Selbstportrait
Irgendwie kann ich es nicht verwinden. Was ist, wenn ich nicht mehr bin? Nehmen sie Hemingway. Er hat sich portraitieren lassen, genauso Nelson und Washington. Nun hängen solche Bilder in berühmten Museen und jeder steht davor und flüstert voller Ehrfurcht: "So sah er also aus, der berühmte Mann."
Fotos, oder gar Internetauftritte sind dagegen PillePalle!
Ich will dieses Ehrfurchtvolle auch haben. Na gut, bis jetzt fehlt es mir noch an Berühmtheit, aber sie wissen ja selbst, sobald ein Maler gestorben ist, da schnellen die Bilderpreise für seine Werke in die Höhe. Vincent van Gogh starb elend in Armut, denn sein Geschmier
verstand damals niemand. Mehr brauche ich dazu nicht zu sagen.
Oder nehmen sie Stieg Larsson, den schwedischen Schriftsteller. Seine Bücher mit seiner Protagonistin Salander brach erst nach seinem Tod sämtliche Rekorde. Fünfzehn Millionen Bücher gingen über die Theke, allein nur seine ersten drei Bände von den zehn der Millennium-Serie gezählt.
Kurz und bündig, es ist doch wohl selbstverständlich, dass es für ein Selbstportrait zu spät ist, wenn ich den Löffel abgegeben habe.
Nehmen Sie es nicht so genau mit dem Ausdruck Selbstportrait, liebe Leser. Ich male mich natürlich nicht selbst, aber das Bild soll das Genie meiner selbst wieder spiegeln.
Sozusagen das Portrait von meinem Ich. Sie wissen schon, wie es gedacht ist.
Dass ich berühmt werde, das ahne ich, habe ich im Gefühl. Die Masse hat es einfach noch nicht begriffen. Sobald aber mein Tod publik wird und ein Portrait vorhanden ist, dann rollen die Tantiemen. Ewiger Ruhm ist mir gewiss und das ist es schließlich, was ich mir wünsche. Der Rubel wird rollen, dass es kracht. Über die testamentarische Verfügung des zukünftig prasselnden Vermögens muss ich noch nachdenken.
Zuerst einmal muss ich einen renommierten Maler finden. Das ist gar nicht so einfach, denn im Moment hapert es daran, dass ich ihm kein Salär zahlen kann, oder wenn, dann
ein sehr, sehr bescheidenes. Da beißt sich die Katze sozusagen in den Schwanz.
Da kam mir die Erleuchtung. Ich überlasse dem Maler einfach einen kompletten Satz meiner literarischen Werke. Eine künstlerische Hand wäscht die andere. Ein Geben und Nehmen. Die berühmte WIN WIN Situation. Da macht der Maler sogar wahrscheinlich noch einen Reibach, weil meine Werke sowieso göttlich sind. Und damit es besonders gut wird, signierte ich sogar meine Büchersammlung eigenhändig mit meinem berühmten Schriftzug. Ich weiß, lieber Leser, dass sie nun neidisch sind.
Jetzt aber erst einmal so einen Superkünstler, einen exorbitanten, himmlischen Maler finden!
Ich erkundigte mich. Schließlich stieß ich auf
Dr. Dr. Sibelius. Ein Fachgenie sondergleichen. Kunstgeschichte, bildende Künste und vor allem Malerei, nichts sei ihm fremd. Er wäre angeblich der Michelangelo der Neuzeit. Man gab mir die Adresse.
Ich fuhr hin. Die Zugfahrt verringerte meinen Honorareinsatz wieder beträchtlich. Dafür hatte ich schwere Koffer meiner Bücher dabei.
Als ich das Ziel erreichte, stand ich vor einer riesigen Villa. Sehr pompös, sehr nobel mit angrenzendem Park.
Dort flanierten mehrere gediegene, ältere Damen und Herren. Tja, ältere Menschen wissen eben Kunst zu würdigen, nicht so, wie die modernen, jungen Rapper-Krachmacher. Dr. Dr. Sibelius hatte also seinen eigenen Fanclub. Das machte die Honorarfrage
wahrscheinlich etwas schwieriger.
Ich betrat das riesige Entree und rollte meine geistigen Ergüsse auf einem am Bahnhof gemietetem Bollerwagen hinter mir her. Dort gab es eine Art Rezeption. Kein Wunder bei dem Fan-Ansturm. Mutig brachte ich mein Anliegen hervor.
