Kurzgeschichte
Hans, der Soldat - Der (Un)Geist der Weihnacht

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"Möge Friede in unseren Köpfen und in unseren Herzen sein"
Veröffentlicht am 06. Januar 2015, 26 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

In mir spiegeln sich so manche Dinge. Manche werden zu Worten. Manche bleiben ein Geheimnis und ich lebe mitten darin.
Möge Friede in unseren Köpfen und in unseren Herzen sein

Hans, der Soldat - Der (Un)Geist der Weihnacht

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Hans war ein schmächtiger junger Mann, Anfang Zwanzig, blondes Haar. War sein Name wirklich Hans? Wenn ich es mir recht überlege, bin ich mir dessen nicht mehr so sicher. Blondes Haar hatte er in jedem Fall. Hans wurde Soldat, sein Land verpasste ihm eine Uniform, die für seinen schmächtigen Körper ein wenig zu groß war. Kein Soldat musste schön und adrett sein in den Schützengräben dieses Krieges. Die Zeit der flotten Uniformen war ohnehin längst vorüber. Hans erschien der Krieg als gottgewollt und gottgerecht. Es wollte darin seinen Mann stehen, wollte kämpfen für Volk

und Vaterland. Per Eisenbahn transportierte man die Soldaten an die Front. In Fußmärschen ging es hernach zu den Stellungen, zum Angesicht des Feindes. Hans sah große Kanonen, deren Schüsse weit in fremdes Land reichten. Er sah Bunker, die Linie der Schützengräben, sah Unterstände, sah Stacheldrahtverhaue. In der Ferne reckten sich zerfetzte Bäume gen Himmel. Aufgewühlt schien die Erde bis an den Horizont zu sein. All das überzog der späte November mit Nebel und leichtem Nieselregen. Ein leichtes Pfeifen drang an Hans sein Ohr. Jemand hinter ihm schrie laut: „Deckung!“ Man versetzte ihm einen

kräftigen Stoß, der ihn in einem der Schützengräben landen ließ. Schmutzig war es hier, der Boden voller Schlamm. Hans hatte keine Zeit, sich umzusehen. Man stieß ihn in den Rücken. Eine eindringliche Kommandostimme gellte in seinen Ohren. „Los, vorwärts. Niemand hat bisher einen Krieg durch Abwarten gewonnen.“ Er erfuhr später, dass diese schnarrende Stimme Hauptmann Schulds gehörte. Hieß dieser Offizier Schulds? Hier bin ich mir ganz sicher, schon wegen der Seltsamkeit des Namens. Soldaten drängten Hans durch den engen Graben. Ein Stehenbleiben war unmöglich. Das Pfeifen über den Köpfen

nahm zu. Hans erkannt jetzt, dass es Geschosse waren, die über die Gräben hinwegsausten. Manches Geschoss schlug wohl in der Nähe ein, denn aufgewühlte Erde spritzte in den Graben.

„Schneller, schneller, wenn ihr nicht sterben wollt.“ Hans duckte sich instinktiv und rannte mit den anderen durch den Graben. Nur das Gewehr nicht dabei verlieren, dachte er. Er würde es ja noch brauchen. Die Detonationen klangen bedrohlich nah. Der Feind hatte sich auf sein Ziel eingeschossen. Warum nicht umgehend das frische Blut an der Front zur Strecke bringen. Hans verlor im Rennen sein Zeitgefühl.

Er verlor sich, wurde Teil jener grauen Uniformmasse, die durch den Graben schwappte. Vor ihm weitete sich die Enge zum Unterstand der Kompanie. Hier gab es Platz und den Trugschluss der Sicherheit. Schulds baute sich vor den neuen Soldaten auf. „Da habt ihr ja einen zünftigen Einstand an der Front gehabt. Mit dem Feind ist nicht zu Spaßen, Männer.“ Sein Lachen wurde durch eine Detonation in der Nähe verschluckt. An Spaß im Krieg hatte Hans nie gedacht. Dennoch amüsierte sich der Kompaniechef Schulds. Er trug den gleichen Bart, wie der oberste Heerführer in der Hauptstadt. Hatte der je einen

