Biografien & Erinnerungen
1989 München - Wenn Ossis in den Westen fahren

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"1989 München - Wenn Ossis in den Westen fahren"
Veröffentlicht am 19. November 2014, 12 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Da sich bei Mystorys vieles verändert hat, ist es wohl an der Zeit, auch in meinem Outfit etwas zu verändern. Nun, was gibt es über mich zu sagen. Nein, ich bin kein Katzentier, das schreiben kann, nur mein Kater ist der Schönere von uns beiden und ein wenig eitel darf man doch noch sein, oder? Ich habe nicht den Ehrgeiz von allen verehrt und geliebt werden zu wollen, das klappt sowieso nie. Mir genügt es, wenn man mich nimmt so wie ich bin, ...
1989 München - Wenn Ossis in den Westen fahren

1989 München - Wenn Ossis in den Westen fahren

Der allererste Westbesuch

Unser Sohnemann hat im Dezember Geburtstag und es war im Dezember 1989, die Grenzen waren schon einige Wochen offen. Als ich meinen Sohn fragte, was er sich zum Geburtstag wünsche, sagte er: „Ich will mal in den Westen fahren. Alle meine Schulkameraden waren schon drüben und haben sich die hundert DM Begrüßungsgeld geholt, nur ich noch nicht!“ Zum Onkel nach Niedersachsen wollte er

nicht, nein es musste unbedingt München sein. Da wollte er hin. Da wir damals noch nicht über einen fahrbaren Untersatz verfügten musste ich in den sauren Apfel beißen und besorgte 3 Fahrkarten für den Zug von C. nach München, was natürlich ganz schön ins Geld ging.. Es war sehr kalt an diesem Tag und wir mussten nachts aufstehen, um den Zug nach München zu erreichen. Dazu mussten wir zunächst mit dem Bus zum Bahnhof fahren. Auf dem Bahnhof angekommen, konnte ich nur noch denken: »Auf was habe ich mich da bloß

eingelassen« Den Plan in den Westen zu fahren, hatten wohl nicht nur wir gehabt. Es herrschte ein Gedränge, wie damals, wenn es zu Weihnachten mal Apfelsinen und Bananen in der Republik der „Demokraten“ gab. Der Zug nach München fuhr ein und alle drängten zu den Abteilen, die bereits übervoll waren. Mann und Sohn waren schon im Zug verschwunden, nur ich stand noch draußen, ohne Wohnungsschlüssel und ohne Geld, das sich alles in der Tasche meines Mannes befand. Nach einiger Intervention seitens meines Göttergatten ließ mich der Schaffner dann doch noch mit in den Zug, der sich dann auch sofort in Bewegung setzte.

Es war stickig in dem Abteil und wir hatten bis Nürnberg nur Stehplätze im Gang, wo nicht mal hätte eine Stecknadel zu Boden fallen können. Unser Sohn hatte seine dicken Wärmestiefel an, die damals sehr in Mode waren, aber in der Wärme des Zuges sicher fehl am Platze, wie sich am Ende der Reise herausstellen sollte..... Zum Glück stiegen in Nürnberg viele Fahrgäste aus, so dass wir letztendlich doch einen Sitzplatz ergattern konnten. In München angekommen liefen wir immer mit der Masse mit, die sich zu den Ämtern bewegte, wo es das Begrüßungsgeld geben

sollte. Im ersten Amt war aber das Geld schon alle und so wurden wir zum nächsten geschickt, also wieder eine ganze Stecke durch München hasten. Letztendlich bekamen wir aber das Begrüßungsgeld und Sohnemann als eingefleischter Schuhfetischist wollte sich ein paar Schuhe von Salamander (oder welche Schuhmarke auch immer) kaufen, die damals halt so in Mode waren. Inzwischen meldeten sich aber 3 leere Mägen zu Wort.

