Biografien & Erinnerungen
Ein Leben - Nun ade du mein lieb Heimatland

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"Ein Leben - Nun ade du mein lieb Heimatland"
Veröffentlicht am 27. April 2016, 12 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Ein Leben - Nun ade du mein lieb Heimatland

Ein Leben - Nun ade du mein lieb Heimatland

Ein Leben Kapitel 1 Der eisige Winter verabschiedete sich mit Macht. Durch die geöffneten Fenster zog der Duft des Frühlings. Der Forsythienbusch vor unserem Kinderzimmerfenster streckte seine gold blühenden Zweige der Sonne entgegen, deren Strahlen das Zimmer durchflutete. Die Vögel zwitscherten fröhlich ungeachtet des entfernten Kanonendonners. In diese friedliche Idylle platzte meine Mutter herein „Kinder, Kinder, beeilt Euch, macht schnell !! Packt alles zusammen, was

ich Euch gestern gesagt habe.!! Wir müssen weg !! Kreidebleich, mit zerzaustem Haar stand sie in der Kinderzimmertür. Erschrocken schauten wir sie an. Sie hatte uns wohl am Vortage auf eine mögliche Abreise vorbereitet. Dass es aber so rasch sein würde !! Von der Straße her hörten wir aus dem geöffnetem Fenster Getöse und aufgeregtes Rufen: „Der Russe steht vor der Tür.!! Beeilt euch, in einer halben Stunde fährt der letzte Zug ab !!“ Meine 5 Geschwister, mit denen ich gerade friedlich gespielt hatte, sprangen auf und hetzten wild durcheinander. Jeder versuchte die wichtigsten Teile, die ihm am Herzen

lagen, in 2 bereitliegende Koffer und Taschen zu packen Diese Geschichte erzählten mir später meine Geschwister, da ich aus dieser Zeit keine Erinnerungen mehr hatte. Mitten in den Wirren des 2. Weltkrieges am 23. Mai 1943 bin ich als 6. Kind einer Kaufmannsfamilie in Posen im Warthegau geboren. Ich hatte noch 4 Schwestern und einen Bruder. Unser Vater war im Krieg, und meine Mutter musste uns so recht und schlecht alleine durchbringen. 1945 kapitulierte Deutschland. Russland besetzte einige Teile Deutschlands und die jenseits der Oder-Neisse Grenze liegenden Gebiete Deutschlands. Wir

waren also gezwungen, die Heimat und unser Haus Hals über Kopf zu verlassen. So wurden damals 14 Mill. Deutsche heimatlos. Meine Mutter griff nach mir, der Kleinsten ( ich war gerade 2 Jahre alt ) zog mir eine Jacke über, ergriff einen schon gepackten Koffer und eine Tasche, und verließ hastig, meine 5 Geschwister im Schlepptau, das Haus. Jeder rempelte, stieß und drückte den Anderen weiter. „Hierher, „ rief Evi, meine große Schwester, Sie hatte sich mit ihren 12 Jahren durch die Menge gedrängt, und ihren 4 kleineren Geschwistern den Weg freigemacht. Und schon schloss sich die Menge hinter

ihr. Meine Mutter nahm mich auf den Arm und reichte mich durch das Zugfenster. Womöglich hätte mich die Menge sonst totgetrampelt. Verzweifelt umklammerte ich meinen geliebten Spielzeughasen, strampelte mit den Beinen und schrie, wie am Spieße. Ich wollte nicht von ihr weg. Wieder ein Pfiff, ein Mann schrie: „Weg vom Zug!!“ Mit einem Satz schaffte es meine Mutter noch aufzuspringen. Da fuhr der Zug schon an. „Gott sei Dank, geschafft!“ Weinend nahm sie uns in die Arme, und versuchte uns zu erklären, dass wir nun zu unseren Großeltern nach Bautzen führen, um dort die Heimkehr unseres