Schützengraben oder so einen Unterstand betreten? Er gab die Befehle, führte die Armeen in die Schlacht, war mit seinen Gedanken immer an der Front und gedachte dabei ganz sicher seiner Soldaten. Wieder wurden Kommandos gerufen, Schulds hatte das Regime dem Feldwebel der Kompanie übergeben. Sein Name? Ich weiß ihn nicht mehr. Er gehörte zu den Namenlosen, die von dieser Front nie zurückkehrten und manche davon noch nicht einmal ein Grab fanden. Hans lernte das Handwerk des Krieges. Er richtete sich in Unterständen und Schützengräben ein. Das Heroische war schnell verschwunden. Vielleicht hatte es

ein Soldat in den Schlamm des Grabens getreten und es hatte sich daraus nicht mehr erheben können. Vielleicht war es auch durch eine Granate zerfetzt worden und auf dem Feld vor ihnen schmählich verblutet. Was lernte Hans hier draußen in der Fremde, im Angesicht des Feindes? Er lernte das Überleben im Töten. Den Tod in jeder Form dem Gegner bringen und den eigenen möglichst nicht finden. Das Spiel von Angriff und Gegenangriff. War es ein Spiel? Es musste ein Spiel sein, denn niemand erzielte in den Kämpfen einen nachhaltigen Sieg. Hans schrieb kaum noch Karten oder Briefe an die Lieben zu Hause. Was hätte

er auch schreiben sollen? Er wollte nichts erzählen, über den allgegenwärtigen Tod, das vergossene Blut, das den Boden der Schützengräben manchmal rot färbte, den allgegenwärtigen Schmutz, der vorherrschte, das schlechte Essen. Niemand in der Heimat wusste um all das wirklich. In den Zeitungen würde es kaum stehen. So las er in den Briefen, die ihn aus der Heimat erreichten, er solle es sich gut gehen lassen und auf sich aufpassen. Letzteres konnte er beherzigen. Ersteres übernahmen der Krieg und seine Kommandeure für ihn.

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Für Hans dauerte der Krieg nun schon viele Wochen. Das Wetter wurde zunehmend schlechter, immer öfter regnete es ohne Unterlass, die Nächte wurden kälter. Heiß waren nur noch die Gefechte auf dem Schlachtfeld vor ihm. Jeder Soldat legte seinen eigenen Schleier der Verbitterung über diese Tage und die ertranken beinah in ihrer allgegenwärtigen Sinnlosigkeit. Hans hatte die Tage am Anfang mitgezählt, es aber bald aufgegeben. An der Front war es völlig egal, welcher Kalendertag gerade war. Schulds tauchte an einem Morgen im Unterstand auf.

Seine Stimme klang freundlicher als sonst. Beinah so, als steckte da ein normaler Mensch in der Uniform. „Männer, wer es noch nicht bemerkt hat, es ist Heiligabend. Es wird eine Waffenruhe geben. Das Schießen hört also auf. Ihr könnt die Schützengräben verlassen. Es wird nichts passieren, das kann ich euch garantieren. Die da drüben werden sich an die Waffenruhe halten.“ Mit einer Hand zeigte er in Richtung der feindlichen Stellungen. Hans traute diesem Frieden nicht so recht. Neben ihm kletterten bereits Soldaten aus dem Unterstand und sie winkten ihm, er solle ihnen folgen. Immer mehr Soldaten traten an das helle

Licht dieses Morgens, genossen es, einfach nur aufrecht und ohne Angst dazustehen und sich umzublicken. Die Soldaten des Gegners taten es ihnen gleich. Auch sie waren froh, aus ihren Stellungen herauszukommen. So sah man den Feind ohne seine Waffen. Er bestand ebenso nur aus Menschen, die den Krieg satt hatten. Man winkte sich nach ein paar Stunden sogar zögerlich zu. Am Abend zelebrierte der Feldgeistliche eine Messe. Es ging um die frohe Botschaft, den Frieden auf Erden, der Messias führte die Menschen zur Erlösung. Frieden auf Erden, eine paradiesische Vorstellung, dachte sich Hans. Es herrschte Krieg, er war an einer

