Kurzgeschichte
Ein kleines Herz den Sternen nah - FB 40

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"Ein kleines Herz den Sternen nah - FB 40"
Veröffentlicht am 06. Mai 2015, 12 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Alles Infos unter artemzolotarov.com Ich schreibe seit 2010 Gedichte, Kurzgeschichten, Theaterstücke und Songs. Ich habe bis jetzt drei Gedichtbände und zwei Poetry Slam Textsammlungen mit Hörbuchfassungen veröffentlicht. Eine Übersicht gibts auf meiner Homepage. Auf meiner Facebookseite gibt es täglich aktuelle Infos, Gedichte, Geschichten, Videos, Musik und und und. Ich würde mich sehr über euren like ...
Ein kleines Herz den Sternen nah - FB 40

Ein kleines Herz den Sternen nah - FB 40





Beitrag zum Forumbattle 40.


Vorgegebener Anfangssatz: J. fuhr nach Spanien, um zu sterben.









Pflichtwörter (alle verwendet):

Distel flirrend Perle Vermächtnis schwindelig Sonnenuntergang palavern Wildbienen Affenbrotbaum beurlauben Kaninchen ungezähmt





Ein kleines Herz den Sternen nah


J. fuhr nach Spanien, um zu sterben. In ihrem Wagen glitt sie über die ebene Fläche der Autobahn, die sich zur Morgenstunde noch leer und unaufgeregt vor ihr erstreckte. Der Mittelstreifen blinkte: weiß, grau, weiß, grau, weiß, grau, weiß, grau, weiß, grau, hypnotisch. Sie versuchte jede weiße Linie einzeln zu erfassen, schwenkte ihren Blick wieder ins Periphere und erlag der Illusion der Geschwindigkeit. Wie schnell war sie? Würde es reichen, wenn sie plötzlich das Lenkrad nach rechts zog und den Graben mit dem Blechhaufen ihres Wagens bestückte? Darin ein zerfetzter Rest eines Körpers, einer Frau? Wer würde das erkennen? Zeit ihres

Lebens war sie dem Weiblichen so nah, wie Perlen der Wüste. All das Schöne, Grazile, Elegante und Zarte lag ihr fern, doch ging ihr so nah in jedem flirrenden Gelächter, das sich über ihrem Haupt ergoss, in jedem beiläufigen Wort, das sie streifte und doch tief traf, strafte mit der Gewissheit, anders zu sein. Im kleinen Prinzen las sie von Affenbrotbäumen. Diese seien gefährlich, wenn man sie nicht früh genug am Wachsen hindert und ihre Triebe ausreißt. – Sie ließ sie aber wachsen, antriebslos, sie gediehen in ihrer Brust und schlugen unsichtbaren Pranken zu allen Seiten aus. Es war eine Pest, ein Parasit, der sich am falschen Lächeln nährte, an den Lügen ihrer Ausreden, am Kampf, den sie jeden Tag focht

und immer verlor. Sie warf einen Blick auf den Beifahrersitz. Ein Büchlein lag darauf. Ein Büchlein, das sie seit Jahren begleitete. Darauf war ein kleiner, blonder Junge zu sehen, der auf einem kleinen Planeten stand und in die Sterne schaute. Unzählige Male hatte sie seine Geschichte gelesen. Wenn man sie fragen würde, könnte sie wohl jedes Kapitel auswendig aufsagen. Von der kleinen Rose, mit den vier Dornen, vom Fuchs und der Schlange, vom Brunnen in der Wüste und der Leere im Herz, wenn ein Freund geht. Und vom Sonnenuntergang, der traurige Menschen tröstet. An einer Raststätte holte sie sich ein Brötchen und Wasser. Unverschämt diese

Preise, dachte sie. Wenn ich nicht zum Sterben führe, könnte ich mir das nie leisten. Am Rande des Parkplatzes wuchsen wilde Disteln. Ihre Stacheln erinnerten sie an die Rose aus dem Buch. Aber es waren viele, wie die Rosen im Garten auf der Erde, als der kleine Prinz erkennt, dass sie nichts wert sind, weil niemand sie liebt. Das ist bei Menschen wohl genauso, dachte sie. Was bin ich wert, wenn niemand mich liebt? All diese leere Worte, die etwas von Menschenwürde palavern, von der Individualität. Vieh sind wir! Kaninchen, die sich von Tag zu Tag poppen und hoffen, ihre Ängste mögen nicht auffallen. Es ist so erbärmlich, so widerwärtig menschlich. Sie wollte das nicht mehr mitmachen und bald

würde sie diesem Strudel entstiegen sein. Wieso Spanien? Sie wusste es nicht genau. Vielleicht war Spanien weit genug weg, um das Ende lang genug vor sich herschieben zu können. Da lag ja ganz Frankreich dazwischen und davor noch viel, viel Deutschland. Die Urlaubsfahrten damals dauerten immer eine Ewigkeit, wenn ihr Vater den vollgepackten Wagen durch die Nacht lenkte, um am Morgen am Meer zu sein. Er plante alles akribisch. In seinem Kalender war das Datum rot angestrichen, an dem er sich beurlauben ließ, um mit seiner Familie die Reise anzutreten. Bei der Autofahrt saß sie hinten und schaute aus dem Fenster. Sah die Sonne untergehen und zählte die

