Kurzgeschichte
AM SCHICKSALSFLUSS - FB 40

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"J. fuhr nach Spanien, um zu sterben."
Veröffentlicht am 25. April 2015, 22 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: Melinda Nagy - Fotolia.com
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Über den Autor:

Ich wurde in einem kleinen Dorf bei Nürnberg geboren. Studium und Beruf brachten mich nach Baden Württemberg. Die etwa 35 Jahre im Dreiländereck waren genug. 1999 zog es mich in meine alte Heimat zurück und seither lebe ich in Fürth.
J. fuhr nach Spanien, um zu sterben.

AM SCHICKSALSFLUSS - FB 40

einleitung

"J. fuhr nach Spanien, um zu sterben."


Ein grandioser Einstieg in unsere FB 40.


Folgende Wörter sind sinnvoll in die Geschichte einzufügen:


Distel , flirrend , Perle , Vermächtnis, schwindelig, Sonnenuntergang, palavern, Wildbienen, Affenbrotbaum, beurlauben, Kaninchen, ungezähmt.

am schicksalsfluss

„J. fuhr nach Spanien um zu sterben.“ Das war der letzte Satz der Zeitungsnotiz, die in einer der Promi-Zeitungen über den namhaften Autor David J. zu lesen gewesen war. Die Paparazzi hatten ihn so aufdringlich verfolgt, dass er über Monate nicht zur Ruhe gekommen war. Wie sollte er da für den renommierten Verlag die geforderte Auftragsarbeit im vorgegebenen Zeitrahmen bewältigen können?

Jetzt sitzt er in einem Zug irgendwo im Süden. Wer weiß, wohin ihn sein Verlag schicken wird? Die Seele baumelt, während die Mittagshitze über den staubigen Feldern alles

Leben ins Stocken bringt. Nicht einmal das Zirpen der nimmermüden Zikaden durchdringt die flirrende Atmosphäre. Einzig das monotone Rattern der Räder wirkt einschläfernd auf David J. Schwer sinken ihm die Augenlider herab, während vor seinem Inneren die Bilder riesiger Grassteppen mit Affenbrotbäumen vorüberziehen. Die Big Five Afrikas begleiten die Bahntrasse, ehe sich die Strecke entlang eines ungezähmten Flusses an den Berghängen hinaufwindet. Das gleichmäßige Rattern der Räder wird zu einem ungestümen Stampfen und Rütteln, dann ein jäher Ruck.

„Endstation! Alles aussteigen!“ Verschlafen reibt sich David die Augen. Ein grandioser

Sonnenuntergang hinter einer entfernten Bergkette taucht den Himmel in ein flammendes Rot. „Schade, dass ich nicht Maler geworden bin“, denkt David. Doch in seinem Kopf beginnen die ersten Bilder für seinen kommenden Roman Gestalt anzunehmen. Eine Familiensaga über mehrere Generationen hinweg soll es werden.

Ein zwei rädriger Karren, wie ihn hier die Bauern benutzen, steht als eine Art Taxi für ihn bereit. Ein kleines, zähes Pferdchen ist davor gespannt. Nach einer guten Stunde holpriger Fahrt ist das Ziel erreicht: ein winziges, verschlafenes Dorf. Eine Hand voll Häuser, wie Trutzburgen aus einer anderen

Zeit. Nach außen fensterlos, wirken sie abweisend und unbewohnt. Vor einem steht eine schwarz gekleidete Gestalt. Sie bildet das Empfangskomitee, wie ihm scheint. David wird sehr freundlich begrüßt und ins Haus geführt. Hier wird er also die nächsten Monate zum Schreiben verbringen. Dann ist hoffentlich Gras über die Sache gewachsen.

