Kurzgeschichte
Mein erster Advent

Mein erster Advent

Kurz vor Weihnachten ist eine schöne Zeit. Die meisten Fenster erstrahlen in stimmungsvoller Beleuchtung, und die Geschäfte sind schön dekoriert.

Aber bei uns zu Hause noch nicht.

Dazu passend traf vor kurzem ein Paket für mich ein, und beinhaltet leckere Lebkuchen aus Franken. Vor allem die Schwarze Elise hat es mir angetan, eine feine Sorte mit herber Kakao-Note. Neugierig studiere ich die Packung, und dort steht: Im Jahr 1927 beschloss der Hersteller, Lebkuchen nicht nur zu verkaufen, sondern künftig selbst zu

backen so schwer konnte das ja nicht sein! Mit Mehl, Nüssen und Gewürzen experimentierte er in seiner Küche. Manches gelang auf Anhieb und wurde auch gleich in der Backstube zum Verkauf hergestellt.

Anderes sortierte er sofort aus. Doch ein Rezept lag ihm besonders am Herzen:

Es war lecker, aber stets fehlte ihm noch das letzte i-Tüpfelchen. Ingwer? Nein, zu scharf. Vanille? Auch nicht, zu süß. Mehr Zimt? Auch nicht, macht den Lebkuchen bitter. Oh, hoppla im Eifer des Teigrührens war die Kakaomasse umgekippt und hatte ihren Inhalt genau in die Teigschüssel entleert. Ganz

schwarz war der Teig durch das dunkle Pulver geworden. Schließen Sie die Augen und lassen Sie sich diese Köstlichkeit auf der Zunge zergehen…

Das hört sich doch gut an, und das tat ich fast. Mit einem Buch verziehe ich mich auf die Couch, und lasse mir die schwarze Elise genüsslich schmecken. Nach dem ersten Kapitel höre ich die Stimme meiner Freundin:

„Gehst du bitte in den Keller, und holst den Karton mit den Weihnachtssachen hoch?“

Zuerst schlucke ich noch den letzten Bissen Elise herunter, bis ich antworte:

„Natürlich mein Herzblatt, das mache ich doch gern!“

In unserem Keller ist es dunkel, und jederzeit könnte einem eine Spinne über den Weg laufen. Meine Freundin steht da nicht so drauf, und darum gehört das zu meinen Aufgaben. Zuerst suche ich meine Hausschuhe, zweifellos habe ich sie wieder irgendwo stehen gelassen. Nachdem ich sie diesmal verwirrenderweise auf dem Klo wieder gefunden habe, stapfe ich die Treppen runter.

Die Kartons sind alle beschriftet, und das zahlt sich bei meiner Suche aus.

Schnell werde ich fündig, aber eine andere Schachtel fällt mir dabei in die Hände.

In Blockbuchstaben lese ich Fotos

darauf, und ich öffne sie neugierig.

Die Aufnahmen zeigen mich in meiner Jugend, in den verschiedensten Situationen.

Darüber lache und schmunzele ich, und manchmal werden meine Augen feucht. Mein Blick fällt auf das Regal, indem einige aussortierte Weinflaschen liegen.

Ein guter Wein muss für mein Empfinden einen Korken haben, aber ein Schluck aus der Flasche mit Schraubverschluss wird mich jetzt auch trösten. Das Gesöff schmeckt mit nicht besonders, aber ich ahnte es ja schon vorher. Selber schuld.

Meine nostalgischen Gedanken in die Vergangenheit werden durch Geräusche

von Schritten unterbrochen, und meine Freundin wagt sich in den Rahmen der Kellertüre.

„Lilyta geht an deine Lebkuchen ran!“, informiert sie mich.

„Was? Das mag sie doch gar nicht!“, erwidere ich entsetzt.

„Vielleicht, aber sie schnüffelt schon an ihnen!“

Ich kann es nicht glauben, dass unsere Katze gleich meine Leckereien verspeist, und schnappe blitzschnell den Weihnachtskarton.

Gemeinsam flitzen wir nach oben, und Lilyta steht breitbeinig über den Lebkuchen auf dem Sofa. Mit ihren Pfoten untersucht sie die Packungen,

und leckt sich schon mit der Zunge ihr Fell!

Sofort schieße ich auf sie zu, und Lilyta springt mit einem unschuldigen Blick auf den Boden. Du kleine Heuchlerin! Zu meiner Beruhigung stelle ich fest, dass sie bloß neugierig gewesen ist. Doch ein kleines Stückchen hat sie gefressen, und bestimmt werde ich morgen früh ihren erbrochenen Brei auf dem Teppich entdecken.

Selber schuld.

Inzwischen strahlt auch unsere Wohnung in weihnachtlichen Lichtern, und ist hübsch dekoriert. Dazu erklingt weihnachtliche Musik aus dem Radio, und ich fordere übermütig meine

Freundin zum Tanzen auf.

„In Hausschuhen?“

„Ja, für mich fängt jetzt Weihnachten an!“

Selber schuld.

© Newcomer