Biografien & Erinnerungen
Auf der Flucht - vor 72 Jahren

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"Auf der Flucht - vor 72 Jahren"
Veröffentlicht am 17. August 2015, 8 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Über den Autor:

Je älter ich werde, umso weniger gibt es über mich zu sagen :-)
Auf der Flucht - vor 72 Jahren

Auf der Flucht - vor 72 Jahren

Auf der Flucht vor 72 Jahren

Sie saß mir gegenüber in einem bequemen Fernsehsessel mit verblichenem Blumenmuster. 82 Jahre ist sie nun schon geworden. Stolz sagt sie mir, dass sie ihren Haushalt noch ganz alleine bewältigt. Nur die Einkäufe erledigen die Kinder.

Viel hat sie erlebt in diesen Lebensjahren. Immer wenn ich bei ihr bin hat sie eine andere Geschichte parat.

Heute erzählt sie mir eine Lebenserfahrung die 72 Jahre zurück liegt. Sie war ein Mädchen, gerade zehn Jahre alt. Ursprünglich wohnhaft in Jugoslawien an der Grenze zu Ungarn.

Kriegsbedingt mussten Sie ihr zuhause verlassen und kamen auf einem Gehöft nahe der Grenze in Ungarn unter. Es waren viele Familien auf der Flucht.

Der Vater war schon tot. Die Mutter mit den Kindern und der kranken Großmutter  waren ganz auf sich gestellt. Die älteren Kinder wie auch die Mutter arbeiteten bei einem Bauern den ganzen Tag und erhielten abends Milch und etwas zu essen. Übernachtet wurde im freien unter einem Baum. Nur die Zehnjährige sowie die 72jährige Großmutter durften in einem ehemaligen Pferdestall wohnen, der in viele kleine durch Bretterverschläge unterteilte Parzellen gegliedert war. Jede Familie hatte eine

Parzelle. Geschlafen wurde auf Stroh.

Die Großmutter war schon länger krank. Eines Tages bat sie die Enkelin ihr etwas zum Essen zu holen. Gut eine halbe bis dreiviertel Stunde entfernt gab es ein altes Kastell.

Dort konnten sie Flüchtlinge sich etwas kochen. Dorthin lief das Mädchen und holte für die Oma eine Suppe. Wieder zurück im Stall fütterte das Kind die Großmutter. Ganz plötzlich hörte die Oma auf zu essen. Das Mädchen vermutete, dass sie wohl eingeschlafen sei. Doch die Oma war während des Fütterns gestorben. Erst nach einiger Zeit begriff das Kind diese Tatsache. Es rief: „ Was ist mit meiner Oma? Was ist

mit meiner Oma?“  Die anderen Flüchtlinge fragten nach, wo seine Mutter sei und einer machte sich auf den Weg die Mutter, die bei der Feldarbeit war, zu suchen.

Die Großmutter wurde währenddessen in einem Zimmer im Bauernhaus  auf einem Tisch aufgebahrt. Nachdenklich sagt mir die alte Damen: „ Plötzlich hatten sie ein Zimmer für meine Oma. Doch jetzt nutzte es ihr nichts mehr.“

Es war niemand da, der der Mutter half beim Beerdigen der alten Frau. Mühsam suchte sie alte Bretter und Nägel und zimmerte einen notdürftigen Sarg zusammen, die  Kinder versuchten zu helfen. Auch das Grab huben sie alleine

aus, da es weder Totengräber noch Pfarrer gab.

Irgendwie ging das Leben weiter. Heute wohnt das zehnjährige Mädchen von damals, das mit ihrer Großmutter im Pferdestall schlafen durfte, in einem schönen gemütlichen Haus, das sie gemeinsam mit ihrem späteren Mann gebaut hat. Ihr Ehemann starb bereits vor zwanzig Jahren. Noch heute vermisst sie ihn. Auch kommen noch Tränen in Ihre Augen, wenn sie vom Tod ihres zweijährigen Mädchens spricht.  Mit den Schwiegereltern sei es auch nicht einfach gewesen. Sie hat vier Kinder, mit denen sie guten Kontakt hat und interessiert sich für vieles, ganz besonders für

Fußball.

Viele weitere Schicksalsschläge trafen sie, doch sie hatte die Kraft weiter zu leben.

Wenn Sie in der Zeitung liest, dass Flüchtlinge neben Unterkunft und Verpflegung noch Bargeld bekommen, dann kann sie das nicht ganz verstehen. Sie haben damals gar nichts bekommen, sagte sie mir. Die ganze Familie arbeitete auf den Feldern um überleben zu können. Sie wären froh gewesen irgendwo untergekommen zu sein.