Front und es galt, einen Gegner zu bezwingen. Warum herrschte Krieg? Am nächsten Morgen war die Angst um den Weihnachtsfrieden verflogen. Die Soldaten, hüben und drüben, kletterten aus ihren Stellungen. Genossen ein wenig die Sonne, aßen ihr Weihnachtsessen in friedlicher Stunde auf dem Schlachtfeld. Hans traute seinen Augen nicht. Dort ging Schulds in aller Seelenruhe zum Feind hinüber. Von dort löst sich ein Mann aus der Menge der Soldaten und ging auf Schulds zu. Vielleicht auch ein Offizier? Sie begrüßten sich mit Handschlag und begannen, miteinander zu plaudern. Beherrschte Schulds etwa die Sprache

des Feindes oder sprach der Feind die seine? Hans war etwas verwirrt. Die Männer schienen sich gut zu unterhalten. Man sah sie lachen. Als jeder zu seinen Soldaten zurückkehrte, winkten sie einander zu. Hans blicke lange auf die gegnerischen Stellungen hinüber. Den Feind töten! Wer war der Feind? Die Menschen dort drüben, die ebenso vor Schmutz starrten, wie er, die ebenso versuchten, nicht den Tod auf diesem Schlachtfeld zu finden? Warum die Menschen töten, warum nicht den Krieg töten. Ein Gedanke, der Hans nicht mehr losließ, der sich in seinen Hirnwindungen verschanzte. Der zweite Weihnachtstag glich dem

ersten in seiner Unbeschwertheit. Der gegnerische Offizier stattet nun Schulds einen Besuch ab. Hans merkte, dass jeder die Sprache des anderen ein wenig sprach. Ihren Gesten war anzusehen, dass sie über Dinge sprachen, die sie gemeinsam hatten. Und ihr Gespräch schien sich nicht um das Thema Krieg zu drehen. Vielleicht erzählte jeder von seiner Heimat. Vielleicht… Es galt, den Krieg zu töten. Hans dachte den ganzen Tag daran, der in friedlicher Ruhe verstrich. Am Abend tauchte Schulds im Unterstand auf. Er hatte seine Kommandostimme wiedergefunden. „Männer, um Mitternacht ist die Waffenruhe vorüber. Wir starten in aller

Herrgottsfrühe einen Angriff, um dem Feind zuvorzukommen. Die Wachen sind eingeteilt und der Rest schläft jetzt, um Kräfte für den Morgenangriff zu sammeln.“ Schulds wendete sich um und verschwand im Dunkel des Grabens. Kein weiteres Wort, keine Erklärung, warum wieder Krieg herrschen und der Weihnachtsfriede darin sterben sollte. Hans war schockiert. Böse Träume suchten ihn heim. Im Traum bekam für ihn der Krieg ein Gesicht. Hans schreckte durch laute Worte aus seinem Schlaf auf. Schulds stand an der gegenüberliegenden Wand des Unterstands und herrschte die Kompanie

an. „Nicht so lahmarschig. Wir haben keine Zeit zu verlieren, wenn der Feind noch überrascht werden soll. Los, zu den Waffen.“ Hans richtete sich schlagartig auf. Alle Müdigkeit war aus seinen Gliedern gewichen. Er hatte sein Gewehr im Anschlag und stand nun Auge in Auge mit Schulds. Erst leise flüsternd und dann schreiend erhob Hans seine Stimme. „Schulds, du bist schuld am Krieg und den Krieg gilt es zu töten.“ Hans holte mit großer Wucht aus und rammte Hauptmann Schulds das Bajonett in den Leib. Der Bauch von Schulds färbte sich rot. Dickes Blut sicherte

durch den Stoff der Uniform. Er fasste sich mit beiden Händen an die Wunde und starrte Hans an. Hans hob ganz langsam sein Gewehr und schoss Schulds mitten ins Gesicht. Der Hauptmann wurde durch die Wucht der Kugel an die Wand des Unterstands geschleudert, sein Körper an die kalte, nasse Erde genagelt. Das Gesicht war samt Schnauzbart nur noch eine breiige Masse. Hans ließ das Gewehr sinken und warf es schließlich weg. „Wir müssen den Frieden der Weihnacht bewahren. Dafür müssen wir den Krieg töten.“ Niemand rührte sich. Niemand sagte ein Wort. Hans kletterte bedächtig aus dem

Schützengraben. Erst langsam, dann immer schneller rannte er auf die gegnerischen Stellungen zu, schwenkte heftig mit den Armen. Er hatte nur eine Botschaft und die sollten alle Menschen verstehen können. „Tötet nicht die Menschen. Tötet den Krieg. Denkt an den Geist der Weihnacht. Denkt an den Frieden.“ Lauter und immer lauter erschall sein Ruf auf dem Schlachtfeld.