In eines der vielen Restaurants zu gehen, wagten wir uns jedoch nicht, bei den Preisen, die uns da entgegen flimmerten. Da wäre das schöne Begrüßungsgeld ja

gleich weg gewesen. Also ging es zum nächsten Bockwurststand, wo wir uns „ane Bockwuschtsamml“ leisteten a 5 DM das Stück. Bei dem Preis war mein Hunger zumindest gleich wieder verflogen. Na gut, der Magen knurrte nicht mehr und nun konnten wir uns ans Einkaufen machen. Zunächst steuerten wir Kaufhof oder irgend so ein großes Einkaufscenter an, wo Sohnemann sofort in die Schuhabteilung steuerte. Ein freundlicher Verkäufer nahm sich gleich unserer an und fragte nach dem Begehr. Unser Sohn sagte ihm, dass er weiße Salamanderschuhe möchte und nannte seine Schuhgröße, worauf der Verkäufer

dienstfertig einige Schuhe der gewünschten Marke herbeiholte. Nun ging es ans Probieren. Robert zog seine Wärmestiefel aus, und auf einmal umspielte sanft ein aufdringlicher Käsegeruch unsere Nasen. Die ganze Nacht im Zug und den ganzen Tag schon in diesen Stiefeln hatten wohl einen

bleibenden Eindruck hinterlassen.

Der Verkäufer verzog als wohlerzogener junger Mann keine Miene, obwohl er dem Geruch am nächsten stand. Mir war die ganze Sache etwas peinlich und auch mein Guter guckte recht skeptisch aus der Wäsche. Ich flüsterte Robert ins Ohr: „Stell mal Deine Stiefel etwas weiter weg, sonst haut´s uns noch um und den Verkäufer auch...“ Er tat natürlich ganz unschuldig und entschied sich dann für ein paar weiße Schuhe.

Somit blieb das erste Begrüßungsgeld schon

mal dort, wo es herkam. Als nächstes hatten wir einen Ölradiator im Visier, weil es in der ausgebauten Bodenkammer unseres Sohnes keine Heizung gab und es im Winter dort doch empfindlich kalt war.

In unserem Schlafzimmer wollte er mit reichlich fünfzehn Jahren nicht mehr schlafen. Also kauften wir noch ein solches Gerät, nicht ahnend, welche Stromkosten da noch auf uns zukommen würden..... Schwer bepackt machten wir uns wieder auf den Weg zum Bahnhof und auf die Heimfahrt. Wie wir das damals alles ohne Auto bewerkstelligt haben, bleibt mir aber bis heute ein

Geheimnis.

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Hörbuch

Über den Autor

baesta
Da sich bei Mystorys vieles verändert hat, ist es wohl an der Zeit, auch in meinem Outfit etwas zu verändern. Nun, was gibt es über mich zu sagen. Nein, ich bin kein Katzentier, das schreiben kann, nur mein Kater ist der Schönere von uns beiden und ein wenig eitel darf man doch noch sein, oder? Ich habe nicht den Ehrgeiz von allen verehrt und geliebt werden zu wollen, das klappt sowieso nie. Mir genügt es, wenn man mich nimmt so wie ich bin, manchmal etwas bissig, manchmal ernsthaft, machmal übermütig, aber niemals bösartig.
Diesen Aphorismus kann ich nur ans Herz eines jeden Menschen legen: Sich selbst bekriegen - der schwerste Krieg.Sich selbst besiegen - der allerschönste Sieg! - Friedrich Freiherr von Logau
(1604 - 1655), deutscher Jurist, Satiriker, Epigramm- und Barockdichter, Pseudonym: Solomon von Golaw)