Vaters zu erwarten. Ich kannte meine Großeltern noch gar nicht. So war ich sehr gespannt auf sie. Da standen sie nun am Bahnhof, eine kleine alte Frau mit einem dicken Haarknoten am Hinterkopf und ein noch älterer kleiner Mann. Daneben, eine Schwester meiner Mutter, 'Tante Else, deren Brillengläser so dick waren, dass ich ihre Augen kaum sehen konnte. Wenn ich heute zurückdenke, erschienen mir meine Großeltern damals uralt, obwohl sie erst Mitte 60 waren. Aber lieb waren sie zu uns. Wir sollten erst einmal bei ihnen wohnen. Bis unser Vater eine neue Bleibe für uns gefunden

hatte. Großeltern zu haben, bedeutete eine neue Erfahrung für mich. Die Großeltern väterlicherseits hatte ich nicht mehr kennengelernt. Also genoss ich es, als Nesthäkchen von ihnen verwöhnt zu werden. Unser Opa war Tischler und er baute für die Kleinen eine Puppenstube. Die Zimmer darin wurden aufgeteilt und ich bekam die Küche. Vielleicht rührt schon meine Vorliebe für das Kochen aus dieser Zeit her. Sogar elektrisches Licht hatte die Puppenstube. Wir waren ungeheuer stolz auf unsere neue Errungenschaft. Weihnachten kam dann auch unser Vater

nach Hause. War das eine Freude !! So waren wir alle im Haus der Großeltern wieder vereint. Das Osterfest in Bautzen wird mir immer in Erinnerung bleiben. Sonntags morgens hieß es Eierstiepen. : . Am Vortage wurden schon kleine Birkenreiser zu einer Rute zusammen gebunden. Mit diesen Ruten schlichen wir am Sonntagmorgen dann leise ins Schlafzimmer unserer Eltern und schlugen auf sie ein mit den Worten : „Stiepe, Stiepe Osterei, gibst du mir kein Osterei, dann stiep ich dir das Hemd entzwei.“ Man kann sich vorstellen, wie das Bett nach 6 Osterruten hinterher aussah. Unsere Eltern griffen dann schnell in die

Nachttischschublade, wo sie für jeden etwas Süßes hervor zauberten. Dann ging es zu den Osterreitern. Es lebte in Bautzen eine sorbische Minderheit, die am Ostermorgen mit Zylindern auf dem Kopf auf prächtig geschmückten Pferden, in sorbischer Sprache Kirchenlieder singend, durch die Stadt ritten. Was war das für ein prachtvolles Schauspiel. Dann gab es noch das Eierschieben. Von einem bestimmten Berg, wir nannten ihn den Eierberg, wurden von wohlhabenden Leuten für die Kinder der Stadt, Obst, Süßigkeiten und natürlich Ostereier runtergekullert. Mich ließ man leider nicht mitmachen, ich war noch zu klein dazu. So gab es

doch noch Tränen am Ostertag. „Mami, Mami, komm bald wieder !! Wir Kinder umringten unsere Mutter, die mit Hut und Mantel im Begriff war, das Haus zu verlassen. Diesen Traum hatte ich jahrelang, mit dem Bewusstsein, dass so der Abschied von meiner Mutter gewesen sein muss. Doch Jahre später klärten mich meine Geschwister auf, dass es keinen Abschied gegeben hat. Meine Mutter war wieder schwanger geworden. Da der Arzt ihr nach meiner Geburt weitere Kinder verboten hatte, ging sie zu einer sogenannten Engelmacherin. Das war eine von den Frauen, die für Geld, Abtreibungen vornahmen. Offizielle

Schwangerschaftsabbrüche gab es damals noch nicht. Meine Mutter hat es nicht überlebt und ließ 6 Kinder mutterlos zurück. Sie wurde nur 37 Jahre alt !! „ „Unser Strampelchen ist doch erst drei Jahre alt ! Das sagte verzweifelt immer wieder meine große Schwester Ingrid, als sich die Nachbarn nach unserem Befinden erkundigten.

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Brigitte

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mukk Mit Interesse und Mitgefühl bin ich deiner Geschichte gefolgt und musste dabei unweigerlich an meine Kindheit im 2. Weltkrieg und die Jugend in der Nachkriegszeit denken. Es waren schlimme Zeiten und unglaubliche Leistungen unserer Mütter, uns da durchzubringen. Lieben Gruß
Ingrid
Vor langer Zeit - Antworten
Brigitte Ja liebe Ingrid du bist ja noch eine , die den Krieg noch mit erlebt hat. Sehr viele Erinnerungen habe ich nicht mehr daran. Das meiste haben mir meine Geschwister erzählt. Auch der Rest meines Lebens ist ziemlich aufregend. Vielleicht hast du ja Lust weiter zu lesen. Das würde mich wirklich freuen. Ganz liebe Grüße an dich und einenschönen Restsonntag Brigitte
Vor langer Zeit - Antworten
mukk Stimmt, ich war zwar noch im Kindergarten-Alter, aber erinnere mich noch deutlich an das Geheul der Sirenen, die einen Fliegerangriff ankündigten und wir dann gedrängt in einem Naturbunker warteten. Das war eine Höhle in einem hohen Felsen nahe der Stadt. Dort hatte ich aber nicht vor Bomben sondern vor Fledermäusen die größte Angst..
lieben Gruß
Ingrid
Vor langer Zeit - Antworten
Lagadere Liebe Brigitte,
gleich zu Beginn musste ich an einen bewegenden Film denken, der sich in meinem DVD-Archiv in der "deutschen Ecke" an Hardy Krüger, Sonja Ziemann, Marianne Koch, Heinz Rühmann und "friends" schmiegt und die allesamt darauf warten, dass mich mal wieder eine "Retro-Phase" befällt:
"Nacht fiel über Gotenhafen".