Der ältere Mann nimmt sein Gepäck und führt ihn durch einen angenehm kühlen Innenhof ein paar Stufen hinauf in ein sehr sauberes, spärlich eingerichtetes Zimmer. Ein Kleiderschrank, ein Tisch, ein Stuhl, ein geräumiges Bett, nebenan ein großes Badezimmer mit der gleichen spärlichen Einrichtung. Das ist wahrhaftig der Ort, den

sich David zum Schreiben immer gewünscht hat. Der Mann bedeutet David, in einer Stunde zum Abendessen im Vordergebäude zu erscheinen. Dann ist der Autor allein. Tiefe Stille umgibt ihn, während er seine wenigen Habseligkeiten in den einfachen Möbeln verstaut. Jetzt nimmt er sich Zeit und sieht sich um. Sein Blick gleitet zum Fenster hinaus in den Innenhof. Sehr sauber, ein paar Oleanderkübel, einige Blumentöpfe mit überbordender Blütenpracht, in der Mitte plätschert ein kleiner Springbrunnen. Gegenüber an der Hauswand eine weiß gestrichene Bank. Alles in allem ein Ort zum Wohlfühlen.

Zeit um im Hauptgebäude das Abendessen

einzunehmen. Der ältere Mann, offensichtlich der Gastgeber, erwartet ihn wieder und führt ihn in einen großen Raum mit einem langen Holztisch. Acht Stühle, eine Anrichte und ein Webteppich vervollständigen die Einrichtung. Der Tisch ist für eine Person gedeckt: ein großer, bunt bemalter Keramikteller, Besteck, je eine Karaffe mit Rotwein und Wasser und die passenden Gläser dazu. David hat sich niedergelassen.

Während er sich noch umsieht, trägt eine junge Frau eine Schüssel mit Bauernsalat und köstlich duftendes Brot auf. Die beiden Menschen sehen sich an, atemlose Spannung legt sich über den Raum. Plötzlich weiß David, dass diese Frau die Hauptfigur

seines neuen Romans ist. Nur mit Mühe gelingt es ihm, seine durcheinander geratenen Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Der dienstbare Geist hat längst den Raum verlassen, dennoch ist es David schwindelig und dieser Zustand wird sich bis in die halbe Nacht hineinziehen.

Nach nur ein paar Stunden traumlosen Schlafes wird David bald nach Sonnen-aufgang von einer klaren Singstimme geweckt. Vorsichtig hebt er die Tüllgardine ein wenig an, um besser sehen zu können. Es ist die junge Frau vom Vorabend. Ein wohliger Schauer durchrieselt David. Rasch verschwindet er im Bad, betritt dann den Innenhof. Der ist leer. David begibt sich ins

Haupthaus, wo ihn bereits ein üppiges Frühstück erwartet. Aber er bleibt allein. Danach beschließt er, das Dorf und die Umgebung desselben zu erkunden.

In der morgendlichen Kühle geht es sich angenehm. David folgt der staubigen, holprigen Straße und lässt bald die Häuser hinter sich. Vor ihm öffnet sich die Hochebene mit Olivenhainen, kräuterreichen Pflanzenteppichen und üppigen Fruchtgärten. Schwärme von Wildbienen umschwirren die zahllosen Blüten und David sieht ihnen lächelnd zu. Während er tief atmend die Fruchtgärten durchquert und dann dem staubigen Pfad bis zu einer dichten Hecke aus Dornensträuchern folgt,

wird das Konzept für seinen neuen Roman immer klarer.

Der Pfad ermöglicht einen schmalen Schlupf durch die Hecke. An den Dornen hängen feine Flöckchen von schwarzer und weißer Wolle. Jäh öffnet sich für den Fremden eine tiefe Schlucht, zu deren Boden ein Steig hinunterzuführen scheint. Leise tönt das Rauschen eines Baches zu ihm herauf. Soll er den Abstieg wagen? Seine Neugier ist groß und so setzt er vorsichtig Fuß vor Fuß und steigt in die Tiefe. An den ihn umgebenden steilen Wänden entdeckt er grasende Schafe und Ziegen. Daher die Wolle. Neue Bilder für seinen Roman. Der kleine Fluss, an dem er unerwartet steht, wird

von diesem schmalen Pfad begleitet. Das Wasser umtost große Felsen, springt über kleine Blöcke, rauscht über Geröllmassen und spielt eine fröhliche Melodie. Die wird urplötzlich übertönt von jener klaren Stimme, die er aus dem Hof seines Gastgebers zu kennen glaubt.