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Da war der junge Soldat, der auf der anderen Seite lauerte. Ich kannte nie seinen Namen. Ich nenne ihn der Einfachheit halber André. Er wird etwa in dem Alter von Hans gewesen sein. Sie waren beide Kinder dieses Krieges. André hatte man als Scharfschützen ausgebildet, für das schnelle und effektive Töten von Menschen. Vielen Kameraden von Hans hatte er schon eine tödliche Kugel verpasst und dafür einen Orden erhalten, die übliche Ehrung für einen menschlichen Sensenmann. André sah Hans aus dem Schützengraben klettern, heftig mit den Armen rudernd

und schreiend. Er verstand die Worte nicht. Der Soldat schien gar kein Gewehr bei sich zu haben. Wollte er überlaufen oder war es eine Kriegslist des Gegners? Es galt, schnell zu entscheiden, da der feindliche Soldat immer näher kam und immer lauter schrie. André entschloss sich zum Schuss. Schnell und effizient tötete er Hans. Ein Feind weniger in dieser Schlacht. Einer mehr auf der Abschussliste. Hans spürte den Einschlag in seiner Brust. Er musste weiter, um seine Botschaft zu den Menschen zu bringen. Die zweite Kugel riss ihm ein Loch in die Stirn und stürzte ihn samt seiner Botschaft in tiefe

Nacht. Hans sah nicht mehr, dass Soldaten mit Hurra-Rufen aus dem Schützengraben hinter ihm quollen. Schnell hatte sich ein neuer Kompaniechef gefunden, der nun sein erstes Gefecht befehligen durfte. Welche Ehre in diesen Tagen nach Weihnachten. Hans sah auch nicht, dass hinter André ebenso Soldaten aus dem Schützengraben kamen und mit fremdsprachlichen Parolen vorwärtsstürmten. Mit Unbeugsamkeit und in geeinter Erbarmungslosigkeit starb der Frieden der Weihnacht im Kugelhagel aller Soldaten und im Kampf Mann gegen Mann, Mensch gegen Mensch. Schwere

Stiefel drückten das tote Gesicht von Hans in die aufgewühlte Erde des Schlachtfeldes. Der Pulverdampf war am Abend verflogen. Die Toten und Verletzten waren fast alle geborgen. Jede Armee zog sich in ihre Stellungen zurück. An diesem Abend umklammerte André sein Gewehr fester, als könnte es ihm Halt geben in diesem Krieg. Das Bild des fremden Soldaten ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Was hatte der gerufen? Hätte er nicht schießen sollen? Er wischte den Gedanken beiseite. Und wenn der fremde Soldat nun doch eine Botschaft zu überbringen hatte?


Die Worte: © Tusitala (Januar 2015) Die Bilder aus dem Buch "Otto Dix und der Krieg"

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In mir spiegeln sich so manche Dinge. Manche werden zu Worten. Manche bleiben ein Geheimnis und ich lebe mitten darin.

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baesta Vielleicht ist auch mein Großvater so gestorben. Er wurde noch in den letzten Kriegstagen zur Front geholt und seitdem fehlt von ihm jede Spur.
Du hast das Grauen des Krieges sehr bewegend geschrieben, wo Menschen auf Befehl aufeinander schießen müssen, obwohl sie doch keine Feinde sind, weil sie sich gar nicht kennen gelernt haben.

LG Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
Tusitala Liebe Bärbel,
danke für die Lesezeit. Die Geschichte ist weder kurz, noch besinnlich, noch hat sie ein Happyend. Das findet nicht so viele Leser. Leider verschwinden viele Menschen in Kriegen spurlos. Seine Sinnlosigkeit aufzuzeigen, das war mein Hauptziel.
LG und einen friedlichen Sonntag, Tusitala
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR 
Eine schaurig beeindruckende und gut geschriebene Geschichte, die mich an den Kriegstod meines Vaters erinnert, der in der Westukraine begraben ist ... Zufällig hieß er auch Hans und war als Militärarzt zum einfachen Soldaten degradiert worden, weil er "zu weich gegenüber den Juden und bolschewistischen Untermenschen" in Galizien aufgetreten war ...
Krieg ist das Schlimmste, was es gibt!

Lieben Gruß
fleur

Vor langer Zeit - Antworten
Tusitala Da pflichte ich dir bei. Dennoch ist immer irgendwo Krieg, eben auch im 21. Jahrhundert.
Die Story wird nicht viele Leser finden, da das Thema wenig angenehm ist. Habe heute wenig Zeit.
Daher ein schneller Gruß, Tusitala
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