Journalismus & Glosse
Ihr erster Sommer am Balaton

IHR ERSTER sOMMER
AM bALATON

Seit dem Herbst nun wohnt sie in dem kleinen zweistöckigen Haus in einem Ferienort am Balaton. Im Herbst, als sie einzog, sah sie zu, wie die Sommergäste die Häuser dicht machten. Nur noch selten kamen dann die Eigentümer, um nach dem Rechten zu schauen und letzte Gartenarbeiten zu erledigen. Der Winter hinterließ den Eindruck, sie würde in einem verlassenen ja toten Ort leben, wenn nicht der Briefträger und das Müllauto zuverlässig die Straßen mit Leben erfüllten.

Im Frühjahr dann tauchten auf vielen

Grundstücken die Handwerker und Hausmeister auf. Zäune wurden gerichtet, Dächer repariert, Gärten gepflegt. Und ab und zu stand plötzlich im Vorgarten von einem der Häuser ein Schild mit der Aufschrift „Elado“ und die Telefonnummer eines Maklers. Ja, immer mehr Menschen wollten oder konnten ihr Ferienhaus nicht halten, es auch nicht mehr vermieten, weil es nicht gut genug ausgebaut war. Den alten Standard wollten nicht mal mehr die Ungarn. Wer hier am Balaton Urlaub machte, fuhr zu Freunden, hatte ein Haus oder das Geld, sich etwas Luxus zu erlauben.

Die Zeit verging, die Gärten erblühten und immer öfter kamen die Hausherren,

um Rasen zu mähen, Hecken zu schneiden und ihre Häuser für die Ferien und auf den Sommer vorzubereiten.

Und dann war es soweit. Die Kinder strömten in ihren Schuluniformen mit mal erleichterten, mal frohen Gesichtern aus den weit geöffneten Schultüren. Einige trugen das Jahresabschlusszeugnis sogar wie eine Trophäe in der Hand und liefen auf die wartenden Eltern oder Großeltern zu, die vor der Schule ihre Autos geparkt hatten. Alle Zeichen standen auf Ferienbeginn.

Mit Neugier und voller Vorfreude lässt sie nun den Sommer auf sich zukommen. Sie sitzt auf der Ostterrasse vor ihrem Haus und genießt ihren Morgenkaffee.

Männer in Badehosen mit dickem Bauch radeln morgens durch die schmale von grünen, frisch gemähten Grasstreifen gesäumten Straße. Hinter bunten Gartenzäunen haben sich die kleinen Sommerhäuschen aus Holz oder Ziegeln in den vergangenen Tagen belebt. Bettzeug lüftet auf Terrassen und Balkonen. Halbnackte Kinder wuseln durch Gärten und Häuser, sie rufen Anja, Apa das heißt Mama, Papa und sie warten darauf, dass der Apa, mit seinem Einkauf vom ABC an der Ecke nach Hause kommt.  

An den Lenkern der Fahrräder baumeln  durchsichtige Plastikbeutel voller Semmeln, Kifli und Retes. Unterm Arm

wird noch ein riesiges Weißbrot transportiert und auf dem Gepäckträger im Einkaufskorb eine große grüne Zuckermelone.

Hinter manchen Zäunen begleiten kleine Hunde mit wütendem Gebell die Radelnden. Neiden sie ihnen die Freiheit oder verteidigen sie ihr Gebiet? Frauen in bunten Kitteln oder knappen Bikinis zeigen ihre runden Hüften und prallen Busen. Sie sind dabei, Kinder und Hunde zur Ruhe zu bringen und werfen Vorbeiradelnden scherzhafte Worte und Handküsschen zu.

Nach der langen Winterzeit freut man sich, mit der ganzen Familie ein paar Tage zu verbringen und alte Bekannte und

Freunde wieder zu sehen.

Man hört die Frauen geschäftig in der Küche mit Geschirr klappern und dann den Frühstückstisch für die Großfamilie auf der Terrasse decken.

Die von zu Hause mitgebrachte selbst eingekochte Himbeermarmelade aus dem vorigen Jahr würde die Frühstückskifli versüßen. Kaffeeduft macht sich breit. Katzen wechseln die Straßenseiten

Die Sonne strahlt schon seit Stunden kräftig vom blauen Himmel. Dekowölkchen bilden einen fotogenen Kontrast, aber spenden keinen Schatten. Schon um neun Uhr zeigt das Thermometer fast
30 Grad. Eine heitere Sommerstimmung liegt über dem Ort am Balaton. Vom See

her weht ein milder Wind und lässt die Blumen im Vorgarten sich wiegen. Ferienbeginn. Endlich.

Und nach dem Frühstück zieht es die Urlauber und Wochenendgäste an den See, wo sie auf dem grünen Ufer ihre Familienlager aufschlagen, die Melone schlachten und sich dann die safttriefenden Gesichter und Bäuche im milden Seewasser abspülen.

Sommer in Ungarn. Kommt doch auch mal her.