Wenige Schritte von ihm entfernt, hinter einem Felsblock, sitzt jenes Zauberwesen, das ihn so durcheinander gebracht hat und singt ein unendlich trauriges und gleichzeitig süßes Lied, das sein Herz zutiefst berührt. Als es endet, spricht er die junge Frau spontan an, nicht wissend, ob sie ihn überhaupt versteht.


„Was für ein wunderschönes Lied. Ich würde es gerne noch einmal hören.“

„Es ist ein Lied, das die herbe Schönheit dieser Landschaft besingt und die Liebe ihrer Bewohner zu ihr.“ In klarem Deutsch kommt ihre Antwort.

David bleibt vor Überraschung der Mund offen und dann brechen beide in fröhliches Gelächter aus. Maria, so heißt die junge Frau, stellt sich vor und erzählt:

„Ich bin die Tochter des Hausherrn, habe in der Hauptstadt Germanistik studiert, ein Dolmetscherexamen abgelegt und arbeite seit einigen Jahren für einen Verlag als

Übersetzerin. Hier, in der Ruhe dieser göttlichen Landschaft, kann ich ungestört arbeiten, verdiene gutes Geld und kann dazu noch meinem Vater beistehen. Meine Mutter ist schon lange tot. Und gelegentlich vermieten wir Zimmer an Gäste.“

„Nenne mich David. Ich bin Schriftsteller und mein Verlag hat mich für einige Zeit beurlaubt und hierher geschickt. Dahinter steckt eine skurrile Geschichte, die ich lieber nicht erzählen möchte. Nur so viel: ich arbeite gerade an einem Roman, einer Familiensaga. Es ist eine Auftragsarbeit. Ich hoffe, dass ich hier gut arbeiten kann.“

Schweigend hängen jetzt beide ihren

Gedanken nach, beobachten das Wasser, die Schafe und genießen die Natur. Immer wieder wandern Davids Blicke zu Maria. Auch sie beobachtet ihn aus den Augenwinkeln. Als die Sonne schon hoch steht, holt die junge Frau vom Flussufer einen Korb. Sie breitet eine Tischdecke aus, nimmt Käse, Brot und Wein und lädt David zum Picknick ein, so als ob sie ihn hier erwartet hätte. Darauf angesprochen, lacht sie nur. Die Mahlzeit löst beiden die Zungen und so vergeht mit guter Unterhaltung der Nachmittag wie im Flug. Als die Schlucht vollständig in Schatten getaucht ist, ruft sie ihre Tiere und gemeinsam ziehen sie heimwärts.


Am folgenden und auch an den nächsten Tagen treffen sich die beiden in der Schlucht, wo sie sich zuerst begegnet sind. Maria beginnt ihre Geschichte zu erzählen und die ihrer Familie: einfache Menschen, weitab von der Küste lebend, haben im ausgehenden Mittelalter als erfolgreiche Seeleute ihren Weg nach Amerika, zu Gewürzinseln und bis in den Pazifik gefunden. Von den Herrschern ausgezeichnet, auch als Kaufleute erfolgreich, erhielten sie Ländereien und andere Reichtümer. Irgendwann siedelten sie sich auf diesem Plateau an, gründeten Dörfer und gewannen durch Heirat weiteren Wohlstand hinzu. Sie erhielten Adelstitel und wurden Berühmtheiten. In neuerer Zeit verfiel alles. Heute bezeugt nur noch das alte

Familienwappen ihre Herkunft und ihren wahren Stand.

David kommt aus dem Staunen nicht heraus. Und er weiß, dass diese Geschichten „sein“ großer Roman werden können. Maria und David werden ein Stück davon sein. Schließlich kommen sich die beiden Menschen in den vielen gemeinsamen Stunden immer näher und letztlich springt der Funke über. Die beiden werden ein Liebespaar. Eines Tages sitzen sie wieder an ihrem Lieblingsplatz. Maria hat eine kleine Kostbarkeit mitgebracht und erzählt:

„Das ist das älteste Schmuckstück unserer Familie. Es bringt nur dann Glück, wenn

derjenige, der es zu sehen bekommt, sich dereinst entscheidet, für immer hier zu leben.“

Eine Weile palavern die beiden noch über Sinn und Unsinn solcher Sprüche und Glaubenssätze, während eines der in der Schlucht zahlreichen Kaninchen an einer Distelblüte knabbert.