Laternen am Rand der Straße, die LKW's, die sie überholten, die Songs im Radio und die Kilometer auf der Anzeige. Es waren viele, viele und irgendwann schlief sie ein, mit einem Lächeln auf den Lippen, in der Erwartung eines ersten Tages am Meer. „Du bist Zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast.“ Zähmen nannte es der Fuchs im Buch, wenn der kleine Prinz ihn an sich gewöhnt hatte. War es Liebe? Eigentlich war es doch nur ein Kindermärchen und doch breitete sich in ihr das ungezähmte Gefühl aus, dass es mehr war. Wie konnte ein Buch so viel über sie wissen? Ihr wurde schwindelig, wenn sie daran dachte, wie genau er ihre Seele erfasst

hatte, er, der vor vielen Jahrzehnten eine Geschichte geschrieben hatte, ein Vermächtnis hinterließ, das ihn und sie und viele weitere Generationen überdauern wird. Trotz ihres Aussehens, trotz ihres Andersseins war da dieser eine Mensch, der sie geliebt hatte oder immer noch liebte und lieben wird – wie ein Blitz durchbrach dieser Gedanke die Leere ihrer Seele und gab für Augenblicke Hoffnung. Was tat sie hier? Wie dumm war der Gedanke daran, sterben zu wollen? Wie beschränkt die Vorstellung, dass das die Lösung ihrer Probleme wäre? Sie bremste. Hielt auf dem Seitenstreifen an und stieg aus. Die Sonne kletterte langsam hinter dem Horizont hervor und tauchte die Baumwipfeln

in Gold. Hinter der Leitplanke wuchsen Blumen. Sie konnte nicht genau erkennen, welche Art Blumen es waren, dazu war es noch zu dunkel. Aber sie sah, wie Wildbienen um sie herum schwirrten. Ihr Summen war leise zu hören, wenn gerade kein Auto hinter ihr vorbeifuhr. Sie atmete ein und wieder aus, lehnte sich an ihren Wagen und sah in den Sonnenaufgang. Die Schwere wich von ihrer Brust und sie lächelte zaghaft. Irgendwo da draußen ist jemand, der sie liebt. Vielleicht geht für ihn gerade die Sonne unter und er schaut ihr traurig nach und denkt an J., von der er noch nichts weiß.

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Hörbuch

Über den Autor

koollook
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Ich schreibe seit 2010 Gedichte, Kurzgeschichten, Theaterstücke und Songs.
Ich habe bis jetzt drei Gedichtbände und zwei Poetry Slam Textsammlungen mit Hörbuchfassungen veröffentlicht. Eine Übersicht gibts auf meiner Homepage.

Auf meiner Facebookseite gibt es täglich aktuelle Infos, Gedichte, Geschichten, Videos, Musik und und und. Ich würde mich sehr über euren like freuen:

https://www.facebook.com/artem.poetry

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Ich vertone meine Gedichte und Geschichten auch seit ein paar Monaten.
Auf soundcloud könnt ihr meinen letzten Band komplett vorgelesen hören (alle Gedichte sind auch downloadbar):

https://soundcloud.com/koollook_poesie

Seit Januar 2013 führe ich ein Projekt das "Ich schreibe über DICH!" heißt. Dabei kann mir jeder ein Bild von sich schicken und ich schreibe ein Gedicht dazu. Mit dem Projekt versuche ich Lyrik näher an den Leser zu bringen, um zu zeigen, dass sie nicht immer unverständlich und kompliziert sein muss ohne dabei in den Kitsch von Teetassenpoesie zu verfallen.
Wer mitmachen möchte, kann mir seine Bild an koollook_poesie@gmx.de schicken.
Hier könnt ihr die bisherigen 167 Bilder und Gedichte sehen:

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Seit 2014 nehme ich auch an Poetry Slams teil. 2015 wurde ich Rheinland-Pfalz Meister in dieser Disziplin.
Videos von Auftritten gibt es bei youtube.

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MarianneK Eigentlich hatte ich nach einem Gedicht gesucht und dann bin ich hier gelandet. Soll ich oder soll ich nicht und dann habe ich schon angefangen zu lesen und kam nicht mehr davon los … wunderbar geschrieben.

Liebe Grüße
Marianne
Vor langer Zeit - Antworten
Scheherazade Vielen Dank für deinen Beitrag!

Liebe Grüße
Schehera
Vor langer Zeit - Antworten
Tintenklecks Hallo, das ist atembeaubend, was du da geschieben hast. Du hast es geschafft, den Leser direkt in deine Heldin zu versetzen und es gelingt dir wunderbar, mit Hilfe des kleinen Prinzen eine große Entwicklung und Entscheidung nachzuvollziehen. großes Kino. Das Büchlein bekommt einen Platz in meinem Bücherregal,
danke sagt der Tintenklecks
Vor langer Zeit - Antworten
Kornblume Hallo Koollook,
da ist Dir ja ein richtiges Meisterwerk gelungen. Sensibel einfühlsam und nachvollziebar.
Gefällt mir sehr gut Das Buch zählt ab jetzt zu meinen Favoriten
Grüße schickt die blaue Kornblume
Vor langer Zeit - Antworten
abschuetze Klasse. Du hast den Leser an den Gefühlen und Gedanken von J. teilhaben lassen, wie sie ständig Parallelen zum "kleinen Prinzen" zieht.
Sehr gern gelesen.

LG von ANtje
Vor langer Zeit - Antworten
Frettschen Einfach wunderbar!
Hier hast du einen sensiblen Tonfall getroffen, der auf direktem Weg ins Herz träufelt.
Sehr gut gemacht :)
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR 
Ein sehr gelungener Beitrag, mehr sage ich vorerst nicht.
Ist das tolle Coverfoto von dir?

LG fleur
Vor langer Zeit - Antworten
schnief Eine wunderschöne Geschichte!
Viel Glück!
Liebe Grüße Manuela
Vor langer Zeit - Antworten
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