verblüffung wuchs, als sie ihn über verschiedene Straßen zu einem recht großen Haus am Ufer des Sees dirigierte. Die rechte Hälfte war eindeutig die neuere und die linke war uralt. Wie kam sie an ein solches Haus? Anna küsste ihn auf die Wange. Gote seufzte

innerlich. Dann fragte sie: "Willst Du noch hereinkommen?"




- Fortsetzung folgt -

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Hörbuch

Über den Autor

ArnVonReinhard
Zweifler, Pessimist, Misanthrop ...

... ungefähr so:

"Nein, nein, ich habe nicht bewundernswert gesagt, ich sagte, ich bin außergewöhnlich. Das was ich tue, das was dir so viel bedeutet ... du meinst, ich tue es, weil ich ein guter Mensch bin? Ich tue es, weil es zu schmerzhaft wäre, es nicht zu tun. (...) Weißt du, es tut weh (...), alles das! Alles was ich sehe, alles was ich höre, rieche, berühre, die Schlussfolgerungen, die ich imstande bin zu ziehen, die Dinge, die sich mir offenbaren ... die Hässlichkeit. Meine Arbeit fokussiert mich. Das hilft. Du sagst, ich benutze meine Gaben. Ich sage, ich geh nur mit ihnen um."
(Sherlock Holmes; In: Elemantary)


Fantasy- und Schauergeschichten sind mein Ding, weil sich darin alles Menschliche verarbeiten lässt.
Und ob ich es will oder nicht, auch das Thema "Freundschaft" taucht immer wieder auf.
Aphorismen.
Ein weiterer großer Bereich, mit dem ich mich beschäftige, in Erzählungen und Nonfiction, ist das Thema Krieg.

Arn von Reinhard ist EU-Skeptikerkritiker und Medienkritikerskeptiker.


foto by and with permission of Evelyne Steenberghe from vlien.net

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Memory Ouzo in der Pizzeria - was für ein Fauxpas!
Ansonsten würde ich es befürworten, wenn du es als ganzes Buch hier einstellst. Dann hat Mann / Frau die Wahl.
Wieder ein gutes Häppchen ...
LG Sabine
Vor langer Zeit - Antworten
ArnVonReinhard Kein Fauxpas: Ein Libanese der in einem Nest am Hinterteil der Universums eine Pizzeria betreibt und dabei radebrecht, weil die Kundschaft es erwartet. War eigentlich als kleiner Scherz gedacht. ;-)

LG
AvR

P.S.:Ich werde noch in dieser Woche die Geschichte als komplette Erzählung einstellen.
Vor langer Zeit - Antworten
Memory 
Das dachte ich mir...
Ouzo-verteilender Pizza-Liabanese. Da muss Mann auch erst mal drauf kommen ...
Solche Sachen mag ich.
Vor langer Zeit - Antworten
Memory 
Das dachte ich mir...
Ouzo-verteilender Pizza-Liabanese. Da muss Mann auch erst mal drauf kommen ...
Solche Sachen mag ich.
Vor langer Zeit - Antworten
EllaWolke Diese Häppchen...
Ich hab Hunger :-)

Alle bisher Spannend
Und gefüllt mit Feinheiten, die gern nochmal gelesen werden wollen und ich ohne Reue zurückblättere

Schönen Abend
Vor langer Zeit - Antworten
ArnVonReinhard Ich frage mal, weil ich mich gerade damit beschäftige: Soll ich, wenn alle Teile einstehen, das Ganze auch noch mal zusammenfassen und als ein Buch einstellen? Würde dir das gefallen?

LG
AvR
Vor langer Zeit - Antworten
gela556 Wenn es im Wahren Leben doch auch so einfach wäre, ohne großen Tam Tam einen/ eine Freund/in zu finden, die einem das Leben mit dem schönen Lachen erhellt.
Die Beiden werden brstimmt noch ein Paar
GlG, Gela
Vor langer Zeit - Antworten
ArnVonReinhard Ich habe ja geschrieben Genre Mystery. Und das gehört zur Fantasy.
;-) + :-(

LG
AvR
Vor langer Zeit - Antworten
gela556 OK OK, schon verstanden
Danke für die netten Worte
GlG, Gela
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Herbsttag Anna verspricht noch ein interessanter Punkt in Gotes Leben zu werden. :-) Ira
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