Kurzgeschichte
KUNST!

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"2001, eine Geiselnahme"
Veröffentlicht am 27. Oktober 2015, 10 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: strandgigant
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2001, eine Geiselnahme

KUNST!

KUNST!



Er betrat den Raum und zuckte zusammen, ging zum Mülleimer und kotzte hinein. Der Körper lag unnatürlich verrenkt auf dem Boden. Ein Bild auf einer Leinwand daneben, abstrakte Malerei, ans Sofa gelehnt. Er besah sich das Bild. Stand da und blickte es an. Das gesamte Bild: Die Leiche. Die Leinwand. Die Fernbedienung. Den Teppich, der rot vom Blut war. Alles war rot vom Blut. Das abstrakte Bild war durch das Blut erweitert worden. Interessant. Würde sich der Künstler wohl darüber aufregen?

Sich über diesen Gedanken wundernd, betrachtete er den toten Körper.  Irgendwas fehlt, dachte er, irgendetwas fehlt.  

Er ging zum Telefon und wählte die Nummer der Polizei. Dann nahm er die Mülltüte aus dem Eimer und verließ den Raum, die Wohnung. Er stieg in seinen Wagen und fuhr mit Tränen in den Augen los.

Einen Anfang, dachte ich mal wieder, EIN ANFANG! Der Anfang ist immer das schwerste. Die Basis auf die alles weitere folgt. Ein Fundament um darauf ein Haus zu bauen. Wohin könnte er jetzt fahren, dachte ich, wohin fährt ein Mann,

der seine Geliebte besuchen wollte und diese tot auffindet? Dinge beenden ist schwierig, dachte ich, aber…

Egal!

Ich musste grinsen, trank einen Schluck starken Kaffee und dachte an die Geschichte über die Geiselnahme von Huckelriede, September 2001. Damals wurde ein Kindergarten von drei Radikalen besetzt. Wie die Forderungen aussahen, weiß ich nicht mehr, jedoch kann ich mich entsinnen, dass die festgehaltenen Kinder, die Geiselnehmer nicht gehen lassen wollten, da diese einen unendlichen Schatz an Spielvariationen und Liedern hatten. Es stellte sich heraus, die Geiselnehmer

waren Künstler, abstrakte Erscheinungen, hier ein Quadrat und dort ein Kreuz und ein Kreis, eine Performance nackt in schwarz weiß und manchmal auch in Farbe, die der Meinung waren, es müsse so etwas wie ein Erdenbeben durch Deutschland gehen und dieses solle in Bremen beginnen, damit alle Menschen Frei-Denkende würden. Ach so, da war dann ja eine Forderung. Zumindest, so die künstlerischen Geiselnehmer, sollte es jedem Denkenden erlaubt sein, sich zu entfalten, frei von politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Normen und Zwangsmechanismen, die Druck und Einfalt und unsoziale Konkurrenz produzieren, so oder so

ähnlich. Die Kinder wurden gut versorgt. Es gab keine Verletzten. Sie aßen Fischstäbchen und Pizza, alles biodynamisch, der Mutter Erde und der Mutter Ozean weise und zärtlich entlockt. Dies verstand sich von selbst, so das Selbst- und Weltverständnis der geiselnehmerischen Artisten. Die Erwachsenen und hier besonders die Exekutive, waren jedoch darüber nicht sehr amüsiert, dass Kinder festgehalten wurden, ganze 24 Stunden, an einem Ort, an denen es den Kindern auch noch so gut erging, dass die gar nicht mehr weg oder zurück wollten, die hatten richtig Spaß. Das machte den anderen, den Eltern und der Polizei, überhaupt keinen

Spaß. Irgendwo passierte ein Unglück und die westliche Weltstimmung lag im Keller. Die Geiselnehmer von Huckelriede, also die Künstler, die in einer Kunstaktion dreißig Kinder festhielten, bekamen diese miese Stimmung zu spüren, was nur als gerecht zu werten ist, denn: Freiheit ist Freiheit und wenn ich mich dafür entscheide, mich zu versklaven, vorgekaute Meinungen in mich rein zu fressen und alles zu glauben, was da auch immer gedruck oder über den Schirm gesprochen und gezeigt wird, ist es immer noch eine freie Willensäußerung meinerseits und das kann man auf alle Menschen übertragen, die sich gerne

subtil oder offensiv in der Art eines gedanklichen Gefängnisses versklaven, wenn ich jedoch losgehe und andere dazu bringen will, Freiheit zu überdenken und dabei Menschen festhalte, auch wenn ich diese gut behandele, ist es Freiheitsberaubung und diese muss mit der ganzen zur Verfügung stehenden Härte des Gesetzes bestraft werden, vor allem, da es sich um Kinder handelte, welche den besonderen Charakter einer sozialen Gemeinschaft noch zu lernen haben und denen sich der Neoliberalismus noch als eine ferne Wolke darstellt, die zu erreichen einem Traumzustand gleichkäme. Sie wissen noch nicht, dass die Guten die Bösen

sind und das umgekehrt ein Schuh draus wird…

Mit Tränen in den Augen fuhr er los…dunkel die Landstraße, Nebel. Den Baum, eine gemeine Platane, sah er zu spät…

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FLEURdelaCOEUR Danke, ich hätte es längst lesen sollen!
LG fleur
Vor langer Zeit - Antworten
windrose Gefällt mir sehr, danke.
LG
Drita
Vor langer Zeit - Antworten
sugarlady Noch einmal war es spannend.
Liebe Festtags Besinnlichkeit
L G Andrea
Vor langer Zeit - Antworten
Rajymbek 
Gefällt mir, schöner Schreibfluss. Danke fürs Lesendürfen.

VLG Roland
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Ein gewagter, aber interessanter Sprung vom fiktiven Inhalt eines gerade begonnenen Buches über die Gedanken des Autors über ein zurückliegendes reales Ereignis um dann wieder bei der Fortführung des Buches zu landen. Ein bisschen Sozialkunde hast Du auch noch einfließen lassen. Gekonnt!
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
AngiePfeiffer Schließe mich einfach mal an - superspannend.
LG
Angie
Vor langer Zeit - Antworten
schnief Eine echt spannende Geschichte!!!
Liebe Grüße Manuela
Vor langer Zeit - Antworten
sugarlady Wirklich spannend geschrieben.
Liebe Grüße!
Vor langer Zeit - Antworten
Feedre zu dieser sehr gut geschriebenen Geschichte
spende ich dir ein Herzchen, lauten Beifall
und ein Bravo...:-))
LgF
Vor langer Zeit - Antworten
Ameise Jede Gesellschaft, brägt Ihre Kinder nach eigenen Vorstellungen. Da kommt es nie gut, wenn jemand auf spielerische Weise, den Kindern ein anderes Bild vermitteln möchte. Nur schade das Dein Held, in seinen letzten Minuten, keine positiveren Erinnerungen hatte. Wer stirbt schon gern, mit dem Gedanken, das die Welt erkrankt und Heilung in ferner Zukunft liegt, wenn überhaupt.
Deine Geschichte hat mich gefesselt.
LG Ameise
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