Am nächsten Morgen, nach einer wunderschönen und erfüllenden Liebesnacht, beginnt David J. seinen Roman zu schreiben. In weniger als der vorgegebenen Zeit hat er sein Werk vollendet und an seinen Auftraggeber gesandt. Unter dem Titel AM

SCHICKSALSFLUSS ist seine Familiensaga schon nach kurzer Zeit zu einem absoluten Bestseller geworden ist. Wie sein Verlag mit dem eingangs erwähnten letzten Satz in der Promi-Zeitung umgehen wird, ist David gleichgültig.


Er wird hier bleiben, am Rande der Schlucht, am Schicksalsfluss. In zweifacher Hinsicht ist ihm dieses Gewässer zum Schicksalsfluss geworden: Er hat seine große Liebe Maria gefunden, dazu wunderbare Menschen. Er hat einen fantastischen Roman geschrieben und das Vermächtnis der Perle, jenes geheimnisvollen Schmuckstückes von Maria, einlösen können. Und er wird hier als Autor weiterhin erfolgreich Bücher schreiben.


© HeiO 24-04-2015



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Über den Autor

NORIS
Ich wurde in einem kleinen Dorf bei Nürnberg geboren. Studium und Beruf brachten mich nach Baden Württemberg. Die etwa 35 Jahre im Dreiländereck waren genug. 1999 zog es mich in meine alte Heimat zurück und seither lebe ich in Fürth.

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FLEURdelaCOEUR 
Herzlichen Glückwunsch zum Silbertreppchen, liebe Heidemarie, du hast es dir mit deiner wunderschönen Geschichte verdient!

Die Flucht vor den Paparazzi war ein guter Einstieg in die lange Reise deines Protagonisten, die du mit ausdrucksstarken, farbigen Bildern interessant und fesselnd erzählt hast. Und am Schicksalsfluss ist er folgerichtig bei seiner Liebsten in der neuen Heimat angekommen.

Liebe Grüße
fleur


Vor langer Zeit - Antworten
NORIS Vielen Dank für Deinen Glückwunsch und die Geschenke! Ich freue mich auch sehr über das Treppchen, das ich so nicht erwartet habe.
Nun darf ich wieder in die Arbeit einsteigen ... lächel

Liebe Grüße
Heidemarie
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Scheherazade Ich bin auch gerne mit auf diese Reise gekommen...danke!

Liebe Grüße
Schehera
Vor langer Zeit - Antworten
NORIS Liebe Schehera,
auch Dich habe ich gerne in den Süden mitgenommen ... ich liebe es, in Gesellschaft zu reisen.
LG Heidemarie
Vor langer Zeit - Antworten
schnief Wunderbar, und ich kann mich nur noch Frettchen anschließen.
Liebe Grüße Manuela
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NORIS Liebe Manuela,
ich habe mich sehr über Deine Begleitung gefreut. Vielen HERZlichen Dank dafür.
LG Heidemarie
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Frettschen Oh, wie wunderbar!
Danke, dass du mich mitgenommen hast. Ja, dort wäre ich auch gern - und würde schreiben!
Was für eine überaus schöne Vorstellung!
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NORIS Und natürlich auch malen, liebes Frettschen, nicht whr? Vielen Dank auch für Deine Geschenke!
LG Heidemarie
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Frettschen Na klar! Auf jeden Fall auch malen!
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KatharinaK Eigentlich war ich auf dem Weg ins Bett, bin aber doch bei Deiner Geschichte hängen geblieben. In solcher Umgebung lässt sich trefflich schreiben. Du scheinst mindestens mit zweitem Namen Maria zu heißen. David hat wohl Glück gehabt. Und Du vielleicht im Wettbewerb. Es sei Dir gegönnt. Liebe Grüße,
Katharina
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