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MerleSchreiber Herrlich, diese tragisch-komische Geschichte, liebe Bärbel. Schade, dass wir uns damals noch nicht gekannt haben. Sonst hätten wir ein Date ausgemacht, vielleicht am Springbrunnen vor dem Karlstor und dann hätte ich euch ganz sachte in die kunterbunte Konsumwelt "eingeführt" LACH!
Liebe Grüße zu Dir, Merle
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Ja, das ist schade. Aber damals gab es wohl MS nicht und ich hatte auch keinen PC. Diese Konsumwelt hatte es schon in sich., wie ich es bei Fleur schon schrieb und wir haben viel Lehrgeld bezahlen müssen, weil man ja alles geglaubt hat, was einem diverse zeitungsverkäufer und Versicherungsvertreter so "aufgeschwatzt" haben. Na gut, meine angeborene Skepsis hat mich vor vielem bewahrt.
Danke Dir für das Lob und den Favo.
liebe Grüße
Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Bärbel, Du bist heute mein Favorit. Ich musste lauthals lachen. Ich denke, mann muss es erlebt haben, um das Tragisch-Komische Deiner Geschichte zu erkennen. Ich bin begeistert!
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Wir haben später selber lange darüber gelacht. Aber als unser Sohn zu Hause seine Wärmestiefel auszog, da waren seine Füße so verquollen, als hätte er tagelang im Wasser gestanden. Zum Teil löste sich die Haut ab. Es war kein schöner Anblick. Aber er hatte es sich ja gewünscht. Doch der eine Tag München hat gereicht. Unser Sohn hat später zwar zwei Jahre dort gearbeitet, aber er konnte sich nicht so recht da einleben.
Danke für Deinen Begeisterungsausbruch und den favo. Freut mich sehr.

LG Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR 
Na, das war ja ne Strapaze! Aber amüsant geschrieben!
Mein Cousin hatte uns damals nach HH eingeladen, ich kann mich noch erinnern an die Wühltische bei Karstadt oder so ...
Wir waren mit dem Auto unterwegs und haben uns nur gewundert, warum die Wessis uns alle angeblinkt haben ... Das war einfach nur eine freundliche Begrüßung! :-)

Lieben Gruß
fleur
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Ja, es war tatsächlich ein Strapaze, aber was tut man nicht alles um dem Filius seinen Geburtstagswunsch zu erfüllen. Ich kann mich noch erinnern, als ich das erste Mal beim Onkel in der Nähe von Hannover zum Geburtstag eingeladen war. Da habe ich Zeitschriften, die Cousinchen loswerden wollte, en Masse nach Hause geschleppt, weil es ja so was bei uns nicht gab und hatte am Grenzübergang Muffensausen, wenn ich kontrolliert würde. Ging aber alles gut. Dann stand ich einige Tage unter sogenanntem "Kulturschock", weil es in den Kaufhäusern, wo wir waren immer so gut roch und es alles, aber auch wirklich alles gab, was man sich nur vorstellen konnte. Die Tante bot mir an, mal mit ihrem Auto zu fahren, aber ich hatte damals ja nicht mal eine Fahrerlaubnis, was ich dann aber schnellsten zu Hause nachholte.
Mein erstes Auto war dann ein alter Trabi, der ständig kaputt ging. Allerdings konnte mein Mann da noch viel selber reparieren. Trotzdem erinnere ich mich gerne an jene Zeit, auch wenn wir viel Lehrgeld zahlen mussten.
Danke für den netten Kommi.
Liebe Grüße
Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR 
Als ich das erste Mal im Mai 89 "drüben" war, bei meiner Tante zum G*tag, hielt sie vor einem Supermarkt, gab mir ein paar Münzen und bat mich, Tomaten einzukaufen, sie war gehbehindert. Ich fragte, "wieviel?" und sie sagte "Zwei, und du musst sie abwiegen". "Zwei Kilo?", fragte ich irritiert zurück ... "Nein, zwei Stück, zum Abendbrot. Morgen können wir doch wieder neue kaufen" ... Und dann rief sie mir noch nach, dass die Eingangstür sich von alleine öffnet ...
Ja, es war schon ein Kulturschock, aber er hatte auch seinen Preis ...
LG fleur
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Das ist wohl wahr, das mit dem Kulturschock. Na gut, wir hatten damals schon einen Kleingarten und konnten so im Sommer unser Obst- und Gemüseangebot erweitern. Saatgut gab es ja zum Glück. Das, was es heute so zu kaufen gibt, da weiß man ja nie, wieviel Gift drin steckt.

LG Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
EllaWolke Ja, ja das Begrüßungsgeld :)
Ich hab da auch eine im PC gelagert ...
Schön von Dir erzählt. Meine Jungs waren ja damals noch klein ....
Herzlichste Grüße zu Dir
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Liebes Wölkchen, ich danke Dir fürs Lesen, den netten Kommi und den Favo.
Und wie heißt Deine Geschichte? Würde ich ja auch gerne mal lesen.

Liebe Grüße und einen schönen Abend
von Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
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