Ich freue mich, dass es der Dame heute gut geht. So gut es eben geht.

* gewidmet T. K.

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paulkarl Gut, dass solche Erinnerungen aufgeschrieben werden.
Danke und LG Paul
Vor langer Zeit - Antworten
Nereus 
dankend
ich bin bestürzt über so manche kommentare die hier verfasst werden
es war aber einmal wieder sehr aufschlißreich-wenn die masken fallen
der kommi war umfangreicher habe ihn gekürzt sonst entsteht wieder ein aufschrei
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Eine sehr berührende Geschichte. Als Flüchtling um´s Überleben kämpfen müssen ... das war damals normal ... wie viele haben den Kampf verloren.
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Eine sehr anrührende Geschichte. Besonders, was Du auf der letzten Seite schreibst. Es ist eine Wahrheit, dass Flüchtlinge Geld bekommen, sogar Smartphone und kostenfreies Telefonieren. Das lockt natürlich immer mehr und wenn man sieht, wie manche sich benehmen, dann fragt man sich - sind das wirklich Flüchtlinge? Ein Kollege meines Mannes wohnt gegenüber einem Asylantenheim und kann nachts nicht mehr schlafen, weil dort immer Remmidemmi ist und das ganze Heim hell erleuchtet. Wird da nicht Gastrecht mißbraucht? Oder gibt unsre Regierung das, weil sie wegen der Waffenlieferungen ein schlechtes Gewissen haben? Ich weiß keine Antwort darauf.

Liebe Grüße
Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
Mitmensch Liebe Bärbel, es sind schon ganz sonderbare Umstände. Da bekommt z. B. jede Familie einen Duschkopf, den sie nach dem Duschen immer wieder abschrauben, weil ständig die Duschköpfe geklaut wurden. Da werden Flüchtlinge mit einem Euro die Stunde bezahlt um die Küche zu reinigen. Da kaufen sich jugendliche Flüchtlinge, Dosengetränke mit massenhaft Zucker drinnen und eine Tüte obendrein, der Hinweis dass diese Geld kostet war nicht von Interesse. Das Geld das hier ausgegeben wird, könnte man effektiver einsetzen. Wer will schon den ganzen Tag tatenlos sein? Wenn man sich Geld selbst verdient, dann hat es einen anderen Wert. Und wenn ich ersetzen muss, was ich beschädige, dann werde ich es nicht mehr tun. Ich weiß auch nicht, wo das alles noch hinführt. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass wahrer Frieden gar nicht erwünscht ist in der Politik.
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Genau so ist es. Flüchtlinge werden in Watte gepackt, egal, was sie anstellen und wer etwas sagt, der wird gleich als Rassist abgestempelt. Es steht leider keinem an der Stirn geschrieben, welche Beweggründe sie angetrieben haben. Hier ist Konsequenz gefragt. Wer sich nicht einfügt und mutwillig Dinge zerstört, sollte wieder "abgeschoben" werden, bzw. ihm wird das Taschegeld gekürzt oder gestrichen. Leider haben viele Angst vor ihnen und getrauen sich gar nicht, etwas zu sagen.
Bei uns sollte ein Handwerker eine Wanne reparieren, die allerdings voller Kot war. Als er sich weigerte, das sauber zu machen, wurde ihm von der Stadt gedroht, dass er keine Aufträge mehr bekommen würde......Was soll man dazu noch sagen.

Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR 
Deine Geschichte berührt und macht sehr nachdenklich ... Danke dafür!
Heutzutage dürfen ja die Flüchtlinge nicht mal arbeiten ... Ich finde, unsere Welt ist überbürokratisiert, besonders hier in Deutschland. Man hat Angst, dass sie den Deutschen Arbeitsplätze wegnehmen, dürften nicht unter Mindestlohn bezahlt werden ... Wenn ihr Asylrecht nicht anerkannt wird, bleiben sie trotzdem hier ... Wer versteht das alles schon!

Liebe Grüße
fleur
Vor langer Zeit - Antworten
Mitmensch Liebe Fleur, das versteht keiner mehr. Es sind so viele Punkte die nicht verstanden werden. Ist vielleicht erwünscht, dass keiner mehr durchblickt.
Vor langer Zeit - Antworten
mohan1948 Früher war man noch dankbar um überhaupt zu überleben.
Sehr berührend geschrieben
Liebe Grüße
Hannelore
Vor langer Zeit - Antworten
Mitmensch Liebe Hannelore,
danke für Deinen Kommentar!
Grüße
Johanna
Vor langer Zeit - Antworten
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