Dr. Dr. Sibelius sei es ausnahmsweise genehm, zwitscherte die Dame nach einer telefonischen Rückversicherung.
"Es gibt da noch eine Schwierigkeit", säuselte die Rezeptionistin, die mir durch ihr schwarzes Haar gefiel. "Was denn?" "Sie müssten lila tragen." "Wieso Lila?"
Ich landete in seinem Atelier.
Sibelius begrüßte mich und ich sah seine Werke an der Wand. Eines stellte eine düstere
Berglandschaft dar, mit Gewitterwolken. Nach meiner unmaßgeblichen Meinung hatte Sibelius einen außerordentlich feinen Pinselstrich. Der Gesamteindruck vermittelte leider eine in Öl getränkte, verewigtlichte, irre schlechte Laune. Auch sah ich Portraits an den anderen Wänden. Sie alle zeichnete aus, dass sie eher einer Ackerlandschaft glichen, bei den Furchen in den Gesichtern. Sibelius selbst schien mit seinem Backenbart wie aus anderer Zeit. Das Haar war schon ergraut. Er mochte an die 70 Jahre alt sein.
Glücklicher Weise ließ sich Sibelius herab die Auftragsarbeit anzunehmen.
Die schweren Koffer mit meinen unschätzbaren Werken wechselte seinen
Besitzer. Ich seufzte mein Lebenswerk zu übergeben, aber man muss eben Opfer bringen.
Geschlagene dreieinhalb Stunden werkelte Dr. Dr. Sibelius mit äußerster Präzision, dann ließ er mich auf die Leinwand blicken. Ein alter Mann starrte mich an.
Mein Gott! Aber auch Andy Warhol war seiner Zeit voraus, oder nicht? Und da leitete er erst die Pop-Art ein.
Eigentlich ist aber die Gothic-Art nichts wirklich Neues. Auch Dracula ist nicht unbedingt der new art zuzurechnen.
Aber ich sagte mir, dass mein Portrait, bei diesem Aussehen, schließlich auch noch in zwanzig Jahren nichts an Aktualität einbüßen
würde. Quasi zeitlos und trotzdem altersmäßig aktuell.
Ich dankte und griff mir das deprimierend düstere Vampierbild und landete wieder an der Rezeption.
"Sie nehmen DAS mit?"
„Wieso?“
„Herr Sibelius hatte doch einen Unfall. Er leidet an posttraumatischer Nebenhöhlen-Depression. Schade um ihn. Er zeichnete sich zuvor durch eine einmalige Inselbegabung aus", seufzte die Dame.
„Von wegen Inselbegabung, an einer Pinselbegabung fehlt es“, murrte ich wütend.
„Alle unsere Patienten haben so ihre Probleme. Geistig porös, wenn sie verstehen.“
„Ja bin ich denn hier
nicht…“
„Sie sind hier in einem Seniorenstift. Sibelius malt gern und wir lassen ihn. Es hilft der Renormierung seiner Disposition.
Wir bekommen so seine bipolare Störung in den Griff“
"Bipol..., was?"
"Wenn er nicht malt, kommt es zu emotionalem, sehr misstönenden Ausbrüchen. Er randaliert, zerfetzt alles. Besonders Bücher hasst er dann".
Sie lächelte.
"Es wäre übrigens nett, wenn Sie einen kleinen Obulus für unser Sanatorium spenden könnten."
Ich raste aus dem Gebäude und drehte mich
um. Über dem ersten Stock war groß „Seniorenstift Mariahilf“ in den Marmor eingemeißelt. Das hatte ich vor Begeisterung bei der Ankunft gar nicht gesehen.
Noch heute besitze ich das Bild. Ab und an, wenn ich besonders guter Laune bin, sehe ich es mir im Keller an.
Das führt mich unweigerlich auf den Boden der Tatsachen zurück, dass ich auch im Internet nur einen einzigen, neuen Leser in einem halben Jahr gewonnen hatte.
Realität mag bisweilen unschön sein.
Am meisten wurmt mich aber, dass Dr. Dr. Sibelius noch immer den Koffer voller Goldschätze hat.
Wahrscheinlich wurden sie bei einem seiner
Anfälle zerfetzt.