Da Wikipedia das besser als ich zusammenfassen kann:

"Nacht fiel über Gotenhafen ist ein Film, der 1959 unter der Regie von Frank Wisbar nach einem Tatsachenbericht der Zeitschrift Stern entstand. Der Film spielt in der Endphase des Zweiten Weltkriegs. Thematisiert wird die Flucht der deutschen Bevölkerung aus Ostpreußen vor der Roten Armee und die Versenkung des Schiffes Wilhelm Gustloff. "


Erfreulicherweise stimmt bei deiner Geschichte beides: Ein guter Schreibstil und eine packende Geschichte, was - wenn man ehrlich ist - hier bei MS nicht allzu oft vorkommt.
Ich bin gespannt auf die weiteren Kapitel und möchte noch hinzufügen, dass ich authentische Schilderungen dieser dunkelsten aller Zeiten deutscher Geschichte sehr wichtig finde!!

Liebe Grüße
Uli


Vor langer Zeit - Antworten
Brigitte Ich bin hoch erfreut lieber Uli, dass dir auch meine Biografie gefällt. Ich dachte, für meine Nachkommen könnte es interessant sein, was sich in diesem letzten Jahrhundert so alles abgespielt hat. Es war ja nicht wenig. Und es geht nun weiter. Ich werde gleich mal den zweiten Teil rein setzen. Dir einen schönen Sonntag und danke mit lieben Grüßen Brigitte
Vor langer Zeit - Antworten
Annabel Meine Güte, die Geschichte ist so berührend. So emozional rübergebracht. Ganz lieben Gruß an dich
Vor langer Zeit - Antworten
Brigitte ganz lieben Dank an dich liebe Annabel, ja ich habe meine gesamte Biografie jetzt fertig gestellt. Und das war der 1. Teil. Ich freue mich, dass es dir gefallen hat. Liebe Grüße Brigiitte
Vor langer Zeit - Antworten
Enya2853 Liebe Brigitte,
wie bitter und schlimm der Ausgang deiner Geschichte, ein sehr trauriges Schicksal, das deine Mutter hatte und dadurch auch ihr Kinder. Wie furchtbar, dass Frauen damals keine andere Lösung hatten, als sich diesen zweifelhaften Engelmacherinnen anzuvertrauen.
Da überlebt sie den Krieg und dann das. Es muss für euch alle sehr schwer gewesen sein.
Ein paar schöne Erinnerungen in deiner Geschichte haben mich aber lächeln lassen, feine Osterbraüche, die Vereinigung aller Familienmitglieder, die liebevolle Aufnahme bei den Großeltern ...

Ich bin ja nach Kriegsende geboren, weiß nur sehr viel aus Erzählungen. Meine grpßeltern verloren zwei Söhne und dann noch eine Tochter kurz nach dem Krieg durch einen Unfall.
Wie oft habe ich mich schon gefragt, warum es immer wieder so Grausames wie Krieg gibt.

Liebe Grüße
Enya
Vor langer Zeit - Antworten
Brigitte Guten Abend liebe Enya, ja diese Zeit muss für alle wirklich fürchterlich gewesen sein. Und einege schreien schon wieder . Sie wissen gar nicht, was Krieg eigentlich bedeutet. Es geht ihnen zu gut. Das war der 1. Teil meiner Biografie, die ich gerade überarbeitet und fertig gestellt habe. Ich danke dir für deine lieben Worte und wünsche dir ein traumhaftes Wochenende. Liebe Grüße Brigitte
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR Liebe Brigitte, ich habe deine Geschichte sehr gern gelesen. Irgendwie kommt sie mir inhaltlich bekannt vor, vielleicht hattest du sie ja schon in anderer Version hier veröffentlicht. Wie traurig und sinnlos ist dieses Ende deiner Mutter!
Liebe Grüße
fleur
Vor langer Zeit - Antworten
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